T 1835/08 18-11-2011
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Anhängevorrichtung für Zugfahrzeuge
Westfalia-Automotive GmbH
SCAMBIA Industrial Developments Aktiengesellschaft
Zulassung des in der mündlichen Verhandlung eingereichten Antrags (ja)
Zulässigkeit der Prüfung hinsichtlich Klarheit und unzulässiger Erweiterung bei geringfügigen Änderungen in einer Kombination erteilter Ansprüche (ja)
Klarheit und Zulässigkeit der Änderungen (ja)
Erfinderische Tätigkeit (ja)
I. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) hat am 23. September 2008 gegen die am 25. Juli 2008 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent Nr. EP 1 407 901 widerrufen wurde, Beschwerde eingelegt und gleichzeitig die Beschwerdegebühr entrichtet. Die schriftliche Begründung ist am 3. Dezember 2008 eingegangen.
II. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag sowie des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag I nicht neu sei insbesondere gegenüber den Dokumenten
D9: DE 196 54 867 C2;
D10: EP 1 142 732 A2; und
D15: DE 199 02 355 A1.
Weiterhin erachtete die Einspruchsabteilung den Ersatz des erteilten einzigen unabhängigen Anspruchs 1 durch zwei unabhängige Ansprüche gemäß Hilfsantrag II gemäß Regel 80 EPÜ als unzulässig, und den Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag III im Hinblick auf die Lehre der D15 als nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend.
III. In der Anlage zur Ladung zur mündliche Verhandlung hat die Kammer als vorläufige Meinung zu den mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträgen II und III - in Reaktion auf einen Klarheitseinwand der Beschwerdegegnerin II (Einsprechende O2) - geäußert, dass Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag II bzw. III auf einer Kombination von erteilten Ansprüchen beruhe und keine Ausnahmesituation vorzuliegen scheine, die abweichend von der allgemeinen Praxis eine Beanstandung wegen mangelnder Klarheit rechtfertigen würde.
IV. Mit Schreiben vom 5. Oktober 2011 erläuterte die Beschwerdegegnerin II nochmals ihre Klarheitseinwände zu den von der Beschwerdeführerin mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträgen II und III und wies auf Ausnahmesituationen gemäß der Rechtsprechung der Beschwerdekammern (z. B. T 1459/05 oder T 656/07) hin, wonach eine Kombination von erteilten Ansprüchen durch den Einwand mangelnder Klarheit angegriffen werden könne.
V. In ihrem Schreiben vom 18. Oktober 2011 hat sich die Beschwerdeführerin darauf bezogen und keine Veranlassung für eine Änderung der Ansprüche gesehen, gleichwohl aber ihre Bereitschaft zu einer entsprechenden Anspruchsänderung bei Abweichen der Kammer von der in der Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung geäußerten Auffassung signalisiert.
VI. Am 18. November 2011 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt.
Die Beschwerdeführerin nahm nach der Diskussion ihrer Anträge sämtliche Anträge zurück und reichte einen neuen einzigen Antrag ein. Sie beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung mit folgenden Unterlagen:
- Ansprüche 1 bis 13 gemäß einzigem Antrag, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 18. November 2011;
- Beschreibungsseiten 2 bis 9, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 18. November 2011;
- Figuren 1 bis 25 wie erteilt.
Die Beschwerdegegnerinnen I und II (Einsprechende O1 und O2) beantragten die Zurückweisung der Beschwerde.
VII. Anspruch 1 gemäß einzigem Antrag, eingereicht in der mündlichen Verhandlung, entspricht einer Kombination von Merkmalen der erteilten Ansprüche 1, 2, 5 und 8 und lautet wie folgt (die gegenüber den erteilten Ansprüchen 1, 2, 5 und 8 hinzugefügten Änderungen sind von der Kammer durch Unterstreichungen gekennzeichnet, Streichungen durch Durchstreichen und Korrekturen durch Fettdruck):
"Anhängevorrichtung für Zugfahrzeuge (2), bestehend aus einer Zugstange (8), die um mindestens eine rotatorische Achse (16,18) schwenkbar gelagert ist und von einem mechanischen Antrieb (13) zwischen einer ausgefahrenen Betriebsstellung (47) und einer eingefahrenen Ruhestellung (48) am Zugfahrzeuge (2) bewegbar ist, wobei die Anhängevorrichtung (1) eine automatische und vom mechanischen Antrieb (13) betätigbare Verriegelungsvorrichtung (56) aufweist,
[deleted: dadurch gekennzeichnet, dass ]
wobei die Verriegelungsvorrichtung (56) eine Übertragungsvorrichtung (57) aufweist zum Umsetzen der drehenden Antriebsbewegung in eine translatorische Verriegelungsbewegung für die Betätigung von formschlüssigen Riegelelementen (58,59), die an der Zugstange (8) angreifen,
dadurch gekennzeichnet, dass
die Übertragungsvorrichtung (57) ein mit dem mechanischen Antrieb (13) verbundenes Rad (68) mit mindestens einer Kulissenführung (71,80) aufweist, welches am Ende der Zugstangenbewegung die Riegelelemente (58,59) verschiebt und in sperrenden Eingriff mit der Zugstange (8) bringt,
wobei die Riegelelemente (58,59) [deleted: als Zahnleisten (60, 61) oder ]als Sperrkugeln (62,63,64,78) mit Kugelaufnahmen (65,76,79) und Kugelführungen ausgebildet sind,
wobei am Stangenende (11) [deleted: ein oder ]mehrere Kugelaufnahmen (65) für die Riegelelemente [deleted: (58) ]angeordnet sind."
VIII. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Der vorliegende Antrag sei in der mündlichen Verhandlung in Reaktion auf die in der mündlichen Verhandlung diskutierten Klarheitseinwände gegen Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag III, welcher auf einer Kombination von erteilten Ansprüchen beruhte, eingereicht worden und sei deshalb nicht als verspätet anzusehen. Außerdem sei erstmals in der mündlichen Verhandlung die erfinderische Tätigkeit ausgehend von D10 als nächstliegendem Stand der Technik in Frage gestellt worden, so dass die Einreichung eines Antrags in Reaktion auf diesen Einwand gestattet sein sollte.
