T 1317/08 15-05-2012
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Wertdokument
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die europäische Patentanmeldung Nr. 02 790 486 wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit zurückzuweisen (Artikel 56 EPÜ 1973).
II. Der Beschwerdeführer beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent mit folgender Fassung zu erteilen:
Beschreibung: Seiten 1-35
Ansprüche: 1-19 des Hauptantrags
Zeichnungen: Blatt 1/10-10/10,
wie eingereicht in der mündlichen Verhandlung.
III. Die unabhängigen Ansprüche lauten:
"1. Sicherheits- oder Wertdokument (1) mit mindestens einem im Stichtiefdruck hergestellten, ein Motiv räumlich darstellenden Halbtonbild, wobei das Halbtonbild in wenigstens einem Teilbereich des Bildes direkt aneinander grenzende vollflächig bedruckte Teilflächen (6-10) umfasst, die jeweils einen bestimmten Tonwert aufweisen, wobei sich mindestens drei der bedruckten Teilflächen durch ihren bestimmten Tonwert voneinander unterscheiden und wenigstens ein Teilbereich des Bildes taktil wahrnehmbar ist."
"12.Stichtiefdruckplatte (30) zum Herstellen eines Sicherheits- oder Wertdokuments durch Bedrucken mit einem ein Motiv räumlich darstellenden Halbtonbild mittels wenigstens einem gravierten Bereich in der Druckplattenoberfläche, wobei der gravierte Bereich zumindest in einem Teilbereich direkt aneinander grenzende Teilflächen (31 bis 34) mit jeweils einer bestimmten Gravurtiefe für einen vollflächigen Druck aufweist, wobei sich mindestens drei der Teilflächen durch ihre bestimmte Gravurtiefe voneinander unterscheiden."
"15.Verfahren zur Herstellung eines Sicherheits- oder Wertdokuments mit einem ein Motiv räumlich darstellenden Halbtonbild, umfassend folgende Schritte:
a) Bereitstellen eines Datenträgermaterials für ein Sicherheits- oder Wertdokument,
b) Herstellen einer Stichtiefdruckplatte (30) gemäß Anspruch 12 oder 13 und
c) Bedrucken des Datenträgermaterials mit der in Schritt b) hergestellten Stichtiefdruckplatte."
"16.Verfahren zur Herstellung einer Stichtiefdruckplatte (30) für die Herstellung eines Sicherheits- oder Wertdokuments mit einem ein Motiv räumlich darstellenden Halbtonbild, umfassend folgende Schritte:
a) Umsetzen einer ein Motiv räumlich darstellenden Halbtonbildvorlage in Teilflächen,
b) Zuordnen von bestimmten Tonwerten zu den einzelnen Teilflächen,
c) Zuordnen von bestimmten Gravurtiefen zu den Tonwerten für einen vollflächigen Druck,
d) Gravieren der Teilflächen mit der zugeordneten Gravurtiefe in die Druckplattenoberflache derart, dass zumindest in einem Teilbereich gravierte Teilflachen unmittelbar aneinander grenzen und sich mindestens drei der gravierten Teilflächen durch ihre bestimmte Gravurtiefe voneinander unterscheiden."
IV. Folgende Druckschriften werden in dieser Entscheidung benannt:
D1: DE 198 45 436 A
D4: WO 01/72525 A
V. Die Prüfungsabteilung fand in ihrer Entscheidung, dass die Stichtiefdruckplatte gemäß Anspruch 12 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Ausgehend von Dokument D1, unterscheide sich die beanspruchte Druckplatte von dieser Offenbarung dadurch, dass mindestens drei unterschiedliche Gravurtiefen vorlägen und dass das Halbtonbild ein Motiv räumlich darstelle. Die Prüfungsabteilung sah die Aufgabe der Erfindung darin, eine Stichtiefdruckplatte zur Verfügung zu stellen, welche eine aufwendigere und für den Betrachter ansprechendere Darstellung von Druckbildern erlaube. Vor diese Aufgabe gestellt, würde der Fachmann versuchen eine druckgraphische Darstellung zu erreichen, welche beim Betrachter einen optischen Eindruck erzeuge, der einer Fotographie nahe komme. Er würde das in D1 offenbarte Verfahren mit nur zwei unterschiedlichen Gravurtiefen auf drei oder noch mehr weiterbilden, um so eine präzisere Tonwerttrennung zu ermöglichen. Er würde ferner darauf achten, einen möglichst echt wirkenden, räumlichen Eindruck entstehen zu lassen, um die auf Banknoten traditionell dargestellten Motive wie Gebäude oder Portraits wiederzugeben.
