J 0004/80 (Prüfung von Rechtsfragen durch die Kammer) 17-09-1980
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1. Ist das Übereinkommen nach Ansicht der Beschwerdekammer in der angefochtenen Entscheidung unrichtig ausgelegt worden, so kann die Kammer, auch wenn der Beschwerdefuehrer die Entscheidung in dieser Beziehung nicht angegriffen hat, von sich aus feststellen, dass die Entscheidung falsch ist und im Rahmen der Zustaendigkeit des Organs taetig werden, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat.
2. Die Berichtigung eines Erteilungsantrags durch Hinzufuegen der Benennung eines Staats, die irrtuemlich im Erteilungsantrag unterlassen worden ist, kann zugelassen werden, wenn der Sachverhalt fuer das Amt aufgrund der vorgelegten Beweise feststeht (vgl. Entscheidung vom 15. Juli 1980, Az. J 08/80).
Prüfung von Rechtsfragen
Zuständigkeit des Organs/Handeln im Rahmen der
Berichtigung der Benennung von Vertragsstaaten im Erteilungsantrag
Benennung von Vertragsstaaten/Berichtigung
Berichtigung von Unrichtigkeiten
I. Am 18. September 1979 hat die Beschwerdeführerin eine europäische Patentanmeldung eingereicht, wobei sie neun Mitgliedstaaten, nicht jedoch das Vereinigte Königreich benannte.
II. Am 28. September 1979 wurden die Anmeldegebühr, die Recherchengebühr und Benennungsgebühren für zehn Mitgliedstaaten entrichtet: auf dem Formblatt über die Gebührenzahlung waren ausdrücklich das Vereinigte Königreich sowie die neun anderen im Erteilungsantrag benannten Staaten erwähnt.
III. Am 18. Oktober 1979 teilte die Eingangsstelle des Europäischen Patentamts der Beschwerdeführerin schriftlich mit, daß die Benennung des Vereinigten Königreichs nicht gültig sei und daß die Benennungsgebühr für diesen Staat zurückgezahlt würde.
IV. Am 2. November 1979 beantragte die Beschwerdeführerin eine Entscheidung nach Regel 69 (2) EPÜ, daß die Benennung gültig sei.
V. Am 4. Januar 1980 erließ die Eingangsstelle die mit der Beschwerde angefochtene Entscheidung: sie begründete die Entscheidung damit, daß die gewünschte Benennung nach der Einreichung des Erteilungsantrags vorgenommen worden sei, was gegen Artikel 79 (1) EPÜ verstoße, und daß der Erteilungsantrag nicht nach Regel 88 EPÜ berichtigt werden könne, weil zum Zeitpunkt der Einreichung der Unterlagen beim Europäischen Patentamt diese nichts enthielten, was auf eine Unrichtigkeit schließen ließ.
VI. Am 25. Februar 1980 reichte die Beschwerdeführerin eine Beschwerde mit Begründung gegen die Entscheidung vom 4. Januar 1980 ein; sie machte geltend, daß nach Artikel 79 (2) EPÜ die Benennung in dem Formblatt über die Gebührenzahlung eine gültige Benennung sei und daß nach Artikel 91 EPÜ der Beschwerdeführerin die Möglichkeit gegeben werden müsse, einen Mangel im Erteilungsantrag zu berichtigen. Die Beschwerdeführerin wandte sich nicht gegen die von der Eingangsstelle vorgenommene Auslegung der Regel 88 EPÜ. Die Beschwerdegebühr war vorschriftsmäßig entrichtet.
VII. Am 6. Mai 1980 teilte die Juristische Beschwerdekammer der Beschwerdeführerin schriftlich mit, daß sie von sich aus die Regel 88 EPÜ möglicherweise anders auslegen könnte als die Eingangsstelle. Die Kammer lud die Beschwerdeführerin ein, zu dieser Frage Stellung zu nehmen und ggf. Beweise vorzulegen, die sich auf die geltend gemachte Unrichtigkeit beziehen.
VIII. Am 19. Juni 1980 reichte die Beschwerdeführerin eine schriftliche Stellungnahme ein sowie drei "statutory declarations" entsprechend dem "English Statutory Declarations Act, 1835". Kopien der einschlägigen internen Unterlagen aus dem Betrieb der Beschwerdeführerin wurden zu zwei der Erklärungen vorgelegt; die Originalunterlagen wurden zum Vergleich mit den beigefügten Kopien mit der Bitte vorgelegt, die Originale der Beschwerdeführerin zur gegebenen Zeit zurückzuschicken. In ihrer Stellungnahme bemerkte die Beschwerdeführerin, daß Regel 88 EPÜ die Berichtigung in den Unterlagen, außer in der Beschreibung, den Ansprüchen oder den Zeichnungen, erlaube, auch wenn diese nicht offensichtlich sei.