Durch die im vorliegenden Anspruch 1 gewählte Reihenfolge der Merkmale der erteilten abhängigen Ansprüche 2, 5 und 8 sowie den Rückbezug auf vorher definierte Merkmale ("am Ende der Zugstangenbewegung die Riegelelemente verschiebt", "mehrere Kugelaufnahmen") und die korrigierten Bezugszeichen seien alle semantischen Probleme ausgeräumt und der Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 in sich konsistent und klar.
Es liege auch keine unzulässige Erweiterung hinsichtlich des letzten Merkmals von Anspruch 1 vor, da der Ersatz des Merkmals "Aufnahmen (65)" durch "Kugelaufnahmen (65)" schon allein durch das Bezugszeichen (65) gerechtfertigt sei, welches bereits im Streitpatent Kugelaufnahmen kennzeichnete. Außerdem könne das Merkmal "Kugelaufnahmen für die Riegelelemente" nicht in dem Sinne missverstanden werden, dass darunter eine nicht ursprünglich offenbarte Ausführungsform gemeint sei.
Die Druckschrift D10 zeige keine Sperrkugeln, sondern immer starre Verriegelungselemente nach Art einer Klauenkupplung, auch bei der in Figur 16 gezeigten Ausführungsform mit zylindrischen Zapfen als Formschlusselementen. Es gebe keine Veranlassung für den Fachmann, diese starren Elemente - wie im vorliegenden Anspruch 1 beansprucht - zu ersetzen durch Sperrkugeln mit Kugelführungen, also durch bewegliche Elemente wie durch den Begriff "Kugelführungen" angedeutet. Ein Ersatz der in D10 gezeigten Zapfen durch Kugeln beruhe auf einer rückschauenden Betrachtungsweise, da damit die Vorrichtung hinsichtlich Montage und Halterung nur verschlechtert und durch das Vorsehen von Führungen komplizierter werde. Selbst wenn man dem Fachmann zugestehen würde, die Zapfen aus D10 durch Halbkugeln zu ersetzen, so würde er keinesfalls (Voll-)Kugeln vorsehen (da diese herausfallen würden) und auch keine Kugelführungen. Außerdem weise D10 (siehe Absatz [0022] und [0023]) explizit auf die Nachteile von sich in Eingreifrichtung verjüngenden Flächen bei großen Kräften und Drehmomenten hin und schlage deshalb Formschlusselemente mit parallel zur Eingreifrichtung verlaufenden Formschlussflächen vor. Deshalb würde der Fachmann ausgehend von D10 gerade keine Kugel vorsehen, sondern an der Kraftübertragung über einen parallelen Schaft (wie realisiert durch die zylindrischen Zapfen nach Figur 16 der Druckschrift D10) festhalten. Darüber hinaus zeige D10 auch keine Kugelaufnahmen am Stangenende. Auch wenn das bereits im Einspruchsverfahren herangezogene Dokument
D12: EP 1 084 871 A2
eine Dreikugelverriegelung offenbare, so sei eine Kombination von D10 mit D12 unvereinbar auf Grund der unterschiedlichen Bewegungskinematik. Auch könne die in D10 gezeigte Gewindespindel nicht als Kulissenführung im beanspruchten Sinne angesehen werden, denn in D10 werde allenfalls über ein Gewinde eine Zugstange bewegt bzw. verschoben, aber keine Riegelelemente, und es sei der Druckschrift D10 auch nicht zu entnehmen, dass damit Riegelelemente in Eingriff mit der Zugstange gebracht würden. Beansprucht sei aber gerade, dass das Rad Riegelelemente verschiebe und in Eingriff mit der Zugstange bringe.
D15 werde als fernliegend angesehen:
Es erfolge in D15 keine Umsetzung einer drehenden Antriebsbewegung in eine translatorische Verriegelungsbewegung, da die Spannkraft zum Verriegeln durch eine Spannkrafterzeugungseinheit, also durch einen eigenen und zweiten Antrieb neben dem in D15 vorgesehenen Motor, aufgebracht werde. Dabei laufe die Verriegelungsbewegung in D15 nach dem Auslösen der Spannkrafterzeugungseinheit eigenständig und entkoppelt von der Drehbewegung des motorischen Antriebs ab.
Außerdem zeige D15 allenfalls eine einzige Sperrkugel und eine Kugelaufnahme, wobei letztere aber nicht an der Kugelstange sondern an dem separaten, schräg angesetzten konischen Schwenkteil angeordnet sei. Zudem werde in D15 nur eine einzige Spannkrafterzeugungseinheit gezeigt, und der Fachmann würde keine Mehrfachanordnung von Sperrkugeln oder auch von Spanneinheiten bei der gezeigten Konstruktion mit schräger Drehachse vorsehen.
Der in D15 gezeigte Exzenternocken sei nicht als Rad mit Kulissenführung anzusehen. Insbesondere sei auch keine Ausbildung der Übertragungsvorrichtung aus D15 bekannt oder herleitbar, welche wie im vorliegenden Anspruch 1 direkt an den Riegelelementen angreife und diese verschiebe.
In D9 werde eine Verriegelungsvorrichtung gezeigt, welche durch Drehen eines Zapfens einen Sperrkonus vor und zurück bewege und so den Sperrkonus in die Verriegelungsöffnung einer Platte einfahre. Mit diesem Sperrkonus werde sowohl eine Führungsfunktion als auch eine Verriegelungsfunktion realisiert. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb der Fachmann ausgehend von D9 eine Verriegelung mittels Sperrkugel vorsehen würde, da diese nur die Funktion der Verriegelung übernehmen würde und zusätzlich noch für eine Führung der Kugel gesorgt werden müsse. Dazu biete die in D9 offenbarte Anordnung auch nicht genügend Platz.
Letztlich zeige keine einzige der im Verfahren befindlichen Druckschriften ein mit dem mechanischen Antrieb verbundenes Rad mit Kulissenführung, welches Riegelelemente verschiebe und in Eingriff mit der Zugstange bringe.
IX. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin I (Westfalia) kann wie folgt zusammengefasst werden:
Mit dem Ziel, Klarheitsprobleme in Bezug auf den mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsantrag III auszuräumen, sei der vorliegende einzige Antrag erst während der mündlichen Verhandlung vorgelegt worden. Dieser Antrag sei verspätet vorgelegt, da ein Klarheitseinwand bereits in der Beschwerdeerwiderung der Beschwerdegegnerin II erhoben worden und deshalb schon lange im Verfahren gewesen sei.
