W 0001/97 (Tandem-Repeat-Loci) 15-11-1997
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MULTIPLEX AMPLIFICATION OF SHORT TANDEM REPEAT LOCI
Mangelnde Einheitlichkeit
Mehrere Aufforderungen zur Zahlung von Recherchengebühren
I. Die Anmelderin reichte eine internationale Patentanmeldung (PCT/US95/12608) mit 25 Ansprüchen ein. Die Ansprüche 1, 23 und 24 hatten folgenden Wortlaut:
"1. Verfahren zur gleichzeitigen Bestimmung der Allele an mindestens zwei Loci einer oder mehrerer DNA-Proben, das folgendes umfaßt:
a) Gewinnung mindestens einer zu analysierenden DNA-Probe, die mindestens zwei Loci besitzt, die zusammen amplifiziert werden können,
b) Amplifikation der Short-Tandem-Repeat-Sequenzen der DNA-Probe und
c) Auswertung der amplifizierten Fragmente zur Bestimmung der Allele an jedem amplifizierten Locus der DNA-Probe"
"23. Verfahren zur gleichzeitigen Bestimmung der Allele an mindestens zwei Loci einer oder mehrerer DNA-Proben, das folgendes umfaßt:
a) Ermittlung einer geeigneten Gruppe von Loci mit nicht überlappenden Allelen und entsprechender Primer
b) Gewinnung mindestens einer zu analysierenden DNA-Probe, die mindestens zwei Loci besitzt, die zusammen amplifiziert werden können,
c) Amplifikation der Short-Tandem-Repeat-Sequenzen der DNA-Probe und
d) Auswertung der amplifizierten Fragmente zur Bestimmung der Allele an jedem amplifizierten Locus der DNA-Probe"
"24. Kit zur gleichzeitigen Analyse von Short-Tandem-Repeat-Sequenzen an mindestens zwei Loci einer oder mehrerer DNA-Proben, der folgendes umfaßt:
a) Behälter mit Oligonucleotid-Primerpaaren für jeden der betreffenden Loci und
b) Gebrauchsanweisungen"
Die direkt von Anspruch 1 abhängigen Ansprüche 2 bis 6, 9, 10 und 14 betrafen bestimmte Ausführungsbeispiele für die Loci. Die Ansprüche 7 und 8 waren direkt oder indirekt von Anspruch 6 abhängig und galten bestimmten Ausführungsarten der Primer. Die Ansprüche 11 bis 13 und 16 waren direkt oder indirekt von Anspruch 10 abhängig und ebenfalls auf bestimmte Ausführungsarten der Primer gerichtet. Die direkt von Anspruch 1 abhängigen Ansprüche 15 und 17 bis 22 betrafen bestimmte Merkmale des Verfahrens. Anspruch 25, der von Anspruch 24 abhing, bezog sich auf bestimmte Ausführungsarten der Primer.
II. Am 20. März 1996 übersandte das EPA in seiner Funktion als Internationale Recherchenbehörde (ISA) der Anmelderin gemäß Artikel 17 (3) a) und Regel 40.1 PCT eine Aufforderung zur Zahlung einer zusätzlichen Recherchengebühr.
In der Aufforderung stellte die ISA fest, daß der Anmeldung die Aufgabe zugrunde liege, weitere Verfahren zur gleichzeitigen Bestimmung von STR-Allelen für mehrere Gruppen von STR-Loci bereitzustellen. Als Lösung werde vorgeschlagen, gleichzeitig Mehrfachkombinationen der den verschiedenen Loci entsprechenden Primer zu verwenden.
Die gleichzeitige Bestimmung von Allelen mehrerer STR-Loci (darunter Gruppen, die einen der beanspruchten Loci umfaßten) anhand von Primer-Kombinationen sei aber bereits durchgeführt worden, wie beispielsweise im Am. J. Hum. Genet., Band 55, 1994, 175 - 179 belegt sei. Die nunmehr beanspruchten Primer seien nicht durch besondere technische Merkmale miteinander verbunden. Daher liege der Vielzahl der Erfindungen nicht eine einzige erfinderische Idee zugrunde.