VI. Der Beschwerdeführer führte im Wesentlichen folgendes aus:
- Dokument D4 und nicht Dokument D1 bilde den nächstliegenden Stand der Technik, da es einerseits zeitlich näher am Zeitrang der vorliegenden Anmeldung liege und andererseits die Lehre der Dl weiterbilde.
- Die Prüfungsabteilung sei durch eine rückschauende Betrachtungsweise zu dem Ergebnis gekommen, dass der Fachmann ausgehend vom Dokument Dl unmittelbar zum Gegenstand der vorliegenden Anmeldung kommen würde. Wie aber die D4 zeige, sei es tatsächlich so, dass der Fachmann zur Erzeugung aufwendiger Druckbilder solche erzeugen würde, wie sie in der D4 in den Figuren gezeigt seien. Das in der D4 gezeigte Portraitbild sei jedoch in konventioneller Stichtiefdrucktechnik umgesetzt; dies bedeute, dass unterschiedliche Farbtöne bzw. Helligkeiten durch Linienraster mit variierendem Linienabstand oder variierender Linienbreite wiedergegeben werden.
- Gehe man von der D4 als nächstliegendem Stand der Technik aus, so sei der D4 kein Hinweis auf die beanspruchte Erfindung zu entnehmen, die D4 führe vielmehr von der Erfindung weg.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ 1973)
2.1 Dokument D4 offenbart einen im Stichtiefdruck bedruckten Datenträger 1, z. B. ein Sicherheits- oder Wertdokument, der verschiedene Typen von Aufdrucken aufweist. Das Druckbild 5 zeigt beispielweise ein Portraitbild in konventioneller Stichtiefdrucktechnik, wobei unterschiedliche Farbtöne bzw. Helligkeiten durch Linienraster mit variierenden Linienabstand oder variierender Linienbreite wiedergegeben werden. Ferner enthält der Datenträger ein im Offsetdruck erzeugtes Hintergrundmuster 7 feiner Linien und eine im Buchdruck aufgebrachte Seriennummer 8 (Seite 9, Zeilen 7 bis 26; Figur 1).
Der für die D4 erfindungsrelevante technische Beitrag besteht in einer vollständig mit Farbe bedruckten Fläche 2, die durch eine ebenfalls mit einer geschlossenen Farbschicht bedruckten Teilfläche 3 umschlossen ist, wobei beide Flächen im Stichtiefdruck mit unterschiedlich dicken Farbschichten bedruckt wurden. Dies macht beide Flächen voneinander visuell unterscheidbar, da zwischen der Fläche 2 und der Teilfläche 3 ein Helligkeits- bzw. Farbkontrast besteht (Seite 9, Zeilen 7 bis 26; Figur 1, wobei die Bezugszeichen 2 und 3 in Figur 1 anscheinend vertauscht sind).
Die vollständig bedruckten Flächen 2 und 3 werden mittels einer Stichtiefdruckplatte erzeugt, die entsprechende Flächen mit unterschiedlicher Gravurtiefe beinhaltet. Die unterschiedlich tiefen Flächen der Druckplatte nehmen unterschiedliche Mengen Drucktinte auf und erzeugen so ein Druckbild mit Flächen unterschiedlicher Helligkeit oder Farbtönung und unterschiedlichem Relief, der auch taktil wahrnehmbar ist. In der Druckplatte befindet sich zwischen den Flächen mit unterschiedlicher Gravurtiefe eine Trennkante, die sich bis zur Druckplatteoberkante oder geringfügig darunter erstreckt und somit verhindert, dass die unmittelbar angrenzenden Farbschichten entlang ihrer Grenzlinie ineinander fließen (Seite 6, Zeile 14 bis Seite 7, Zeile 19).
Die in D4 offenbarten Stichtiefdruckplatten weisen jedoch Flächen mit nur zwei verschiedenen Gravurtiefen auf, die entsprechend nur zwei unterschiedlich dicke Farbschichten erzeugen können (Figur 3, Farbschichten 13 und 14).
