J 0011/12 (Anspruchsgebühren / CARL ZEISS MICROSCOPY) 29-06-2015
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VORRICHTUNG UND VERFAHREN ZUM RÄUMLICHEN HOCHAUFLÖSENDEN ABBILDEN EINER STRUKTUR EINER PROBE
Anspruchsgebühren - Nachzahlung für zusätzliche Ansprüche, die unter Regel 161(1) EPÜ eingereicht werden, wenn die Anspruchsgebühren nach Regel 162(1) innerhalb der Frist von Regel 159(1) EPÜ entrichtet wurden und keine Mitteilung nach Regel 162(1) Satz 2 ergangen ist (nein)
Rückzahlung der Beschwerdegebühr - wesentlicher Verfahrensmangel (nein)
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung vom 23. Februar 2012, mit der insbesondere ein Antrag zurückgewiesen wurde, es sei die Feststellung eines Teilrechtsverlusts vom 18. März 2011 bezüglich des Patentanspruchs 39 der europäischen Patentanmeldung Nr. 09709871.9 als nicht zutreffend zu erachten.
II. Mit Schreiben vom 3. Mai 2012 erhob die Anmelderin Beschwerde; dieses Schreiben enthielt auch die Beschwerdebegründung. Die Beschwerdegebühr wurde ebenfalls am 3. Mai 2012 entrichtet.
III. Die unter der Nummer WO 2009/100830 veröffentlichte internationale Patentanmeldung wurde am 3. Februar 2009 eingereicht, gestützt auf eine deutsche Prioritätsanmeldung vom 13. Februar 2008. Die veröffentlichte Fassung enthielt 38 Patentansprüche.
IV. Das EPA als Internationale Recherchenbehörde erstellte auf der Grundlage der veröffentlichten Anmeldung einen schriftlichen Bescheid und einen internationalen Recherchenbericht, welche der Anmelderin/Beschwerdeführerin am 4. Juni 2009 zugestellt wurden. Der Eintritt in die europäische Phase wurde durch die Einreichung des entsprechenden Formulars (EPA Form 1200.1) am 11. September 2010 bewirkt. In diesem Formular gab die Beschwerdeführerin an, dass der Berechnung allfälliger Zusatzgebühren die mit der internationalen Anmeldung veröffentlichten Patentansprüche zugrunde zu legen seien. Im Hinblick auf die 38 Patentansprüche der veröffentlichten Anmeldung zahlte die Beschwerdeführerin am 11. September 2010 den Betrag von 4830 EUR (entsprechend der damals geltenden Fassung der Gebührenordnung je 210 EUR für den sechzehnten und jeden weiteren Patentanspruch).
V. Mit Bescheid vom 28. September 2010 ("Mitteilung nach Regel 161(1) und 162 EPÜ", EPO Form 1226A) wurde die Beschwerdeführerin unter Verweis auf Regel 161(1) EPÜ aufgefordert, zum schriftlichen Bescheid der Internationalen Recherchenbehörde innerhalb der damals geltenden Frist von einem Monat Stellung zu nehmen. Im gleichen Bescheid wurde festgestellt, dass (ausgehend von den damals vorliegenden Anmeldungsunterlagen) alle fälligen Anspruchsgebühren bereits entrichtet wurden.
VI. Nachdem die Beschwerdeführerin vor Ablauf der Monatsfrist keine Stellungnahme zum schriftlichen Bescheid der Internationalen Recherchebehörde einreichte, stellte die Prüfungsabteilung mit Bescheid vom 21. Dezember 2010 einen Rechtsverlust nach Regel 112(1) EPÜ fest.
VII. Am 28. Februar 2011 wurde die Weiterbehandlungsgebühr bezahlt und eine Stellungnahme zum schriftlichen Bescheid der internationalen Recherchebehörde eingereicht. Mit dem gleichen Schreiben wurde ein aus 39 Patentansprüchen bestehender Anspruchssatz eingereicht.
VIII. Die Prüfungsabteilung erließ am 18. März 2011 eine Entscheidung über den Antrag auf Weiterbehandlung nach Regel 135(3) EPÜ, nach der der in der Mitteilung vom 21. Dezember 2010 genannte Rechtsverlust nicht eintrat.
IX. Ebenfalls am 18. März 2011 erging eine Feststellung eines (Teil-)Rechtsverlusts nach Regel 112(1) EPÜ bezüglich des am 28. Februar 2011 eingereichten Patentanspruchs 39 mit der Begründung, die für diesen Anspruch fälligen Anspruchsgebühren seien "innerhalb der in der Mitteilung nach Regel 45 EPÜ (EPA Form 1068) bzw. der Mitteilung nach Regel 162 EPÜ (EPA Form 1226) gesetzten Frist nicht entrichtet worden".
X. Bezüglich dieses Teilrechtsverlusts beantragte die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 23. Mai 2011 eine Entscheidung im Sinne der Regel 112(2) EPÜ.
XI. In einer Mitteilung gemäß Artikel 113 EPÜ erklärte die Prüfungsabteilung am 9. November 2011, dass nach ihrer Auffassung die Mitteilung vom 18. März 2011 über den (Teil-)Rechtsverlust bezüglich des Patentanspruchs 39 zu Recht ergangen sei und dass sie beabsichtige, eine Entscheidung in diesem Sinne zu treffen, sofern der Antrag auf eine beschwerdefähige Entscheidung aufrechterhalten werde.
XII. Nachdem die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 4. Januar 2012 erklärt hatte, dass der Antrag vom 23. Mai 2011 auf eine beschwerdefähige Entscheidung aufrecht erhalten werde, erging die angefochtene Entscheidung am 23. Februar 2012. Dem Antrag, die Mitteilung vom 18. März 2011 über den Rechtsverlust bezüglich Patentanspruch 39 als nicht zutreffend zu erachten, wurde nicht entsprochen. Der Antrag auf Rückerstattung der Weiterbehandlungsgebühr wurde zurückgewiesen, und dem Antrag auf Weiterbehandlung wurde stattgegeben.