Die ISA unterteilte die Erfindung in zwei Gruppen:
1. Ansprüche 1, 6 bis 8, 10 bis 13, 15, 17 bis 24 (ganz), 2 bis 4, 16 und 25 (teilweise):
Verfahren zur gleichzeitigen Bestimmung von Short-Tandem-Repeat-Allelen (STR) mehrerer Loci im allgemeinen und für Gruppen, die zumindest die HUMCSF1PO-Loci umfassen, im besonderen sowie Primer und Kits zur Verwendung in diesem Verfahren
2. Ansprüche 5, 9 und 14 (ganz), 2 bis 4, 16 und 25 (teilweise):
Verfahren zur gleichzeitigen Bestimmung von Short-Tandem-Repeat-Allelen (STR) mehrerer Loci für Gruppen von Loci, die die HUMCSF1PO-Loci nicht umfassen, sowie Kits für dieses Verfahren
Die ISA führte weiter aus, daß dieser zweite Anspruchssatz eine Vielzahl verschiedener gleichzeitig zu testender Loci-Gruppen und damit eine Vielzahl weiterer Erfindungen umfasse, sah sich jedoch außerstande, diese Gruppe von Erfindungen weiter zu unterteilen, und überließ dies der Initiative der Anmelderin.
III. Die Anmelderin zahlte die zusätzliche Gebühr unter Widerspruch gemäß Regel 40.2 c) PCT und begründete diesen wie folgt:
Alle beanspruchten Loci seien ähnlich geartet, da sie alle zu einer in der Fachwelt anerkannten Klasse chemischer Verbindungen, nämlich den STR-Loci, gehörten, die als Strukturmerkmal gemeinsam hätten, daß sie Short-Tandem-Repeats seien. Das sie verbindende besondere technische Merkmal bestehe darin, daß sie bei der Gel-Elektrophorese deutlich erkennbare, nicht überlappende Banden ausbildeten.
IV. Am 22. Juli 1996 bestätigte die Überprüfungsstelle der ISA die Feststellung mangelnder Einheitlichkeit und forderte die Anmelderin auf, die Widerspruchsgebühr zu entrichten.
V. Am selben Tag übersandte die ISA der Anmelderin eine weitere Aufforderung zur Zahlung einer zusätzlichen Recherchengebühr für die nunmehr in drei Gruppen unterteilte Erfindung.
VI. Die Anmelderin entrichtete am 21. August 1996 die verlangte Recherchen- und die Widerspruchsgebühr.
VII. Am 12. November 1996 erließ die ISA eine weitere Aufforderung zur Zahlung sechs zusätzlicher Recherchengebühren für die nun in neun Gruppen unterteilte Erfindung.
VIII. Die Anmelderin entrichtete daraufhin eine zusätzliche Recherchengebühr.
Zum Widerspruch
1. Der Widerspruch ist zulässig.
2. Nach Regel 13.1 PCT darf sich die internationale Patentanmeldung nur auf eine Erfindung oder eine Gruppe von Erfindungen beziehen, die so zusammenhängen, daß sie eine einzige allgemeine erfinderische Idee verwirklichen. Wie in der Entscheidung G 1/89 (ABl. EPA 1991, 155) festgestellt wurde, ist die ISA befugt, einen Einwand wegen mangelnder Einheitlichkeit a posteriori, d. h. nach Würdigung des Stands der Technik, zu erheben. Ein solcher Einwand kann nur auf eine vorläufige Meinung über die Neuheit und die erfinderische Tätigkeit gestützt werden, die für die Behörden, denen später die materiellrechtliche Prüfung der Anmeldung obliegt, in keiner Weise bindend ist (s. Nr. 8.1 der Entscheidungsgründe).
3. In ihrer Aufforderung zur Zahlung einer zusätzlichen Gebühr verweist die ISA auf die Druckschrift Am. J. Hum. Genet., Band 55, 1994, 175 - 189, die ihres Erachtens für den Gegenstand der Ansprüche 1 und 2 neuheitsschädlich ist.
4. Diese Druckschrift aus dem Stand der Technik offenbart die Auswertung von 13 STR-Loci zum Zwecke der Personenidentifizierung. Auf Seite 176 heißt es: "Standardgruppen dreier Loci wurden routinemäßig in ausgewogenen Triplexreaktionen analysiert. Die Konzentrationen dieser Triplexreaktionen wurden experimentell bestimmt." Die Loci werden aus einer Gruppe ausgewählt, zu der auch die HUM13A01- und HUMFESPS-Loci gehören. Eine bevorzugt zu testende Kombination dreier Loci besteht zumindest aus HUMCSF1PO und HUMTH01 in Verbindung mit einem dritten Locus.
5. Die Kammer hat die Ansprüche 1, 2 und 3 einer vorläufigen Neuheitsprüfung unterzogen und ist in Anbetracht der vorstehend umrissenen Lehre zu dem Schluß gelangt, daß das Verfahren gemäß Anspruch 1, seine Anwendung auf die HUM13A01- und HUMFESPS-Loci gemäß Anspruch 2 und seine Anwendung auf die mindestens die HUMCSF1PO- und HUMTH01-Loci umfassende Kombination gemäß Anspruch 3 am Anmeldetag bereits bekannt waren.
