T 0837/01 08-09-2003
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Sandverfeinerungsvorrichtung
Wesentlicher Verfahrensmangel
Zustellung eines Entscheidungsentwurfs
I. Die am 19. Juli und am 9. August 2001 unter gleichzeitiger Entrichtung der Beschwerdegebühr eingegangenen und am 8. bzw. am 12. Oktober 2001 begründeten Beschwerden der Patentinhaberin und der Einsprechenden richten sich gegen die von der Einspruchsabteilung am 7. Juni 2001 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent Nr. 0 519 324 im geänderten Umfang gemäß einem Hilfsantrag der Patentinhaberin aufrechtzuerhalten.
II. Die den Verfahrensbeteiligten zugestellten Ausfertigungen der Entscheidung weisen die Namen der vier Mitglieder der Einspruchsabteilung auf, die an der Entscheidung mitgewirkt haben. Aus der Einspruchsakte ergibt sich, daß die angefochtene Entscheidung nicht von dem rechtskundigen Mitglied unterzeichnet worden ist.
III. Die Kammer hat daraufhin die Akte zur Nachholung der Unterschrift an die Einspruchsabteilung zurückgesandt. Die fehlende Unterschrift wurde nicht nachgeholt. Das rechtskundige Mitglied hat sich dienstlich dahingehend geäußert, daß er an der schriftlichen Abfassung der Entscheidung nicht beteiligt worden sei und daher diese nicht nachträglich unterzeichnen könne.
IV. Die Kammer hat mit Mitteilung vom 12. Dezember 2001 die Verfahrensbeteiligten über die Sachlage informiert, und darauf hingewiesen, daß unter diesen Umständen die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückverweisung der Angelegenheit an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung sowie die Rückzahlung der Beschwerdegebühren wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels angezeigt sei. Gleichzeitig wurde angefragt, ob die Verfahrensbeteiligten insoweit auf eine mündliche Verhandlung verzichten würden.
V. Mit Schriftsatz vom 1. Februar 2002 hat die Beschwerdeführerin II (Einsprechende) daraufhin den Antrag gestellt, die Entscheidung vom 17. Januar 2001 (Protokoll über die mündliche Verhandlung) sowie die Entscheidungsbegründung (den Entwurf) vom 7. Juni 2001 aufzuheben und die Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen; ferner wurde beantragt, der Einspruchsabteilung aufzugeben, die Zeugenaussagen, wie sie sich aus der Niederschrift über die Beweisaufnahme vom 17. Januar 2001 ergeben, bei der Prüfung und Entscheidung zu berücksichtigen, ebenso wie die mit Schriftsatz vom 12. Oktober 2001 übermittelten Gründe der Beschwerde; hilfsweise wurde mündliche Verhandlung beantragt.
Die Beschwerdeführerin II machte im Hinblick auf den Zwischenbescheid der Kammer folgendes geltend:
Es werde davon ausgegangen, daß der wesentliche Verfahrensmangel darin liege, daß die angefochtene Entscheidungsbegründung nicht von allen zuständigen Bediensteten des Amtes unterzeichnet worden sei. Dies werfe eine nicht unerhebliche Problematik auf, die mit der Entscheidung T 0390/86 (ABl. EPA 1989, 30) begründet worden sei. Mit dieser Entscheidung seien Unterschriften von Bediensteten zu einer bloßen Formalität degradiert worden, die sie im Rahmen einer Rechtskraft entfaltenden Entscheidung nicht verdienten. Zwar sei nach Regel 89 EPÜ eine Berichtigung insoweit möglich, als in Entscheidungen des Europäischen Patentamts nur sprachliche Fehler, Schreibfehler und offenbare Unrichtigkeiten berichtigt werden könnten. Unterschriften würden in Regel 89 EPÜ nicht erwähnt, und sie seien auch ganz ersichtlich keine offenbaren Unrichtigkeiten, wenn in dem hier vorliegenden Verfahren beide Verfahrensbeteiligte bislang davon ausgegangen seien, daß die Entscheidung tatsächlich von allen vier an ihr beteiligten Bediensteten unterzeichnet worden sei. Somit handle es sich bei der Nachholung einer der Unterschriften auch nicht um die Bereinigung eines (erkennbaren) offensichtlichen Fehlers, der aus der Entscheidung selbst für alle Beteiligten ersichtlich sein müsse. Wenn nun die Kammer mitteile, daß eine fehlende Unterschrift habe nachgeholt werden können, diese Nachholung aber nun nicht erfolgen könne, ergebe sich daraus, daß es im Ermessen des Bediensteten liege, ob er die Entscheidung nachträglich zu einer Entscheidung machen wolle, oder ob sie ein bloßer Entwurf bleibe. Bei Ablauf der Beschwerdefrist und ohne Einlegung von Beschwerden der Beteiligten habe es der betreffende Bedienstete mithin in der Hand, der Entscheidung (nachträglich) Rechtskraft zu verleihen oder es bei einem bloßen Entwurf zu belassen, der als solcher keine Rechtskraft entfalten könne.
