J 0011/85 (Geringfügiger Fehlbetrag) 23-10-1985
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1. Ist der für mehrere Gebühren gemeinsam entrichtete Betrag zu niedrig, so ist für die Entscheidung der Frage, ob der Fehlbetrag geringfügig im Sinne des Art. 9(1) Satz 4 GebO ist, von dem Gesamtgebührenbetrag auszugehen.
2. Der Anwendung des Art. 9(1) Satz 4 GebO steht nicht entgegen, dass der durch die unvollständige Entrichtung der Gebühren drohende Rechtsnachteil durch die Gewährung einer Wiedereinsetzung oder die fristgerechte Zahlung einer Zuschlagsgebühr beseitigt werden könnte.
3. Ein Fehlbetrag von rund 10% kann in der Regel als geringfügig angesehen werden.
Geringfügiger Fehlbetrag bei Gebührenzahlung
Gebührenzahlung/geringfügiger Fehlbetrag
Fehlbetrag/geringfügiger
I. Die Anmelderin reichte am 27. Oktober 1982 eine internationale Anmeldung PCT/FI 82/00050 unter Beanspruchung der Priorität einer am 28. Oktober 1981 in Finnland ein gereichten nationalen Patentanmeldung ein. Diese Anmeldung erhielt die europäische Patentanmeldungsnummer 82 903 242.4. Der internationale Recherchenbericht für diese Anmeldung wurde am 11. Mai 1983 veröffentlicht.
II. Die Anmelderin stellte am 18. November 1983 Prüfungsantrag und zahlte am 25. November 1983 einen Betrag von DM 4.080.-- ein. Auf dem Überweisungsabschnitt 067297 hatte die Anmelderin angegeben:
Anmeldegebühr DM 520.--
8 Benennungsgebühren DM 2.080.--
Prüfungsgebühr DM 1.980.--
gesamt DM 4.080.-- Die Gebührenbeträge sind richtig angegeben, die gezogene Summe ist jedoch fehlerhaft. Die Addition der Gebührenbeträge ergibt richtig DM 4.580.--, so daß DM 500.-- zu wenig überwiesen sind.
III. Die Eingangsstelle teilte der Anmelderin mit Schreiben vom 22. Dezember 1983 mit, daß ein wirksamer Prüfungsantrag innerhalb der am 28. November 1983 abgelaufenen Prüfungsantragsfrist nicht gestellt worden sei, weil die Prüfungsgebühr um DM 500.-- zu niedrig entrichtet worden sei. Dieser Mangel könne unter Entrichtung eines Zuschlags von DM 990.-- innerhalb einer Frist von 2 Monaten seit dem 28. November 1983 beseitigt werden.
IV. Mit Schriftsatz vom 09. Januar 1984 beantragte die Anmelderin Wiedereinsetzung in die versäumte Prüfungsantragsfrist, entrichtete die fehlenden DM 500.-- sowie die Wiedereinsetzungsgebühr in Höhe von DM 115.--. Zur Begründung ihres Antrags führte die Anmelderin aus, daß bei der Addition der auf dem Überweisungsabschnitt angegebenen Gebühren bedauerlicherweise der zuverlässigen Patentanwaltsgehilfin, die bereits seit 1977 europäische Patentanmeldungen bearbeite, ein Fehler unterlaufen sei. Sollte dem Antrag auf Wiedereinsetzung bis zum 28. Januar 1984 nicht entsprochen werden, sollten vorsorglich DM 990.-- vom Konto der Vertreter abgebucht werden.
V. Mit Bescheid vom 02. April 1984 teilte die Prüfungsabteilung der Anmelderin mit, daß ein Wiedereinsetzungsantrag mangels der Feststellung eines Rechtsverlustes nicht gestellt werden könne. Mit der Zahlung des Zuschlags von DM 990.-- gelte der Prüfungsantrag am 09. Januar 1984 als gestellt. Eine Rückzahlung komme nicht in Betracht. Dem entgegnete die Anmelderin, daß nach der Entscheidung der Juristischen Beschwerdekammer vom 13. Juni 1980 (ABl. 1980, 225) die Voraussetzung für eine Wiedereinsetzung nach Art. 122 EPÜ gegeben sei, da die Frist des Art. 150 (2), 94 (2) wiedereinsetzungsfähig sei.