6. Nach Regel 13.2 PCT ist das Erfordernis der Einheitlichkeit der Erfindung nur erfüllt, wenn zwischen den Erfindungen ein technischer Zusammenhang besteht, der in einem oder mehreren gleichen oder entsprechenden besonderen technischen Merkmalen zum Ausdruck kommt. Unter dem Begriff "besondere technische Merkmale" sind diejenigen technischen Merkmale zu verstehen, die einen Beitrag jeder beanspruchten Erfindung als Ganzes zum Stand der Technik bestimmen (Hervorhebung durch die Kammer).
7. In der Begründung ihres Widerspruchs hat die Anmelderin geltend gemacht, daß das Erfordernis der Einheitlichkeit der Erfindung erfüllt sei, weil die beanspruchten Loci eine "Markush-Gruppe" darstellten, wobei allen Elementen der Gruppe das besondere technische Merkmal gemeinsam sei, daß sie bei der Gel-Elektrophorese getrennte, klar erkennbare und nicht überlappende Banden ausbildeten.
8. Wie unter Nummer 4 festgestellt, sind das beanspruchte Verfahren und seine Verwendung zur Auswertung einiger der Loci gemäß Anspruch 2 und von Loci-Kombinationen gemäß Anspruch 3 bereits aus der Druckschrift 1 bekannt. Daher kann ein etwaiges, den beanspruchten Loci gemeinsames technisches Merkmal nicht als "besonderes technisches Merkmal" im Sinne der Regel 13.2 PCT angesehen werden, da es keinen Beitrag zum Stand der Technik leistet.
9. In Anbetracht des derzeit aktenkundigen Sachverhalts und Vorbringens muß somit in diesem Stadium des Verfahrens a posteriori von mangelnder Einheitlichkeit ausgegangen werden.
Zu den Aufforderungen vom 22. Juli 1996 und 12. November 1996 zur Zahlung weiterer Recherchengebühren
10. Während das Verfahren über den Widerspruch der Anmelderin gegen die erste Aufforderung zur Zahlung einer zusätzlichen Recherchengebühr noch anhängig war, erließ die ISA eine zweite und eine dritte Aufforderung zur Zahlung weiterer zusätzlicher Recherchengebühren. Diese Aufforderungen sind nur dann rechtsgültig, wenn die maßgebenden Bestimmungen eine Rechtsgrundlage für weitere Aufforderungen bieten. Die Kammer vermag keine solche Rechtsgrundlage zu erkennen.
11. Die Frage, ob mehrere Aufforderungen in Folge ergehen dürfen, wird zwar in Artikel 17 (3) a) und Regel 40 PCT nicht ausdrücklich geregelt, wohl aber durch die PCT-Richtlinien für die Recherche (PCT-Gazette 1992, 14025) geklärt, die nach Artikel 2 der Vereinbarung zwischen der EPO und WIPO nach dem PCT vom 7. Oktober 1987 für das EPA als ISA verbindlich sind (s. ABl. EPA 1987, 515; in bezug auf die Beschwerdekammern s. G 1/89, ABl. EPA 1991, 155, Nr. 6 der Entscheidungsgründe). Kapitel VII, 2 Satz 2 dieser Richtlinien schreibt vor, daß in der Aufforderung zur Zahlung zusätzlicher Gebühren "die einzelnen Erfindungen anzugeben sind und der zu zahlende Betrag zu nennen ist". Dies ist im Zusammenhang mit der Bestimmung zu sehen, wonach der Recherchenbericht für die Teile der internationalen Anmeldung zu erstellen ist, für die zusätzliche Recherchengebühren entrichtet worden sind (letzter Teil desselben Absatzes). Dies bedeutet, daß der Recherchenbericht für diejenigen in der Aufforderung angegebenen einzelnen Erfindungen erstellt werden muß, für die zusätzliche Gebühren gezahlt wurden. Diese Regelung schließt aus, daß in einer späteren Phase des Verfahrens zwecks Erhebung weiterer Recherchengebühren noch weitere Erfindungen abgegrenzt werden. In Kapitel VII, 10 der PCT-Richtlinien für die Recherche, wo es um die a posteriori festgestellte Uneinheitlichkeit geht, werden die vorstehenden allgemeinen Erfordernisse expressis verbis aufgegriffen und sogar dahingehend präzisiert, daß die Zahl der zu entrichtenden zusätzlichen Recherchengebühren angegeben werden muß.
12. Die Verpflichtung der ISA, in der ersten und einzigen Aufforderung die einzelnen Erfindungen anzugeben, für die der Anmelder zusätzliche Gebühren entrichten muß, wenn er einen vollständigen Recherchenbericht wünscht, soll gewährleisten, daß der Anmelder sachlich fundiert entscheiden kann, ob die Zahlung der zusätzlichen Gebühren in seinem Interesse liegt. Voraussetzung hierfür ist, daß der Anmelder weiß, welche Gegenleistung er für die zu zahlenden Gebühren erhält.
