J 0012/80 (Berichtigung von Unrichtigkeiten) 26-03-1981
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1. Die Berichtigung von Unrichtigkeiten im Erteilungsantrag einer europäischen Patentanmeldung ist, wenn der Antrag auf Berichtigung unverzüglich gestellt wird, auch dann nicht ausgeschlossen, wenn die Anmeldung ohne die beantragte Berichtigung veröffentlicht wird, während eine Beschwerde gegen die Zurückweisung der Berichtigung anhängig ist.
2. Hat ein Dritter mit der Benutzung der Erfindung in der Zeit zwischen der Veröffentlichung der noch nicht berichtigten Anmeldung und der Veröffentlichung der Berichtigung begonnen, so muß die Entscheidung über seine Rechte den zuständigen nationalen Gerichten überlassen bleiben; das EPÜ enthält für solche Fälle keine ausdrücklichen Bestimmungen zum Schutz Dritter, wie sie ähnlich in Artikel 122(6) EPÜ getroffen worden sind.
Berichtigung/Benennung von Vertragsstaaten
Veröffentlichung einer Anmeldung während des Beschwerdeverfahrens
Veröffentlichung der Anmeldung ohne Hinweis auf Berichtigung
Schutz Dritter
Berichtigung/Erteilungsantrag
I. Am 29. August 1979 reichte die Beschwerdeführerin eine europäische Patentanmeldung ein, in der sie sieben Vertragsstaaten und einen Nichtvertragsstaat, nämlich Spanien, benannt hatte. Am gleichen Tag wurden die Benennungsgebühren für acht Staaten bezahlt. In der Anmeldung wurde die Priorität einer nationalen deutschen Anmeldung vom 6. September 1978 geltend gemacht.
II. Zwei Tage später, am 31. August 1979, sandte die Beschwerdeführerin ein Fernschreiben an das Europäische Patentamt, mit dem sie beantragte, einen Irrtum im Erteilungsantrag zu berichtigen, nämlich die Benennung von Spanien durch die der Schweiz, eines Vertragsstaats, zu ersetzen; das Fernschreiben wurde ordnungsgemäß in einem nachgereichten Schreiben bestätigt.
III. Am 20. September 1979 teilte die Beschwerdeführerin dem Amt schriftlich die Gründe mit, warum ihrer Ansicht nach die beantragte Berichtigung zugelassen werden sollte. Sie reichte eine Erklärung, als "eidesstattliche Erklärung" bezeichnet, einer in ihrer Patentabteilung beschäftigten Sekretärin ein und fügte Unterlagen bei, wonach diese den Auftrag hatte, die Schweiz in den Erteilungsantrag der europäischen Patentanmeldung aufzunehmen, und wonach eine nationale Anmeldung in Spanien eingereicht werden sollte. Es wurde geltend gemacht, daß die Sekretärin ihre schriftlichen Anweisungen verwechselt hätte.
IV. Diese Anweisungen enthielten für die Auslandsanmeldungen ein mit Schreibmaschine geschriebenes Programm vom 27. Juni 1979, in dem weder Spanien noch die Schweiz erwähnt war. Aus einem maschinengeschriebenen Vermerk vom 11. Juli 1979 ergibt sich jedoch, daß nach einer Besprechung mit den Erfindern eine nationale Anmeldung in Spanien eingereicht und die Schweiz in die in der europäischen Patentanmeldung zu benennenden Staaten aufgenommen werden sollte. Die Namen dieser Staaten waren mit roter Tinte in das Programm für die Auslandsanmeldungen vom 27. Juni 1979 mit Rückverweisungen auf den Vermerk vom 11. Juli 1979 aufgenommen worden.