Auch wenn Anspruch 1 gemäß vorliegendem Antrag klarstelle, dass immer die gleichen Riegelelemente gemeint seien, seien die Riegelelemente immer noch definiert als "Sperrkugeln mit Kugelaufnahmen und Kugelführungen". Die am Stangenende angeordneten "Kugelaufnahmen für die Riegelelemente" könnten jedoch auch auf weitere bzw. andere Kugelaufnahmen als die zuvor definierten Kugelaufnahmen hindeuten.
Die in der Druckschrift D10 in Zusammenhang mit dem ersten Ausführungsbeispiel gemäß Figur 4 angesprochene einstückige Ausführung von Schwenkelement 60 und Kugelhals bzw. Stangenende 10 gelte auch für das in Figur 5 gezeigte zweite Ausführungsbeispiel. Im Übrigen sei das im vorliegenden Anspruch 1 definierte Stangenende sehr vage, so dass das in D10 gezeigte Schwenkelement als zum Stangenende gehörig anzusehen sei. Ein formschlüssiges Verriegeln mittels Kugeln sei auf dem Gebiet der Anhängekupplungen gängige Praxis und beispielsweise in D12 gezeigt. Das beanspruchte und im Streitpatent nicht näher dargestellte Merkmal einer Kugelführung sei bereits durch einen schrägen Einlauf einer Kugelaufnahme realisierbar, so dass es ausgehend von Figur 16 der Druckschrift D10 naheliegend sei, Kugeln statt Zapfen sowie Kugelaufnahmen statt Sacklöcher vorzusehen und die Kugelaufnahmen am Ende etwas breiter auslaufen zu lassen zur Bildung von entsprechenden Kugelführungen. Der vorliegende Anspruch 1 setze keine frei beweglichen Kugeln voraus, sondern es sei denkbar, dass die Kugeln wie die Zapfen in D10 fest am Träger sitzen; ein äquivalenter Ersatz von Zapfen bzw. Bolzen durch Kugeln werde z. B. durch die Druckschrift D12 nahegelegt. Im vorliegenden Anspruch 1 werde auch keine Interaktion zwischen Riegelelement und Kulissenführung definiert.
In D15 werde in Gestalt eines Antriebsnockens 428 sowie eines Kipphebels 434 und eines Zugseils 152 eine Übertragungsvorrichtung zum Umsetzen der vom Antriebsmotor stammenden Drehbewegung in eine translatorische Bewegung der Spannkrafterzeugungseinheit 120 realisiert. D15 zeige bereits eine Sperr- bzw. Verriegelungskugel und eine Kugelaufnahme, wobei das Vorhandensein mehrerer Kugeln und Kugelaufnahmen keine erfinderische Tätigkeit begründen könne, z. B. angesichts der Lehre gemäß der Druckschrift D12. Es wäre auch keine Schwierigkeit für den Fachmann, an dem in D15 gezeigten Kipphebel mehrere Seilzüge anzubringen, wenn mehrere Kugeln zur Verriegelung vorgesehen seien. Außerdem sei die in D15 gezeigte Antriebsnocke im weitesten Sinne als Rad aufzufassen, welche über die Spannkrafterzeugungseinheit auf die Verriegelungskugel wirke und diese in sperrenden Eingriff mit der Zugstange bringe.
Wenn der in D9 gezeigte Sperrkonus auf eine Sperrkugel einwirken würde, erhalte man einen Verdrängermechanismus wie bei einer bekannten Anhängevorrichtung mit Sperrkugelverriegelung (siehe z. B. in D12), bei der Sperrkugeln über konische Flächen betätigt würden, was in D15 beispielsweise durch einen die Sperrkugel verdrängenden Keil gezeigt sei. Denkbar sei eine Variante, bei der die Kugel am Sperrkonus angeformt sei. Der Fachmann wäre zu einer solchen Modifikation veranlasst, da ein Bolzen zwar hohe Querkräfte aufnehmen könne aber gleichzeitig oft schlecht lösbar sei; eine Kugel sei hingegen billig und gut lösbar.
X. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin II (Scambia) kann wie folgt zusammengefasst werden:
Das Merkmal "welches die Riegelelemente verschiebt" im vorliegenden Anspruch 1 sei unklar, da einerseits die Riegelelemente als Sperrkugeln mit Kugelaufnahmen und Kugelführungen definiert seien, andererseits nach Absatz [0041] die Riegelelemente als Sperrkugeln ausgebildet seien.
In der Änderung des letzten - auf Anspruch 8 wie erteilt zurückgehenden - Merkmals (d. h. "Aufnahmen für die Riegelelemente") im vorliegenden Anspruch 1 in "Kugelaufnahmen für die Riegelelemente" werde ein Problem in Bezug auf Artikel 123 (2) EPÜ gesehen.
Die Ausbildung der Riegelelemente als Kugelkappe und Kugelaufnahme sei nur eine spezielle Form der in D10 gezeigten, sich in Eingreifrichtung verjüngenden Formschlusselemente und damit durch D10 zumindest nahegelegt, insbesondere da die exemplarisch in D10 genannte parabolische und hyperbolische Form der sich in Eingreifrichtung verjüngenden Formschlussflächen einer Kugelform beliebig nahe kämen. Da auch das Streitpatent Zähne und Kugeln als äquivalente Ausführungsbeispiele zeige, sei nicht nachvollziehbar, wieso ein Ersatz der in D10 in Figur 16 gezeigten Zapfen durch Kugeln eine Verschlechterung darstelle, insbesondere wenn der Fachmann handelsübliche Kugeln einsetze und damit aufwendig anzuformende Zapfen ersetze. Aus dem Wortlaut des vorliegenden Anspruchs 1 sei nicht ableitbar, dass die Kugeln beweglich sein müssten.