VI. Mit Bescheid vom 27. August 1984 wies die Prüfungsabteilung darauf hin, daß der Wiedereinsetzungsantrag zu rückzuweisen sei, weil die Anmelderin nicht verhindert gewesen sei, eine Handlung vorzunehmen. Die Zahlung der Prüfungsgebühr sei ausgeführt worden, nur nicht in der richtigen Höhe. Dieser Mangel könne durch den Rechtsbehelfer R. 85b EPÜ behoben werden. Darauf erwiderte die Anmelderin, daß der Rechtsbehelf nach R. 85b EPÜ der Wieder einsetzung nicht entgegenstehe. Sie verwies auf die Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.3.1 vom 5. September 1983 (ABl. 1984, 301, 303).
VII. Mit Entscheidung vom 30. November 1984 wies die Prüfungsabteilung den Antrag auf Rückzahlung der Zuschlagsgebühr zur Prüfungsgebühr in Höhe von DM 990.-- zurück. Zur Begründung führte sie aus, daß die Anmelderin keinen Rechtsverlust i.S.d. Art. 122 EPÜ, sondern lediglich eine finanzielle Einbuße erlitten habe. Die Auferlegung einer Geldbuße sei einem Rechtsverlust nicht gleichzusetzen. Art. 122 EPÜ sei das letzte Mittel zur Abwendung eines Schadens. Vorher müßten andere Abhilfen ausgenutzt werden. Dazu gehöre die Zahlung der Zuschlagsgebühr nach R. 85b EPÜ. Auch ein PCT-Anmelder, der an sich in die Versäumung der Frist zur Stellung des Prüfungsantrags wiedereingesetzt werden könne, könne sich nicht das Rechtsmittel aussuchen, welches für ihn gerade am günstigsten sei.
VIII. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde der Anmelderin, die rechtzeitig einging. Gleichzeitig erteilte die Anmelderin Abbuchungsauftrag für die Beschwerdegebühr. Zur Begründung ihrer Beschwerde führte die Anmelderin aus, daß aus dem Übereinkommen sich nicht ergebe, daß die Wiedereinsetzung ausgeschlossen sein sollte, wenn eine Nachfrist für die versäumte Handlung zur Zahlung eines Zuschlags gegeben sei. Die Zahlung einer Zuschlagsgebühr sei aber nicht - wie die Prüfungsabteilung meine - eine Geldbuße, sondern ein Mittel zur Rettung einer Anmeldung. Im übrigen könne sie sich der Auffassung des angefochtenen Beschlusses nicht anschließen, daß der Verlust des Rechts, eine Amtshandlung gegen Entrichtung einer bestimmten Gebühr ausgeführt zu bekommen, keinen Rechtsverlust i.S.d. Art. 122 EPÜ darstellen solle. Hilfsweise beantragte die Anmeldern eine mündliche Verhandlung.
1. Die Beschwerde entspricht den Art. 106 bis 108 und und R. 64 EPÜ; sie ist somit zulässig.
2. Die Prüfungsabteilung geht in ihrer Entscheidung vom 30. November 1984 davon aus, daß der Prüfungsantrag der Anmelderin nicht innerhalb der Frist der Art. 94 (2) i.V.m. Art. 157 (1) und Art. 150 (2) EPÜ gestellt worden ist, die am 28. November 1983 endete. Zwar sei fristgerecht am 18. November 1983 ein Prüfungsantrag gestellt worden, jedoch sei die Prüfungsgebühr nur unvollständig innerhalb der Frist entrichtet worden. Dieser Mangel habe nur durch Entrichtung des Zuschlags in Höhe von DM 990.-- beseitigt werden können, so daß der beantragten Rückzahlung nicht entsprochen werden könne.
3. Die Kammer vermag sich der Auffassung der Prüfungsabteilung nicht anzuschließen. Wenn es richtig wäre, daß die Anmelderin statt der vorgeschriebenen Prüfungsgebühr in Höhe von DM 1.980.-- nur DM 1.480.-- entrichtet hätte, hätte die Kammer keine Bedenken, die Ansicht der Prüfungsabteilung zu teilen; denn wer einen um rund 25 % zu niedrigen Betrag einer Gebühr entrichtet, steht hinsichtlich des Rechtserfolgs, der mit der Zahlung bewirkt werden soll, einem Anmelder gleich, der die Gebühr überhaupt nicht entrichtet hat. Das folgt aus dem Umstand, daß grundsätzlich nur die Entrichtung der Gebühr in voller Höhe den damit verbundenen Rechtserfolg eintreten läßt, während Teilzahlungen diesen Erfolg nicht herbeiführen können.