V. In ihrer Erklärung gibt die Sekretärin an, daß sie sich zu dem damaligen Zeitpunkt krank fühlte und daß sie ihr Versehen auf diesen Umstand zurückführe. Fotokopien von ärztlichen Bescheinigungen, die der Erklärung beigefügt sind, zeigen, daß die Sekretärin wegen Krankheit vom 6. August bis 14. September 1979 arbeitsunfähig geschrieben war. Aus einer weiteren schriftlichen Erklärung vom 12. März 1981, die als Antwort auf eine Anfrage der Juristischen Beschwerdekammer eingereicht wurde, ergibt sich, daß die Sekretärin die Unterlagen der Anmeldung kurz vor ihrer Abwesenheit von der Arbeitsstätte vorbereitet hatte und nicht, wie in ihrer ursprünglichen Erklärung angegeben war, am 27. August 1979.
VI. Am 3. Januar 1980 erließ die Eingangsstelle des Europäischen Patentamts die mit der Beschwerde angegriffene Entscheidung. Der Antrag auf Berichtigung wurde mit der Begründung zurückgewiesen, daß Artikel 79 EPÜ eine nachträgliche Benennung von Staaten ausschließe und Regel 88 deshalb nicht angewendet werden könne, weil zum Zeitpunkt der Einreichung der Anmeldung keine Umstände bekannt waren oder bekannt sein mußten, aus denen ein eventueller Irrtum zu erkennen gewesen wäre.
VII. Mit Schreiben vom 3. März 1980 legte die Beschwerdeführerin gegen diese Entscheidung Beschwerde ein. Sie hat beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Schweiz zu den benannten Staaten hinzuzufügen. Die Beschwerdegebühr wurde rechtzeitig entrichtet und die Beschwerdebegründung vom 29. April 1980 ordnungsgemäß eingereicht.
VIII. In ihrer Beschwerdebegründung führt die Beschwerdeführerin aus, daß die Berichtigung innerhalb der in der Pariser Verbandsübereinkunft vorgesehenen Prioritätsfrist beantragt worden sei. Sie beruft sich auf Artikel 125 EPÜ und macht geltend, daß die in den Vertragsstaaten anerkannten Grundsätze des Prozeßrechts zugunsten der Beschwerdeführerin angewendet werden sollten. Auch die Regel 88 EPÜ sei entgegen der Auffassung der Eingangsstelle anzuwenden. Es bestünde eine klare Unstimmigkeit zwischen der Zahlung von acht Benennungsgebühren und der Benennung von sieben Vertragsstaaten und einem Nichtvertragsstaat.
IX. In einem ergänzenden Schriftsatz wies die Beschwerdeführerin auf die von der Juristischen Beschwerdekammer erlassene und im September 1980 veröffentlichte Entscheidung J 08/80 hin.
X. Die europäische Patentanmeldung wurde am 11. Juni 1980 veröffentlicht. Unter den benannten Staaten waren Spanien und die Schweiz nicht aufgeführt.
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und den Regeln 1 (1) und 64 EPÜ; sie ist daher zulässig.
2. Die Juristische Beschwerdekammer hat in der Sache J 08/80 am 18. Juli 1980 (ABl. EPA 1980, S. 293) entschieden, daß Regel 88 EPÜ nicht die Berichtigung von Unrichtigkeiten ausschließt, die die Benennung von Staaten in einer europäischen Patentanmeldung betreffen, auch wenn diese Unrichtigkeiten nicht offensichtlich sind.
3. Die Kammer teilt die Auffassung der Beschwerdeführerin, daß es in ihrer Anmeldung eine eindeutige Unstimmigkeit zwischen den entrichteten Benennungsgebühren und den benannten Staaten gab. Es kann jedoch vernünftigerweise nicht gesagt werden, daß die beantragte Berichtigung selbstverständlich gewesen sei. Die Frage, ob die Berichtigung zugelassen werden kann, hängt daher davon ab, wie die Kammer den Sachverhalt und insbesondere die von der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 20. September 1979 vorgelegten Unterlagen beurteilt.