XIII. In der Beschwerdeschrift / Beschwerdebegründung vom 3. Mai 2012 beantragte die Beschwerdeführerin die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung sowie die Feststellung, dass die Mitteilung nach Regel 112(2) EPÜ vom 18. März 2011 nicht zutreffe. Im weiteren beantragte sie die Rückerstattung der Anspruchsgebühr für den Anspruch 39 und der Weiterbehandlungsgebühr für die Zahlung dieser Anspruchsgebühr. Sie beantragte ebenfalls die Rückzahlung der Beschwerdegebühr sowie eine mündliche Verhandlung "[f]ür den Fall, dass der obige Antrag im schriftlichen Verfahren zumindest teilweise nicht gewährt wird".
XIV. In der Begründung machte die Beschwerdeführerin geltend, der am 18. März 2011 mitgeteilte Rechtsverlust lasse sich nicht auf Regel 162(4) EPÜ stützen, da die Verzichtsfiktion dann und nur dann eintrete, wenn im Sinne von Regel 162(2) EPÜ eine Anspruchsgebühr "nicht rechtzeitig entrichtet" worden sei. Unter Regel 162(1) EPÜ seien innerhalb der Frist nach Regel 159(1) EPÜ (d.h. 31 Monate nach dem Anmelde- bzw. Prioritätstag) Anspruchsgebühren für die Ansprüche 16 bis 38 fällig gewesen und auch entrichtet worden. Da die Frist nach Regel 162(1) EPÜ nicht versäumt worden sei, sei auch die Frist nach Regel 162(2) Satz 1 EPÜ nicht in Gang gesetzt worden. Der von ihr eingereichte Anspruchssatz mit dem Anspruch 39 sei erst in Erwiderung auf die Mitteilung nach Regel 161 EPÜ und damit außerhalb der Frist nach Regel 159(1) EPÜ in das Verfahren eingeführt worden. Da keine Versäumung der Zahlungsfrist nach den Regeln 159(1) und 162(1) EPÜ vorgelegen habe, sei keine wirksame Mitteilung nach Regel 162(2) Satz 1 EPÜ ergangen. Eine Anspruchsgebühr nach Regel 162(2) Satz 2 EPÜ würde aber nur fällig, wenn innerhalb der Frist nach Regel 162(2) Satz 1 geänderte Ansprüche eingereicht werden, welche die Entrichtung von (weiteren) Anspruchsgebühren erforderten (Beschwerdebegründung, S. 4 oben). Für den Anspruch 39 sei daher weder nach der Regel 162(1) EPÜ noch nach der Regel 162(2) Satz 2 EPÜ eine Anspruchsgebühr zu entrichten gewesen. Die Verzichtsfiktion der Regel 162(4) EPÜ hätte nicht eintreten können, da es keine "nicht rechtzeitig entrichteten" Anspruchsgebühren gegeben habe.
XV. In ihrem Bescheid vom 26. Januar 2015 teilte die Kammer der Beschwerdeführerin mit, dass die Beschwerde nach Auffassung der Kammer begründet sei. Da der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr nicht begründet worden sei und die Kammer auch keinen Anlass für eine Erstattung sehe, wäre dieser Antrag aber zurückzuweisen. Die Beschwerdeführerin wurde um Mitteilung gebeten, ob der Antrag auf mündliche Verhandlung (vorstehend Punkt XIII) auch für den Fall gelte, dass die Kammer lediglich den Antrag auf Rückerstattung der Beschwerdegebühr nicht für gewährbar hält.
XVI. Im Schreiben der Beschwerdeführerin vom 25. März 2015 erklärte diese, der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr und der Hilfsantrag auf mündliche Verhandlung würden aufrechterhalten. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wurde insbesondere damit begründet, ein wesentlicher Verfahrensmangel liege vor, weil die allgemein anerkannten Denkgesetze, insbesondere die Logik, missachtet worden seien. Die Anwendung von Regel 161 EPÜ sei unlogisch gewesen und die Regel 162 sei falsch angewendet worden.
XVII. Im Bescheid vom 24. April 2015, der mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung versandt wurde, wies die Kammer darauf hin, dass die Begründung des Antrags auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr ein verspätetes Vorbringen im Sinne der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern darstelle und dass dieser Antrag nach vorläufiger Auffassung der Kammer nicht gewährbar sei, weil kein wesentlicher Mangel im Verfahren vor der Prüfungsabteilung ersichtlich sei.
XVIII. Die mündliche Verhandlung vor der Kammer fand am 29. Juni 2015 statt. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, die Rückzahlung der Anspruchsgebühr und der Weiterbehandlungsgebühr für Anspruch 39 sowie die Rückzahlung der Beschwerdegebühr. Die Entscheidung wurde am Schluss dieser Verhandlung verkündet.
1. Zulässigkeit der Beschwerde
1.1 Die Beschwerde ist zulässig (vgl. Sachverhalt und Anträge, Punkt II).
2. Entstehungsgeschichte der Regeln 161 und 162 EPÜ
2.1 Die Regelung der Pflicht zur Zahlung von Anspruchsgebühren beim Eintritt von Euro-PCT-Anmeldungen in die europäische Phase geht auf die Regel 104b EPÜ 1973 zurück, welche anlässlich der konstituierenden Sitzung des Verwaltungsrats der Europäischen Patentorganisation in die Ausführungsordnung eingefügt wurde und am 1. Februar 1978 in Kraft trat (ABl. EPA 1978, 12). In dieser Bestimmung wurde bezüglich der Anspruchsgebühren lediglich auf Regel 31 EPÜ 1973 verwiesen, welche (entsprechend Regel 45 EPÜ) die Anspruchsgebühren für (direkte) europäische Patentanmeldungen regelte.