13. Natürlich kann es sein, daß die ISA vor der Recherche noch keinen so vollständigen Überblick hat, daß sie die Einheitlichkeit in jeder Hinsicht beurteilen könnte. Für Recherchenzwecke kann die Einheitlichkeit aber ohnehin nur vorläufig beurteilt werden, da die materiellrechtliche Prüfung nicht in die Zuständigkeit der ISA fällt; zusätzliche Gebühren sollten auch nur in eindeutigen Fällen verlangt werden (G 1/89, a. a. O., Nr. 8 der Entscheidungsgründe). Ein solcher eindeutiger Fall liegt offensichtlich nicht vor, wenn die ISA auch nach einer Recherche für einen Teil des Anmeldungsgegenstands noch nicht in der Lage ist, mehrere einzelne Erfindungen anzugeben.
14. Die derzeitige Regelung des PCT gestattet es nicht, auf der Grundlage des endgültigen Recherchenergebnisses zusätzliche Gebühren zu erheben. Die Aufforderung zur Zahlung zusätzlicher Gebühren muß vielmehr vor Erstellung des Recherchenberichts ergehen. Insofern besteht immer die Möglichkeit , daß sich aus der Recherche für die Teile der internationalen Anmeldung, für die Gebühren gezahlt worden sind, a posteriori Einwände wegen mangelnder Einheitlichkeit ergeben, die in einer vorherigen Aufforderung zur Zahlung zusätzlicher Recherchengebühren nicht geltend gemacht wurden. Da die ISA zudem verpflichtet ist, den internationalen Recherchenbericht innerhalb von drei Monaten nach Eingang des Recherchenexemplars bzw. innerhalb von neun Monaten nach dem Prioritätsdatum zu erstellen (R. 42.1 PCT), bliebe in den meisten Fällen ohnehin keine Zeit für mehrere aufeinanderfolgende Aufforderungen zur Zahlung zusätzlicher Recherchengebühren, die sich auf das zum Zeitpunkt der jeweiligen Aufforderung vorliegende Recherchenergebnis stützen.
15. Wie der vorliegende Fall zeigt, können mehrere solche Zahlungsaufforderungen in Folge dazu führen, daß die Frage der Einheitlichkeit der Erfindung vor drei Instanzen gleichzeitig anhängig wird: Der Widerspruch gegen die erste Aufforderung kann schon bei der Beschwerdekammer anhängig sein, während bei der Überprüfungsstelle der ISA ein weiterer Widerspruch gegen die zweite Aufforderung vorliegt und die Recherchenabteilung aufgrund der inzwischen vorliegenden Recherchenergebnisse immer noch weitere Zahlungsaufforderungen erläßt. Dies widerspräche den Grundprinzipien des Verfahrensrechts, die auch auf Widerspruchssachen Anwendung finden (vgl. die unveröffentlichte Entscheidung W 53/91 vom 19. Februar 1992). Sobald Widerspruch eingelegt worden ist, ist das EPA als ISA nur noch für die vorherige Überprüfung der Frage zuständig, ob die bereits ergangene Aufforderung berechtigt war (R. 40.2 e) PCT). Das EPA ist nicht befugt, die Frage der Uneinheitlichkeit im selben Recherchenverfahren ein zweites oder sogar weitere Male aufzuwerfen. Ein Beteiligter hat nämlich Anspruch darauf, daß ein und dieselbe Sache in einem einzigen Verfahren entschieden wird und er nicht gezwungen ist, in derselben Sache in mehreren Verfahren Rechtsmittel einzulegen. Zu bedenken ist auch, daß die Stellungnahme der Beschwerdekammer in ihrer Entscheidung über den Widerspruch unter Umständen eine etwaige weitere Feststellung der Uneinheitlichkeit präjudizieren kann.
16. Wenn es der ISA zweckdienlich erscheint, kann sie den Anmelder wie im vorliegenden Fall auffordern, selbst vorzuschlagen, wie er die einzelnen Erfindungen abgrenzen würde. Dies kann jedoch, wie aus den vorstehenden Ausführungen folgt, nur vor Absendung der Aufforderung nach Regel 40 PCT geschehen. Bei Absendung der Aufforderung muß sich die ISA darüber schlüssig sein, für welche separaten Erfindungen zusätzliche Recherchengebühren erhoben werden.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Der Widerspruch wird zurückgewiesen.
2. Die zusätzlichen Recherchengebühren, die auf die Aufforderungen der ISA vom 22. Juli 1996 und 12. November 1996 hin entrichtet wurden, werden zurückgezahlt.