4. Der Ausgangspunkt der angefochtenen Entscheidung, daß die Anmelderin als Prüfungsgebühr anstatt DM 1.980.-- nur DM 1.480.-- entrichtet habe, trifft nicht zu. Wie sich aus dem beim EPA eingegangenen Überweisungsabschnitt 067297 ergibt, hatte die Anmelderin diesen wie folgt ausgefüllt:
Anmeldegebühr DM 520.--
8 Benennungsgebühren DM 2.080.--
Prüfungsgebühr DM 1.980.--
gesamt DM 4.080.-- Die Anmelderin hatte also die zu zahlenden Beträge der Gebühren der Höhe nach richtig angegeben, jedoch war ihr bei der Addition dieser Beträge ein Fehler unterlaufen. Als Summe errechnete sie einen Betrag von DM 4.080.--, während die zutreffende Summe DM 4.580.-- ausmacht. Infolge dieses Additionsfehlers überwies die Anmelderin nur DM 4.080.--, also DM 500.-- zu wenig.
5. Die Prüfungsabteilung hat die zu wenig überwiesenen DM 500.-- auf die Prüfungsgebühr verrechnet, vermutlich weil diese Gebühr als letzte der zu entrichtenden Gebühren im Überweisungsabschnitt der Anmelderin aufgeführt war. Diese Verrechnung erscheint jedoch ebenso willkürlich, wie eine alleinige Verrechnung mit anderen im Gebührenabschnitt aufgeführten Gebühren, hier der Anmeldegebühr oder von Benennungsgebühren. Zutreffenderweise wird man nur feststellen können, daß von dem Gesamtgebühren betrag von DM 4.580.-- DM 500.-- zu wenig entrichtet worden sind.
6. Art. 9 (1) Satz 4 GebO ist auch dann anwendbar, wenn mehrere Gebühren gemeinsam entrichtet werden. Der Wortlaut der deutschen Fassung ("geringfügige Fehlbeträge der zu entrichteten Gebühr") und der französischen Fassung "des parties minimes non encore payées de la taxe") erwecken bei strikter Zugrundelegung des Wortlauts den Eindruck, als ob die Nichtberücksichtigung von geringfügigen Fehlbeträgen nur bei der Entrichtung einer einzelnen Gebühr möglich wäre. Diese Interpretation würde aber dem Sinn der Vorschrift des Art. 9 (1) Satz 4 GebO zuwiderlaufen, mit dem eine Billigkeitsregelung für den Fall geringfügig zu niedrig gezahlter Gebühren getroffen werden soll. Es wäre willkürlich bei geringfügigen Fehlbeträgen Art. 9 (1) Satz 4 GebO nur anzuwenden, wenn eine Gebühr gesondert entrichtet wird, nicht dagegen, wenn mehrere Gebühren gemein sam gezahlt werden. Diesem ersichtlichen Sinn des Art. 9 (1) Satz 4 GebO entspricht auch voll die englische Fassung ("it may also overlook any small amounts lacking"), die sich auf beide Fälle bezieht. Werden daher mehrere Gebühren zusammen entrichtet, ist für die Frage der Geringfügigkeit eines Fehlbetrages der Fehlbetrag in Verhältnis zu dem entrichteten Gesamtgebührenbetrag zu setzen.
7. Betrachtet man den Gesamtgebührenbetrag von DM 4.580.-- und den Fehlbetrag von DM 500.--, so wird man die fehlenden DM 500.-- billigerweise als geringfügig i.S.d. Art. 9 (1) Satz 4 GebO ansehen können mit der Folge, daß dieser Fehlbetrag ohne Rechtsnachteil für den Einzahler unberücksichtigt gelassen werden kann. Der Fehlbetrag von DM 500.-- kann als geringfügig angesehen werden, weil er nur etwas mehr als 10 % des Gesamtbetrages ausmacht. Die Technische Beschwerdekamnmer 3.2.1 (Entscheidung vom 26. August 1983 "Fahrzeug-Leitsystem/ Bell & Howell", ABl. 1984, 172) hatte sich bereits früher mit der Frage zu befassen gehabt, wann ein Fehlbetrag als geringfügig gelten könne. Sie vertrat die Auffassung, daß ein Fehlbetrag von gut 10 % als geringfügig angesehen werden kann. Im damals entschiedenen Fall belief sich der Fehlbetrag auf DM 16.-- bei einem Gesamtbetrag von DM 157.--. Die Juristische Beschwerdekammer schließt sich der Auffassung an, daß Fehlbeträge in dieser Grössenordnung als geringfügig i.S.d. Art. 9 (1) Satz 4 GebO angesehen werden können. Es entspricht auch der Billigkeit, den Fehlbetrag ohne Rechtsnachteil für den Einzahler unberücksichtigt zu lassen. Die Überweisung des Fehlbetrages ist lediglich auf den verzeihlichen Additionsfehler einer sonst zuverlässigen Sekretärin zurückzuführen, und die Anmelderin hat sogleich nach Bekanntwerden dieses Fehlers den Fehlbetrag von DM 500.-- überwiesen.