2.2 Die Änderung der Regel 104b EPÜ 1973 per 1. Juni 1991 (ABl. EPA 1991, 4) bewirkte im Hinblick auf die Anspruchsgebühren lediglich ein paar Klarstellungen, hauptsächlich bezüglich der Fristen (vgl. Dokument CA/52/90 Rev. 1, S. 51ff.). Gleichzeitig wurde in der neuen Regel 104c(3) EPÜ 1973 (analog zur Regel 31(2) EPÜ 1973) festgelegt, dass die nicht rechtzeitige Entrichtung einer Anspruchsgebühr als Verzicht auf den entsprechenden Patentanspruch gelte. Hinsichtlich der fälligen Anspruchsgebühren sollte für eine internationale Anmeldung vom Zeitpunkt ihrer Übermittlung an das EPA an dasselbe gelten wie für eine europäische Patentanmeldung (J 9/84, ABl. EPA 1985, 233, Punkt 5).
2.3 Die Nachfrist nach Regel 31(1) EPÜ 1973 für die Zahlung nicht entrichteter Anspruchsgebühren galt - durch den Verweis in Regel 104b EPÜ 1973 - auch für internationale Anmeldungen. Eine Reduktion der Anzahl der Ansprüche innerhalb der Nachfrist für die Zahlung der Anspruchsgebühren unter Regel 31(1) EPÜ 1973 führte nicht zu einer Reduktion der Anspruchsgebühren (J 6/96).
2.4 Die am 1. März 2000 in Kraft getretene neue Regel 110 EPÜ 1973 (ABl. EPA 1999, 690) schuf eine neue Rechtsgrundlage für die Erhebung von Anspruchsgebühren in der europäischen Phase und legte fest, auf welcher Grundlage sie zu berechnen sind. Die neue Struktur (Berechnungsgrundlage und Zahlungsfrist) beruhte auf der Anzahl der beim Eintritt in die europäische Phase vorhandenen Ansprüche, trug aber - "zugunsten des Anmelders" - auch dem Umstand Rechnung, dass sich die Anzahl der Ansprüche durch eine Änderung der internationalen Anmeldung verringern kann; in diesem Fall sollten zuviel entrichtete Anspruchsgebühren zurückerstattet werden (Mitteilung vom 13. Oktober 1999 betreffend die Änderung der Ausführungsordnung zum EPÜ, ABl. 1999, 696, Punkt 10). Die Berechnung der Anspruchsgebühren und die Rückzahlung allenfalls zu viel bezahlter Gebühren wurde in den Regeln 110(2) und 110(3) EPÜ 1973 in gleicher Weise geregelt wie in den im vorliegenden Fall anzuwendenden Regeln 162(2) und 162(3) EPÜ.
2.5 Gleichzeitig mit der Regel 110 EPÜ 1973 wurde auch eine neue Regel 109 (ABl. EPA 1999, 690) in Kraft gesetzt, die den Rahmen für Änderungen der Anmeldung nach dem Eintritt in die europäische Phase abstecken sollte. Nach dieser Regel 109 EPÜ 1973 hatte der Anmelder das Recht, die Anmeldung innerhalb einer Frist von einem Monat einmal zu ändern. Die Frist wurde mit einer Mitteilung des EPA in Gang gesetzt, die den Anmelder auf diese Möglichkeit hinwies und die unmittelbar nach Ablauf der Frist für den Eintritt in die europäische Phase erlassen wurde (Mitteilung vom 13. Oktober 1999 betreffend die Änderung der Ausführungsordnung zum EPÜ, ABl. 1999, 696, Punkt 9).
2.6 Beim Inkrafttreten des EPÜ 2000 wurden die Regeln 109 und 110 EPÜ 1973 in die Regeln 161 und 162 EPÜ 2000 überführt.
2.7 Die auf den vorliegenden Fall anwendbare, vom 1. April 2008 bis zum 30. April 2011 gültige Fassung von Regel 162 EPÜ hat folgenden Wortlaut (vgl. ABl. EPA 2008, 124):
(1) Enthalten die Anmeldungsunterlagen, die dem europäischen Erteilungsverfahren zugrunde zu legen sind, mehr als fünfzehn Ansprüche, so sind für den sechzehnten und jeden weiteren Anspruch innerhalb der Frist nach Regel 159 Absatz 1 Anspruchsgebühren nach Maßgabe der Gebührenordnung zu entrichten.
(2) Werden die Anspruchsgebühren nicht rechtzeitig entrichtet, so können sie noch innerhalb eines Monats nach einer Mitteilung über die Fristversäumung entrichtet werden. Werden innerhalb dieser Frist geänderte Ansprüche eingereicht, so werden die Anspruchsgebühren auf der Grundlage der geänderten Ansprüche berechnet.
(3) Anspruchsgebühren, die innerhalb der Frist nach Absatz 1 entrichtet werden und die nach Absatz 2 Satz 2 fälligen Gebühren übersteigen, werden zurückerstattet.
(4) Wird eine Anspruchsgebühr nicht rechtzeitig entrichtet, so gilt dies als Verzicht auf den entsprechenden Patentanspruch.
Bei der Frist nach Regel 159(1) EPÜ, auf die im ersten Absatz der Regel 162 verwiesen wird, handelt es sich um die Frist von 31 Monaten nach dem Anmelde- bzw. Prioritätstag.
2.8 Die nächste Änderung betraf Regel 161 EPÜ. Gleichzeitig mit der Einführung der obligatorischen Erwiderung auf den erweiterten europäischen Recherchenbericht (Regel 70a EPÜ) wurde die obligatorische Erwiderung auf den schriftlichen Bescheid der Internationalen Recherchenbehörde bzw. auf den internationalen vorläufigen Prüfungsbericht eingeführt. Diese obligatorische Erwiderung hatte innerhalb eines Monats nach der entsprechenden Mitteilung zu erfolgen (am 1. April 2010 in Kraft getretene Fassung der Regel 161(1) EPÜ, ABl. EPA 2009, 299; vgl. dazu Dokument CA/PL 14/08 rev. 1).