D10 offenbare zudem in den Absätzen [0033] und [0052] ein Keilgetriebe zum Bewegen der Formschlusselemente, wobei darunter ein Getriebe mit einer schräg zu ihrer Bewegungsrichtung verlaufenden Keilfläche zu verstehen sei. Somit zeige D10 ein Rad mit mindestens einer Kulissenführung, welches am Ende der Zugstangenbewegung Riegelelemente verschiebe und in sperrenden Eingriff mit der Zugstange bringe, insbesondere da gemäß Streitpatent eine Kulissenführung nichts anderes sei als eine schräg zur Dreh- bzw. Bewegungsrichtung des Rades verlaufende Keilfläche an diesem Rad. Außerdem seien die in Anspruch 1 verwendeten Begriffe wie "Rad" und "Kulissenführung" derart vage, dass die in Figur 5 oder Figur 11 der D10 gezeigte Gewindespindel als Kulissenführung aufzufassen sei; beispielsweise sei in Figur 11 ein Zahnrad 170 und eine auf einen Stellantrieb wirkende Gewindespindel 182 gezeigt, oder in Figur 5 ein auf eine Gewindespindel 98/100 wirkendes Zahnrad 56, was als "Kulissenführung" aufzufassen sei, denn damit werde der Bolzen/Lagerzapfen 38 und damit das Schwenkteil 60 verschoben. Im Übrigen seien die in dem vorliegenden Anspruch 1 gegenüber der erteilten Fassung aufgenommenen zusätzlichen Merkmale nur zusammengewürfelt, da beispielsweise die Merkmale der erteilten abhängigen Ansprüche 2 und 8 nichts miteinander zu tun hätten.
Da die Arbeitsweise der Übertragungsvorrichtung in Anspruch 1 nicht näher spezifiziert sei, falle jede Übertragungsvorrichtung zum Umsetzen einer drehenden Antriebsbewegung in eine translatorische Verriegelungsbewegung - auch bei Zwischenschaltung einer Spannkrafterzeugungseinheit - unter die gewählte Formulierung. In D15 werde die drehende Antriebsbewegung des Drehantriebs 422 mit dem Getriebe 424 durch das Zusammenwirken des Nockens 428 mit dem Hebel 434 in eine translatorische Verriegelungsbewegung (unter Zuhilfenahme einer Feder) umgesetzt. D15 zeige auch eine in einer Führungsbüchse 74 bewegliche und in Eingriff mit einer Aufnahme 66 zu bringende Kugel 60, wobei das Vorsehen mehrerer Sperrkugeln - auch mit parallelen Seilzügen zu mehreren Spannkrafterzeugungseinheiten - keine Erfindungshöhe begründen könne. Da D15 auch eine Aussparung 270 zur Aufnahme des kugelförmig ausgebildeten Endes eines Festleghebels 272 zeige, seien auch mehrere Aufnahmen am Stangenende vorgesehen, nämlich die Aufnahmen 66 oder 66' für die Verriegelung in Arbeitsstellung und die Aufnahme 270 für die Verriegelung in Ruhestellung. Der Einsatz mehrerer Sperrkugeln und somit mehrerer Kugelaufnahmen an einem Stangenende sei in jedem Fall durch die Druckschrift D12 nahegelegt. Der in den Figuren 24 und 26 der Druckschrift D15 offenbarte Nocken 428 stelle ein mit dem mechanischen Antrieb verbundenes Rad mit Kulissenführung dar, welches synchron mit der Zugstangenbewegung eine Verschiebung der Riegelelemente veranlasse.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Zulassung des vorliegenden Antrags in das Verfahren
Es steht gemäß der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern des EPA (VOBK, ABl. EPA 2007, 536) im Ermessen der Kammer, Änderungen des Vorbringens der Beteiligten nach Einreichung ihrer Beschwerdebegründung oder Erwiderung - unter Berücksichtigung von Komplexität des neuen Vorbringens, Stand des Verfahrens und gebotener Verfahrensökonomie - zuzulassen und zu berücksichtigen (Artikel 13 (1) VOBK). Änderungen des Vorbringens nach Anberaumen der mündlichen Verhandlung werden zudem nicht zugelassen, wenn sie Fragen aufwerfen, deren Behandlung der Kammer oder den anderen Beteiligten ohne Verlegung der mündlichen Verhandlung nicht zuzumuten ist (Artikel 13 (3) VOBK).
Der vorliegende einzige Antrag wurde in Reaktion auf die während der mündlichen Verhandlung geführte Diskussion hinsichtlich der von den Beschwerdegegnerinnen erhobenen Klarheitseinwände gegenüber dem mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsantrag III vorgelegt. Die Beschwerdeführerin wurde dabei erstmals mit der von der Kammer angesprochenen Frage konfrontiert, ob eine Kombination von erteilten Ansprüchen in einer geänderten Reihenfolge wie erteilt - gemäß dem mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsantrag III - eine sachliche Änderung gegenüber dem erteilten Patent bedeuten könne, wenn durch diese geänderte Reihenfolge eine Merkmalskombination entsteht, die so in der erteilten Fassung nicht vorhanden war. Die Einreichung des vorliegenden Antrags ist somit als unmittelbare Reaktion auf die Einwände der Kammer anzusehen.
Es ist zwar einzuräumen, dass die Beschwerdegegnerin II bereits in der Beschwerdeerwiderung auf Inkonsistenzen in Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag II und III hingewiesen hat. Allerdings hat die Kammer in der Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung die vorläufige Meinung vertreten, dass Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag II und III auf einer Kombination von erteilten Ansprüchen beruhe und keine Ausnahmesituation vorzuliegen scheine, die abweichend von der allgemeinen Praxis eine Beanstandung wegen mangelnder Klarheit rechtfertigen würde, so dass für die Beschwerdeführerin - wie auch in ihrem Schreiben vom 18. Oktober 2011 angedeutet - nachvollziehbar keine Veranlassung für eine Änderung der Ansprüche bestand. Es konnte also auf Grund des dargestellten Verfahrensverlaufs nicht erwartet werden, dass die Beschwerdeführerin früher auf den Klarheitseinwand einer Beschwerdegegnerin durch Vorlegen eines geänderten Antrags hätte reagieren müssen.
Im Übrigen hat die Beschwerdeführerin durch Einreichen des vorliegenden Antrags zum einen versucht, die vorgebrachten Klarheitseinwände in einer unmittelbaren Reaktion auf die geänderte Sachlage zu entkräften und somit in verfahrensökonomischer Weise reagiert, zum anderen entsprechen die Merkmale des vorliegenden Anspruchs 1 im Wesentlichen den in Bezug auf Hilfsantrag III diskutierten Merkmalen, so dass keine neuen Fragen hinsichtlich der Patentfähigkeit des Anspruchs 1 aufgeworfen werden.
