T 0435/03 13-03-2006
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Formaldehydfreie, wässrige Bindemittel
Neuheit (bejaht)
Erfinderische Tätigkeit (bejaht) - Aufgabe und Lösung
I. Die Bekanntmachung des Hinweises auf die Erteilung des europäischen Patents Nr. 0 882 074 mit dem Titel "Formaldehydfreie, wässrige Bindemittel" auf die europäische Patentanmeldung Nr. 97 903 320.6 erfolgte am 6. Oktober 1999 (Patentblatt 1999/40). Diese Patentanmeldung ging zurück auf die am 19. Februar 1997 unter Beanspruchung der Priorität einer deutschen Voranmeldung (19606394) vom 21. Februar 1996 eingereichte und am 28. August 1997 als WO-A-97/31036 veröffentlichte internationale Patentanmeldung Nr. PCT/EP97/00770. Die Ansprüche 1 bis 4, 9, 11, 12 und 20 betrafen die folgenden Gegenstände und Ausgestaltungen:
"1. Verwendung von formaldehydfreien, wäßrigen Bindemitteln, enthaltend
A) ein durch radikalische Polymerisation erhaltenes Polymerisat, welches zu 5 bis 100 Gew.-% aus einem ethylenisch ungesättigten Säureanhydrid oder einer ethylenisch ungesättigten Dicarbonsäure, deren Carbonsäuregruppen eine Anhydridgruppe bilden können, besteht und
B) ein Alkanolamin mit mindestens zwei Hydroxylgruppen, wobei das wäßrige Bindemittel weniger als 1,5 Gew.-%, bezogen auf die Summe von A) + B), eines Phosphor enthaltenden Reaktions beschleunigers enthält
als Bindemittel für Faservliese.
2. Verwendung gemäß Anspruch 1, wobei das Bindemittel weniger als 0,3 Gew.-% eines Phosphor enthaltenden Reaktionsbeschleunigers enthält.
3. Verwendung gemäß Anspruch 1 oder 2, wobei das Bindemittel nach 15-minütiger Trocknung bei 130ºC einen Gelgehalt größer 50 Gew.-% hat.
4. Verwendung gemäß einem der Ansprüche 1 bis 3, wobei das Polymerisat zu 5 bis 100 Gew.-% aus Maleinsäure oder Maleinsäureanhydrid aufgebaut ist.
9. Verfahren zur Herstellung von gebundenen Faservliesen, dadurch gekennzeichnet, daß Faservliese mit einem wäßrigen Bindemittel gemäß einem der Ansprüche 1 bis 7 beschichtet oder getränkt und anschließend getrocknet werden.
11. Gebundene Faservliese, erhältlich durch Verwendung eines formaldehydfreien, wäßrigen Bindemittels gemäß einem der Ansprüche 1 bis 7.
12. Gebundene Glasfaservliese, erhältlich unter Verwendung eines formaldehydfreien, wäßrigen Bindemittels gemäß einem der Ansprüche 1 bis 7.
20. Formaldehydfreie, wäßrige Bindemittel, enthaltend
A) ein durch radikalische Polymerisation erhaltenes Polymerisat, welches zu 5 bis 100 Gew.-% aus einem ethylenisch ungesättigten Säureanhydrid oder einer ethylenisch ungesättigten Dicarbonsäure, deren Carbonsäuregruppen eine Anhydridgruppe bilden können, besteht und welcher als wäßrige Lösung vorliegt und
B) ein Alkanolamin mit mindestens zwei Hydroxyl gruppen, wobei das wäßrige Bindemittel weniger als 1,5 Gew.-%, bezogen auf die Summe von A) + B), eines Phosphor enthaltenden Reaktionsbeschleunigers enthält und wobei
die Bindemittel nach Trocknung (bei 50ºC, Dauer 72 Stunden) zu einem Film der Dicke 0,3 bis 1 mm und anschließender 15-minütiger Härtung bei 130ºC an der Luft einen Gelgehalt über 50 Gew.-% haben."
Darüber hinaus wurden in den abhängigen Ansprüchen 5 bis 7 weitere Ausgestaltungen von Anspruch 1, und in den Ansprüchen 8 und 10 die Gegenstände der Ansprüche 1 bzw. 9 speziell auf Glasfaservliese ausgerichtet beansprucht. Die Ansprüche 13 bis 18 betrafen Dachbahnen, Dämm materialien und Fußbodenbeläge aus den Vliesen gemäß den Ansprüchen 11 und 12, und Anspruch 19 schließlich die Verwendung der Faservliese gemäß Anspruch 11 als Topfreiniger.
II. Gegen das Streitpatent wurde am 28. Februar 2000 unter Hinweis auf die Artikel 100 a) und 100 b) EPÜ in Verbindung mit den Artikeln 54, 56 und 83 EPÜ unter Nennung der folgenden Literatur Einspruch eingelegt:
D1: EP-A-0 583 086 und
D2: EP-A-0 445 578.
Daraufhin reichte die Patentinhaberin mit einer Eingabe vom 2. Februar 2001 einen neuen Hauptantrag ein, in dem im Hinblick auf den Einwand unter Artikel 100 b) EPÜ als einzige Änderung gegenüber der erteilten Fassung Anspruch 3 den folgenden Wortlaut erhielt:
"3. Verwendung gemäß Anspruch 1, wobei die Bindemittel nach Trocknung (bei 50ºC, Dauer 72 Stunden) zu einem Film der Dicke 0,3 bis 1 mm und anschließender 15-minütiger Härtung bei 130ºC an der Luft einen Gelgehalt über 50 Gew.-% haben."
III. In der am Ende einer mündlichen Verhandlung am 30. Januar 2003 verkündeten Zwischenentscheidung, deren Begründung am 13. Februar 2003 zur Post gegeben wurde, wurde festgestellt, dass unter Berücksichtigung der von der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen das Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des Übereinkommens genügen.
In der Entscheidung wurde der Einwand unter Artikel 100 b) EPÜ mangels Beweises und unter Hinweis auf die Beschreibung zurückgewiesen. Auch wurde die Neuheit anerkannt, da in keiner der Entgegenhaltungen D1 oder D2 die spezielle Kombination der Merkmale A) und B) der Ansprüche 1 und 20 beschrieben sei. Der beanspruchte Gegenstand könne aus keiner der beiden Druckschriften unmittelbar und eindeutig entnommen werden, vielmehr müssten die beiden Komponenten Polysäure und Polyole aus den dort genannten Möglichkeiten ausgewählt werden.
Als zu lösende Aufgabe wurde die Bereitstellung formaldehydfreier wässriger Bindemittel angesehen, die nur einen minimalen Anteil eines Phosphor enthaltenden Reaktionsbeschleunigers enthalten und die bei Verwendung in Faservliesen diesen gute Reißfestigkeit verleihen. Diese Aufgabe werde durch die Kombination eines Polymerisats A) und eines Alkanolamins B) gelöst, wie durch die experimentellen Daten im Streitpatent nachgewiesen worden sei. Diese Lösung werde von D1 und D2 zudem nicht nahegelegt, wobei D1 als nächstliegender Stand der Technik angesehen wurde.
IV. Gegen diese Entscheidung erhob die Einsprechende/?Beschwerdeführerin unter Entrichtung der Beschwerde gebühr am 10. April 2003 Beschwerde. In der am 13. Juni 2003 eingegangenen Beschwerdebegründung hielt sie den Einwand unzureichender Offenbarung aufrecht und widersprach unter Verweis auf beide zitierten Druck schriften auch den Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung zu den beiden anderen Einwänden fehlender Neuheit und mangelnder erfinderischer Tätigkeit.
(1) Dabei argumentierte sie, die angefochtene Entscheidung habe nur unter den Annahmen ergehen können, dass (i) (entgegen ständiger Rechtsprechung) die Offenbarung der Entgegenhaltung auf den Inhalt der Beispiele beschränkt worden wäre oder (ii) es sich tatsächlich um eine Auswahlerfindung handelte.
(2) Hinsichtlich des Aspekts (ii) wurde vor allem die Breite der Definitionen der Komponenten A), B) und C), wobei der Phosphor enthaltende Reaktionsbeschleuniger (im folgenden verkürzt: "Beschleuniger") als C) bezeichnet wurde, und ihre willkürliche Kombination kritisiert, so dass "claims 1 and 20 of the Patent are clearly not directed to a limited number of binders with a specific composition, but actually comprise a list of possible combinations with an infinite number of members." (Abschnitt III). Die Kriterien für eine Auswahlerfindung im Sinne der Rechtsprechung würden daher nicht erfüllt, insbesondere sei keine gezielte Auswahl erkennbar (Beschwerdebegründung, Seite 17, letzter Absatz und Seite 21, Absatz 4).
(3) Zur Druckschrift D1 argumentierte die Beschwerdeführerin, dass darin die Anwesenheit eines Beschleunigers keineswegs notwendig, sondern nur optional sei (D1: Seite 2, letzter Absatz).
(4) Auch werde dort auf polymere Polysäuren aus ethylenisch ungesättigten Carbonsäure-Monomeren als bevorzugte Polysäuren verwiesen, die genau der Komponente A) des Streitpatents entsprächen. So seien speziell Maleinsäure, Itakonsäure und deren Anhydride als solche Monomere genannt. Ebenso bevorzugt seien in D1 "hydroxylamines", wie z.B. Di- und Triethanolamin, die also die Komponente B), das Alkanolamin, vorwegnähmen (D1: Seite 3, Zeile 10 ff.; Seite 4, Zeilen 46 bis 50).
(5) Des weiteren verwies die Beschwerdeführerin auf den Einsatz von Maleinsäure bzw. seinem Anhydrid als Monomer in den Polymeren der Probe ("Sample") 5 von Beispiel 2 und in solchen des Beispiels 15 von D1. Auch gebe es Versuche im Rahmen von Beispiel 16, in denen Alkanolamine verwendet worden seien. Was die Beschleuniger-Komponente angehe, so seien in den Beispielen 4 und 7 explizit Mengen solcher Verbindungen nahe der Untergrenze des Bereichs von 1 bis 40 Gew.-% zu finden. Darüber hinaus seien in D1 aber auch beschleunigerfreie Bindemittel für Vliese einbezogen worden. Daher würde der Fachmann gemäß D1 immer das Weglassen dieser Komponente in Betracht ziehen, wenn die Polyol-Komponente hochreaktiv sei, da dann kein Bedarf an Beschleuniger bestünde (Beschwerdebegründung: Seite 9, letzter Absatz, Seite 15 bis Seite 16, Absatz 4).
(6) Die Beschwerdeführerin akzeptierte zwar, dass D1 kein einziges Beispiel enthält, in dem die Kombination einer Komponente A) und einer Komponente B) gemäß den Definitionen in den Ansprüchen 1 oder 20 offenbart wird (Beschwerdebegründung: Seite 14, Absatz 3: "It is conceded that D1 does not contain a single example showing the combination of a component (a) which is maleic acid and a component (b) which is triethanolamine"), jedoch dürften für die Beurteilung der Neuheit nicht nur die Beispiele, sondern müsse die Gesamtoffenbarung einer Entgegenhaltung in Betracht gezogen werden.
(7) Diese Betrachtungen gälten auch für Anspruch 20, das die identischen Bindemittel offenbare (Beschwerde begründung: Seite 16, 2. Hälfte).
(8) In D2 seien wässrige Bindemittel für Faservliese beschrieben. Die Zusammensetzungen umfassten mindestens zwei Komponenten, hochmolekulare Polycarbonsäuren und Verbindungen, ausgewählt aus mehrwertigen Alkoholen, Alkanolaminen oder mehrwertigen Aminen. Auch in dieser Druckschrift seien Maleinsäure und Fumarsäure einerseits und Di- und Trialkanolamine explizit als Komponenten genannt. Andererseits seien Beschleuniger in D2 nicht einmal erwähnt (Beschwerdebegründung: Seiten 19 und 20).
(9) Daher fehle es dem beanspruchten Gegenstand an Neuheit, zumal das Streitpatent weder gegenüber D1 noch gegenüber D2 auf eine Untergruppe spezifischer Verbindungen gerichtet sei, für die ein besonderer Effekt nachgewiesen worden sei. Dies werde sogar durch die Tabellen des Streitpatents belegt, in denen die dem Stand der Technik zuzurechnenden Vergleichsbeispiele teilweise sogar bessere Ergebnisse zeigten als die anspruchsgemäßen Beispiele (Beschwerdebegründung: Seiten 17 und 18).
Vielmehr würden in den beiden Druckschriften dieselben Komponenten jeweils für denselben Zweck wie im Streitpatent verwendet (Beschwerdebegründung: Seite 11, Absatz 3; Seite 12, Absatz 1; Seite 19, Absatz 4 sowie die letzten zwei Zeilen, und Seite 20, Zeilen 1 und 2).
(10) Sofern unerwarteterweise Neuheit des Bindemittels gegenüber dem genannten Stand der Technik anerkannt würde, wofür nach Meinung der Beschwerdeführerin allerdings ein die Neuheit begründendes Merkmal fehle, so würde sie, die Beschwerdeführerin, der Formulierung der Aufgabe in der angefochtenen Entscheidung zustimmen, der zufolge formaldehydfreie Bindemittel mit möglichst wenig Beschleuniger bereitgestellt werden sollten, wobei diese Bindemittel hinsichtlich der Zugfestigkeit in Vliesen den bekannten Bindemitteln zumindest ebenbürtig sein sollten. Wenn aber die Neuheit des Bindemittels nicht anerkannt würde, so könnte die Aufgabe nur in der Bereitstellung von Alternativen zu den bekannten Bindemitteln liegen (Beschwerdebegründung: Seite 22, vorletzter Absatz bis Seite 23, Zeile 1).