3. Zweck und System der Anspruchsgebühren
3.1 Anspruchsgebühren sollen dem Anmelder einen Anreiz bieten, die Zahl der Patentansprüche in Grenzen zu halten (vgl. z.B. J 9/84, ABl. EPA 1985, 233, Punkt 4; J 6/96, Punkt 7; T 937/09, Punkt 4.2.1). Anspruchsgebühren wurden teilweise auch mit dem Mehraufwand gerechtfertigt, der mit der Prüfung von Anmeldungen mit einer größeren Zahl von Ansprüchen verbunden ist (T 937/09, Punkt 4.2.1). Das Argument des Mehraufwands wurde aber auch schon mehrfach ausdrücklich abgelehnt (J 9/84, ABl. EPA 1985, 233, Punkt 4; J 6/96, Punkt 7; J 6/12, Punkt 12) oder seine Berechtigung wurde offen gelassen (J 3/09, Punkt 4).
3.2 Anspruchsgebühren sind für den sechzehnten und jeden weiteren Patentanspruch zu entrichten, und zwar entweder am Anfang (Regeln 45 und 162 EPÜ) oder am Ende des Prüfungsverfahrens (seit dem 1. April 2012 Regel 71(4) EPÜ, vor dem 1. April 2012 gleichlautende Regel 71(6), vgl. ABl. EPA 2010, 637). Maßgebend ist die Zahl der Ansprüche beim Eintritt in die europäische Phase (bei Euro-PCT-Anmeldungen, Regel 162(1) EPÜ) bzw. bei der Einreichung des ersten Anspruchssatzes (bei europäischen Direktanmeldungen, Regel 45(1) EPÜ). Enthält die Anmeldung in der für die Erteilung vorgesehenen Fassung mehr als fünfzehn Patentansprüche, sind die Anspruchsgebühren vor der Erteilung zu entrichten, soweit sie nicht bereits nach Regel 45 oder 162 EPÜ am Anfang des Prüfungsverfahrens entrichtet wurden (Regel 71(4) EPÜ).
3.3 Um den Anmeldern einen Anreiz zu bieten, die häufig hohe Zahl von Ansprüchen in PCT-Anmeldungen zu reduzieren, sieht Regel 162(3) EPÜ eine Rückzahlung von Anspruchsgebühren für den Fall vor, dass innerhalb der Nachfrist von Regel 162(2) EPÜ ein Anspruchssatz eingereicht wird, der weniger Ansprüche enthält als der Anspruchssatz, für den die Anspruchsgebühren beim Eintritt in die europäische Phase ein Anspruchssatz bereits entrichtet wurden. In allen anderen Fällen führt die Reduktion der Zahl von Ansprüchen nicht zu einer Rückzahlung von Anspruchsgebühren. Dies ergibt sich schon daraus, dass bereits entrichtete Gebühren nach Eintritt ihrer Fälligkeit nur zurückgezahlt werden können, wenn dafür eine spezifische Rechtsgrundlage besteht (J 33/86, ABl. EPA 1986, 84; J 3/08, Punkt 4.3).
3.4 Eine Erhöhung der Zahl der Ansprüche während des Erteilungsverfahrens führt umgekehrt nicht zu einer Pflicht zur Nachzahlung von Anspruchsgebühren, so lange die für die Erteilung vorgesehene Fassung nicht zur Erhebung von Anspruchsgebühren nach Regel 71(4) EPÜ führt.
4. Verhältnis zwischen den Regeln 161 und 162 EPÜ
4.1 Unter Regel 161(1) EPÜ wird dem Anmelder eine Frist gesetzt für eine Stellungnahme zum schriftlichen Bescheid der Internationalen Recherchenbehörde oder zum internationalen vorläufigen Prüfungsbericht sowie gegebenenfalls zur Änderung der Beschreibung, der Patentansprüche und der Zeichnungen. Seit der Einführung der obligatorischen Erwiderung auf den schriftlichen Bescheid bzw. den internationalen vorläufigen Prüfungsbericht kann eine Nichteinhaltung der Frist dazu führen, dass die Anmeldung als zurückgenommen gilt (vgl. vorstehend Punkt 2.8; letzter Satz von Regel 161(1) EPÜ).
4.2 Regel 162 EPÜ betrifft ausschließlich die Anspruchsgebühren. Werden diese nicht rechtzeitig, d.h. beim Eintritt in die europäische Phase, entrichtet, wird unter Regel 162(2) EPÜ in einer Mitteilung über die Fristversäumung eine Nachfrist zur Entrichtung der nicht rechtzeitig bezahlten Anspruchsgebühren angesetzt. Die nicht rechtzeitige Entrichtung einer Anspruchsgebühr gilt nach Regel 162(4) EPÜ als Verzicht auf den entsprechenden Patentanspruch.
4.3 Die Mitteilungen unter den Regeln 109 und 110 EPÜ 1973 (heutige Regeln 161 und 162 EPÜ) wurden von Anfang an miteinander verbunden, indem sie auf einem gemeinsamen Formular versandt wurden (vgl. für die damaligen Regeln 109 und 110 EPÜ 1973 die Mitteilung vom 13. Oktober 1999 betreffend die Änderung der Ausführungsordnung zum EPÜ, ABl. EPA 1999, 696, Punkt 10). Im vorliegenden Fall wurde das Formular 1226A "Mitteilung nach Regel 161(1) und 162 EPÜ" verwendet (vgl. Sachverhalt und Anträge, Punkt V). Durch eine solche Verbindung der Mitteilungen wird erreicht, dass die gleich langen Fristen unter den Regeln 161(1) und 162(2) EPÜ am gleichen Tag ablaufen.