8. Die Anwendung des Art. 9 (1) Satz 4 GebO ist im vorliegen den Fall auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil das Europäische Übereinkommen für den Fall unrichtig entrichteter Gebühren noch andere Rechtsbehelfe zur Verfügung stellt, die die Anmelderin zu ergreifen habe, bevor Art. 9 (1) Satz 4 GebO angewendet werden könne. Als solche Rechtsbehelfe kommen hier die Ausnutzung der Nachfrist nach R. 85b EPÜ sowie die Stellung eines Wiedereinsetzungsantrages in Betracht. In der Tat ist dem angefochtenen Beschluß zu entnehmen, daß die Prüfungsabteilung der Ansicht ist, daß die Stellung eines Wiedereinsetzungsantrages für die Euro-PCT-Anmelderin erst möglich sei, wenn vorher andere Abhilfen wie die Zahlung der Zuschlagsgebühr nach R. 85 b EPÜ ausgenutzt worden seien. Dieser Rechtsauffassung vermag die Kammer für das Verhältnis des Art. 9 (1) Satz 4 GebO zu den beiden anderen genannten Rechtsbehelfen nicht zu folgen. Das EPÜ bestimmt nicht, daß zwischen den drei Rechtsinstituten, nämlich der Anwendung des Art. 9 (1) Satz 4 GebO, der Zahlung einer Zuschlagsgebühr nach R. 85b EPÜ und der Stellung eines Wiedereinsetzungsantrages nach Art. 122 EPÜ eine bestimmte Rangfolge bestehe, die einzuhalten sei. Nirgends läßt das EPÜ erkennen, daß eine Anwendung des Art. 9 (1) Satz 4 GebO nicht in Betracht komme, so lange die Möglichkeiten nach R. 85 b EPÜ oder Art. 122 EPÜ offenstehen. Vielmehr stellt das EPÜ die drei genannten Möglichkeiten dem Anmelder alternativ zur Verfügung. Das ist auch sinnvoll, da jede der genannten Möglichkeiten zwar zur Abwendung derselben schädlichen Rechtsfolge dient, aber jeweils unterschiedliche Voraussetzungen hat. So kann u.a. Art. 9 (1) Satz 4 GebO - wenn der Fehlbetrag geringfügig ist - von Amts wegen angewendet werden, so daß es eines Antrags des Betroffenen nicht bedarf, während die beiden anderen Möglichkeiten jeweils ein Tätigwerden des Anmelders voraussetzen, das zudem an eine Frist gebunden ist. Ferner muß nach Art. 9 (1) Satz 4 GebO der Fehlbetrag zwar umgehend nach Kenntnis, jedoch ohne Einhaltung einer vorgeschriebenen Frist nachgezahlt werden, während die Einzahlung einer Zuschlagsgebühr unabhängig von der Kenntnis fristgebunden ist.
9. Die Verweisung auf ein Wiedereinsetzungsverfahren vor einer Anwendung des Art. 9 (1) Satz 4 GebO scheidet für den Regelfall der Wiedereinsetzung aus, weil Art. 122 (5) EPÜ die Möglichkeit der Wiedereinsetzung für den Fall der Versäumung der Prüfungsantragsfrist ausschließt. Aber auch dann, wenn ausnahmsweise die Wiedereinsetzung in diese Frist möglich ist, nämlich bei Euro-PCT-Anmeldungen (Juristische Beschwerdekammer vom 13. Juni 1980, ABl. 1980, S. 225), kann der Anmelder nicht auf die Möglichkeit der Wiedereinsetzung verwiesen werden, weil ihre Gewährung anstrenge Voraussetzungen geknüpft ist, die vielfach nicht gegeben sind, wenn ein Anmelder versehentlich einen geringfügigen Betrag einer Gebühr nicht entrichtet hat. Zu dem stellt das Verfahren nach Artikel 9 (1) Satz 4 GebO für das EPA und den Antragsteller das einfachere Verfahren zur Verfügung, wenn es sich um einen geringfügigen Fehlbetrag handelt.