(11) Die in der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegte Formulierung der Aufgabe (Abschnitt III, oben) betreffend vertrat die Beschwerdeführerin die Ansicht, dass D1 ausdrücklich darlege, dass die dortigen Bindemittel keinen Beschleuniger enthalten müssten. Überdies werde darin auch von einem Gehalt solcher Verbindungen im Bereich von etwa 1 Gew.-% gesprochen (Beschwerdebegründung: Seite 23, erste Hälfte).
Der Leser habe also schon in D1 genügend Anregung gefunden, auch Mengen solcher Beschleuniger unter 1 % als einsetzbar anzusehen, und auch dafür, nicht nur verschiedene Polyole, sondern die Zusammensetzungen insgesamt dahingehend zu untersuchen, ob deren Aktivität ausreicht, gemäß D1 ganz auf Beschleuniger zu verzichten. Der Fachmann wäre daher schon allein durch Routine untersuchungen zum Patentgegenstand gelangt. Zudem hätte er auch nach verwandter Literatur gesucht und wäre dabei natürlich auf D2 gestoßen. Darin hätte er Hinweise auf zahlreiche Kombinationen von (a) und (b) gefunden, die ganz ohne Beschleuniger immer noch wirksame Bindemittel für Vliese dargestellt hätten (Beschwerdebegründung: Seite 23, zweite Hälfte und Seite 24).
(12) Die Beschwerdeführerin wies auch die Auferlegung der Beweispflicht "for showing that the invention is not as good as the prior art" durch die Einspruchsabteilung auf sie als Einsprechende zurück. Es sei im Hinblick auf die Ansicht der Einspruchsabteilung, dass D1 der nächstliegende Stand der Technik sei, der gleiche Zusammensetzungen aus Polymer und Polyol allerdings mit mehr als 1,5% Beschleunigers offenbare, vielmehr an der Patentinhaberin gewesen zu zeigen, dass die beanspruchten Bindemittel im Vergleich zu denen des Standes der Technik als gleichwertig, wenn nicht als besser anzusehen seien. Solche Versuche seien aber von der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren nicht vorgelegt worden. Die von ihr vorgelegten Versuche hätten nicht dem Inhalt von D1 entsprochen, sondern hätten den beanspruchten Gegenstand mit fernerliegenden Ausführungsformen des Standes der Technik verglichen. Zudem seien dabei nur einzelne Beispiele zugunsten des Streitpatents herausgegriffen worden, obgleich darin auch schlechtere Ergebnisse zu finden seien (Beschwerde begründung: Seite 26, letzter Absatz), und sie verwies auf die Beispiele 28, 31 und 43 bis 45 des Streitpatents. Insgesamt zeige das Streitpatent nicht, dass die Aufgabe im gesamten Bereich des Anspruchs gelöst werde.
(13) Zu Artikel 100 b) EPÜ trug die Beschwerdeführerin vor, es sei einem Kaufinteressenten nicht möglich festzustellen, ob das ins Auge gefasste Produkt die Ansprüche 14 oder 20 verletze, da ihm die Durchführung des in Anspruch 20 definierten Gelbildungs-Tests nicht möglich sei, da er keinen Zugriff auf unvernetztes Bindemittel habe (Beschwerdebegründung: Abschnitt VI).
(14) Zur weiteren Stützung ihres Vortrags legte die Beschwerdeführerin mit einem Schreiben vom 23. September 2003 ergänzend einen Versuchsbericht vor, in dem laut Versuchsbeschreibung Mischungen eines kommerziellen Produktes der Patentinhaberin (Acrodur® 950L) mit Triethanolamin (ohne Mengenangabe) zum einen als solche bzw. zum anderen nach Zusatz von Natriumhydrogenphosphit als Beschleuniger (laut dem Begleitschreiben 3%; Seite 2, letzter Absatz) bei verschiedenen Temperaturen (erstes Beispiel: laut Beschreibung 100ºC bzw. laut Tabelle 1 180ºC; zweites Beispiel: 175, 190 und 205ºC) innerhalb von 2 Minuten vernetzt und dann hinsichtlich der Reißfestigkeit getestet wurden. Daneben sei auch ein Bindemittel gemäß Probe 55 von D1 (Beispiel 16) in gleicher Weise untersucht worden. Das Polymer des kommerziellen Produkts wurde als Acrylsäure/?Maleinsäure-Copolymer, das in der Probe 55 als Polyacrylsäure identifiziert. Keine dieser Angaben wurde bestritten.
Die Ergebnisse des Berichts wurden von der Beschwerde führerin dahingehend interpretiert, dass Bindemittel-Zusammensetzungen ohne Beschleuniger, also gemäß Streitpatent, unter allen Testbedingungen weniger wirksam gewesen seien als die beiden mit solchem Beschleuniger. Letztere wurden von ihr insgesamt dem Stand der Technik zugerechnet. Die Versuche gemäß Streitpatent seien nicht einmal besser als der weit entfernte Stand der Technik gemäß Probe 55 aus D1 gewesen.
V. Die Aussagen dieses Versuchsberichts wurden von der Beschwerdegegnerin in ihrer Erwiderung vom 3. Februar 2004 allerdings völlig anders bewertet. So sei die Zusammensetzung des kommerziellen Produktes, das bereits hinsichtlich Triethanolamin-Gehalt und pH-Wert optimiert gewesen sei, durch Zusatz weiteren Triethanolamins in Bezug auf diese beiden Merkmale verschlechtert worden. Da die Hersteller von Faservliesen mit möglichst tiefen Temperaturen auskommen möchten, seien aber die Werte bei geringer Härtungstemperatur (175ºC) entscheidend. Überdies seien beim phosphorfreien Einsatz ihres kommerziellen Produktes trotz der Änderung von dessen Zusammensetzung die Reißfestigkeiten gegenüber denen des Produktes gemäß Probe 55 von D1 mindestens gleich gut, zum Teil sogar deutlich besser. Dies sei auch durch die bereits während des Einspruchsverfahren von ihr selbst vorgelegten, nochmals beigefügten Versuche bestätigt worden, in denen Acrylsäure/Maleinsäure-Copolymer mit Triethanolamin aber ohne Natriumhypophosphit als Beschleuniger mit Bindemitteln aus Acrylsäure/?Methacryl säure-Copolymer und Triethanolamin einmal mit und einmal ohne diesen Beschleuniger verglichen worden seien.
Zur Neuheit trug die Beschwerdegegnerin vor, D1 insgesamt müsse so verstanden werden, dass auf den Beschleuniger nur bei Gegenwart hochreaktiver Polyole (Seite 6, Zeilen 47 bis 48), d.h. von Polyol der Formel I, einem Diamid (D1: Seite 6, Zeile 57), verzichtet werden könne. Daraus könne der Fachmann aber nicht herauslesen, dass die hier beanspruchte Kombination aus den Polysäuren A) und Alkanolamin B) ohne Beschleuniger verwendet werden könne.
Auch wenn in D2 keine Offenbarung der Beschleuniger zu finden sei, so werde dort aber doch nicht die beanspruchte Kombination aus Polysäure und Polyol offenbart. Zudem sei die Verwendung eine andere, nämlich auf Formkörper (insbesondere Platten) gerichtet, die verbesserte Formbeständigkeit (D2: Spalte 1, Zeilen 25 bis 30) aufweisen sollten, wie Biegetests zeigen sollten (D2: Spalte 5, Zeilen 1 bis 31).
Zu den im Streitpatent enthaltenen Beispielen argumentierte die Beschwerdegegnerin (Seite 3 des Schreibens), dass die von der Beschwerdeführerin zur Stützung ihres Vortrages ausgewählten Vergleiche (Abschnitt IV (9), oben) wegen Unterschieden z.B. bei den Trocknungs- und Härtungsbedingungen bzw. bei den Viskositäten der Bindemittel nicht aussagekräftig seien. Soweit diese Bedingungen erfüllt seien, belegten die Ergebnisse von Tabelle 2 die Vorteile des beanspruchten Gegenstandes.
Von der Beschwerdeführerin sei nichts vorgelegt worden, das die Vorteile des beanspruchten Systems nahelegen könnte.
VI. Am 12. Dezember 2005 wurden die Parteien zu einer mündlichen Verhandlung geladen. Als Anlage wurde ein Bescheid mit einigen Vorbemerkungen der Kammer beigefügt:
"4.1 So sei angemerkt, dass nur solche von der Patent inhaberin vorgebrachte Argumente zugunsten eines Anspruchs berücksichtigt werden können, die in klarem und eindeutigem Bezug zu zwingenden Merkmalen dieses Anspruchs beziehen und diesen Anspruch auch in seiner ganzen Breite stützen. Zur Verdeutlichung dieser Anmerkung sei nur auf die beiliegende Kopie aus Ullmanns Encyklopädie der technischen Chemie, 4. Auflage, Band 11, Seite 84, Tabelle 3 verwiesen.
4.2 Generell sollte das Vorbringen einer Partei unter Beachtung der jeweiligen Zusammenhänge durch eindeutige Verweise auf entsprechende Literatur stellen bzw. Passagen im Streitpatent und gegebenenfalls, sofern von der Partei als notwendig oder hilfreich erachtet, auch durch experimentelle Nachweise hinreichend belegt sein. Auch hierbei sollte der klare Bezug zu den einzelnen Merkmalen in den Ansprüchen des angegriffenen Patents deutlich gemacht werden. Bei Versuchsberichten sollten die Reaktions-/Messbedingungen genau angegeben werden, d.h. ohne Verwendung relativer Begriffe, um Vergleiche zu ermöglichen."
VII. Darauf hin reichte die Beschwerdegegnerin mit Schreiben vom 17. Januar 2006 einen neuen Hauptantrag und sechs neue Hilfsanträge ein.
Der neue Hauptantrag unterschied sich von der Vorversion (Abschnitt II, oben) lediglich durch zwei identische Änderungen in den erteilten Ansprüchen 1 und 20 (vgl. Abschnitt I, oben). Die jeweilige Änderung dieser beiden Ansprüche bestand im Ersatz des Begriffs "ethylenisch ungesättigten Säureanhydrid" in der jeweiligen zweiten (EP-B1-) bzw. dritten (Zitat in Abschnitt I, oben) Zeile der Definition der Komponente A) durch den Ausdruck "ethylenisch ungesättigten Dicarbonsäureanhydrid". Diese geänderte Definition der Komponente A) war auch in allen Hilfsanträgen eingefügt worden.
Darüber hinaus wurde in den Hilfsanträgen 1 und 2 zudem die Obergrenze der zulässigen Menge eines Phosphor enthaltenden Reaktionsbeschleunigers auf < 1,0 Gew.-% bzw. < 0,3 Gew.-% beschränkt und in Hilfsantrag 3 die Anwesenheit einer derartigen Verbindung gänzlich ausgeschlossen. Im Hilfsantrag 2 entfielen zudem die vorherigen Ansprüche 2, 19 und 20, im Hilfsantrag 3 der vorherige Anspruch 2 (vgl. Abschnitt I, oben).
In Hilfsantrag 4 war neben der vorgenannten Einschränkung auf < 0,3 Gew.-% das Bindemittel in Anspruch 1 zudem hinsichtlich des Gelgehalts durch Anfügen des Merkmals aus Anspruch 3 am Ende von Anspruch 1 beschränkt worden (Abschnitt II, oben). Dies führte zur Streichung der vorherigen Ansprüche 2 und 3. Der nunmehrige Anspruch 18 entsprach dem erteilten Anspruch 20 mit der oben in Bezug auf Anspruch 1 bereits genannten Einschränkung durch das Merkmal aus dem vorherigen Anspruch 2 (vgl. Abschnitt I, oben).
Hilfsantrag 5 unterschied sich von Hilfsantrag 4 durch den Ausschluss des Phosphor enthaltenden Beschleunigers.
In Hilfsantrag 6 schließlich unterschied sich Anspruch 1 von dem des Hilfsantrags 5 durch die zusätzliche Beschränkung der Komponente A) auf die Polymerisate des erteilten Anspruchs 4. Dementsprechend entfielen die erteilten Ansprüche 2 bis 4. Daran schlossen sich dann die vorherigen Ansprüche 5 bis 19 als neue Ansprüche 2 bis 16 an (vgl. Abschnitt I, oben).
Ergänzend gab die Beschwerdegegnerin noch an, dass der Gelgehalt des Bindemittels C, bestimmt gemäß Anspruch 3 des Hauptantrags, 85 Gew.-% betragen habe.
VIII. In einem weiteren Schriftsatz vom 13. Februar 2006, dem auch ein weiterer Versuchsbericht sowie eine "Declaration" beigefügt waren, die die Vergleichbarkeit der Ergebnisse des ersten Versuchsberichts (Abschnitt IV (14), oben) mit denen im Streitpatent belegen sollte, hielt die Beschwerdeführerin ihre bereits erhobenen Einwände auch gegenüber diesen geänderten Anträgen aufrecht. Auch wurde im Hinblick auf die Kritik der Beschwerdegegnerin (Abschnitt V, oben) die Beschreibung der Versuche im ersten Versuchsbericht dahingehend korrigiert, dass dem kommerziellen Produkt der Patentinhaberin kein weiteres Alkanolamin zugesetzt worden, sondern dieses in einer Menge von etwa 18% bereits enthalten gewesen sei.