4.4 Würden die Mitteilungen bzw. Fristansetzungen unter Regel 161(1) und Regel 162(2) EPÜ nicht auf einem gemeinsamen Schriftstück versandt (was unter diesen Bestimmungen ohne weiteres zulässig wäre), würde der zeitliche Zusammenhang zwischen diesen Fristansetzungen nur dann bestehen, wenn die beiden Mitteilungen am gleichen Tag versandt würden. Regel 161 EPÜ bezieht sich auf die Erwiderung auf den schriftlichen Bescheid der Internationalen Recherchenbehörde oder auf den internationalen vorläufigen Prüfungsbericht; Regel 162 EPÜ bezieht sich auf die Anspruchsgebühren. Die Regeln betreffen somit unterschiedliche Gegenstände und die Fristen betreffen unterschiedliche Handlungen des Anmelders. Die Versäumung der Fristen hat unterschiedliche Rechtsfolgen (Fiktion der Rücknahme der Anmeldung im einen Fall, Fiktion des Verzichts auf einzelne Ansprüche im andern Fall). Die aus den jeweiligen Fristversäumungen entstehenden Rechtsverluste werden entsprechend auch mit unterschiedlichen Formularen mitgeteilt (vgl. im vorliegenden Verfahren EPA Form 1229 vom 21. Dezember 2010 betreffend die obligatorische Erwiderung und EPA Form 1066 vom 18. März 2011 betreffend die Anspruchsgebühr, siehe Sachverhalt und Anträge, Punkte VI und IX).
5. Reduktion bzw. Rückzahlung von Anspruchsgebühren unter Regel 162 EPÜ
5.1 Regel 162(1) EPÜ legt fest, dass die Anspruchsgebühren anhand der Anmeldungsunterlagen bemessen werden, die dem europäischen Erteilungsverfahren zugrunde zu legen sind, und dass diese Anspruchsgebühren innerhalb der 31-Monats-Frist der Regel 159(1) EPÜ zu entrichten sind. Unter Regel 162(2) Satz 1 EPÜ wird durch eine entsprechende Mitteilung eine Nachfrist für die Zahlung nicht rechtzeitig entrichteter Anspruchsgebühren in Gang gesetzt.
5.2 Werden wie im vorliegenden Fall alle bei Eintritt in das europäische Verfahren fälligen Gebühren rechtzeitig entrichtet, wird die Nachfrist der Regel 162(2) Satz 1 nicht in Gang gesetzt. Die in Regel 162(2) Satz 2 enthaltene Bedingung ("werden innerhalb dieser Frist geänderte Ansprüche eingereicht", Hervorhebung durch die Kammer) für die Berechnung der Anspruchsgebühren auf der Grundlage allenfalls geänderter Ansprüche wäre damit nicht erfüllt.
5.3 Eine rein am Wortlaut der Regel 162(2) EPÜ orientierte Auslegung ergibt also, dass nach rechtzeitiger Entrichtung der Anspruchsgebühren unter Regel 162(1) EPÜ die Einreichung geänderter Ansprüche nicht dazu führen kann, dass die Anspruchsgebühren auf der Grundlage der geänderten Ansprüche berechnet werden - und zwar unabhängig davon, ob der geänderte Anspruchssatz mehr oder weniger Ansprüche umfasst als der Anspruchssatz, der beim Einritt in die europäische Phase vorlag. Zu diesem Schluss gelangte die Juristische Beschwerdekammer in anderer Besetzung bereits für die Regelung unter Regel 110 EPÜ 1973 (J 3/09, Punkt 3.4.2).
5.4 Die Berücksichtigung eines gekürzten Anspruchssatzes entsprechend Regel 162(2) Satz 2 EPÜ und die Rückzahlung von Anspruchsgebühren unter Regel 162(3) EPÜ auch in denjenigen Fällen, in denen keine Frist nach Regel 162(2) Satz 1 angesetzt wurde, entspricht andererseits der klaren Absicht, die hinter der Einführung der Regel 110(2)/(3) EPÜ 1973 stand. Mit durch Regel 110 EPÜ 1973 geschaffenen und in Regel 162 EPÜ übernommenen Struktur sollte "zugunsten des Anmelders" dem Umstand Rechnung getragen werden, dass sich die Anzahl der Ansprüche durch eine Änderung der internationalen Anmeldung verringern kann (Mitteilung vom 13. Oktober 1999 betreffend die Änderung der Ausführungsordnung zum EPÜ, ABl. EPA 1999, 696, Punkt 9). Ein "gekürzter Anspruchssatz", der dem europäischen Verfahren infolge von Änderungen nach der Regel 109 EPÜ 1973 zugrunde gelegt wird, sollte auch die Grundlage für die anfallenden Anspruchsgebühren bilden (Dokument CA/PL 16/99, Punkt 7).
5.5 Die Berechnungsregel für die Anspruchsgebühren in Regel 110(2) Satz 2 EPÜ 1973 bzw. Regel 162(2) Satz 2 EPÜ ("Werden innerhalb dieser Frist geänderte Ansprüche eingereicht ...", Hervorhebung durch die Kammer) wurde also von Anfang an auch angewendet, wenn der geänderte Anspruchssatz in Reaktion auf die Fristansetzung unter Regel 109 EPÜ 1973 bzw. Regel 161(1) EPÜ eingereicht wurde. Eine Versäumung der für die Zahlung der Anspruchsgebühren angesetzten Frist nach Regel 162(2) Satz 1 EPÜ war damit keine Voraussetzung für die Berechnung der Ansprüche auf der Grundlage der geänderten Ansprüche. Dieser Praxis entspricht der Hinweis auf der im vorliegenden Verfahren verwendeten "Mitteilung nach Regel 161(1) und 162 EPÜ" (EPA Form 1226A): "Die bei Ablauf dieser Frist [Frist nach Regel 161(1) EPÜ] vorliegenden Patentansprüche, die entweder bereits beim Eintritt in die europäische Phase vorgelegen haben oder in Erwiderung auf diese Mitteilung eingereicht werden, bilden die Grundlage für die Berechnung der Anspruchsgebühren". Dieselbe Mitteilung enthält im Zusammenhang mit Regel 162 EPÜ auch den Hinweis, dass eventuell noch ausstehende Anspruchsgebühren "auf der Grundlage des derzeit vorliegenden Anspruchssatzes oder von geänderten Ansprüchen nach Regel 161 zu berechnen sind".