IX. Aus dem vorgelegten Beweismittel ergibt sich, daß der verantwortliche Leiter der beschwerdeführenden Gesellschaft schriftlich empfohlen hatte, das Vereinigte Königreich in die in der europäischen Patentanmeldung zu benennenden 10 Staaten einzubeziehen und daß der "Group Manager" diese Empfehlung genehmigt hatte, bevor sie der Patentabteilung zugeleitet wurde. Der zuständige Sachbearbeiter der Patentabteilung, der den Entwurf des Erteilungsantrags vorzubereiten hatte, unterließ es, die vorgesehene Benennung des Vereinigten Königreichs aufzunehmen, was eindeutig als eine Unrichtigkeit bei der Durchführung seiner schriftlichen Anweisungen angesehen werden kann, die zu dieser Zeit nicht bemerkt wurde; zu gegebener Zeit bereitete er den Scheck für die Gebühren und das in Absatz II. erwähnte Formblatt über die Gebührenzahlung vor und sandte diese ab.
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und den Regeln 1 (1) und 64 EPÜ; sie ist daher zulässig.
2. Die Juristische Beschwerdekammer hat kürzlich entschieden (Entscheidung vom 18. Juli 1980, Az. J 08/80), daß Regel 88 EPÜ nicht die Berichtigung von Unrichtigkeiten ausschließt, die die Benennung von Staaten betrifft, auch wenn die Berichtigung nicht "offensichtlich" in dem in Regel 88 Satz 2 EPÜ festgelegten Sinn ist. Die Kammer entschied in diesem Zusammenhang auch, daß eine solche Unrichtigkeit sich auch aus einer Unterlassung ergeben kann.
3. Die Kammer entschied ferner, daß für das Amt, bevor es einen Antrag auf Berichtigung einer Unrichtigkeit zuläßt, feststehen muß, daß eine Unrichtigkeit vorliegt, worin die Unrichtigkeit besteht und in welcher Weise sie berichtigt werden soll. Es obliegt dem Antragsteller, die Beweise für die entscheidungserheblichen Tatsachen dem Amt umfassend und offen vorzulegen.
4. Aus den in der Entscheidung Az. J 08/80 angegebenen Gründen kann die Juristische Beschwerdekammer, wenn für sie der Sachverhalt aufgrund der vorgelegten Beweise feststeht, die Berichtigung eines Erteilungsantrags in der Weise zulassen, daß die Benennung eines Staats, die aufgrund eines Irrtums unterlassen worden war, hinzugefügt wird.
5. Im übrigen ist die Juristische Beschwerdekammer weder auf das Vorbringen noch auf die Anträge eines Beschwerdeführers beschränkt (Art. 114 (1) und 110 (1)). Nachdem der Beschwerdeführerin Gelegenheit gegeben worden war, zur Entscheidung der Eingangsstelle, daß Regel 88 EPÜ in diesem Fall nicht anwendbar sei, Stellung zu nehmen, kann die Kammer von sich aus entscheiden, daß die angegriffene Entscheidung in bezug auf diese Regel unrichtig war, und kann die Frage prüfen, ob die Berichtigung zugelassen werden soll (Art. 111 (1) EPÜ).
6. Die Kammer stellt fest, daß die Entscheidung der Eingangsstelle insofern unrichtig war, als sie die Regel 88 EPÜ für nicht anwendbar erklärte. Die Kammer ist aufgrund der Beweise überzeugt, daß immer beabsichtigt war, das Vereinigte Königreich zu benennen, daß das in Betracht kommende schriftliche Beweismittel aus der Zeit vor der Einreichung der europäischen Patentanmeldung stammt und daß die Unterlassung der Benennung auf einen Irrtum zurückgeht.
7. Bei dieser Sachlage wird die Berichtigung des Erteilungsantrags von der Kammer angeordnet.
8. Es ist kein Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach Regel 67 EPÜ gestellt worden; der hier vorliegende Sachverhalt würde eine solche Maßnahme auch nicht rechtfertigen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird wie folgt entschieden:
1. Die Entscheidung der Eingangsstelle des Europäischen Patentamts vom 4. Januar 1980 wird aufgehoben.
2. Es wird bestimmt, daß der für die europäische Patentanmeldung Nr. 79301925.8 eingereichte Erteilungsantrag in der Weise berichtigt wird, daß die Benennung des Vereinigten Königreichs hinzugefügt wird.