Das durch die Flächen 2 und 3 dargestellte Zeichen kann ein beliebiges geometrisches Element mit z. B. kreisförmiger, drei- oder viereckiger oder asymmetrischer Umrissstruktur, ein Bildzeichen, Schriftzeichen oder sonstiges Symbol sein (Seite 2, Zeilen 21 bis 28; Seite 4, Zeile 24 bis Seite 5, Zeile 9).
2.2 Entsprechende Stichtiefdruckplatten sind auch aus D1 bekannt (Spalte 1, Zeilen 3 bis 9; Spalte 2, Zeilen 15 bis 53; Spalte 2, Zeile 65 bis Spalte 3, Zeile 4; Spalte 3, Zeile 62 bis Spalte 4, Zeile 4; Spalte 4, Zeilen 16 bis 22; Figur 1 bis 3).
D1 offenbart ferner, dass die dargestellten Motive ein Muster, ein Bild- oder Schriftzeichen darstellen oder auch ein regelmäßiges Raster bilden können (Spalte 4, Zeilen 16 bis 22).
Auch Dokument D1 offenbart Stichtiefdruckplatten, die nur zwei unterschiedliche Gravurtiefen aufweisen (Spalte 2, Zeilen 49 bis 53; Figuren 1 bis 3).
2.3 Die Kammer teilt die Auffassung des Beschwerdeführers, dass Dokument D4 den nächstliegenden Stand der Technik darstellt, da dieses Dokument, anders als Dokument D1, eine räumliche Darstellung eines Bildmotivs offenbart.
2.4 Die Stichtiefdruckplatte gemäß Anspruch 12 unterscheidet sich deshalb von der aus der D4 bekannten Stichtiefdruckplatte dadurch, dass
a) das Halbtonbild ein Motiv räumlich darstellt, und dass
b) Teilflächen mit mindestens drei unterschiedlichen Gravurtiefen vorliegen.
2.5 Die räumliche Darstellung eines Motivs durch ein Halbtonbild, das mittels vollflächig bedruckter Teilflächen dargestellt wird, ist ein Merkmal, das technischen Charakter besitzt, da es nicht den Inhalt des Motivs betrifft sondern die Art wie das Motiv dargestellt wird, wobei der Eindruck einer räumlichen Ausdehnung des Motivs das zu erzielende Ergebnis ist. Dieses Ergebnis kann unterschiedlich erzeugt werden, im vorliegenden Fall durch vollständig bedruckte Teilflächen. Ein räumlicher Eindruck kann jedoch auch anders erzeugt werden, z. B. durch Schattierungen bei einer Linienzeichnung.
2.6 Die Aufgabe der vorliegenden Erfindung wird in der Anmeldung wie folgt dargestellt: ein Sicherheits- oder Wertdokument mit erhöhter Fälschungssicherheit bereitzustellen, das sowohl ein taktiles wie auch ein drucktechnisch schwer nachahmbares und optisch auffälliges, da im Stichtiefdruck erzeugtes, räumlich dargestelltes Bildmotiv aufweist (Seite 4, Zeilen 19 bis 22).
2.7 Die Prüfungsabteilung sah die Aufgabe der Erfindung darin, eine Stichtiefdruckplatte zur Verfügung zu stellen, welche eine aufwendigere und für den Betrachter ansprechendere Darstellung von Druckbildern erlaube.
Die Kammer ist jedoch der Auffassung, dass diese Aufgabenstellung nicht realistisch für ein Sicherheits- oder Wertdokument ist, da das Hauptmerkmal eines Sicherheitsdokuments eine hohe Fälschungssicherheit ist. Eine ansprechendere Darstellung des Bildmotivs ist ein zusätzlicher Effekt, der zwar mitgenommen wird, jedoch nicht der auslösende Antrieb sein kann. Aus diesen Gründen geht die Kammer von der in der Anmeldung genannten Aufgabenstellung aus.