Im neuen Versuchsbericht wurden beschleunigerfreie Bindemittel aus zwei Acrylsäure/Maleinsäure-Copolymeren (Monomerenverhältnis 80/20 bzw. 90/10) und Triethanol amin (Carboxyl-/Hydroxyl-Gruppen-Verhältnis jeweils 8:1), die als "two different binder compositions of D1" bezeichnet wurden, auf ihren Gelgehalt gemäß dem im Streitpatent beschriebenen Verfahren untersucht (Begleitschreiben: Seite 4, letzter Absatz). Dieser lag bei beiden Copolymeren bei etwa 70%. Demgemäß sei ein Gelgehalt von über 50% ein inhärentes Merkmal von Zusammensetzungen des Standes der Technik.
In den Beispielen von D1 sah die Beschwerdeführerin den Beleg dafür, dass die dortigen Erfinder alle jene Polysäure- und Polyol-Komponenten sowie Mengen des Beschleunigers in Betracht gezogen hätten, die im allgemeinen Teil der Beschreibung von D1 als bevorzugte Ausführungsformen diskutiert worden seien und verwies dazu auf eine Reihe von Variationen einzelner Merkmale in den Beispielen der Druckschrift (Seite 6 des Schreibens).
Die zu lösende Aufgabe wurde nur in der Bereitstellung alternativer Bindemittel gesehen. Die Lösung dieser Aufgabe würde der Fachmann im Hinblick auf D1, worin schon gelehrt werde, so wenig wie möglich Beschleuniger einzusetzen, durch Routineuntersuchungen herausfinden.
IX. Am 13. März 2006 fand eine mündliche Verhandlung in Gegenwart beider Parteien statt.
(1) Eingangs stellte die Beschwerdeführerin klar, dass sie ihren Einwand mangelhafter Offenbarung nur noch hinsichtlich derjenigen Hilfsanträge aufrechthalte, in denen im Anspruch 1 der Gelgehalt definiert sei (d.h. ab Hilfsantrag 4). Das wurde damit begründet, dass dieser Gehalt bei Dachbahnen, wie sie in darauf rückbezogenen Ansprüchen beansprucht würden, vom Käufer nicht überprüft werden könne (vgl. Abschnitt IV (13), oben).
(2) Zu den Fragen von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit wiederholten beide Parteien im wesentlichen ihren schriftlichen Vortrag.
(3) Im Rahmen der Diskussion, ob, wie von ihr vorgetragen, der Versuch im ersten Versuchsbericht der Beschwerdeführerin (Abschnitt IV (14), oben), in dem das kommerzielle Produkt der Beschwerdegegnerin aus Acrylsäure/?Maleinsäure-Copolymer mit Triethanolamin und Natriumhypophosphit eingesetzt worden war, als näher liegender Stand der Technik betrachtet werden kann als die Nachstellung der Probe 55 von Beispiel 16 aus D1, argumentierte die Beschwerdeführerin, dass die Kombinationen der verschiedenen Komponenten von D1 in ihrer ganzen dort offenbarten Breite als Stand der Technik anzusehen seien. Ansonsten würde sich das Vorlegen einer allgemeinen Beschreibung zusätzlich zu Einzelbeispielen und Ansprüchen erübrigen.
(4) Zu D1 stellte die Beschwerdeführerin erneut heraus, dass in den unabhängigen Ansprüchen des Streitpatents keine Kombinationen von Einzelverbindungen, sondern Kombinationen ganzer Substanzklassen innerhalb der Komponenten A), B) und C) beansprucht würden. Diese würden aber durch die Kombinationen der Komponenten (a), (b) und (c) von D1 vorweggenommen, wobei die Mengen des Beschleunigers (c) vorzugsweise im unteren Bereich lägen. So sei auf Seite 6, Zeilen 26 bis 30 ausdrücklich ein Wert von 1 Gew.-%, bezogen auf (a) und (b) genannt. Für jeden Fachmann sei aber selbstverständlich, dass diese Menge um so niedriger, gegebenenfalls sogar Null, sein könnte, je reaktiver die Komponenten (a) und/?oder (b) sind. Zudem würden die von der Rechtsprechung an Auswahlerfindungen gestellten Bedingungen durch das Streitpatent nicht erfüllt (siehe Abschnitt IV (2), oben).
(5) Die Beschwerdegegnerin trug dagegen erneut vor, dass bei allen Ausführungsformen, die in D1 offenbart seien, entweder (i) ein hochreaktives Amid als Komponente (b) oder aber (ii) Beschleuniger (c) in Mengen deutlich oberhalb der Grenze von 1,5 Gew.-% von Anspruch 1, insbesondere ca. 3 Gew.-%, enthalten sei.
Zudem könnten die beanspruchten Bereiche der Säure-Komponente A) und der Alkanolamin-Komponente B) im Vergleich zu den Bereichen der Komponenten (a) und (b) in D1 keineswegs als breit und als nicht gezielt ausgewählt bezeichnet werden. Diese spezielle Kombination sah die Beschwerdegegnerin daher als neu an.
(6) Zu D2 betonte die Beschwerdeführerin, dass darin von Beschleuniger überhaupt keine Rede sei, wohl aber von den gleichen Säure- und Alkanolamin-Komponenten. Außerdem werde dort ausdrücklich auch Mineralwolle, d.h. ein Wirrfasermaterial oder Vlies, als Ausgangsmaterial genannt, das dann gebunden werde. Zudem seien in den Beispielen von D2 viele verschiedene Polymere und auch Vernetzer getestet worden. Folglich sei dort die im Streitpatent beanspruchte Kombination der beiden Komponenten unmittelbar und eindeutig zu finden.
Außerdem werde in D2 auch Dämmmaterial beschrieben, durch das Anspruch 16 des Streitpatents neuheitsschädlich getroffen werde.
(7) Dagegen stellte die Beschwerdegegnerin unter Hinweis auf die in D2 wiederholt angesprochene und angestrebte Formbeständigkeit der Endprodukte und die getestete Biegefestigkeit insbesondere darauf ab, dass dort eine völlig andere Zielrichtung verfolgt werde, z.B. die Herstellung von Dämmplatten, nicht aber von Faservliesen. Außerdem würden wie in D1 auch in D2 Listen von in dem Polymer einsetzbaren Monomeren und auch verschiedene Typen von Vernetzern aufgezählt, nicht jedoch die Kombination eines Polymers und eines Alkanolamins, wie sie in den Ansprüchen des Streitpatents definiert ist. Zwar gebe es sogar zwei Beispiele mit Alkanolamin, jedoch kein einziges mit einem Polymer gemäß Komponente A).
(8) Zur erfinderischen Tätigkeit verwies die Beschwerdeführerin auf die Formulierung in Absatz [0009] des Streitpatents, in dem nur von dem Wunsch nach weiteren formaldehydfreien Bindemitteln die Rede sei. Gegenüber D1 könne ein Unterschied allenfalls im eventuell reduzierten Einsatz von Beschleuniger oder gegebenenfalls im völligen Verzicht darauf gesehen werden. So nenne D1 dafür Mengen von 0 bzw. 1 bis 40%. Auf der Seite 3 seien überdies polymere Polycarbonsäuren und die speziellen "hydroxylamines" wie Di- und Triethanolamin als bevorzugt genannt. Wie die Tabelle 2 des Streitpatents und die Versuche vom 23. September 2003 (Abschnitt IV (14), oben) belegten, werde die von der Patentinhaberin geltend gemachte Aufgabe einer Verbesserung der Eigenschaften nicht generell erreicht. Daher müsse die Aufgabe in "Bereitstellung weiterer Bindemittel für Faservliese" umformuliert werden (T 939/92, ABl. EPA 1996,309).
Auch der Inhalt von D2 sei sehr ähnlich, enthalte keinen Phosphor und nenne dieselben Polymer- und Vernetzer-Komponenten als bevorzugt.
Der Fachmann komme von diesem Stand der Technik ausgehend schon durch Routinemaßnahmen zum Gegenstand des Streitpatents. Wie bereits vorgetragen, könne als nächstliegender Stand der Technik aber nicht die Probe 55 in Beispiel 16 von D1, sondern müsse vielmehr ein natriumhypophosphit-haltiges Bindemittel auf der Basis eines Acrylsäure/?Maleinsäure-Copolymers und Alkanolamin, die beide auch aus D1 bekannt seien (vgl. Abschnitt IV (14), oben), zur Grundlage der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit gemacht werden.
Die eigentliche Lehre von D1 habe darin bestanden, das Bindemittel aus derartigen Copolymeren bei höheren Beschleunigergehalten besser zu vernetzen. Genau dies sei in allen Experimenten der Druckschrift auch bestätigt worden. Überdies lehre D1, dass nur die als bevorzugt offenbarten, untereinander gleichwertigen Ausführungsformen hätten untersucht werden müssen, wie dies zum großen Teil bereits in den Beispielen der Druckschrift geschehen sei. Dabei wäre man aber selbstverständlich zum Patentgegenstand gelangt.
(9) Die Beschwerdegegnerin widersprach dieser Betrachtungsweise. Außerdem legte sie dar, dass allenfalls Probe 55 aus Beispiel 16 von D1 als möglicher Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit dienen könne. Demgegenüber seien alle Versuchsergebnisse im Streitpatent bzw. den nachgereichten Versuchsberichten besser oder zumindest gleichwertig gewesen. Ob bzw. dass bei Zusatz von Beschleuniger diese Ergebnisse eventuell sogar noch verbessert werden könnten, sei für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit aber unerheblich. Zudem spreche in D1 Beispiel 2/?Probe 5 das Acrylsäure/Maleinsäure-Copolymer mit seiner darin enthaltenen Beschleuniger menge von über 4% (dieser Wert war zwischen den Parteien nicht streitig) nicht gerade für eine besondere Aktivität solcher Polymere.
X. Die Beschwerdeführerin/Einsprechende beantragte die Aufhebung der angefochtene Entscheidung und den Widerruf des Streitpatents.
Die Beschwerdegegnerin/Patentinhaberin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Basis des Hauptantrags, bzw. hilfsweise auf der Grundlage des Anspruchssatzes gemäß einem der Hilfsanträge 1 bis 6, wie sie im Schreiben vom 17. Januar 2006 eingereicht worden sind.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Hauptantrag der Beschwerdegegnerin
2. Aufgabe und Lösung
2.1 Das Streitpatent befasst sich mit formaldehydfreien, wässrigen Bindemitteln, die neben einem carbonsäure-funktionellen Polymerisat als Komponente A) eine Verbindung mit mindestens zwei Hydroxylgruppen als Komponente B) enthalten, sowie die Verwendung dieser Zusammensetzungen als Bindemittel für Faservliese, z.B. Glasfaservliese. Das Bindemittel soll allenfalls eine minimale Menge Beschleuniger enthalten.
2.2 Härtbare wässrige Zusammensetzungen und deren Verwendung als Bindemittel für Faservliese ("nonwovens") sind aus D1 bekannt. Wie auch in Absatz [0006] des Streitpatents beschrieben, enthält das formaldehyd-freie Bindemittel von D1 (a) eine Polysäure mit mindestens zwei COOH- oder Anhydrid-Gruppen oder deren Salze; (b) ein Polyol mit mindestens zwei OH-Gruppen und gegebenenfalls (c) einen Reaktionsbeschleuniger (D1: Anspruch 1; Seite 2, Zeile 56; z.B. in Mengen von etwa 1 bis etwa 40 Gew.-%, bezogen auf (a) + (b); D1: Seite 6, Zeile 27). Es eignet sich insbesondere für hitzebeständige Vliese, z.B. aus Glasfasern (D1: Seite 3, Zeilen 6 bis 9; Seite 4, Zeilen 7/8 und 13/14). Die "nonwovens" werden in D1 auch als "nonwoven fabric" näher charakterisiert, bei deren chemisch durch Bindemittel gebundener Form, "the cured composition should not substantially detract from essential nonwoven fabric characteristics, as would be the case, for example, if the cured composition were too rigid or brittle or became sticky under processing conditions" (D1: Seite 2, Zeilen 11 bis 23). Nach Ansicht der Kammer gibt diese Beschreibung treffend wieder, was die Fachwelt unter einem gebundenen Faservlies versteht.
Im Einklang mit dieser Erklärung verwies auch die Beschwerdegegnerin bei den im Streitpatent hergestellten Produkten auf derartige Eigenschaften, wie z.B. die Biegsamkeit bzw. Rollbarkeit, im Unterschied zu den Eigenschaften von Formkörpern mit verbesserter Formbeständigkeit (vgl. Anschnitt V, oben).
2.2.1 Die Komponente (a) des bekannten Bindemittels von D1 muss hinreichend nicht-flüchtig sein, damit sie bei der Erhitzung und Härtung in ausreichender Menge für die Reaktion mit dem Polyol zur Verfügung steht. Es kann sich dabei um eine Verbindung mit einem Molekulargewicht von weniger als ungefähr 1000 (beispielsweise Zitronensäure, Butantricarbonsäure und Cyclobutantetra carbonsäure) oder einen Polyester mit mindestens zwei Carbonsäure-Gruppen handeln. Die Komponente liegt aber bevorzugt in Form eines Additionspolymers mit mindestens zwei Carbonsäure-, Anhydrid- oder entsprechenden Salz-Gruppen z.B. als wässrige Lösung, Dispersion oder Suspension vor und ist aus mindestens einem ethylenisch ungesättigten Monomer aufgebaut. Die darin enthaltenen ethylenisch ungesättigten carbonsäure-funktionellen Monomeren sind in einer Menge von ungefähr 1 bis 100 Gew.-% enthalten. Neben einer Reihe monocarboxy-funktioneller Verbindungen wie Acryl-, Methacryl- und Crotonsäure werden auch Maleinsäure und Itakonsäure sowie deren Anhydride genannt. Der Rest kann von weiteren ethylenisch ungesättigten Monomeren abgeleitet sein, für die als Beispiele zahlreiche Acryl- und Methacrylsäureester, Acrylamide, Styrole, Butadien, Vinylester, Acryl- und Methacrylnitril aufgezählt werden (Seite 3, Zeilen 10 bis 12; Seite 4, Zeilen 33 bis 57).