Aus diesen Gründen hat die Kammer den erst in der mündlichen Verhandlung vorgelegten einzigen Antrag in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 13 (1) VOBK in das Verfahren zugelassen. Im Übrigen war es nach Auffassung der Kammer allen Beteiligten zuzumuten, sich mit den zu diskutierenden Fragen während der mündlichen Verhandlung zu befassen, so dass eine Anwendung von Artikel 13 (3) VOBK nicht in Betracht kam.
3. Klarheit (Artikel 84 EPÜ 1973) und Zulässigkeit der Änderungen (Artikel 123 EPÜ)
3.1 Anspruch 1 gemäß dem vorliegenden einzigem Antrag geht aus einer Kombination der erteilten Ansprüche 1, 2, 5 und 8 hervor, wobei die Ausführung der Riegelelemente als Zahnleisten nach Anspruch 5 gestrichen wurde, ebenso die Variante mit nur einer Aufnahme am Stangenende gemäß Anspruch 8. Außerdem wurden die Aufnahmen am Stangenende als Kugelaufnahmen spezifiziert, der Rückbezug auf die im Oberbegriff von Anspruch 1 definierten Riegelelemente durch die Verwendung des bestimmten Artikels "die" hergestellt und Bezugszeichen korrigiert.
3.2 In Artikel 100 EPÜ 1973 sind die Einspruchsgründe abschließend genannt. Nach ständiger Rechtsprechung können weitere Gründe, die zu einer Zurückweisung der Anmeldung im Prüfungsverfahren führen würden, im Einspruchverfahren gegen das erteilte Patent nicht geltend gemacht werden. Der Einwand der mangelnden Klarheit ist demnach kein Einspruchsgrund und kann deshalb gegen Ansprüche der erteilten Fassung des Patents nicht erhoben werden (so z.B. Entscheidung T 23/86 (ABl. EPA 1987, 316), die in zahlreichen Entscheidungen der Beschwerdekammern bestätigt wurde).
3.3 Nimmt jedoch die Patentinhaberin Änderungen gegenüber der erteilten Fassung des Patents vor und beantragt sie die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung, so sind die Einspruchsabteilung und die Beschwerdekammer im Einspruchsbeschwerdeverfahren gemäß Artikel 101 (3) a) EPÜ (entspricht dem Artikel 102 (3) EPÜ 1973) zuständig und befugt, diese Änderungen in vollem Umfang auf die Erfüllung der Erfordernisse des EPÜ zu prüfen (G 9/91, ABl. EPA 1993, 408, Nr. 19 der Entscheidungsgründe). Dabei können nach ständiger Rechtsprechung auch Erteilungsvoraussetzungen, die keine Einspruchsgründe sind, überprüft werden. Deshalb können Änderungen des Patents hinsichtlich der Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ 1973 überprüft werden.
3.4 Die Struktur der erteilten Ansprüche des vorliegenden Patents setzt eine direkte Abhängigkeit des Anspruchs 2 von Anspruch 1 voraus, während Anspruch 5 bzw. 8 sowohl direkt von Anspruch 1 als auch von Anspruch 2 oder - im Falle von Anspruch 8 - auch von Anspruch 5 abhängen können.
Würde es sich vorliegend lediglich um eine Kombination der Anspruchsmerkmale wie erteilt in der vorgenannten Reihenfolge handeln, würde es sich auch bei Wegfall je einer der beiden in Anspruch 5 und 8 beanspruchten Varianten um eine bloße Zusammenführung des Wortlauts der erteilten Fassungen der betreffenden Ansprüche handeln. In Übereinstimmung mit der gefestigten Rechtsprechung (siehe z.B. die im ABl. EPA nicht veröffentlichten Entscheidungen T 381/02, Nr. 2.3.7 der Entscheidungsgründe und T 1855/07, Nr. 2.2 bis 2.4 der Entscheidungsgründe) kann eine derartige Kombination nicht als sachliche Änderung angesehen werden, die einen Klarheitseinwand unter Artikel 84 EPÜ 1973 bei der Kombination von erteilten Ansprüchen erlauben würde. Die von der Beschwerdegegnerin II im schriftlichen Verfahren angeführten Entscheidungen T 1459/05 oder T 656/07 (nicht veröffentlicht) betreffen spezielle, im vorliegenden Fall nicht zutreffende Ausnahmesituationen.
Im vorliegenden Fall wurden jedoch Änderungen gegenüber den erteilten Ansprüchen durch die Einfügung des bestimmten Artikels "die" vor "Riegelelemente" sowie die Verwendung des Begriffs "Kugelaufnahmen" anstelle von "Aufnahmen" vorgenommen, die in vollem Umfang auf die Erfordernisse des EPÜ (z.B. auch des Artikels 84 EPÜ 1973) zu prüfen sind.
Die Einfügung des bestimmten Artikels ("welches am Ende der Zugstangenbewegung die Riegelelemente verschiebt") bedeutet im Vergleich zum entsprechenden Merkmal ohne bestimmten Artikel im erteilten Anspruch 2, dass die durch eine translatorische Verriegelungsbewegung betätigten formschlüssigen und an der Zugstange angreifenden Riegelelemente gemäß Anspruch 1 wie erteilt eingeschränkt werden auf die im erteilten Anspruch 2 definierte Ausführungsform (also auf Riegelelemente, die am Ende der Zugstangenbewegung durch ein Rad mit Kulissenführung verschoben und in sperrenden Eingriff mit der Zugstange gebracht werden, wie in den Ausführungsbeispielen mit Sperrkugeln gezeigt).
Während die Ausführungsform gemäß Anspruch 2 wie erteilt (ohne den bestimmten Artikel "die") noch offen lässt, ob nur die im erteilten Anspruch 1 definierten formschlüssigen Riegelelemente oder auch andere Riegelelemente verschoben werden, ist jetzt klar, welche Riegelelemente gemeint sind: es werden die im Oberbegriff von Anspruch 1 definierten formschlüssigen Riegelelemente verschoben.
Durch die Definition von "Kugelaufnahmen" (anstelle von "Aufnahmen") für die Riegelelemente am Stangenende erfolgt eine Einschränkung auf die im Streitpatent vorgestellte bevorzugte Ausführungsform mit als Sperrkugeln ausgebildeten Riegelelementen (siehe Streitpatent, Spalte 10, Zeilen 12 bis 13: "Am Stangenende (11) sind ein oder mehrere vertiefte Aufnahmen, vorzugsweise Kugelaufnahmen (65), angeordnet").