2.8 Die Kammer stimmt dem Beschwerdeführer zu, dass konventionelle räumlich darstellende Bildmotive, wie z. B. Portraits oder Landschaften, durch Stichtiefdruck dargestellt wurden, wobei jedoch die unterschiedlichen Tonwerte bzw. Helligkeiten des Bildes, wie in der D4 beschrieben, durch Linienraster mit variierendem Linienabstand oder variierender Linienbreite wiedergegeben wurden. Das vollflächige Bedrucken mittels Stichtiefdruck war auf Symbole oder Schriftzeichen beschränkt (D1, Spalte 4, Zeilen 16 bis 22; D4, Seite 4, Zeilen 24 bis 26). Obwohl die technischen Voraussetzungen für ein vollflächiges Drucken räumlich darstellender Bildmotive mittels Stichtiefdruck schon in der D1 offenbart sind, wurde weiterhin in der späteren D4 ein räumlich dargestelltes Porträt im konventionellen Stichtiefdruck, d. h. mittels Linienraster, dargestellt.
2.9 Durch ein vollflächiges Drucken räumlich darstellender Bildmotive können diese für den Betrachter ansprechbarer gestaltet werden. Sie erhöhen aber auch die Schwierigkeit dieses Sicherheitsmerkmal nachzuahmen und verringern die Möglichkeit einer Fälschung. Dies wird ferner durch die taktile Wahrnehmung des Stichtiefdruckverfahrens unterstützt. Der Stichtiefdruck ist an sich schon ein aufwendiges Verfahren, und die Anwendung auf räumlich darstellende Bildmotive erhöht dessen Schwierigkeitsgrad erheblich. Somit wird die in der Anmeldung gestellte Aufgabe durch die Druckplatte gemäß Anspruch 12 oder durch das Wertdokument des Anspruchs 1 tatsächlich gelöst. Es handelt sich nicht um eine willkürliche Maßnahme, die keinen technischen Unterschied beinhaltet.
2.10 Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ist es unerlässlich eine rückschauende Betrachtung zu vermeiden. Dies ist besonders bei Erfindungen, die auf den ersten Blick als naheliegend erscheinen, zu beachten. Die technische Möglichkeit und das Fehlen von Hindernissen sind notwendige Voraussetzungen für die Ausführbarkeit, sind aber nicht hinreichend, um das für den Fachmann tatsächlich Realisierbare nahezulegen (T 61/90, Gründe 5.6). Dass der Fachmann theoretisch die Möglichkeit hatte die Erfindung zu realisieren bedeutet nur, dass er die notwendigen Mittel hätte verwenden können. Soll jedoch aufgezeigt werden, dass er dies tatsächlich gemacht hätte, muss im Stand der Technik ein Anhaltspunkt erkennbar sein, der den Fachmann veranlasst hätte die Mittel auch so einzusetzen ("could-would approach") (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 6. Auflage 2010, I.D.5).
2.11 Im vorliegenden Fall waren alle notwendigen technischen Mittel im Stand der Technik vorhanden. Der Fachmann hatte unzweifelhaft die Möglichkeit ohne größere Schwierigkeiten ein vollflächig bedrucktes räumliches Bildmotiv mittels Stichtiefdruck darzustellen. Er hätte es machen können. Nichtsdestotrotz fehlt im Stand der Technik jeglicher Anhaltspunkt die entsprechende Maßnahme zu ergreifen. Wie der Beschwerdeführer treffend dargestellt hat, ist in der D4 das räumliche Bildmotiv im konventionellen Stichtiefdruckverfahren dargestellt, obwohl ein vollflächiges Bedrucken von Muster oder Schriftzeichen bekannt war und auch gleichzeitig auf demselben Wertdokument verwendet wurde. Es fehlt im Stand der Technik deshalb der Hinweis, der den Fachmann veranlasst hätte, dies zu machen.
2.12 Die Kammer ist aus diesen Gründen der Auffassung, dass das Sicherheits- oder Wertdokument gemäß Anspruch 1 sowie die Stichtiefdruckplatte gemäß Anspruch 12 auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ 1973 beruhen. Aus denselben Gründen beruhen die Verfahren zur Herstellung eines Sicherheits- oder Wertdokuments bzw. einer Stichtiefdruckplatte gemäß Anspruch 15 bzw. 16 auf einer erfinderischen Tätigkeit.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent mit folgender Fassung zu erteilen:
Beschreibung: Seiten 1-35
Ansprüche: 1-19 des Hauptantrags
Zeichnungen: Blatt 1/10-10/10,
wie eingereicht während der mündlichen Verhandlung.