5.6 Der Verweis auf "diese Frist" in Regel 162(2) Satz 2 EPÜ wurde und wird demnach entgegen ihrem Wortlaut (vgl. vorstehend Punkt 5.3; J 3/09) so verstanden, dass er nicht nur die Frist nach Regel 162(2) Satz 1 (Nachzahlungsfrist für nicht rechtzeitig entrichtete Anspruchsgebühren) erfasst, sondern auch die mit dieser in der Praxis (vgl. dazu vorstehend Punkt 4.3) gleichlaufenden Frist nach Regel 161(1) EPÜ (Frist zur Mängelbeseitigung / Änderung der Anmeldungsunterlagen). Diese Praxis entspricht dem offenkundigen Willen des Gesetzgebers jedenfalls für die Fälle, in denen der Anspruchssatz nach dem Eintritt in die europäische Phase gekürzt wurde.
5.7 Eine Auslegung von Regel 162(2) EPÜ, welche die Berechnung der Anspruchsgebühren auf der Grundlage eines gekürzten Anspruchssatzes nur dann zulässt, wenn beim Eintritt in die europäische Phase Anspruchsgebühren nicht rechtzeitig entrichtet waren, wäre auch im Hinblick auf die in Regel 162(3) EPÜ geregelte Rückzahlung von Anspruchsgebühren problematisch. Diese Regel würde in den meisten Fällen ins Leere laufen, wenn es nach rechtzeitiger Entrichtung der Anspruchsgebühren unter Regel 162(1) EPÜ keine Neuberechnung der Anspruchsgebühren nach Regel 162(2) Satz 2 EPÜ aufgrund eines verkürzten Anspruchssatzes geben könnte.
6. Erhöhung bzw. Nachzahlung von Anspruchsgebühren unter Regel 162 EPÜ
6.1 Wortlaut von Regel 162 EPÜ
6.1.1 Eine nur am Wortlaut von Regel 162 EPÜ orientierte Auslegung würde dazu führen, dass die Berechnung der Anspruchsgebühren aufgrund der nach Eintritt in die europäische Phase geänderten Ansprüche nicht anwendbar ist, wenn die nach Regel 162(1) EPÜ fälligen Anspruchsgebühren rechtzeitig entrichtet wurden (vgl. vorstehend Punkt 5.3). Dies gilt auch für den Fall, in dem eine Berechnung auf der Grundlage der geänderten Ansprüche eine höhere Anspruchsgebühr ergeben würde als eine Berechnung auf der Grundlage der Ansprüche beim Eintritt in die europäische Phase.
6.1.2 Die am Wortlaut orientierte Argumentation der Beschwerdeführerin, wie sie auf Seite 4 der Beschwerdebegründung zusammengefasst ist, ist daher aus der Sicht der Kammer zutreffend.
6.2 Sinn und Zweck von Regel 162 EPÜ
6.2.1 Die Begründung der angefochtenen Entscheidung bezieht sich hauptsächlich auf den "Sinn und Zweck der Regeln 161 und 162" (und weniger auf den Wortlaut dieser Bestimmungen). Es wird angeführt, zur Kompensierung des mit einem längeren Anspruchssatz verbundenen Arbeitsanfalls beim EPA während des Erteilungsverfahrens sei es "gerechtfertigt, dass alle Änderungen, die die Basis für dieses Verfahren darstellen, für die Berechnung der Anspruchsgebühren in Betracht gezogen werden".
6.2.2 Es trifft zu, dass die Kompensierung des Arbeitsanfalls teilweise als Argument für die Erhebung von Anspruchsgebühren im Allgemeinen angeführt wird (vgl. zur Rechtsprechung vorstehend Punkt 3.1). An dieser Stelle ist jedoch einzig zu prüfen, ob die (Nach-)Erhebung von Anspruchsgebühren in der spezifischen Verfahrenssituation (d.h. nach der rechtzeitigen Entrichtung aller bei Eintritt in die europäische Phase fälligen Anspruchsgebühren) von der Regel 162 EPÜ vorgeschrieben wird.
6.2.3 Die Gründe, die im Hinblick auf die damaligen Regeländerungen für die Berechnung der Anspruchsgebühren auf der Grundlage der geänderten Ansprüche (Regel 162(2) Satz 2 EPÜ) angeführt wurden, betrafen stets den Fall einer Verkürzung des Anspruchssatzes, der eine Reduktion der Anspruchsgebühren nach Regel 162(2) Satz 2 EPÜ und allenfalls eine Rückzahlung nach Regel 162(3) EPÜ zur Folge hat. Eine zu Regel 162(3) EPÜ spiegelbildliche Bestimmung, welche eine Nachzahlung im Fall eines erweiterten Anspruchssatzes vorschreiben würde, fehlt. "Zugunsten des Anmelders" sollte dem Umstand Rechnung getragen werden, dass sich die Anzahl der Ansprüche durch eine Änderung der internationalen Annmeldung verringern kann (vgl. vorstehend Punkt 2.4). Ein nach einer Mitteilung nach Regel 109 EPÜ 1973 "gekürzter Anspruchssatz" sollte die Grundlage für die anfallenden Anspruchsgebühren bilden (vgl. vorstehend Punkt 5.4). Aus der Dokumentation der maßgebenden Änderungen der Ausführungsordnung ergibt sich jedenfalls (wie auch aus dem Wortlaut von Regel 162 EPÜ) kein Hinweis darauf, dass die Bemessung der Anspruchsgebühr aufgrund des geänderten Anspruchssatzes im Hinblick auf einen vergrößerten Anspruchssatz eingeführt werden sollte.