Somit bedeuten die genannten Änderungen lediglich eine Einschränkung des beanspruchten Gegenstands gemäß Anspruch 1 des vorliegenden Antrags gegenüber der erteilten Anspruchsfassung und erfüllen die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ 1973.
Hingegen wurde in Anspruch 5 wie ursprünglich eingereicht das Bezugszeichen 78 irrtümlicherweise sowohl für Sperrkugeln als auch für Kugelaufnahmen verwendet. Aus der ursprünglich eingereichten Bezugszeichenliste in der Beschreibung sowie den Figuren ergibt sich jedoch eindeutig, dass das Bezugszeichen 78 "Sperrkugeln" bezeichnet und für die "Kugelaufnahmen" die Bezugszeichen 65, 76 und 79 verwendet werden. Folglich handelt es sich bei dem Bezugszeichen 78 für "Kugelaufnahmen" um einen offensichtlichen Schreibfehler. Nach Auffassung der Kammer sind damit die Voraussetzungen für eine Berichtigung im vorliegenden Anspruch 1 gemäß Regel 139 EPÜ erfüllt, d. h. die Korrektur des Bezugszeichens 78 in 76 stellt keine Änderung dar.
3.5 Seitens der Beschwerdegegnerinnen I und II wurde zwar angeführt, dass die Riegelelemente immer noch als Sperrkugeln mit Kugelaufnahmen und Kugelführungen definiert seien. Damit sei das Merkmal "welches die Riegelelemente verschiebt" so aufzufassen, dass die Sperrkugeln mit Kugelaufnahmen und Kugelführungen verschoben würden, was im Widerspruch zu Absatz [0041] der Beschreibung des Streitpatents stünde, wonach die Riegelelemente als Sperrkugeln ausgebildet seien. Da die betreffenden Merkmale auf den erteilten Ansprüchen 2 und 5 beruhen, stellt dieser Einwand einen Klarheitseinwand gegenüber erteilten Ansprüchen dar. Dieser Einwand ist im Fall des vorliegenden Antrags aber weder zulässig noch begründet:
Wie bereits weiter oben ausgeführt stellt Anspruch 1 eine bloße Zusammenführung des Wortlauts der erteilten Ansprüche 1, 2, 5 und 8 dar, woran auch die Streichung von Alternativen aus den Unteransprüchen nichts ändert.
Dies führt zu keiner sachlichen Änderung, die einen Klarheitseinwand rechtfertigen könnte, da für den mit Sachverstand lesenden Fachmann in Zusammenschau der Merkmale des vorliegenden Anspruchs 1 klar ist, dass nur die Sperrkugeln die (gemäß Oberbegriff von Anspruch 1) von der Übertragungsvorrichtung betätigten formschlüssigen Riegelelemente und (gemäß dem kennzeichnenden Teil) vom Rad mit Kulissenführung verschobenen Riegelelemente sein können, was diese - wie beansprucht - "in sperrenden Eingriff mit der Zugstange bringt"; nur mit dieser Auslegung macht auch das Merkmal Sinn, dass "am Stangenende mehrere Kugelaufnahmen für die Riegelelemente angeordnet sind" (eine "Führung" ermöglicht nur eine Verschiebung, und eine "Aufnahme" entspricht dem Sitz im verriegelten Zustand).
Dies wird auch durch die von der Beschwerdegegnerin II angeführte Textstelle in Absatz [0041] der Beschreibung des Streitpatents gestützt ("sind die Riegelelemente als Sperrkugel (62,63,64) ausgebildet, wobei ihre translatorische Verriegelungsbewegung durch konzentrisch gebogene Kulissenführungen (71) am Zahnrad (68) bewirkt wird").
Das Merkmal, dass "die Riegelelemente als Sperrkugeln mit Kugelaufnahmen und Kugelführungen ausgebildet sind", ist also im Zusammenhang mit den übrigen Merkmalen so zu verstehen, dass "die Riegelelemente als Sperrkugeln ausgebildet sind" und zusätzlich noch "mit Kugelaufnahmen und Kugelführungen" zusammenwirken.
Damit ist auch klar, dass die am Stangenende definierten "Kugelaufnahmen für die Riegelelemente" sich auf die vorher in Zusammenhang mit den Sperrkugeln definierten Kugelaufnahmen beziehen. Ob am Stangenende auch weitere bzw. andere Kugelaufnahmen angeordnet sein können, wie von der Beschwerdegegnerin I behauptet, ist keine Frage der Klarheit sondern der Breite des Schutzbereiches.
3.6 Anspruch 1 gemäß vorliegendem Antrag erfüllt die Erfordernisse des Artikels 123 (2) und (3) EPÜ, denn er stellt eine Kombination der erteilten Ansprüche 1, 2, 5 und 8 dar unter Beschränkung auf jeweils eine der im erteilten Anspruch 5 bzw. 8 definierten Alternativen. Die zusätzliche Spezifizierung der in dem erteilten Anspruch 8 definierten "Aufnahmen" als "Kugelaufnahmen" ergibt sich zwangsläufig, wenn sich Anspruch 8 auf die Merkmale von Anspruch 5 zurückbeziehen soll, und ist auch wörtlich in der Beschreibung der ursprünglich eingereichten Anmeldung offenbart (siehe A-Publikation Absatz [0043] bzw. Seite 16, Zeilen 4 bis 5 der ursprünglich eingereichten Unterlagen: "Am Stangenende (11) sind Aufnahmen, vorzugsweise Kugelaufnahmen (65), angeordnet"), so dass sich, entgegen der Behauptung der Beschwerdegegnerin II, kein Problem in Bezug auf Artikel 123 (2) EPÜ ergibt. Ebenso schränkt die Einfügung des bestimmten Artikels "die" vor "Riegelelemente" gegenüber Anspruch 2 wie erteilt lediglich die Riegelelemente, die am Ende der Zugstangenbewegung verschoben und in sperrenden Eingriff mit der Zugstange gebracht werden, auf die im erteilten Anspruch 1 definierten formschlüssigen Riegelelemente ein, was auch durch den Offenbarungsgehalt der Anmeldung gestützt ist, wenn man die in der Beschreibung gezeigten Ausführungsformen mit als Sperrkugeln ausgebildeten Riegelelementen betrachtet.