2.2.2 Als Komponente (b) werden Polyole mit mindestens zwei Hydroxylgruppen beschrieben, die ein Molekulargewicht von unter etwa 1000 aufweisen können, aber genau wie Komponente (a) hinreichend nicht-flüchtig sein müssen, um für die Reaktion mit dieser anderen Komponente bei der Vernetzungsreaktion in ausreichender Menge zur Verfügung zu stehen. Neben einer Reihe mehrwertiger Alkohole, die von Glykolen über verschiedene Zucker bis zu aromatischen Polyalkoholen reichen, werden auch Di- und Triethanolamin sowie gewisse reaktive Polyole ("certain reactive polyols"), wie etwa beta-Hydroxyalkyl amide, und mindestens zwei Hydroxylgruppen enthaltende Polymere (z.B. Polyvinylalkohol, um nur ein Beispiel zu nennen) als geeignet aufgezählt (Seite 6, Zeilen 1 bis 10). An anderer Stelle wird auf "hydroxylamine" als ein Typ bevorzugter Verbindungen verwiesen, ebenso auf die Verbindungen mit einem Molekulargewicht von weniger als ungefähr 1000 und mindestens zwei Hydroxylgruppen und auf die beta-Hydroxyalkylamide, die in Abschnitt 2.2.6, weiter unten, noch näher betrachtet werden (D1: Seite 3, Zeilen 13 bis 22 und Seite 7, Zeilen 21 bis 26).
2.2.3 Während, wie schon erwähnt, der Beschleuniger (c) in Anspruch 1 und auf Seite 2, Zeile 56 von D1 als optionale Komponente bezeichnet wird, ist ihre Anwesenheit gemäß der Beschreibungseinleitung (Seite 2, Zeilen 3 bis 5) und in den Ausführungsformen, die auf Seite 3, Zeilen 23 bis 30 und Seite 3, Zeilen 31 bis 41 besprochen werden, offensichtlich als zwingend anzusehen. Im Rahmen dieser letztgenannten beschleunigerhaltigen Ausführungsform liegt die Polyol-Komponente vorzugsweise in Form von "hydroxylamine", z.B. als Di- oder Triethanolamin, vor (Seite 3, Zeilen 39 bis 41).
Auch im Zusammenhang mit der Härtung (bei 120ºC bis 400ºC) und mit der Herstellung von Vliesen aus Glas- oder anderen hitzebeständigen Fasern ist die Anwesenheit von Beschleuniger in D1 als obligatorische Komponente beschrieben (Seite 3, Zeile 52 bis Seite 4, Zeile 14).
2.2.4 Bei diesem Beschleuniger (c) ("The ... composition also contains a phosphorous-containing accelerator which may be ...") kann es sich um Phosphor-Verbindungen mit einem Molekulargewicht von weniger als etwa 1000 oder um ein Oligomer oder Polymer handeln, das Phosphor enthaltende Gruppen trägt, um Additionspolymere, hergestellt aus ethylenisch ungesättigten Monomeren in Gegenwart von Phosphorsalzen als Kettenregler ("chain transfer agents or terminators"), und um Additionspolymere mit säurefunktionellen Gruppen. Im Rahmen dieser allgemeinen Definition werden als Beispiele einerseits monomere Verbindungen, deren Aufzählung von Alkalihypophosphiten bis zu einer Alkylphosphinsäure reicht, und andererseits im Rahmen der weiteren Aufzählung der verschiedenen Klassen von Additionspolymeren neben z.B. Copolymeren des Phosphoethylmethacrylats und ähnlicher Phosphon säureester oder von Vinylsulfonsäuremonomeren und deren Salzen unter anderem auch solche der Acryl- und/oder Maleinsäure genannt, die in Gegenwart von Natriumhypo phosphit hergestellt wurden. Nähere Einzelheiten zur Zusammensetzung solcher oligomeren und polymeren Beschleuniger, etwa in quantitativer Hinsicht, fehlen völlig (Seite 6, Zeilen 18 bis 26).
2.2.5 Im Hinblick auf die Tatsache, dass Beschleuniger in Anspruch 1 des Streitpatents nicht völlig ausgeschlossen werden, wurde von der Beschwerdeführerin auch auf Seite 6, Zeilen 26 bis 29 der Druckschrift verwiesen. Demnach kann der Beschleuniger (c) unabhängig von seiner spezifischen Zusammensetzung in Mengen von ca. 1 bis ca. 40 Gew.-%, vorzugsweise ca. 2,5 bis ca. 10 Gew.-%, bezogen auf die Summe der Polysäuren und Polyole eingesetzt werden.
Aus der in Abschnitt 2.2.4, oben, betrachteten, äußerst breiten Definition der Komponente (c), die neben Verbindungen mit eindeutiger chemischer Zusammensetzung und klar vorgegebener fester chemischer Struktur (z.B. das in vielen Beispielen von D1 eingesetzte "SHP" = Natriumhypophosphit-Monohydrat) auch Oligomere und Polymere unbestimmter Struktur umfasst, die zudem eine völlig unbestimmte Menge an Phosphorgruppen enthalten, wäre nach Interpretation der Beschwerdeführerin (Abschnitt IX (8), oben, letzter Absatz) aus dem genannten Bereich abzuleiten, dass mit jeder dieser Verbindungen in einer Menge an der unteren Bereichsgrenze nahe 1% (Abschnitte IV (5) und (11) sowie IX (4), oben) und mit jeder beliebigen Kombination der Komponenten (a) und (b) der angestrebte Erfolg erreicht würde. Dieser Bereich würde demnach also auch für Polymere mit nur marginalen Mengen an Phosphorgruppen gelten, einschließlich solcher mit nur Spuren dieser Gruppen z.B. im für Verunreinigungen typischen Mengenbereich.
Dafür gibt es in D1 allerdings keine Hinweise und in den Proben der Beispiele von D1, in denen Polymeren eingesetzt wurden, die der Komponente A) entsprechen, liegen die Mengen an Phosphorgruppen bzw. -verbindung deutlich über 1 Gew.-%, bezogen auf (a)+(b). So sei hier nur auf Beispiel 2/Probe 5 verwiesen, in der der SHP-Gehalt des Acrylsäure/?Maleinsäure-Copolymerisats und in Kombination mit HEA unbestritten über 4 Gew.-%, bezogen auf (a)+(b), lag. Gleiches gilt auch für die Proben in Beispiel 15, die Verwendung zweier weiterer Acrylsäure/?Maleinsäure-Copolymerisate beschreiben, dort jedoch in Kombination mit Glycerin als Komponente (b).
2.2.6 Die vorstehend beschriebene, von der Beschwerdeführerin vertretene Ansicht über die Mengenangaben von Komponente (c) und die daraus sich ergebenden Folgerungen stehen aber auch im Widerspruch zu einer speziellen in D1 beschriebenen Ausführungsform, die beschleunigerfreie Bindemittel betrifft. Diese können lediglich mit "highly reactive polyol" hergestellt werden (Seite 3, Zeilen 44 bis 51 und Seite 6, Zeile 47 ff.) und unterscheiden sich damit von den in Abschnitt 2.2.3, oben, angesprochenen weiteren Ausführungsformen. Dies lässt im Gegensatz zum Vortrag der Beschwerdeführerin aber keinen Raum für Interpretationen hinsichtlich der Verwendung verschiedener Polymere gemäß Komponente (a) (vgl. Abschnitt IX (4), oben). In der zweiten der vorstehend zitierten Passagen am Ende von Seite 6 (Zeile 47 ff.), die noch dazu die Besonderheit dieser speziellen Ausführungsform deutlich hervorhebt ("In one embodiment of this invention ...", also nicht "in a further embodiment ..."; Betonung hinzugefügt), wird die Abwesenheit eines Beschleunigers ausdrücklich und ausschließlich mit der Natur der eingesetzten Vernetzerkomponente (b) verknüpft: "Polyols sufficiently reactive to permit the omission of a phosphorous-containing accelerator may be used in the composition which contains (a) a polyacid containing at least two carboxylic acid groups, anhydride groups, or the salts thereof and (b) a highly reactive polyol containing at least two hydroxyl groups; ...".
Als einzige nähere Information zu diesen hochreaktiven Polyolen findet sich in D1 der Verweis auf beta-Hydroxy alkylamide der Formel (i) [HO(R**(3))2C(R**(2))2C-N(R**(1))-C(o)-]n-A [-C(o)-N(R**(1))-C(R**(2))2C(R**(3))2OH]n', in der A eine Bindung, Wasserstoff oder ein ein- oder mehrwertiger organischer Rest ist, der sich von gesättigten oder ungesättigten C1-60-Alkylgruppen ableitet, sowie n eine ganze Zahl von 1 oder 2 und n' eine ganze Zahl von 0 bis 2 sind, bzw. auf bevorzugte Untergruppen davon. Als Beispiele dafür werden die oben in Abschnitt 2.2.2 bereits erwähnten beta-Hydroxyalkylamide, darunter auch das in einer Reihe von Beispielen von D1 eingesetzte bis-[N,N-di(beta-hydroxy ethyl)]-adipamid ("HEA") genannt (D1: Seite 6, Zeile 47 bis Seite 7, Zeile 26).
Zu dieser hochreaktiven Gruppe von Polyolen sind die Alkanolamine allerdings nicht zu zählen, wie aus der bereits angesprochenen Aufzählung von Polyolen im ersten Absatz von Seite 6 der Druckschrift eindeutig hervorgeht (Seite 6, Zeilen 3 bis 7; vgl. Abschnitt 2.2.2, oben).
2.2.7 D1 enthält achtzehn Beispiele mit 59 einzelnen Bindemittel-Zusammensetzungen ("Samples 1 to 59", hier als Proben bezeichnet) und weitere Vergleichsproben A bis R. Darunter finden sich lediglich die Proben 5, 51 und 52 (der Beispiele 2 und 15), sowie die Vergleichs proben Q und R, in denen Polymere enthalten sind, die der Definition der Komponente A) von Anspruch 1 des Hauptantrags entsprechen. In all diesen Fällen sind diese Polymere in Gegenwart von SHP hergestellt worden, dessen Menge, unstreitig zwischen den Parteien, jeweils deutlich über der in Anspruch 1 enthaltenen Grenze von weniger als 1,5 Gew.-%, bezogen auf die Gesamtmenge der Komponenten A) und B) des Streitpatents bzw. (a) und (b) von D1 liegt (vgl. auch Abschnitt 2.2.5, oben).
Als Komponente (b) wurde in Beispiel 2 "HEA" bzw. Pentaerythrit und in Beispiel 15, wie in einer großen Zahl weiterer Beispiele, ein anderes reines Kohlenwasserstoff-Polyol, nämlich Glycerin, verwendet.
Die Verwendung von Alkanolaminen, die der Komponente B) des Streitpatents entsprechen würden, finden sich hingegen lediglich in den Proben 53 und 55 bis 57 von Beispiel 16 und 59 von Beispiel 18. In Beispiel 16 besteht die Komponente (a) allerdings durchweg aus Polyacrylsäure und außerdem ist stets SHP-Beschleuniger enthalten, und zwar von der Beschwerdeführerin unbestritten in Mengen von etwa 1,9-Gew.-%, d.h. oberhalb der Grenze von Anspruch 1. In Beispiel 18 wurde eine phosphinatgruppen-haltige Polyacrylsäure als Komponente (a) eingesetzt, zu der nur ausgeführt ist, dass sie nach derselben Methode wie die im ersten Absatz dieses Abschnittes beschriebene Komponente (a) der Probe 51, d.h. in Gegenwart von SHP, hergestellt worden war. Eine Mengenangabe zum SHP findet sich dort nicht.
Neben den bereits erwähnten Beispielen für die Komponente (b) wurden in den weiteren Beispielen von D1 Pentaerythrit, Ethylenglykol, Diethylenglykol, D-Glucon säure, beta-D-Lactose, Sucrose und Polyvinylalkohol sowie außerhalb der Definition der Komponente (b) in D1 2-(2-Aminoethylamino)ethanol und Hexandiamin verwendet.
2.2.8 Auffällig ist zudem, dass mit Ausnahme einer Reihe von Vergleichsbeispielen (mit unzureichenden Ergebnissen, z.B. löslichen Produkten oder schlechten Zugfestigkeiten) und von Beispiel 6, in dem Polyacrylsäure zusammen mit "HEA", einem der als "hochreaktiv" bezeichneten Polyole, eingesetzt wurde, in keinem der übrigen Beispiele gemäß der Lehre von D1 auf die Gegenwart des Beschleunigers (c) verzichtet worden ist. Dies gilt sogar für all jene Beispiele, in denen ein "highly reactive polyol" verwendet wurde. Zudem wurde nie geltend gemacht, dass in diesen weiteren Beispielen die Menge des Beschleunigers niedriger lag als bei den Proben 53 bis 57 von Beispiel 16 (1,9-Gew.-%, Absatz 2.2.7, oben). Ihre Menge lag also stets klar oberhalb der in den Ansprüchen 1 und 20 des Hauptantrags definierten Grenze.