6.2.4 Aus diesen Gründen kommt die Kammer zum Schluss, dass sich aus den im Zusammenhang mit der Einführung der damaligen Regel 110 EPÜ 1973 (heutige Regel 162 EPÜ) diskutierten Gründen nichts ableiten lässt, was für eine Berücksichtigung eines nach Eintritt in die europäische Phase vergrößerten Anspruchssatzes bei der Bemessung der Anspruchsgebühren unter Regel 162(2) Satz 2 EPÜ spricht.
6.2.5 Sollten die Anspruchsgebühren nach Regel 162(2) Satz 2 EPÜ aufgrund eines nach dem Eintritt in die europäische Phase vergrößerten Anspruchssatzes bemessen werden, stellen sich Fragen bezüglich der Modalitäten einer allfälligen Nachzahlung von Anspruchsgebühren. Die Prüfungsabteilung ist im vorliegenden Verfahren offenbar davon ausgegangen, dass die Nachzahlung für den Anspruch 39 mit dem Ablauf der Nachfrist unter Regel 162(2) Satz 1 EPÜ bzw. mit der Einreichung des geänderten Anspruchssatzes fällig wurde. Für eine solche Fälligkeit ließe sich die allgemeine Fälligkeitsnorm in der Gebührenordnung (Artikel 4(1)) anführen. Es stellt sich aber die Frage, warum nicht eine Nachfrist (analog zu Regel 45(2) oder Regel 71(4) EPÜ) geregelt wurde. Das Fehlen einer Regelung über die Fälligkeit allenfalls nachzuzahlender Anspruchsgebühren spricht jedenfalls nicht dafür, dass die Absicht bestand, nach rechtzeitiger Entrichtung der Anspruchsgebühren nach Regel 159(1) EPÜ bei der Einreichung eines innerhalb der Frist nach Regel 161 EPÜ vergrößerten Anspruchssatzes weitere Anspruchsgebühren zu verlangen.
6.2.6 Aus der (hier nicht zu prüfenden) Praxis, nach der auch ohne Fristansetzung nach Regel 162(2) Satz 1 EPÜ ein innerhalb der Frist nach Regel 161(1) EPÜ eingereichter verkürzter Anspruchssatz zu einer Berechnung auf der Grundlage dieses Anspruchssatzes und allenfalls zu einer Rückzahlung nach Regel 162(3) EPÜ führt, lässt sich nicht einfach der Umkehrschluss ziehen, dass für einen vergrößerten Anspruchssatz dasselbe gilt und eine Nachzahlung erfolgen muss. Während sich eine (gegenüber der rechtzeitig entrichteten) reduzierte Anspruchsgebühr und eine Rückzahlung nur zu Gunsten des Anmelders auswirken kann, würde eine erhöhte Anspruchsgebühr zu einer erneuten Zahlungspflicht führen, was für den Anmelder nicht nur mit zusätzlichen Kosten, sondern auch mit zusätzlichen Risiken von Rechtsverlusten verbunden wäre.
6.3 Allfällig höhere Anspruchsgebühren / Nachzahlungen im System der Anspruchsgebühren
6.3.1 Eine Nachzahlung bei der Erhöhung der Anzahl der Ansprüche nach dem Eintritt in die europäische Phase ist generell nicht vorgesehen, bis allenfalls unmittelbar vor der Patenterteilung die Regel 71(4) EPÜ greift. Eine vorübergehende Erhöhung der Anzahl der zu prüfenden Ansprüche bleibt ohne Kostenfolgen für den Anmelder. Dies gilt ebenso für für europäische Direktanmeldungen, wenn allfällige Anspruchsgebühren nach Regel 45 EPÜ einmal entrichtet sind (vgl. auch J 6/12, Punkt 12).
6.3.2 Ohne Kostenfolgen bleibt im geltenden System insbesondere auch die Einreichung eines vergrößerten Anspruchssatzes im Rahmen der obligatorische Erwiderung auf den erweiterten europäischen Recherchenbericht (Regel 70a EPÜ). Die Nacherhebung von Anspruchsgebühren, wenn ein vergrößerter Anspruchssatz im Rahmen der obligatorischen Erwiderung unter Regel 161(1) EPÜ eingereicht wird, würde eine Diskrepanz schaffen zu Lasten der Anmelder, die ein europäisches Patent über eine internationale Anmeldung erlangen möchten.
6.3.3 Aus der Praxis der Rückzahlung von Anspruchsgebühren unter Regel 162(3) EPÜ kann auch deshalb kein Umkehrschluss im Hinblick auf eine Nachzahlungspflicht bei Einreichung erweiterter Anspruchssätze unter Regel 161(1) EPÜ gezogen werden, weil die Rückzahlung einer solchen Nachzahlung nicht in Frage kommt, wenn die für die Erteilung vorgesehene Fassung der Anmeldung schließlich weniger Ansprüche aufweist als der unter Regel 161(1) EPÜ eingereichte Anspruchssatz (wenn also die Erhöhung der Anzahl der Patentansprüche bloß vorübergehend ist). Eine zu Regel 71(4) EPÜ spiegelbildliche Bestimmung, welche eine Rückzahlung allenfalls nachbezahlter Anspruchsgebühren vorsehen würde, gibt es nicht. Eine Nachzahlung von Anspruchsgebühren wird dagegen unter Regel 71(4) EPÜ fällig, wenn nach einer Rückzahlung unter Regel 162(3) EPÜ die für die Erteilung vorgesehene Fassung wieder mehr Ansprüche aufweist als die Fassung, die der Berechnung unter Regel 162(2) Satz 2 EPÜ zugrunde lag.