4. Neuheit (Artikel 54 (1) EPÜ 1973)
Die Neuheit des Gegenstands des vorliegenden Anspruchs 1 ist gegeben und wurde seitens der Beschwerdegegnerinnen nicht mehr bestritten.
In D10 wird allenfalls (siehe Figur 16) eine Ausführungsform mit Zapfen gezeigt oder ganz allgemein von parabolischen oder hyperbolischen Formschlussflächen gesprochen. Eine Ausbildung der Formschlusselemente in Kugelform und damit eine Verriegelung mittels Sperrkugeln ist in D10 nicht gezeigt.
Die D15 zeigt zwar eine Verriegelung mittels einer (einzigen!) Sperrkugel, jedoch kann D15 keine Mehrzahl von Sperrkugeln und damit schon allein nicht der beanspruchte Plural "Riegelelemente als Sperrkugeln" entnommen werden.
5. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ 1973)
5.1 Ausgehend von D10:
5.1.1 D10 wird als nächstliegender Stand der Technik angesehen und zeigt (siehe Figur 5) eine Anhängevorrichtung für Zugfahrzeuge gemäß dem Oberbegriff des vorliegenden Anspruchs 1. Eine als Kugelhals 10 bezeichnete Zugstange wird darin von einem mechanischen Antrieb 58 zwischen einer ausgefahrenen Betriebsstellung und einer eingefahrenen Ruhestellung bewegt. Durch Betätigen des Antriebs wird die drehende Antriebsbewegung auch in eine translatorische Verriegelungsbewegung umgesetzt, wobei Formschlusselemente 70 und 80 in Eingriff miteinander gebracht werden.
5.1.2 Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich von der Einrichtung gemäß D10 durch die kennzeichnenden Merkmale von Anspruch 1.
Entgegen der Behauptung der Beschwerdegegnerin II kann weder das in D10 erwähnte Keilgetriebe noch die in den Ausführungsbeispielen der D10 gezeigte Gewindespindel als Rad mit Kulissenführung im Sinne von Anspruch 1 aufgefasst werden, welches gemäß Anspruch 1 am Ende der Zugstangenbewegung Riegelelemente verschiebt und in sperrenden Eingriff mit der Zugstange bringt. Selbst wenn man das in D10 gezeigte Zahnrad als "Rad" und die gezeigte Gewindespindel als "Kulissenführung" ansehen würde, so wird in D10 bei Betätigen des Antriebs ein die Zugstange tragende Schwenkelement mit daran angeordneten Formschlusselementen bzw. Riegelelementen verschoben und in Eingriff mit korrespondierenden Riegelelementen gebracht, die an einer festen Lagerwange angeordnet sind; die verschobenen Riegelelemente werden in D10 also mit einer stationären Lagerwange und gerade nicht mit der Zugstange in sperrenden Eingriff gebracht. Damit ist auch der Einwand der Beschwerdegegnerin I widerlegt, dass keine Interaktion zwischen Kulissenführung und Riegelelement im vorliegenden Anspruch 1 definiert sei.
In D10 ist auch an keiner Stelle offenbart, dass die Riegelelemente als Sperrkugeln mit Kugelaufnahmen und Kugelführungen ausgebildet sind. Zwar wurde von der Beschwerdegegnerin II angeführt, dass die in D10 erwähnte parabolische und hyperbolische Form der sich in Eingreifrichtung verjüngenden Formschlusselemente einer Kugelform als spezieller Form beliebig nahe käme. Es ist allerdings festzustellen, dass dieses Argument allenfalls bei Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit zum Tragen kommt, da eine allgemeine Offenbarung niemals eine spezielle Ausführungsform vorwegnehmen kann.
Schließlich werden in D10 auch keine Kugelaufnahmen für die Riegelelemente am Stangenende gezeigt. Zum einen ist der D10 - wie bereits ausgeführt - keine kugelförmige Form der Ausnehmungen zu entnehmen. Zum anderen sind, wie aus der in Figur 16 der D10 gezeigten Variante mit als korrespondierenden Zapfen und Ausnehmungen ausgebildeten Formschlusselementen hervorgeht, die Ausnehmungen an der stationären Lagerwange 36, also nicht am Stangenende angeordnet.
5.1.3 Eine Ausführung der Riegelelemente in Kugelform stellt eine Alternative zu den in D10 bereits gezeigten Ausführungsbeispielen der Riegelelemente (Verzahnungen oder Zusammenwirken von Zapfen und Ausnehmungen) dar. Geht man von der in Figur 16 der D10 gezeigten Variante mit am Schwenkelement angeordneten zylindrischen Zapfen aus, welche eine konische Verjüngung aufweisen, so mag es für den Fachmann allenfalls naheliegend sein, statt der konischen Verjüngung am Zapfenende eine halbkugelförmige Ausbildung vorzusehen. Nach Auffassung der Kammer würde aber nur eine rückschauende Betrachtungsweise den Fachmann veranlassen, diese starren Riegelelemente durch Sperrkugeln zu ersetzen, da bei einem solchen Ersatz weitere Probleme zu lösen wären wie beispielsweise die Frage, wie als Vollkugeln ausgebildete Riegelelemente am Schwenkelement gehalten bzw. geführt werden können.
In D12 ist zwar angesprochen, dass eine mittels Verriegelungsbolzen in ihrer Endlage fixierte Zugstange auch durch eine Dreikugelverriegelung gesichert werden kann. Die in D12 gezeigte Verriegelung betrifft aber ein in einem Gehäuse geführtes Stangenende und bietet dem Fachmann keine Lehre, wie eine Kugelverriegelung bei einem translatorisch bewegbaren Schwenkelement realisiert werden kann, welches wie in D10 gezeigt zylindrische Zapfen aufweist, die im unverriegelten Zustand von dem stationären Träger der Aufnehmungen für die Zapfen beabstandet sind. Insbesondere wird auch in D10 in Zusammenhang mit den in Eingreifrichtung sich verjüngenden Formschlusselementen darauf hingewiesen (siehe Absatz [0022]), dass diese beim Auftreten großer Kräfte bzw. Drehmomente dazu neigen, wieder mit der jeweiligen Gegenfläche außer Eingriff zu kommen. D10 schlägt deshalb vor (siehe Absatz [0023] und [0024]), dass die Formschlusselemente - zumindest partiell - parallel zur Eingreifrichtung verlaufende Formschlussflächen aufweisen, wie beispielsweise bei der in Figur 16 der D10 gezeigten Ausführungsform realisiert. Es ist deshalb nicht nachvollziehbar, wieso der Fachmann in Kenntnis dieser Lehre die in Figur 16 gezeigten Zapfen durch Kugeln ersetzen würde, welche gerade keine parallel zur Eingreifrichtung verlaufenden Formschlussflächen zur Übertragung großer Drehmomente aufweisen. Auch die in D10 angesprochene parabolische oder hyperbolische Form dieser Formschlussflächen muss in diesem Kontext gesehen werden.