Wie schon im vorigen Abschnitt gezeigt, gilt dies auch für die oben genannten wenigen Beispiele, in denen SHP-haltige Maleinsäure-Polymerisate eingesetzt worden waren, die folglich, wie die Beschwerdegegnerin anmerkte, als solche auch nicht als hochreaktiv eingeschätzt worden sind (vgl. Abschnitt IX (9), oben).
Zusammenfassend und in Anbetracht der genannten Fakten in D1 muss festgestellt werden, dass das Argument der Beschwerdegegnerin, allenfalls beim Einsatz hochreaktiven Polyols, z.B. HEA, käme die Reduzierung der Beschleunigermenge bis in die Gegend von 1% oder gar der Verzicht auf einen solchen Zusatz in Betracht, nicht widerlegt werden kann.
2.2.9 Hinsichtlich der Vernetzung der Bindemittel bei der Vliesherstellung lassen sich die Beispiele von D1 in zwei Gruppen unterteilen:
(i) die Proben 1 bis 21, d.h. bis Beispiel 7, wurden nach der Beschichtung und dem Trocknen der Fasermatten gemäß der Methode von Beispiel 3 zur Vernetzung für 3 min auf 200ºC erhitzt;
(ii) in Beispiel 8 und den darauf folgenden Beispielen wurde zwar auch auf die Testmethode von Beispiel 3 verwiesen, aber tatsächlich die Härtung bei unterschiedlichen Temperaturen durchgeführt, nämlich bei 140ºC bis 200ºC.
Gemäß Seite 13 von D1 (letzter Absatz von Beispiel 8) wurde erst eine Zeit von mehr als 4 Minuten bei 140ºC für effektiv gehalten, wobei trotz Verwendung des hochaktiven HEA dort auch Beschleuniger in einer Menge von 2,9 Gew.-%, bezogen auf (a)+(b), eingesetzt worden war. In den darauf folgenden Tabellen der Beispiele 9 bis 15 werden jeweils Vernetzungsdauern von 6 min bei 180ºC angegeben. Die Beispiele 16, 17 und 18 nennen jeweils 3 min bei 200ºC (Seite 20, Zeile 42; Seite 22, Zeilen 42 und 54), und dies gilt auch für die Probe 55, die als Basis eines Beispiels des ersten Versuchberichts der Beschwerdegegnerin diente (Abschnitt IV (5), oben). In Tabelle 16.3 sind zwar im Zusammenhang mit "Tensile Test Results of Treated Nonwovens Heated at various Temperatures" auch Temperaturen von 170 bis 200ºC angegeben worden, allerdings ist diese Angabe im Kontext der Beschreibung von Beispiel 16 auf Seite 20 der Druckschrift nicht eindeutig: "... This sheet, after vacuuming to remove excess binder composition, was heated for three minutes at 200 C.; the sample was tested as in Example 3. Tensile strength results are presented in Table 16.2. Further, samples were tested at lower temperatures as well. Tensile strenth results are presented in Table 16.3". So ist nicht klar, ob sich diese Temperaturen auf die Vernetzung (dann jedoch ohne jede Angabe zur Zeitdauer) oder aber, wie der vorletzte Satz der oben zitierten Passage von Seite 20 auszusagen scheint, den Test der physikalischen Eigenschaft selbst betrifft. In diesem Zusammenhang ist zudem bemerkenswert, dass die in den Tabellen 16.2 und 16.3 von D1 für 200ºC angegebenen Messwerte nicht in jedem Fall übereinstimmen (siehe Probe 54 "Dry": "41.5" und "-"; Probe 55 "Wet": "28.5" und "31.5").
2.2.10 In der allgemeinen Beschreibung werden für die Trocknung bzw. Härtung ein Temperaturbereich von ca. 120 bis ca. 400ºC, vorzugsweise ca. 150 bis ca. 200ºC, und ein Bereich der Reaktionsdauer von 3 s bis etwa 15 min (D1: Seite 7, Zeilen 38 bis 47) angegeben. Die Offenbarung ist hier also genau so unspezifisch wie die Beschreibung von D1 im Zusammenhang mit der Menge des Beschleunigers (c) (vgl. Abschnitt 2.2.5, oben) und hinsichtlich der polymeren Formen der Komponente (a), deren Reaktivität in D1 nirgends auch nur in Betracht gezogen worden ist (Abschnitte 2.2.1 und 2.2.6, oben).
Aus den in Abschnitt 2.2.9, oben, zitierten Angaben zu den Beispielen kann vielmehr klar gefolgert werden, dass eine als denkbar ableitbare Kombinationen von Grenzwerten aus den beiden Bereichen, wie etwa Erhitzen auf 150ºC für 3 s oder gar nur auf 120ºC für 3 s, nicht mit der restlichen Offenbarung im Einklang steht, so z.B. für das in Beispiel 8 von D1 untersuchte Bindemittel nicht als "sufficient heat treatment ... for a sufficient time" bewertet (vgl. D1: Seite 13, letzter Absatz, worauf oben in Abschnitt 2.2.9 schon verwiesen wurde) und somit nicht als für alle Zusammensetzungen von D1 klar, direkt und unmittelbar offenbart angesehen werden kann.
2.2.11 Aus der vorstehenden Untersuchung der Offenbarung von D1 folgt aber klar, dass also keinesfalls davon die Rede sein kann, dass alle theoretisch denkbaren Kombinationen von Einzelmerkmalen, die in D1 in Form von Listen oder von durch ihre Grenzen definierten Bereichen beschrieben sind, als durch diese Druckschrift klar, eindeutig und unmittelbar offenbart angesehen werden können (vgl. T 305/87, ABl. EPA 1991, 429, Nr. 5.3 der Begründung).
Zur Stützung ihrer Argumentation zur Offenbarung hatte die Beschwerdeführerin in der Beschwerdebegründung im Rahmen zweier Mutmaßungen zur angefochtenen Entscheidung insbesondere auf die Entscheidungen T 12/90 vom 23. August 1990 (nicht im ABl. EPA veröffentlicht) und T 124/87 (ABl. EPA 1989, 491) verwiesen (Abschnitt IV (1), oben). In diesen beiden Entscheidungen ging es jeweils um die Neuheit einer chemischen Substanz als Endprodukt, nicht aber um die Neuheit einer Zusammensetzung, deren Komponenten bei ihrer Verwendung unter bestimmten Reaktionsbedingungen miteinander reagieren sollen (dieser Punkt wird auch im Rahmen der Neuheit nochmals aufgegriffen werden.)
2.3 Nach der Diskussion des Standes der Technik, beispiels weise von D1 in Absatz [0006] des Streitpatents, wurde in Absatz [0009] auf den Wunsch nach weiteren formaldehydfreien Bindemitteln hingewiesen sowie auf das Bestreben, "die Verfestigung von flächenförmigen Fasergebilden bei möglichst niedrigen Temperaturen in einer möglichst kurzen Zeit durchzuführen und gleichzeitig gute mechanische Eigenschaften zu erhalten.". Darauf aufbauend wurde gemäß Absatz [0011] die zu lösende Aufgabe, "solche Bindemittel zur Verfügung zu stellen", formuliert. In anderen Worten, die thermische Belastung des Bindemittels sollte durch Vernetzung bei niedrigerer Temperatur und/oder in kürzerer Zeit vermindert werden, ohne Einbußen bei den mechanischen Eigenschaften der dabei erhaltenen Fasergebilden hinnehmen zu müssen.
2.4 Der Lösung dieser Aufgabe diente die spezielle Zusammensetzung des Bindemittels gemäß Anspruch 20 und die Verwendung von Bindemitteln gemäß Anspruch 1. Nach der Aussage von Absatz [0070] des Streitpatents wird die gestellte Aufgabe durch diese Gegenstände gelöst.
In den Beispielen des Streitpatents sind eine Reihe unterschiedlicher Copolymere gemäß der Definition der Komponente A) der beiden genannten Ansprüche mit Triethanolamin auf Glasvlies aufgebracht und in Abwesenheit eines Beschleunigers, also einer in Absatz [0061] des Streitpatents als bevorzugt offenbarten Ausführungsform, bei Reaktionsbedingungen vernetzt worden, die von 180 bis 200ºC und 25 bis 120 s variierten. Die so erhaltenen gebundenen Glasfaservliese wurden dann bei 25ºC, 80ºC und 180ºC auf ihre Reißfestigkeit in trockenem bzw. feuchtem Zustand (siehe Tabelle 2) sowie auf ihren Kochverlust untersucht und dabei mit weiteren gebundenen Glasvliesen verglichen, deren Bindemittel aus Polyacrylsäure und Triethanolamin bzw. Methacrylsäure/?Acrylsäure-Copolymer und Triethanolamin bestanden. Auch in diesen Vergleichsversuchen war auf phosphorhaltigen Beschleuniger verzichtet worden (quasi entgegen der Lehre von D1, vgl. Abschnitt 2.2.6, oben).
Diese in Tabelle 2 des Streitpatents wiedergegebenen Ergebnisse sind von der Beschwerdeführerin nicht angezweifelt worden. Sie hat jedoch auf einzelne Messwerte in dieser Tabelle verwiesen, die nach ihrer Ansicht zeigten, dass die beanspruchten Bindemittel nicht besser sondern schlechter seien als Bindemittel des Standes der Technik, die keinen phosphorhaltigen Beschleuniger enthielten (Abschnitt IV (12), oben). Als Beleg für diese Behauptung wurden die Beispiele 28 und 31 mit Vergleichsbeispiel 43 sowie Beispiel 44 mit Vergleichsbeispiel 45 verglichen. So sei die Mehrzahl der in Tabelle 2 des Streitpatent wiedergegebenen Messwerte im Vergleichsbeispiel 43 besser seien als die in den Beispielen 28 und 31. Auch seien die Ergebnisse von Vergleichsbeispiel 45 besser als die von Beispiel 44. Hierbei darf jedoch die Tatsache nicht beiseite gelassen werden, dass die Beispiele und Vergleichsbeispiele sich durch ihre Polymere unterscheiden. So wird in den letzten beiden Beispielen des Streitpatents ein handelsübliches Phenol-Formaldehyd-Harz mit einem formaldehydfreien Harz verglichen, wobei, wie die Beschwerdegegnerin in ihrer Stellungnahme (Abschnitt V, oben) darlegte, ein vergleichbares Eigenschaftsniveau völlig ohne Formaldehyd erreicht wurde. Zum Vergleich zwischen den Beispielen 31 und 43 verwies die Beschwerdegegnerin auf die unterschiedlichen Trocknungsbedingungen, und bei den Beispielen 28 und 43 auf deutliche Unterschiede bei den Viskositäten der eingesetzten Polymere.
Den beiden letztgenannten Versuchen ist aber auch zu entnehmen, dass die Vernetzungsbedingungen (200ºC, 120 s) zur Vergilbung führten, also bereits zu einer beginnenden Zersetzung. Damit zeigt Beispiel 28 (und das gilt offensichtlich auch für Beispiel 30) die Grenzen der Einsetzbarkeit des darin verwendeten speziellen Polymers auf. Eine derartige Vergilbung trat jedoch bei demgegenüber unveränderten Zusammensetzungen der Bindemittel schon bei einer demgegenüber um 20ºC erniedrigten Trocknungstemperatur (180ºC, 120 s) nicht mehr auf, wie Beispiel 27 und Vergleichsbeispiel 42 zeigen. Bei diesem weiteren Vergleich zeigte sich aber auch das durchweg bessere Abschneiden des Bindemittels von Beispiel 27 gemäß Hauptantrag bei den dort gemessenen Eigenschaften. Ähnliches lässt sich auch bei den anderen Versuchen der Tabelle 2 des Streitpatents feststellen, wenn man auf gleiche Trocknungs-/Härtungs bedingungen achtet. Auf diese Voraussetzung für die Vergleichbarkeit von Versuchen hatte die Beschwerde gegnerin bereits hingewiesen (Abschnitt V, oben).
Zieht man nicht nur die Temperatur sondern auch noch die Erhitzungsdauer bei der Härtung in Beispielen der D1 (siehe Abschnitt 2.2.9, oben, z.B. in den Beispielen 9 bis 15: 6 min bei 180ºC) und die in den Beispielen des Streitpatents in Betracht, so findet man, dass im Streitpatent nicht nur gegenüber den eigenen Vergleichs beispielen sondern auch gegenüber D1 verbesserte Ergebnisse gefunden wurden, da die Hitzebehandlung im Streitpatent offensichtlich auf Zeiten bis 120 s bei 180ºC beschränkt werden konnte. Zur Bestätigung sei auch noch auf weitere Beispiele von D1 verwiesen, in denen die Bedingungen eindeutig definiert sind (Beispiele 3, 16, 17 und 18: 3 min, d.h. 180 s, bei 200ºC; Beispiel 8: 4 min bei 140ºC, jeweils in Gegenwart beträchtlicher Beschleunigermengen oberhalb der Grenze in Anspruch 1 des Hauptantrags). Folglich kommt man zwangsläufig zur Feststellung, dass die Lösung der in Abschnitt 2.3, oben, formulierten Aufgabe durch die Beispiele im Streitpatent belegt wird.