6.3.4 Eine Verneinung der hier umstrittenen Nachzahlungspflicht könnte bei einzelnen Anmeldern allenfalls zu Überlegungen führen, ob sich die Anspruchsgebühren dadurch gering halten ließen, dass beim Eintritt in die europäische Phase nur ein kleiner Anspruchssatz vorgelegt bzw. unter Regel 159(1)b) EPÜ genannt und erst im Rahmen der Erwiderung unter Regel 161(1) EPÜ ein vergrößerter Anspruchssatz eingereicht wird. Die Kammer glaubt nicht, dass solches Verhalten von Anmeldern zu nennenswerten Problemen im Prüfungsverfahren führen könnte. Die Länge des Anspruchssatzes kann - losgelöst von den Anspruchsgebühren - jederzeit beanstandet werden und wird auch regelmäßig beanstandet, insbesondere unter Artikel 84 EPÜ und Regel 43(2) EPÜ. Regel 43(5) EPÜ schreibt explizit vor, dass sich die Anzahl der Patentansprüche mit Rücksicht auf die Art der beanspruchten Erfindung in vertretbaren Grenzen zu halten hat (vgl. dazu J 3/09, Punkt 4.5). Enthält die Patentanmeldung am Schluss des Prüfungsverfahrens immer noch mehr Ansprüche als der Anspruchssatz, für den am Anfang des Verfahrens Anspruchsgebühren entrichtet wurden, sind die fehlenden Anspruchsgebühren unter Regel 71(4) EPÜ zu entrichten.
7. Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr
7.1 In ihrem Schreiben vom 25. März 2015 (vgl. Sachverhalt und Anträge, Punkt XVI) bezog sich die Beschwerdeführerin insbesondere darauf, dass der angefochtenen Entscheidung eine nicht der Logik folgende Anwendung der Bestimmungen der Regel 162 EPÜ zugrunde liege und dass die erfolgte Anwendung der Regel 161 EPÜ unlogisch gewesen sei.
7.2 Gemäß Regel 103(1)a) wird die Beschwerdegebühr zurückgezahlt, wenn der Beschwerde abgeholfen oder ihr durch die Beschwerdekammer stattgegeben wird und die Rückzahlung wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels der Billigkeit entspricht.
7.3 Eine Auslegung von verfahrensrechtlichen Normen, die in einem Beschwerdeverfahren als falsch beurteilt wird, ist nicht gleichzusetzen mit einem Verfahrensfehler (vgl. z.B. J 20/84 und J 23/85, ABl. EPA 1987, 95, Punkt 12). Eine falsche Auslegung von Verfahrensrecht stellt nicht automatisch einen wesentlichen Verfahrensmangel dar, der unter Regel 103(1)a) EPÜ zur Rückzahlung der Beschwerdegebühr führen kann. Die Beschwerdeführerin verwies in der mündlichen Verhandlung zumindest auf eine Entscheidung, in der die falsche Auslegung von Verfahrensrecht als wesentlicher Verfahrensmangel beurteilt wurde (J 7/83, ABl. EPA 1984, 211).
7.4 Die Kammer ist jedoch der Auffassung, dass eine falsche Anwendung oder Auslegung verfahrensrechtlicher Bestimmungen nur in Ausnahmefällen als wesentlicher Verfahrensmangel im Sinne der Regel 103(1)a) EPÜ qualifiziert werden kann. Die Bestimmung bezieht sich auf einen "wesentlichen" Verfahrensmangel, nicht bloß auf einen Verfahrensmangel. Eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr kann beispielsweise dann in Frage kommen, wenn ein klarer Verstoß gegen eine eindeutige Rechtslage vorliegt. Dies kann der Fall sein, wenn eine anwendbare Bestimmung nicht angewandt wird (vgl. z.B. T 347/04, wo es um die Nicht-Anwendung der Regel 112 EPÜ 1973 (heutige Regel 164 EPÜ) ging). War die erste Instanz mit verfahrensrechtlichen Schwierigkeiten konfrontiert, spricht dies gegen das Vorliegen eines wesentlichen Verfahrensmangels (vgl. J 1/85, ABl. EPA 1985, 126, Punkt 9). Im vorliegenden Fall war die erste Instanz mit einer nicht ganz unkomplizierten Rechtslage konfrontiert und sie hatte Formblätter zu verwenden, die möglicherweise auf der Grundlage einer unzutreffenden Rechtsauffassung erstellt wurden. Dass sie unter diesen Umständen zu einer anderen Auslegung und Anwendung der Regeln 161 und 162 EPÜ gelangte als die Beschwerdekammer, stellt keinen wesentlichen Verfahrensmangel dar.
7.5 Die Kammer möchte abschließend auf die Entscheidung J 8/84 verweisen, welche sich ebenfalls mit Anspruchsgebühren zu befassen hatte. Die Tatsache, dass das EPA in der Frühphase seiner Entwicklung (d.h. 1979) die Regel 31 EPÜ 1973 anders betrachtet und angewendet hatte als es der Auslegung durch die Beschwerdekammer entsprach, wurde nicht als Verfahrensfehler beurteilt (J 8/84, ABl. EPA 1985, 261, Punkt 12). Dasselbe gilt nach Auffassung der Kammer im vorliegenden Fall, in dem es um die nachträglich eingeführten und mehrfach geänderten Bestimmungen der Regeln 161 und 162 EPÜ geht.
Aus diesen Gründen kommt die Kammer zum Schluss, dass kein wesentlicher Verfahrensmangel im Sinne von Regel 103(1)a) EPÜ vorliegt; der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr ist entsprechend zurückzuweisen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die Vorinstanz zurückverwiesen mit der Anordnung, die Anspruchsgebühr für Anspruch 39 sowie die Weiterbehandlungsgebühr für die Zahlung dieser Anspruchsgebühr zurückzuerstatten.
3. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird zurückgewiesen.