10. Auch im Verhältnis zur R. 85b EPÜ hat diese Bestimmung keinen Vorrang vor der Anwendung des Art. 9 (1) Satz 4 GebO. Bis zur Schaffung der R. 85b EPÜ durch den Beschluß des Verwaltungsrats vom 4. Juni 1981 (ABl. 1981, S. 199) war Art. 9 (1) Satz 4 GebO auf Fälle der vorliegenden Art anwendbar, d.h. wenn bei Entrichtung der Prüfungsantragsgebühr nur ein geringfügiger Betrag nicht entrichtet worden war, so konnte das ohne Rechtsnachteil für den Einzahler unberücksichtigt bleiben. An dieser vor dem 04. Juni 1981 bestehenden Rechtslage hat der Beschluß des Verwaltungsrats vom 4. Juni 1981 ersichtlich nichts ändern wollen, denn durch diesen Beschluß sollte eine zusätzliche Möglichkeit geschaffen werden, wenn der Prüfungsantrag nicht innerhalb der in Art. 94 (2) EPÜ vorgesehenen Frist gestellt worden ist. Für einen Ausschluß der Anwendung des Art. 9 (1) Satz 4 GebO im Falle der R. 85b EPÜ läßt der Beschluß des Verwaltungsrats nichts erkennen. Eine solche Regelung wäre für die Kammer auch wenig einsichtig. Sie würde nämlich bedeuten, daß geringfügige Fehlbeträge bei einer Prüfungsantragsgebühr im Wege einer Billigkeitsentscheidung nicht mehr unberücksichtigt bleiben könnten. Einen zwingenden Grund hierfür vermag die Kammer nicht zu erkennen.
11. Aus diesen Gründen können - sofern die Voraussetzungen des Art. 9 (1) Satz 4 GebO vorliegen - geringfügige Fehlbeträge bei der Überweisung mehrerer Gebühren auch dann unberücksichtigt bleiben, wenn der durch die unvollständige Entrichtung der Gebühren drohende Rechtsnachteil durch die Gewährung einer Wiedereinsetzung oder die fristgerechte Zahlung einer Zuschlagsgebühr beseitigt werden könnte. Die Frage, ob es eine bestimmte Rangfolge zwischen der Stellung eines Wiedereinsetzungsantrages und der Entrichtung einer Zuschlagsgebühr gemäß R. 85a und 85b EPÜ gibt, wenn die Voraussetzungen des Art. 9 (1) Satz 4 GebO nicht vorliegen, läßt die Kammer offen, da die Entscheidung dieser Frage für den hier zu entscheidenden Fall nicht von Bedeutung ist.
12. Da somit unter Anwendung des Art. 9 (1) Satz 4 GebO die Anmelde-, Prüfungs- und die Benennungsgebühren als fristgerecht entrichtet angesehen werden können, entfällt die Notwendigkeit zur Entrichtung einer Zuschlagsgebühr nach R. 85b EPÜ, so daß diese Gebühr zurückzuzahlen ist.
13. Bei dieser Rechtslage bedarf es nicht der von der Anmelderin beantragten Wiedereinsetzung, da sie keine Frist versäumt hat. Da somit der Antrag auf Wiedereinsetzung gegenstandslos ist, ist die vom EPA eingenommene Wieder einsetzungsgebühr ohne Grund entrichtet worden, so daß sie an die Beschwerdeführerin zurückzuzahlen ist.
14. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr entspricht nach Regel 67 EPÜ wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels der Billigkeit. Der Verfahrensmangel liegt in der Nichtanwendung des Art. 9 (1) Satz 4 GebO. Hätte die Prüfungsabteilung diese Bestimmung entsprechend der oben unter 7. erwähnten Rechtsprechung angewendet, so hätte es der Erhebung einer Beschwerde und damit der Zahlung einer Beschwerdegebühr nicht bedurft.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Entscheidung der Prüfungsabteilung vom 30. November 1984 wird aufgehoben.
2. Die Rückzahlung des Zuschlags zur Prüfungsgebühr sowie die Rückzahlung der Wiedereinsetzungs- und der Beschwerdegebühr wird angeordnet.