Bei dieser Beurteilung, ob die technische Aufgabe tatsächlich gelöst wurde, darf zudem die Tatsache nicht außer acht gelassen werden, dass die Vergleichsbeispiele des Streitpatents im Gegensatz zur wiederholt dargelegten Auffassung der Beschwerdeführerin nicht zum Stand der Technik gehören. Die Beschwerdeführerin hat keine Passage von D1 benannt, die zeigen würden, dass diese Vergleichsbeispiele Wiederholungen dort explizit offenbarter Ausführungsformen sind. So gibt es in D1 keinerlei Hinweise auf, geschweige denn eine Offenbarung von Vernetzungsbedingungen, wie sie in den Vergleichs beispielen des Streitpatents eingehalten wurden. Die jeweiligen Kombinationen aus Temperatur und Erhitzungs dauer (180ºC für 20, 30, 60, 90 oder 120 s bzw. 200ºC für 120 s) bei der Vernetzung beschleunigerfreier Bindemittel sind in D1 nirgends offenbart. Wie schon erwähnt, liegt die kürzeste in den Beispielen von D1 benannte Vernetzungsdauer bei 3 min bei Anwesenheit phosphorhaltigen Reaktionsbeschleunigers. Dies gilt im übrigen auch für die weiteren Angaben über die Erhitzungsdauer von mehr als 4 min und von 6 min in den Beispielen von D1 (Abschnitte 2.2.7 und 2.2.11, oben).
In Anbetracht dieser Ergebnisse und Erkenntnisse ist die Kammer zur Ansicht gelangt, dass die in Abschnitt 2.3, oben, definierten Aspekte der technischen Aufgabe im Streitpatent glaubhaft gelöst worden sind.
2.5 Dies gilt auch im Hinblick auf den Versuchsbericht der Einsprechenden/Beschwerdeführerin, der mit der Eingabe vom 23. September 2003 vorgelegt wurde (Abschnitt IV (14), oben). Zwar trug die Beschwerdeführerin vor, dass beide beschleunigerhaltigen Bindemittel im damaligen Versuchsbericht dem Stand der Technik entsprochen hätten, sie hat jedoch nicht gezeigt, wo das entsprechende auf dem Acrodur® 950L-Produkt beruhende Bindemittel im Stand der Technik klar, eindeutig und unmittelbar offenbart worden ist, bzw. dass es hinsichtlich des Zeitrangs der Streitpatents per se zum Stand der Technik gehört.
Vielmehr ergibt sich aus den Ausführungen der Beschwerdeführerin (Abschnitt IX (3), oben) und den in Abschnitt 2.2.11, oben, dargelegten Betrachtungen und Erkenntnissen, dass der Versuch mit dem kommerziellen Produkt der Patentinhaberin, dem 3% Beschleuniger zugesetzt worden war, und zwar unabhängig von der Antwort auf die Frage, ob Triethanolamin zusätzlich zugegeben worden war oder nicht (Abschnitte IV (14), V und VIII, oben), nicht zum Stand der Technik gehört. D1 beschreibt kein derartig zusammengesetztes Bindemittel. Auch gibt keine der Passagen, in denen die Polysäuren-Komponente (a) der Druckschrift beschrieben wurde (Seite 4, Zeile 33 bis Seite 5, Zeile 19), einen Anhaltspunkt, der auf ein solches Copolymer hindeuten würde, geschweige denn dessen Kombination mit dem speziellen Vernetzer.
Am nächsten kommen die allerdings chemisch modifizierten Copolymeren der Proben 5, 51 und 52 (Beispiele 2 und 15) von D1. Überdies sind die Polymeren der genannten Proben in D1 durchweg mit anderen Vernetzern, d.h. mit hochreaktivem HEA bzw. mit Glycerin, kombiniert worden (vgl. Abschnitt 2.2.7, oben). Auch eine Einordnung dieser Copolymeren als Beschleuniger hilft aus den in Abschnitt 2.2.5, oben, genannten Gründen hier nicht weiter.
Daraus kann aber nur gefolgert werden, dass das Acrodur®-"Vergleichsprodukt" des Versuchsberichts nur unter Rückschau auf das Streitpatent ausgewählt worden sein konnte. Dies gilt aus den gleichen Gründen zudem auch für die Zusammensetzungen des zweiten Versuchsberichtes (Abschnitt VIII, oben).
Was nun den Vergleichsversuch "HF-05A" des ersten Versuchsberichts (Abschnitt IV (14), oben) angeht, so war dieser nach Angabe der Beschwerdeführerin gemäß der beschleunigerhaltigen Probe 55 von D1 durchgeführt worden.
Allerdings sind in all diesen Versuchen die Härtungs bedingungen gegenüber den Angaben in D1 (3 min/200ºC) im Hinblick auf die Offenbarung im Streitpatent verändert worden (Abschnitt 2.2.9, oben). Schon daher können sie also nicht zum Stand der Technik gezählt werden und folglich die Lösung der gestellten relevanten Aufgabe (Abschnitt 2.3, oben) auch nicht in Frage stellen.
3. Neuheit
3.1 Es steht außer Frage, dass innerhalb der äußerst breiten Definition der Polysäure und des Polyols im Anspruch von D1 einerseits polymere Polysäuren in Form von Additions polymeren einer langen Liste von Monomeren und anderer seits "hydroxylamine" in D1 als einzelne Komponenten (a) bzw. (b) unabhängig voneinander als bevorzugt offenbart sind (Abschnitte 2.2.1 und 2.2.2, oben).
Aber selbst unter Berücksichtigung dieser Tatsache kann die Kammer im Lichte der Offenbarung von D1, wie sie in den Abschnitten 2.2 bis 2.2.11, oben, eingehend besprochen wurde, nicht erkennen, dass der beanspruchte Gegenstand der Ansprüche 1 und 20 des Streitpatents, der auf der Kombination eines speziellen carboxyl-funktionellen Polymers, das nämlich Einheiten von ethylenisch ungesättigten Dicarbonsäuren, deren Anhydride oder Salze enthält, mit Alkanolamin bei weitgehender Beschleuniger-Freiheit beruht, klar, eindeutig und unmittelbar hervorgeht. Dies wird durch die folgenden Überlegungen weiter verdeutlicht.
3.1.1 Dabei entspricht der vorliegende Fall nach Ansicht der Kammer weniger den Situationen, wie sie den beiden schon oben genannten Entscheidungen T 12/90 und T 124/87 zugrunde lagen, als vielmehr derjenigen, die in T 305/87 (oben) behandelt wurde. Auf die beiden erstgenannten Entscheidungen hatte die Beschwerdeführerin, wie schon erwähnt, in der Beschwerdebegründung im Rahmen zweier Mutmaßungen zur angefochtene Entscheidung verwiesen (Abschnitte IV (1) und 2.2.11, oben). Darin ging es jeweils um die Neuheit einer chemischen Substanz als stabiles Endprodukt. Auf die hiesige Situation übertragen, entspräche dies der Frage über die Neuheit einer der für sich genommen stabilen Komponenten, nicht aber des in der beanspruchten Zusammensetzung reaktiven Bindemittels insgesamt.
Nach T 305/87 (oben, Nr. 5.3 der Begründung) ist es nicht möglich, Merkmale verschiedener spezifischer Ausführungsarten einer Offenbarung künstlich zu einer bestimmten, neuheitsschädlichen Ausführungsart zusammenzusetzen, sofern nicht in der Entgegenhaltung selbst eine solche Verbindung nahegelegt wird. Dies ist aber gerade im Hinblick auf die in den Abschnitten 2.2.3 bis 2.2.6 (oben) gezeigten Tatsachen hier nicht der Fall. Vielmehr ist hier gerade das erfüllt, was in T 12/90, oben, in Nr. 2.6 der Begründung als Voraussetzung für die Anerkennung der Neuheit dargelegt worden ist, im damaligen Fall aber offenbar nicht erfüllt war:
"Eine Neuheit begründende Auswahl aus einem bekannten Kollektiv setzt ... voraus, daß sie dem Bekannten ein neues Element hinzufügt und somit eine andere Lehre zum technischen Handeln beinhaltet."
3.1.2 Wie aus den unabhängigen Ansprüchen des Hauptantrags zu entnehmen ist, handelt es sich beim Streitgegenstand um die Kombination mehrerer Komponenten, die nach Ansicht der Beschwerdeführerin aus dem in D1 beschriebenen Katalog, der für jede der Komponenten eine Vielzahl von Wahlmöglichkeiten bietet, frei hätten gewählt werden können. Jedoch hat D1 gezeigt, dass es gerade innerhalb der dort aufgezählten Möglichkeiten für die Komponente (b) deutliche Unterschiede in deren chemischem Verhalten gibt, die dort in den Beispielen die Einhaltung bestimmter Randbedingungen für die Auswahl und Kombination der Komponenten notwendig machten (Abschnitte 2.2.7 und 2.2.8, oben).
Nach Auffassung der Kammer ist aber der Umfang der von den vorliegenden Ansprüchen überdeckte Bereich der Komponenten A) und B) gegenüber der Offenbarung der beiden Komponenten (a) und (b) in D1 deutlich eingeschränkt (Abschnitte 2.2.1 und 2.2.2, oben).
Zudem ergibt sich aus den Feststellungen in diesen obigen Abschnitten, dass in den Beispielen von D1, die nach allgemein gültiger Ansicht bevorzugte Ausführungs formen des Gegenstands der Druckschrift darstellen, die Kombination eines Polymeren, das der Komponente A) des Streitpatent entspräche, mit einem Alkanolamin gemäß Komponente B) nie in Betracht gezogen, geschweige denn offenbart worden ist.
3.1.3 Das Streitpatent zeigt nun jedoch nicht nur in eine spezielle Richtung bei der Auswahl seiner Komponenten, sondern steht auch zumindest teilweise in direktem Widerspruch zur Offenbarung von D1 (Abschnitte 2.2.2, 2.2.3 und 2.2.6, oben). Es sei nur an die klare Verknüpfung der Abwesenheit von Beschleuniger mit der speziellen Natur der Komponente (b) in D1 erinnert, das hochaktive Polyol (Amid), das sich klar von der Komponente B) im vorliegenden Hauptantrag unterscheidet.
Die spezielle Kombination ausgewählter Polymere und Polyole gemäß den Komponenten A) und B) des Streitpatents, also ausdrücklich entgegen der Lehre von D1, erlauben jedoch, wie seine Beispiele in Tabelle 2 und zudem auch der erste Vergleichsbericht der Beschwerdeführerin (Abschnitte IV (14), 2.4 und 2.5, oben) zeigen, bei kürzerer Vernetzung unter schonenderen Temperaturbedingungen gebundene Faservliese mit guten mechanischen Eigenschaften herzustellen.
Schon aus diesen die qualitative Zusammensetzung betreffenden Gründen kann unter Berücksichtigung der genannten Rechtsprechung die Neuheit des Patentgegenstands nicht verneint werden.
3.1.4 Hinzu kommt aber auch noch die Tatsache, dass in D1 die Menge des Beschleunigers, wenn er infolge des Fehlens eines "hochreaktiven" Polyols vonnöten ist, nur in Form eines allgemeinen Bereiches und unabhängig von der Art des Beschleunigers und des Polyols definiert ist, obwohl dies in klarem Widerspruch zum letzten Absatz auf Seite 6 von D1 steht (Abschnitte 2.2.3 bis 2.2.6, oben).
Es ist auch von der Beschwerdeführerin/Einsprechenden nie gezeigt worden, dass alle der auf Seite 6 von D1 als Beispiele für den Beschleuniger (c) genannten Verbindungsklassen trotz ihrer völlig verschiedenen Strukturen vergleichbare Aktivitäten aufweisen und auch bei einer Konzentration im Bereich von 1 Gew.-%, bezogen auf (a)+(b), den gewünschten Erfolg erzielen lassen würden. Auf jeden Fall lag die Beweislast hierfür bei der Einsprechenden, die den Neuheitseinwand erhoben hat (Abschnitte IV (5) und (11) sowie 2.2.5 bis 2.2.8, oben).
Überdies ist auch in keinem der Beispiele von D1 ein Einsatz von Beschleuniger in Mengen von weniger als 1,5 Gew.-%, bezogen auf (a)+(b) offenbart worden.
Die Kammer sieht sich daher außerstande, das schon am Ende von Abschnitt 2.2.8, oben wiedergegebene Argument der Beschwerdegegnerin zu widerlegen, allenfalls beim Einsatz hochaktiven Polyols (gemäß Seite 6, letzter Absatz von D1), wie z.B. von HEA, könne die Menge des Beschleunigers bis in die Gegend von 1% reduziert werden.
3.1.5 Schließlich räumte die Beschwerdeführerin selbst ein, dass D1 kein einziges Beispiel enthält, in dem die Kombination einer Komponente A) und einer Komponente B) gemäß den Definitionen in den Ansprüchen 1 oder 20, bei einem Beschleunigergehalt von weniger als 1,5 Gew.-%, bezogen auf die beiden Komponenten A) und B), offenbart würde (Abschnitt IV (6), oben).
3.1.6 Hinsichtlich Anspruch 20, auf den all die bisher zur Neuheit von Anspruch 1 dargelegten Gründe ebenfalls zutreffen, ist zusätzlich festzustellen, dass die Druckschrift keinerlei Angaben zum Gelierverhalten macht, wie es in diesem Anspruch definiert ist.