Daraus sei ersichtlich, daß die Entscheidung T 0390/86 vielleicht einen zu großzügigen Maßstab an die Nachholung einer Unterschrift gelegt habe.
Sachlich sei zu rügen, daß sich die Einspruchsabteilung, abgesehen von dem Randaspekt der Geschwindigkeit des Trommelmotors, mit den Zeugenaussagen überhaupt nicht auseinandergesetzt habe. Dies sei nunmehr nachzuholen.
VI. Die Beschwerdeführerin I (Patentinhaberin) hat beantragt, das Patent Nr. 0 519 324 in der erteilten Fassung aufrechtzuerhalten, hilfsweise in der Fassung der Zwischenentscheidung vom 7. Juni 2001 und hat mit Schriftsatz vom 10. Dezember 2002 für den Fall der Zurückverweisung der Beschwerden an die erste Instanz auf die ursprünglich hilfsweise beantragte mündliche Verhandlung verzichtet. Zu dem wesentlichen Verfahrensmangel hat sie keine Stellungnahme abgegeben.
1. Zulässigkeit der Beschwerden
Gemäß Artikel 106 (1) EPÜ ist gegen Entscheidungen der Einspruchsabteilung die Beschwerde vorgesehen. Im vorliegenden Verfahren wenden sich die Beschwerdeführer gegen die ihnen zugestellte Ausfertigung der Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der festgestellt wurde, daß unter Berücksichtigung der vom Patentinhaber vorgenommenen Änderungen das Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand habe, den Erfordernissen des Übereinkommens genügten.
Aus dem sich in den Akten befindenden Original der Entscheidung ergibt sich jedoch, daß nicht alle der zur Entscheidung berufenen Bediensteten die Entscheidung unterzeichnet haben. Es fehlt die Unterschrift des rechtskundigen Mitglieds, so daß die Ausfertigung der Entscheidung und deren Original nicht übereinstimmen.
Auch in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung vom 17. Januar 2001 ist keine der Entscheidungsformel der den Beteiligten zugestellten Ausfertigung entsprechende Entscheidung verkündet worden. Aus der Niederschrift über die mündliche Verhandlung ergibt sich vielmehr, daß die mündliche Verhandlung mit einer verfahrensleitenden Verfügung abgeschlossen wurde, wonach nach der Feststellung, daß die erfinderische Tätigkeit des Gegenstands von Anspruch 19 gemäß Hilfsantrag als erfüllt angesehen werde, dem Patentinhaber aufgegeben wurde, in der Beschreibungseinleitung den durch eine Vorbenutzung bekannt gewordenen Stand der Technik zu würdigen.
Grundsätzlich könnte die mündliche Verhandlung gemäß Regel 68 (1) Satz 1 EPÜ mit Verkündung der Entscheidungsformel abgeschlossen werden, die dann die Entscheidung durch die Verkündung rechtlich zum Entstehen bringen würde (vgl. Benkard/Schäfers, EPÜ Art. 113 Rdnr. 61).