4. Aus den eingereichten Unterlagen ergibt sich, daß ursprünglich nicht beabsichtigt war, für die betreffende Erfindung Patentschutz in Spanien und in der Schweiz zu beantragen. Der Vermerk vom 11. Juli 1979 zeigt jedoch, daß beschlossen worden war, auch eine nationale Anmeldung in Spanien einzureichen und die Schweiz den in der europäischen Anmeldung zu benennenden Staaten hinzuzufügen.
5. Es steht somit fest, daß die Beschwerdeführerin zeitig vor der Einreichung der Anmeldung beabsichtigt hatte, in der geplanten europäischen Anmeldung die Schweiz zu benennen. Die Nichtbenennung beruhte auf einer Verwechslung und nicht auf einer Änderung der Absicht der Beschwerdeführerin. Die jeder vernünftigen Überlegung entbehrende Aufführung von Spanien im Erteilungsantrag zusammen mit der Zahlung von acht Benennungsgebühren ist hierfür Beweis.
6. Die Tatsache, daß eine Unrichtigkeit vorlag, die Art der Unrichtigkeit und die beantragte Berichtigung sind eindeutig. Die Beweise enthalten keine Unklarheiten oder Doppeldeutigkeiten. Alle entscheidungserheblichen Tatsachen dürften der Beschwerdekammer vorgelegt worden sein.
7. In der ersten Beschwerdeentscheidung dieser Art (J 08/80) ist die Bemerkung enthalten, daß es aufgrund der unverzüglichen Stellung des Berichtigungsantrags nicht nötig war, Überlegungen anzustellen, ob das Recht auf Berichtigung gewissen natürlichen Beschränkungen unterliege. In dem vorliegenden Fall besteht kein Zweifel, daß die Berichtigung unverzüglich beantragt wurde, nämlich zwei Tage nach der Einreichung der Anmeldung und vor dem Ablauf der Prioritätsfrist.
8. Da die Anmeldung ohne Benennung der Schweiz während des Beschwerdeverfahrens veröffentlicht wurde, ist die Gefahr nicht auszuschließen, daß ein Dritter im Vertrauen auf die Nichtbenennung der Schweiz in diesem Staat die Benutzung aufgenommen haben könnte. In diesem Fall stellt sich daher auch die Frage des öffentlichen Interesses an Rechtssicherheit. Da andererseits die Beschwerdeführerin keine Kontrolle über die Veröffentlichung hatte, wäre es ungerecht, ihr die Berichtigung der Unrichtigkeit, auf die sie grundsätzlich Anspruch hat, wegen der zwischenzeitlich erfolgten Veröffentlichung zu versagen.
9. Allerdings enthält Regel 88 EPÜ keine ausdrückliche Vorschrift zum Schutz Dritter wie Artikel 122 (6) EPÜ, wo vergleichbare Fälle im Zusammenhang mit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand behandelt werden. Mangels einer besonderen Vorschrift im Europäischen Patentübereinkommen muß die Entscheidung der Frage, wie Probleme der Rechte Dritter im Fall von Berichtigungen gelöst werden können, den zuständigen nationalen Gerichten überlassen bleiben.
10. Aus den dargelegten Gründen hält die Kammer den Antrag auf Berichtigung in diesem besonderen Fall für berechtigt.
11. Die mit der Beschwerde angegriffene Entscheidung beruht auf einer unrichtigen Auslegung der Regel 88 EPÜ und der entscheidungserheblichen Tatsachen; sie muß daher aufgehoben werden.
12. Es ist kein Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach Regel 67 EPÜ gestellt worden; der hier vorliegende Sachverhalt würde eine solche Maßnahme auch nicht rechtfertigen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird wie folgt entschieden:
1. Die Entscheidung der Eingangsstelle des Europäischen Patentamts vom 3. Januar 1980 wird aufgehoben.
2. Es wird bestimmt, daß der für die europäische Patentanmeldung Nr. 79 103 186.7 eingereichte Erteilungsantrag in der Weise berichtigt wird, daß die Benennung der Schweiz hinzugefügt wird.