3.1.7 Auch dem Einwand, es handele sich bei diesen Einschränkungen keinesfalls um eine zielgerichtete Auswahl, kann die Kammer nicht zustimmen, denn gemäß Absatz [0009] zielte das Streitpatent klar darauf ab, Bindemittel bereitzustellen, die erlauben, eine Verfestigung flächenförmiger Fasergebilde bei möglichst niedrigen Temperaturen in einer möglichst kurzen Zeit durchzuführen und gleichzeitig gute mechanische Eigenschaften zu erhalten. Die speziellen, dafür notwendigen Komponenten sind im Streitpatent auch angegeben worden. Dabei sollten die Bindemittel weder an sich toxikologisch bedenklich sein, noch bei ihrer Verwendung toxische oder umweltschädliche Reaktions produkte freisetzen.
Angesichts der oben wiederholt angesprochenen Diskrepanz zwischen dem Streitpatent und der Lehre von D1 kann der Gegenstand des Streitpatents nach Ansicht der Kammer ohnehin nicht als Auswahl gegenüber D1 angesehen werden.
3.1.8 Schließlich mutmaßte die Beschwerdeführerin, dass in der angefochtenen Entscheidung die Offenbarung von D1 für die Beurteilung der Neuheit auf die Beispiele verkürzt worden sei. Wie die Verweise auf dieselben Passagen der Beschreibung von D1 in der angefochtenen Entscheidung (Nr. 4 der Entscheidungsgründe) und in den Abschnitten 2.2 bis 2.2.10, oben, zeigen, wird ein solcher Einwand durch die Tatsachen nicht gestützt (Abschnitt IV (1), oben).
3.1.9 In Anbetracht der vorstehend wiedergegebenen Sachverhalte und Feststellungen ist die Kammer zum Schluss gekommen, dass der Patentgegenstand gegenüber D1 neu ist.
3.2 Auch im Hinblick auf die Frage der Neuheit gegenüber D2 erscheint es angebracht, sich nochmals zu vergegenwärtigen, dass das Streitpatent nicht einfach auf irgendwelche Zusammensetzungen aus beliebigen carbonsäure-funktionellen Polymerisaten und beliebigen Verbindungen mit mindestens zwei Hydroxylgruppen gerichtet ist, sondern auf solche Bindemittel und deren Verwendung, die erlauben, eine Verfestigung flächenförmiger Fasergebilde bei möglichst niedrigen Temperaturen in einer möglichst kurzen Zeit durchzuführen und gleichzeitig gute mechanische Eigenschaften zu erhalten (Abschnitt 3.1.7, oben).
3.2.1 So ist aus D2 ein Bindemittel aus (i) hochmolekularen Polycarbonsäuren und (ii) mehrwertigen Alkoholen, Alkanolaminen bzw. mehrwertigen Aminen für Formkörper bekannt (D2: Anspruch 1). Ein Hinweis auf eine bestimmte Mindestreaktivität des Bindemittels bei der Bildung von Kondensationsprodukten, die als Binder der Formkörper fungieren, entsprechend der Definition im letzten Absatz von Anspruch 20 des Streitpatents (Abschnitt VII, oben, in Verbindung mit Abschnitt I, oben) ist in D2 jedoch nicht zu finden.
3.2.2 Als hochmolekulare Polycarbonsäuren kommen in D2 insbesondere polymere Polycarbonsäuren wie Polyacryl- und Polymethacrylsäure, Copolymere aus Acryl- und Methacrylsäure oder Copolymere von Acryl- und/oder Methacrylsäure mit anderen Monomeren wie Ester der Acryl- oder Methacrylsäure mit Alkanolen mit 1 bis 24 C-Atomen, Maleinsäure oder Fumarsäure oder anderen Monomeren wie Styrol oder Ethylen in Betracht. Als gut geeignet werden polymere Polycarbonsäuren mit 5 bis weniger als 50 Mol-% an Monomeren einpolymerisiert enthalten, die eine Carboxylgruppe enthalten wie Maleinsäure, Fumarsäure und insbesondere Acryl- oder Methacrylsäure. Der Rest solcher Polymere können sich von Monomeren ableiten wie Styrol, Ethylen und insbesondere Acrylsäure- und Methacrylsäureestern von C1-6-Alkanolen (D2: Spalte 1, Zeile 43 bis Spalte 2, Zeile 6). Besonderes Gewicht wird aber auf die Polyacrylsäure und Polymethacrylsäure gelegt (Spalte 2, Zeilen 27 bis 32), und zwar insbesondere in Kombination mit niedermolekularen Alkoholen (Spalte 2, Zeile 17 ff.).
Ergänzt wird dies durch die Aussage, dass es sich bei den Kondensationsprodukten des Bindemittels um Ester und/oder Amide handeln kann (Spalte 2, Zeilen 40 und 41). Im übrigen sind die Definitionen der beiden Komponenten des Bindemittels in D2, genau wie schon in D1 (Abschnitt 3.1, oben), unabhängig voneinander offenbart worden.
So wird als zweite Komponente der Bindemittel namentlich auf mehrwertige, insbesondere hochmolekulare Alkohole (Spalte 2, Zeile 42 bis Spalte 3, Zeile 10) verwiesen, daneben auch auf Alkanolamine (Spalte 3, Zeilen 11 bis 15) und mehrwertige Amine (Spalte 3, Zeilen 15 bis 17).
Dabei sind die Alkanolamine in der Beschreibung von D2 keineswegs gegenüber den beiden Alternativen herausgehoben dargestellt worden.
In den Beispielen wurden als hochmolekulare Polycarbon säuren Polyacrylsäure (Zusammensetzungen F1 bis F10) sowie zwei Copolymere aus Methylmethacrylat, n-Butyl acrylat und Methacrylsäure (F11, F12 und F17) bzw. Methylmethacrylat und Methacrylsäure (F13, F14, F15 und F16) eingesetzt. Als Vernetzungskomponenten dienten monomere mehrwertige Alkohole (F1 bis F10 und F12), polymere Polyalkohole (F11, F13, F15 und F17). In den Zusammensetzungen F14 und F16 schließlich wurde Di- bzw. Triethanolamin eingesetzt.
Aus dem Gesagten wird deutlich, dass eine Andeutung in Richtung auf eine Kombination von (i) Polymerisaten aus ungesättigtem Dicarbonsäureanhydrid, Dicarbonsäuren, die ein solches Anhydrid bilden können, bzw. deren Salzen mit (ii) Alkanolamin D2 nicht zu entnehmen ist. Auch gibt es in D2 keinen Hinweis auf eine bestimmte Mindestreaktivität der bekannten Bindemittel hinsichtlich ihrer Vernetzbarkeit (ausgedrückt z.B. durch den Gelgehalt nach Trocknung und Härtung unter bestimmten Bedingungen). Bereits in Abschnitt 2.4, oben, sind aber Unterschiede der Eigenschaften von Endprodukten in Abhängigkeit vom im jeweiligen Bindemittel eingesetzten Polymerisat diskutiert worden.
3.2.3 Zieht man dabei auch noch die Reaktionsbedingungen bei der Vernetzung in Betracht, also Temperatur und Erhitzungsdauer, so wird deutlich, dass D2 in dieser Beziehung nur wenig Information bietet. So erschöpfen sich in der allgemeine Beschreibung von D2 Angaben zu den Trocknungs-/?Härtungsbedingungen in der Nennung eines Temperaturbereichs von 100 bis 250ºC mit einem zusätzlichen Hinweis, dass "Trocknen unter Druck" Vorteile brächte (Spalte 3, Zeilen 40 bis 44). Diese Angaben werden nur in einzelnen, d.h. den nachstehend genannten, Beispielen auch noch durch eine Zeitangabe ergänzt (die Gesamtheit der Beispiele wird weiter unten nochmals angesprochen): in F5 beim Einsatz von Polyacrylsäure und in F13 bei Verwendung eines Methylmethacrylat/?Methacrylsäure-Copolymers: jeweils 15 min bei 150ºC; in F10 mit Polyacrylsäure: 2h bei 180ºC; in F17 mit einem Methylmethacrylat/?n-Butylacrylat/?Methacrylsäure-Copolymer: 15 min bei 120ºC. Allerdings wurde in keinem dieser Beispiele ein Alkanolamin eingesetzt.
Alkanolamine, namentlich Di- und Triethanolamin wurden lediglich in F14 und F16 verwendet, bemerkenswerterweise jeweils als schlechtere Alternative zu dem in F13 bzw. F15 eingesetzten polymeren Polyalkohol (Biegeversuch: Absenkung 3mm nach 220h (F14) gegenüber 3mm nach 271h (F13) bzw. Reißkraft: 8,5 N/mm**(2) (F16) anstelle von 11,5 N/mm**(2) (F15)). In allen vier Versuchen wurde als Polysäure jeweils ein Methylmethacrylat/?Methacrylsäure-Copolymer verwendet.
Bereits oben in Abschnitt 3.2.2 wurde festgestellt, dass D2 also keinerlei Hinweise auf eine Kombination bestimmter Polymerisate, wie sie im Streitpatent als Komponente A) definiert sind, und einem Alkanolamin als Komponente B) in einem Bindemittel enthält, geschweige denn darauf, dass eine solche Kombination mit einer deutlichen Reduzierung der Erhitzungsdauer einherginge (vgl. Abschnitt 2.4, oben: 25 bis 120 Sekunden bei 180 bis 200ºC).
Schon im Hinblick auf das Bindemittel allein trifft daher die bereits in Abschnitt 3.1.1, oben, zu D1 gemachte Feststellung auch auf D2 zu, dass im Streitgegenstand gegenüber dieser Druckschrift ein neues Element enthalten ist und dadurch eine neue Lehre zum technischen Handeln entstanden ist.
3.2.4 Wie schon in Absatz [0005] des Streitpatents besprochen wird, beschreibt D2 aber nicht nur Bindemittel sondern, genauer gesagt, Formkörper, die als Hauptbestandteile feinteilige natürliche oder synthetische Materialien sowie Kondensationsprodukte aus dem genannten Bindemittel enthalten (Anspruch 1, Seite 2, Absatz 1).
Als Beispiele für die feinteiligen natürlichen oder synthetischen Basismaterialien für diese Formkörper werden Sande, Kaoline, Schiefermehl, Mineralfasern wie Mineralwolle, Kunststoff-Fasern (z.B. aus Polypropylen), Cellulosefasern, Glasfasern oder zerkleinertes Holz wie Holzfasern aufgezählt (Spalte 1, Zeilen 37 bis 42).
3.2.5 Zur Herstellung der Formteile werden diese Bestandteile zunächst mechanisch gemischt, das überschüssige Bindemittel abgetrennt, die entstandene breiartige Masse geformt und sodann bei einer Temperatur von 100 bis 250ºC getrocknet, wobei mit der Trocknung eine Veresterung oder Amidbildung einhergeht, die durch Trocknen unter Druck begünstigt wird (D2: Spalte 3, Zeilen 19 bis 44). Die Formkörper werden vorzugsweise in flächiger Form hergestellt. Alternativ können auch durch Pressen vorgeformte Formlinge mit dem Bindemittel beschichtet werden, insbesondere zur Veredelung. Die Produkte von D2 zeichnen sich unter anderem durch eine reduzierte Wasseraufnahme, eine erhöhte innere Festigkeit und, daraus resultierend, durch eine erhöhte Formbeständigkeit aus (Spalte 4, Zeilen 34 bis 40). Die letztgenannte Eigenschaft wurde in den Beispielen durch einen in Spalte 5, Zeilen 1 bis 20 beschriebenen Biegeversuch an Prüfkörpern (250 mm×50 mm×15 mm) ermittelt.
3.2.6 In einer Reihe von Beispielen wurde als Mineralfaser-Komponente Mineralwolle verwendet, die in das wässrige Bindemittelgemisch eingerührt wurde (Spalte 5, Zeile 40; Spalte 8, Zeilen 13/14). Der dabei jeweils erhaltene Brei wurde nach Zusetzen von Flockungsmittel (Spalte 4, Zeilen 41 bis 50) bei gleichzeitigem Pressen zu einer feuchten Rohplatte grob entwässert, die dann weiter getrocknet wurde (Spalte 5, Zeile 41 bis Spalte 6, Zeile 1; Spalte 8, Zeilen 15 bis 33). Dies betraf die Beispiele F1 bis F4; F11 und F12. Für deren Platten sind die Ergebnisse der Formfestigkeit mittels des oben erwähnten Biegeversuchs angegeben. Sie werden in der Reihenfolge der genannten Beispiele als Absenkungen in x mm nach y Stunden (xmm/yh) wiedergegeben: 1mm/260h, nicht messbar/360h, 3mm/56h, 3mm/120h, 2mm/213h und 4mm/128h.
Nach Auffassung der Kammer kann weder die oben beschriebene Weiterverarbeitung einer als Brei vorliegenden Dispersion von Mineralwolle und den Feststoffanteilen des jeweiligen Bindemittels mit der "Verfestigung von flächenförmigen Fasergebilden" gleichgesetzt werden, wie sie in den Absätzen [0009] und [0086] des Streitpatents beschrieben wird, noch handelt es sich bei den in D2 so erhaltenen Produkten um gebundene "Faservliese" mit guten mechanischen Eigenschaften, wie sie in der Fachwelt verstanden werden und bereits im Zusammenhang mit D1 erwähnt worden sind (Abschnitt 2.2, oben).