Da dies aber, wie ausgeführt, im vorliegenden Fall nicht erfolgt ist und auch die schriftlich abgefaßte Entscheidung mit dem Mangel einer fehlenden Unterschrift behaftet ist, liegt hier noch keine Entscheidung vor, sondern lediglich ein Entscheidungsentwurf (vgl. T 0225/96), der rechtlich keine Wirksamkeit entfalten kann.
Das Fehlen der Entscheidung schließt jedoch die Zulässigkeit der Beschwerden im vorliegenden Fall nicht aus, da die Verfahrensbeteiligten an der ihnen zugestellten Ausfertigung der Entscheidung den Mangel nicht erkennen konnten und sie ein Rechtsschutzbedürfnis dafür haben, daß der durch die Zustellung der Ausfertigung der Entscheidung gesetzte Rechtsschein über die Existenz einer Entscheidung aufgehoben wird (vgl. T 0009/00, ABl. EPA 2002, 275 Punkt 1a) der Entscheidungsgründe).
Da die Beschwerden auch den übrigen in Regel 65 (1) EPÜ genannten Bestimmungen entsprechen, sind sie zulässig.
2. Wesentlicher Verfahrensmangel
Gemäß Regel 68 (2) EPÜ sind die Entscheidungen des Europäischen Patentamts, die mit der Beschwerde angefochten werden können, zu begründen. Es versteht sich von selbst, daß an der Begründung alle Bediensteten zu beteiligen sind, die für die Entscheidung zuständig sind. Gegen dieses Gebot ist hier verstoßen worden, wie sich aus der dienstlichen Äußerung des rechtkundigen Mitglieds der Einspruchsabteilung ergibt. Daher liegt, entgegen der Vermutung der Beschwerdeführerin II der wesentliche Verfahrensmangel in der fehlenden Beteiligung des rechtskundigen Mitglieds an der Entscheidung. Die fehlende Unterschrift, welche einen Verstoß gegen Regel 70 (1) EPÜ beinhaltet, ist in diesem Fall nur die logische Folge der mangelnden Beteiligung.
Wegen dieses wesentlichen Verfahrensmangels hält es die Kammer für angemessen, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Angelegenheit gemäß Artikel 111 (1) EPÜ zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen.
Das bisherige rechtskundige Mitglied steht für das weitere Verfahren vor der Einspruchsabteilung nicht mehr zur Verfügung, da es mittlerweile zu einem Mitglied der Beschwerdekammern ernannt worden ist. Dies bedeutet, daß das Verfahren vor der Einspruchsabteilung in neuer Besetzung durchzuführen ist. Die neue Besetzung hat zur Folge, daß die Zeugeneinvernahme zu wiederholen sein wird, es sei denn, dies wird einvernehmlich nicht für erforderlich gehalten. Es versteht sich von selbst, daß die Einspruchsabteilung gemäß Artikel 113 (1) EPÜ den Beteiligten ausdrücklich Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben hat, bevor sie erneut eine Entscheidung erläßt (vgl. T 0892/92, ABl. EPA 1994, 664). Insofern bleibt es der Beschwerdeführerin II unbenommen, ihre Beschwerdebegründung zum Gegenstand ihres Vorbringens vor der Einspruchsabteilung zu machen und erneut eine mündliche Verhandlung zu beantragen.
3. Nachholung der Unterschrift
Die von der Beschwerdeführerin II in ihrem Schriftsatz vom 1. Februar 2002 zur Nachholung der Unterschrift eines an einer Entscheidung beteiligten Bediensteten geäußerten Bedenken kann die Kammer nicht teilen.
Entgegen der von ihr vertretenen Ansicht stellt die fehlende Unterschrift unter einer Entscheidung sehr wohl eine offenbare Unrichtigkeit dar, die grundsätzlich gemäß Regel 89 EPÜ berichtigt werden kann.
Zwar ist der Beschwerdeführerin II zuzugestehen, daß das Fehlen der Unterschrift aus der ihr zugestellten Ausfertigung der Entscheidung nicht offenbar wird. Aber es wird offenbar aus dem in der Einspruchsakte befindlichen Original der Entscheidung. Nicht umsonst erläutert die von der Beschwerdeführerin II herangezogene Entscheidung T 0390/86 in Punkt 8 der Entscheidungsgründe, daß die Mitglieder der Einspruchsabteilung auf dem Formblatt 2339, das die Entscheidungsformel wiedergibt, ihre Unterschrift leisten und daß das unterzeichnete Original des Formblatts zur Bestätigung der Echtheit der beigefügten Entscheidung im öffentlichen Teil der Einspruchsakte verbleibt, während den Beteiligten Abschriften der schriftlichen Entscheidung mit dem Namen der Mitglieder, die das Formblatt 2339 unterzeichnet haben, zugestellt werden.
Weil im vorliegenden Fall das Original der Entscheidung nicht mit deren Ausfertigung übereinstimmte, sah sich die Kammer - ein Versehen vermutend - veranlaßt, die Akte zur Nachholung der Unterschrift der Einspruchsabteilung zuzuleiten.
Entgegen der von der Beschwerdeführerin II vertretenen Ansicht begegnet diese Verfahrensweise keinen rechtlichen Bedenken. Es wäre leerer Formalismus und der Verfahrensökonomie zuwiderlaufend, wenn allein aus dem Grund der fehlenden Unterschrift die Aufhebung der angegriffenen Entscheidung erfolgen würde. Dies würde der mit einem offenbaren Mangel behafteten Entscheidung einen Eigenwert einräumen, der ihr gerade nicht zukommt.
Die gleiche Praxis besteht auch in nationalen Rechtsordnungen, vgl. beispielsweise für Deutschland Schulte, PatG 6. Auflage § 47 Rdnr. 11; Zöller ZPO 18. Auflage § 315 Rdnr. 2; Baumbach-Lauterbach ZPO 59. Auflage 1 315 Rdnr. 8).
Die von der Beschwerdeführerin II geäußerten Bedenken, daß es der Bedienstete in der Hand habe, ob er die Entscheidung bei Ablauf der Beschwerdefrist durch seine Unterschrift zur Rechtskraft verhelfen oder es bei dem bloßen Entwurf belassen wolle, treffen nicht die Realität. Denn normalerweise unterzeichnet der Vorsitzende als letzter die Entscheidung, d. h. erst dann, wenn alle anderen Mitglieder sie bereits unterzeichnet haben. Wenn aber ein Fehler wie im vorliegenden Fall unterläuft und keine Beschwerde eingelegt wird, besteht kein Anlaß, die Akte erneut den Mitgliedern der Einspruchsabteilung vorzulegen, da die Schlußverfügungen von dem Formalprüfer getroffen werden. Dies muß hier jedoch nicht weiter ausgeführt werden, da im vorliegenden Fall Beschwerde eingelegt worden ist.
Auch rügt die Beschwerdeführerin II zu Unrecht die Entscheidung T 0390/86 als zu großzügig im Hinblick auf die Nachholung der Unterschrift. Diese Entscheidung befaßt sich nämlich an keiner einzigen Stelle mit diesem Problem. Vielmehr betrifft sie den Fall, daß die von der Einspruchsabteilung erlassene Entscheidung von Bediensteten unterzeichnet war, die an der vorausgegangenen mündlichen Verhandlung nicht mitgewirkt hatten. Insofern ist die zitierte Entscheidung hier nicht einschlägig.
4. Rückzahlung der Beschwerdegebühren
Die Rückzahlung der Beschwerdegebühren wird ex officio angeordnet, da alle Erfordernisse der Regel 67 EPÜ erfüllt sind. Den Beschwerden ist insoweit Erfolg beschieden, als die angegriffene Entscheidung aufgehoben wird, es liegt ein wesentlicher Verfahrensmangel vor, und die Rückzahlung entspricht auch der Billigkeit, da die Rückverweisung wegen des wesentlichen Verfahrensmangels erfolgt.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird zur weiteren Entscheidung an die erste Instanz zurückverwiesen.
3. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühren wird angeordnet.