Der Gegenstand von Anspruch 1 beruht also gegenüber D10, auch in Kombination mit dem Fachwissen des Fachmanns oder in Kombination mit D12, auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Es erübrigt sich vor diesem Hintergrund näher darauf einzugehen, ob die Kugeln beweglich sein müssen und was unter den beanspruchten Kugelführungen verstanden werden muss. Auch mag es dahingestellt bleiben, ob ein Zahnrad und eine Gewindespindel wie in D10 gezeigt als Rad mit einer Kulissenführung aufgefasst werden kann und ob der Fachmann die Funktion der in Figur 16 der D10 gezeigten Zapfen und Ausnehmungen vertauschen würde, um wie beansprucht die Riegelelemente zu verschieben und in sperrenden Eingriff mit der Zugstange zu bringen. Diese Vertauschung wäre erforderlich, damit wie beansprucht die Kugelaufnahmen am Stangenende angeordnet sind.
5.2 Ausgehend von D15:
Geht man von D15 als nächstliegendem Stand der Technik aus, so ist festzustellen, dass - anders als von der Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung und auch von den Beschwerdegegnerinnen gesehen - D15 bereits keine Übertragungsvorrichtung zum Umsetzen der drehenden Antriebsbewegung in eine translatorische Verriegelungsbewegung für die Betätigung von formschlüssigen Riegelelementen zeigt. Gemäß D15 ist (siehe Spalte 15, Zeilen 59 bis 63) zur "Betätigung der Betätigungseinrichtung 80 mit dem Keilkörper 82 und zur Erzeugung der in Spannrichtung 90a auf den Keilkörper 82 wirkenden Spannkraft" eine Spannkrafterzeugungseinheit 120 vorgesehen. Die in D15 gezeigte Verriegelungskugel 60 wird über einen Keilkörper 82 blockiert, allerdings führt eine von der Spannkrafterzeugungseinheit aufgebrachte Federkraft zu dieser Verriegelung. Der Antriebsmotor aus D15 hingegen wirkt (siehe Figuren 26a bis 26f sowie die zugehörige Figurenbeschreibung) über einen Exzenternocken 428 und eine Kipphebel 434 auf ein Zugseil 152, welches die Spannkrafterzeugungseinheit 120 derart betätigt, dass die Fixierung des die Zugstange haltenden Schwenkteils 14 gelöst wird. Die drehende Antriebsbewegung des Antriebsmotors führt also zu einer Entriegelung und nicht zu einer Verriegelung.
Es ist nach Auffassung der Kammer deshalb nicht begründbar, wie ausgehend von D15 die erfinderische Tätigkeit des Gegenstandes von Anspruch 1 in Frage gestellt werden kann, da dazu zuerst die aus D15 bekannte Verriegelung über die Federkraft einer Spannkrafterzeugungseinheit ersetzt werden müsste durch eine translatorische Verriegelungsbewegung für die Betätigung von formschlüssigen Riegelelementen, welche aus der drehenden Antriebsbewegung des Antriebsmotors abgeleitet wird. Dies würde eine aufwendige Modifikation der aus D15 bekannten Anhängevorrichtung bedeuten, welche bereits eine komplexe mechanische Vorrichtung darstellt zur Realisierung von aufeinander abgestimmten Funktionen. Dazu hat der Fachmann keine Veranlassung.
Es erübrigt sich, auf die weiteren Unterschiede des Gegenstands von Anspruch 1 gegenüber D15 einzugehen, beispielsweise die Mehrzahl von Riegelelementen bzw. Sperrkugeln oder das Rad mit Kulissenführung, da diese auch in Zusammenhang mit der Verriegelungsbewegung definiert werden ("Rad , welches am Ende der Zugstangenbewegung die Riegelelemente verschiebt und in sperrenden Eingriff mit der Zugstange bringt") und damit gerade nicht in naheliegender Weise aus D15 hervorgehen.
5.3 Ausgehend von D9:
Die D9 zeigt zwar auch die Merkmale des Oberbegriffs von Anspruch 1, aber keine Sperrkugeln sondern zwei axial verschiebbare Sperrkoni. Da durch einen Sperrkonus sowohl eine Führungsfunktion als auch eine Verriegelungsfunktion realisiert wird, besteht für den Fachmann keine Veranlassung, statt dessen eine Verriegelung mittels einer Sperrkugel vorzusehen, da diese nur die Funktion der Verriegelung übernehmen würde und zusätzlich noch für eine Führung der Kugel gesorgt werden müsste.
Insbesondere wegen der eingeschränkten Platzverhältnisse bei der Vorrichtung nach D9 wäre der Fachmann abgehalten, den in D9 gezeigten Sperrkonus oder einen Keil - wie von der Beschwerdegegnerin I behauptet - auf eine separate Sperrkugel einwirken zu lassen und so ausgehend von D9 zum Gegenstand von Anspruch 1 zu gelangen. Eine Variante mit einer am Sperrkonus angeformten Kugel ist noch weiter vom beanspruchten Gegenstand entfernt, welcher eine Verschiebung von als Sperrkugeln ausgebildeten Riegelelementen definiert.
Das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit wurde im Übrigen ausgehend von D9 nicht bestritten.
5.4 Somit erfüllt der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß vorliegendem Antrag die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ 1973.
6. Anspruch 1 gemäß vorliegendem Antrag mit den abhängigen Ansprüchen 2 bis 13 und der daran angepassten Beschreibung und den vorliegenden Zeichnungen bilden daher eine geeignete Grundlage für die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die 1. Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent in geänderter Fassung mit folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten:
- Ansprüche 1 bis 13 gemäß einzigem Antrag, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 18. November 2011;
- Beschreibungsseiten 2 bis 9, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 18. November 2011;
- Figuren 1 bis 25 wie erteilt.