Diese in D2 beschriebene Vorgangsweise unterscheidet sich auch gravierend von der in Absatz [0077] des Streitpatents beschriebenen Methode zur Herstellung der Dämmstoffmatten. Da wird das Bindemittel auf die Fasern aufgesprüht und getrocknet, dann werden aus den Fasern Fasermatten hergestellt und in einem Härtungsofen zu den Dämmstoffmatten verfestigt, die eine steife, duroplastische Matrix des vernetzten Harzes enthalten. In Absatz [0080] wird zudem noch angegeben, dass die Dämmstoffe des Streitpatents als Dämmstoffbahnen aufgerollt werden können, also in ihren Eigenschaften dem entsprechen, was nach allgemeinen Verständnis als gebundenes Faservlies betrachtet wird.
3.2.7 In den Beispielen F5 und F6 sowie F13 und F14 von D2 wurde von bereits gebundenen Mineralfaserplatten, in F10 von "Normsand" und in den übrigen Beispielen von Cellulose- und Holzfasern oder Holzfasern ausgegangen.
Zu diesen Mineralfaserplatten wird in D2 nur angegeben, dass sie als Bindemittel Stärke enthielten und als Formgrundkörper durch Auftrag mit dem Pinsel auf der Dekorseite beschichtet wurden. In F13 ist die Platte zusätzlich als handelsüblich bezeichnet worden. Zur weiteren Struktur dieses Ausgangsmaterials wird in D2 nichts ausgesagt. Auch für diese Produkte sind die Formfestigkeitswerte genauso wie in Abschnitt 3.2.6, oben, angegeben: 1mm/192h, 2mm/154h, 3mm/271h und 3mm/220h. Wie dort, bestätigen diese Werte, dass auch diese Platten keinesfalls als gebundene "Faservliese" im üblichen Sinn betrachtet werden können.
Dies gilt nach Auffassung der Kammer für alle Platten (Mineralfaserplatte, Rohplatten oder Faserplatte), von denen in den Beispielen F1, F5, F7, F9, F11, F13, F15 und F17 ausdrücklich die Rede ist. Da die anderen Beispiele (außer F10, in dem Normsand verarbeitet wurde) sich auf diese Beispiele beziehen, muss zudem festgestellt werden, dass alle Produkte, die auf faserige Bestandteile zurückgehen, als Platten, in keinem Falle aber als Faservlies charakterisiert wurden.
3.2.8 Auf die in den Abschnitten 3.2.5 und 3.2.6, oben, angesprochenen Eigenschaften des Formkörpers, insbesondere die erhöhte Form- bzw. Biegefestigkeit der Platten, verwies auch die Beschwerdegegnerin wiederholt und unter Hinweis auf die Andersartigkeit gebundener Faservliese (Abschnitte V, IX (7) und 2.2, oben).
3.2.9 Diesem Argument kann sich die Kammer im Hinblick auf die in D2 beschriebenen Herstellungsweisen der beanspruchten Formkörper, die dort beschriebene Eigenschaft "Formbeständigkeit" (Abschnitte 3.2.5 und 3.2.6, oben) und insbesondere unter Berücksichtigung dessen, was in der Fachwelt unter gebundenen Faservliesen ("nonwoven fabrics") verstanden wird (Abschnitt 2.2, oben), nicht verschließen. Diese Interpretation von Anspruch 1 wird auch durch die Beschreibung in Absatz [0003] sowie die weiteren Ansprüche 9 bis 18 des Streitpatents gestützt, die klar machen, dass sich der Verweis auf die Zweckbestimmung der Zusammensetzung in Anspruch 1 "als Bindemittel für Faservliese" nicht auf "Die ungebundenen Faservliese (Rohfaservliese)", also das Ausgangsmaterial, bezieht (siehe Absatz [0066] des Streitpatents), sondern der Charakterisierung des Endproduktes dient.
3.2.10 Im Hinblick auf eine Ausführungsform dieser Endprodukte, die Dämmmaterialien, sah die Beschwerdeführerin hingegen keinen Unterschied zwischen den Produkten von D2 und denen des Streitpatents.
Allerdings wird diese Ansicht nicht durch die Offenbarung der beiden Dokumente gedeckt. So wird in D2 wiederholt, wie auch von der Beschwerdegegnerin geltend gemacht, auf die Plattenstruktur der dortigen Produkte (D2: Spalte 1, Zeile 14, Spalte 4, Zeilen 34 bis 40 und in den Beispielen; siehe dazu auch die Abschnitte 3.2.4 bis 3.2.8, oben) und deren Eigenschaften reduzierte Wasseraufnahme, erhöhte innere Festigkeit und erhöhte Formbeständigkeit hingewiesen.
Dagegen verweist die Streitpatentschrift auch im Zusammenhang mit der Herstellung solcher Dämmmaterialien auf deren intermediäre "bindmittelhaltige Fasermatten"-Struktur, die nach der Härtung "Dämmstoffmatten" bzw. "aufrollbare Dämmstoffbahnen" ergibt (Streitpatent: Absätze [0077] und [0080], vgl. Abschnitt 3.2.6 oben, Absatz 3).
3.2.11 Zusammengenommen kann D2 aus den vorstehenden Gründen, die Zusammensetzung und die Verarbeitung betreffend, daher für den Gegenstand von Anspruch 1 nach Auffassung der Kammer nicht als neuheitsschädlich angesehen werden, selbst unter Anerkennung der Tatsache, das D2 keine Hinweise auf Beschleuniger enthält und die Säurekomponente von vorn herein auf hochmolekulare Polycarbonsäuren beschränkt ist (vgl. insbesondere Abschnitte 3.2.2, letzter Absatz, bis 3.2.9, oben).
3.2.12 Darüber hinaus lenkt die Druckschrift D2, wie bereits kurz angesprochen (Abschnitt 3.2.2 und 3.2.3, oben), die Aufmerksamkeit des Lesers deutlich auf Polyacryl- und Polymethacrylsäure sowie auf Copolymere dieser beiden Monocarbonsäuren sowie die polymeren Polyalkohole. Außerdem ist nirgends auch nur ein Hinweis zu finden, eine wässrige Lösung eines Bindemittels aus einem Polymer gemäß der Definition der Komponente A) speziell mit einem Alkanolamin herzustellen, das die in Anspruch 20 definierte Gelbildung zeigt. Folglich kann die Neuheit des Gegenstands von Anspruch 20 auch gegenüber D2 nicht verneint werden.
3.3 In der Zusammenschau der vorstehenden Sachverhalte und Feststellungen zu D1 und D2 ist die Kammer daher zur Schlussfolgerung gekommen, dass die Erfordernisse von Artikel 54 EPÜ durch die Gegenstände der Ansprüche 1 und 20 erfüllt sind.
Die weiteren Ansprüche enthalten durch Verweis dieselben Merkmale. Daher gilt diese Feststellung für sie ebenfalls.
4. Erfinderische Tätigkeit
Es bleibt zu entscheiden, ob sich die gefundene Lösung für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem in der Beschwerde herangezogenen Stand der Technik ergibt.
4.1 Im Hinblick auf die zu lösende technische Aufgabe (Abschnitt 2.3, oben) sieht die Kammer wie auch bereits die Einspruchsabteilung D1 als nächstliegenden Stand der Technik an. Dies ist auch von keiner Partei in Frage gestellt worden.
4.2 Wie zudem in den Abschnitten 2.4 und 2.5, oben, ausführlich dargelegt, ist diese Aufgabe auch gelöst worden.
4.2.1 Während das zur Herstellung gebundener Faservliese in D1 eingesetzte Bindemittel eine breite Vielfalt von Kombinationen aus (a) Polysäure mit mindestens zwei Carboxyl- oder Anhydrid- oder Salzgruppen, und (b) einem Polyol mit mindestens zwei Hydroxylgruppen umfassen, die, außer bei Verwendung hochaktiven Polyols, namentlich eines beta-Hydroxyalkylamids, auch (c) die Anwesenheit eines phosphorhaltigen Reaktionsbeschleunigers zwingend verlangen (Abschnitte 2.2.1 bis 2.2.8, insbesondere 2.2.3 und 2.2.6, oben), konnte im Streitpatent gezeigt werden, dass solche Faservliese stattdessen auch mit einem im wesentlichen phosphorfreien Bindemittel aus A) einem Polymerisat, das zu 5 bis 100 Gew.-% aus einer ethylenisch ungesättigten Dicarbonsäure, die ein Anhydrid bilden kann, oder einem ihrer Salze oder dem Anhydrid selbst besteht, und B) einem Alkanolamin mit mindestens zwei Hydroxylgruppen in kürzerer Zeit und unter relativ milden Bedingungen hergestellt werden können, ohne dabei Verschlechterungen der mechanischen Eigenschaften in Kauf nehmen zu müssen (Abschnitt 2.4, oben). Hierbei ist unter dem Begriff "im wesentlichen phosphorfrei" ein Gehalt phosphorhaltiger Beschleuniger von weniger als 1,5 Gew.-%, bezogen als A) und B) zu verstehen.
4.2.2 Wie schon in den Abschnitten 3.1.2 bis 3.1.4, oben, im Hinblick auf die Neuheit gegenüber D1 gezeigt wurde, unterscheidet sich die Zusammensetzung des gefundenen bzw. verwendeten Bindemittels des Streitpatents von dem aus D1 bekannten zum einen durch die gegenüber den Komponenten (a) und (b) von D1 viel engeren Definitionen der beiden Komponenten A) und B), die aus der Offenbarung von D1 nur bei Kenntnis des Streitgegen standes (also zurückschauend) ohne weiteres abgeleitet werden könnten. Zum anderen unterscheidet es sich davon auch durch die Tatsache, dass trotz der Verwendung eines Alkanolamins B), das gemäß der Lehre von D1 nicht hinreichend aktiv ist (D1: Seite 3, Zeilen 31 bis 41), um auf die Gegenwart eines solchen phosphorhaltigen Beschleunigers zu verzichten, genau dies zur Gänze getan werden kann, wie die Beispiele des Streitpatents (Abschnitt 2.4, oben) und sogar der spätere Versuchs bericht der Einsprechenden (Abschnitt 2.5, oben) zeigen.
4.2.3 Infolgedessen kann die Druckschrift D1 als solche nicht ohne weiteres und logisch zur im Streitpatent gefundenen Lösung des relevanten technischen Problems führen.
4.3 Zwar sind die Definitionen der beiden Bindemittel-Komponenten in D2 enger als in D1 formuliert (Abschnitte 3.2.1 und 3.2.2, oben), aber dennoch finden sich auch in dieser Druckschrift keine Anregungen, die speziellen Komponenten A) und B) auszuwählen. Dies um so weniger, als sich die Verwendung und die daraus resultierenden Endprodukte der Druckschrift deutlich von denen des Streitpatents unterscheiden (Abschnitte 3.2.5 bis 3.2.9, oben).
Auf Grund der Verschiedenheit der in D1 und D2 angestrebten Produkte (D1: gebundene Faservliese, D2: biegefeste Platten) kann der Fachmann auch, zumal ohne Kenntnis des Streitgegenstands, weder D1 noch D2 eine Anregung entnehmen, die Lehre von D1 in irgend einer Weise, z.B.: auf der Basis der Lehre von D2, zu modifizieren. Dies trifft insbesondere auch auf die Auswahl der Monomeren für die Herstellung einer speziellen Polymerkomponente (a) von D1 und die spezielle Auswahl des Polyols (b) von D1 zu, um diese dann entgegen der in Abschnitt 3.1.4, oben, angesprochenen Lehre von D1 weitgehend phosphorfrei zu kombinieren.
Auch hinsichtlich der Verfahrensbedingungen bei der Verwendung der Bindemittel unterscheiden sich D2 und das Streitpatent gravierend. So sei hier nur insbesondere auf Abschnitt 3.2.3, oben, hingewiesen, der zeigt, dass der Fachmann D2 keinerlei Hinweise entnehmen kann, wie er die in D1 beschriebenen Vernetzungsbedingungen für das angestrebte gebundene Faservlies, insbesondere durch kürzere thermische Belastung, noch schonender gestalten könnte.
Daher kann die Druckschrift D2 dem Fachmann für die Lösung der dem Streitpatent zugrundeliegenden Aufgabe keine Anregung geben, die Lehre von D1 zu modifizieren und damit zum Patentgegenstand zu gelangen.
4.4 Aus den vorstehenden Gründen ist die Kammer daher zur Auffassung gelangt, dass der Gegenstand der beiden unabhängigen Ansprüche 1 und 20 des Hauptantrags auch auf erfinderischer Tätigkeit beruhen.
4.5 Da die Gegenstände der weiteren unabhängigen Ansprüche 9, 11 bis 19 sowie die weiteren Ausgestaltungen der beanspruchten Gegenstände dieser Ansprüche in den abhängigen Ansprüchen 2 bis 8 und 10 die Merkmale von Anspruch 1 beinhalten, werden sie ebenfalls durch die Feststellungen zur Neuheit und erfinderischen Tätigkeit in den Abschnitten 3.3 und 4.4, oben, getragen.
5. Da der Hauptantrag der Beschwerdegegnerin aus den vorstehenden Gründen erfolgreich ist, erübrigt sich das Eingehen auf die Hilfsanträge dieser Partei. Gleiches gilt im Hinblick auf die in Abschnitt IX (1), oben, wiedergegebene Klarstellung durch die Beschwerdeführerin für den Einwand mangelhafter Offenbarung (Artikel 100 b) EPÜ).
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
Die Sache wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit dem Auftrag, das Patent auf der Basis der Ansprüche 1 bis 20 gemäß Hauptantrag, eingereicht mit Schreiben vom 17. Januar 2006, und einer gegebenenfalls daran anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten.