T 2076/11 (Serielle Datenübertragung/HEIDENHAIN) 21-05-2012
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Verfahren und Vorrichtung zur seriellen Datenübertragung zwischen einem Positionsmesssystem und einer Verarbeitungseinheit
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Mündliche Entscheidung - Unterzeichnung der schriftlichen Entscheidung und der Niederschrift über die mündliche Verhandlung durch eine Person, die an der mündlichen Verhandlung nicht mitgewirkt hat - wesentlicher Verfahrensmangel
Rückzahlung der Beschwerdegebühr - bejaht
I. Gegen die Erteilung des europäischen Patents Nr. 1 168 120 wurden fünf Einsprüche eingelegt.
Die mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung fand am 14. und 15. September 2010 statt. Nach Beratung der Einspruchsabteilung verkündete der Vorsitzende die mündliche Entscheidung, das Patent werde widerrufen.
Die schriftliche Entscheidung und eine Abschrift der Niederschrift über die mündliche Verhandlung wurden mit Datum vom 15. September 2011 den Parteien zugestellt. Auf dem für die Unterschriften der Mitglieder der Einspruchsabteilung vorgesehenen Formblatt 2339 der schriftlichen Entscheidung ist der Name des Vorsitzenden durchgestrichen und durch einen anderen Namen mit dem Zusatz "Direktor 2206" ersetzt worden. Ebenso ist auf dem Formblatt 2309.2 der Niederschrift über die mündliche Verhandlung, welches für die Unterschriften des Vorsitzenden und des Protokollführers vorgesehen ist, der Name des Vorsitzenden gestrichen worden und statt dessen derselbe Name wie auf dem Formblatt 2339 der schriftlichen Entscheidung mit dem Zusatz "i.V." sowie "Direktor 2206" eingefügt worden. Beide Formblätter 2339 und 2309.2 sind im Namen dieser neu genannten Person unterzeichnet worden.
II. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung legte die Patentinhaberin Beschwerde ein. In der am 23. Januar 2012 eingereichten Beschwerdebegründung wurde beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in der erteilten Fassung oder hilfsweise auf der Grundlage eines von fünf zusammen mit der Beschwerdebegründung eingereichten Anspruchssätzen aufrecht zu erhalten. Hilfsweise wurde die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt.
III. Die Kammer teilte den Parteien am 8. Februar 2012 ihre vorläufige Auffassung mit, dass die Unterzeichnung der schriftlichen Entscheidung und der Niederschrift durch eine Person, die am Zustandekommen der Entscheidung nicht mitgewirkt habe, einen schwerwiegenden Verfahrensfehler darstelle und eine Aufhebung der angefochtenen Entscheidung nur aus diesem Grund rechtfertige. Die Kammer bat die Parteien, sich auch dazu zu äußern, ob eine Aufhebungsentscheidung ohne vorherige mündliche Verhandlung getroffen werden könne.
IV. Die Parteien äußerten sich übereinstimmend dahin gehend, dass eine mündliche Verhandlung über die Frage, ob die angefochtene Entscheidung aus den oben genannten Gründen aufzuheben ist, nicht erforderlich sei.
Darüber hinaus regte die beschwerdeführende Patentinhaberin an, die Angelegenheit an eine Einspruchsabteilung in geänderter Besetzung zu verweisen; dies geböten der lange Zeitraum zwischen der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung und der Zustellung der schriftlichen Entscheidung sowie die Umstände, dass viele der in der mündlichen Verhandlung angesprochenen Gesichtspunkte in den Entscheidungsgründen nicht berücksichtigt seien. Darüber hinaus sei die Entscheidung von einem nichtbeteiligten Direktor unterzeichnet und somit könne Einfluss auf die Einspruchsabteilung seitens eines Vorgesetzten ausgeübt worden sein. Dadurch sei die Entscheidung nichtig, und ihre Aufhebung habe lediglich deklaratorischen Charakter.
Die Beschwerdegegnerin II regte an, die in der Mitteilung der Beschwerdekammer genannte Rechtsprechung angesichts der durch die Zurückverweisung zu erwartenden Verfahrensverzögerung und Zusatzkosten nochmals zu überprüfen.
Die Beschwerdegegnerin III brachte vor, der Verfahrensfehler sei leicht behebbar, indem der Vorsitzende der Einspruchsabteilung die Entscheidung über den Widerruf unterzeichne, und es bestehe wegen des Formfehlers kein Anlass, das Einspruchsverfahren wieder aufzurollen.
Fehlerhafte Unterzeichnung der schriftlichen Entscheidung
1. Gemäß Regel 113 (1) EPÜ sind Entscheidungen des Europäischen Patentamts mit der Unterschrift und dem Namen des zuständigen Bediensteten zu versehen. Eine schriftliche Entscheidung, die die Gründe einer zuvor in der mündlichen Verhandlung verkündeten Entscheidung über den Einspruch gegen ein europäisches Patent wiedergibt, ist von den Mitgliedern der Einspruchsabteilung, die am Zustandekommen der mündlich verkündeten Entscheidung beteiligt waren, - und nur von diesen - zu unterzeichnen. Die Unterschriften gelten als Beleg, dass die schriftliche Entscheidung von den Mitgliedern, mit denen die Einspruchsabteilung besetzt war, getroffen wurde und von diesen getragen wird (ständige Rechtsprechung der Beschwerdekammern, vgl. T 390/86, ABl. EPA 1989, 30, Entscheidungsgründe, Punkt 7; siehe auch Singer/Stauder, Europäisches Patent übereinkommen, 5. Auflage, Art 116, Rn 73).
2. Im vorliegenden Fall wurde die schriftliche Entscheidung nicht von dem Vorsitzenden der Einspruchs abteilung, welcher ausweislich der Niederschrift die mündliche Verhandlung geleitet und die Entscheidung verkündet hatte, sondern vom Direktor der organisatorischen Einheit 2206 unterzeichnet. Der Direktor war jedoch nicht Mitglied der Einspruchs abteilung gewesen, die die mündliche Entscheidung über den Einspruch getroffen hatte.
3. Es ist aus der Akte nicht erkennbar, dass der Vorsitzende der Einspruchsabteilung an der Unterzeichnung der schriftlichen Entscheidung verhindert war. Selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte, hätte nicht an seiner Stelle der Direktor einer Organisationseinheit die Unterschrift leisten dürfen. Das korrekte Verfahren in derartigen Fällen lässt sich ohne weiteres aus der Rechtsprechung der Beschwerdekammern ableiten. Es genügt dann in aller Regel, dass die übrigen Mitglieder der Abteilung ihre Unterschrift leisten und der Grund für das Fehlen der Unterschrift des verhinderten Mitglieds vermerkt wird (vgl. z.B. T 1170/05). Diese Verfahrensweise entspricht der in Artikel 8 (3) VerfOBK getroffenen Regelung, wonach ein nach einer Endentscheidung verhindertes Mitglied der Kammer nicht ersetzt wird. In keinem Fall kann jedoch die Unterschrift eines verhinderten Mitglieds durch die Unterschrift einer Person, die nicht der die mündliche Entscheidung treffenden Einspruchsabteilung angehört hatte, ersetzt werden.
4. Aus alledem ergibt sich in Einklang mit der gefestigten Rechtsprechung, dass die Unterzeichnung der schriftlichen Entscheidung der Einspruchsabteilung durch den Direktor, der nicht zur Entscheidung über den Einspruch bestimmt war, einen wesentlichen Verfahrensmangel darstellt. Aus diesem Grunde ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Angelegenheit gemäß Artikel 11 VerfOBK ohne weitere Sachprüfung der Beschwerde an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen.
5. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin hat die Aufhebungsentscheidung nicht nur klarstellende, sondern rechtsgestaltende Wirkung, da die erstinstanzliche Entscheidung nicht allein aufgrund der fehlerhaften Unterzeichnung als nichtexistent oder als nichtig anzusehen ist (vgl. allgemein zur Frage, ob eine auf einem wesentlichen Verfahrensmangel beruhende fehlerhafte Entscheidung als nichtig anzusehen ist, T 1093/05, ABl. EPA 2008, 430, Punkt 6 der Entscheidungsgründe mit weiteren Nachweisen).
6. Somit ist der Beschwerde stattzugeben und die angefochtene Entscheidung aufzuheben. Weiterhin ist die Beschwerdegebühr gemäß Regel 103 (1) a) EPÜ zurückzuerstatten.
Fehlerhafte Unterzeichnung der Niederschrift über die mündliche Verhandlung
7. Gemäß Regel 124 (3) EPÜ wird die Niederschrift von dem Bediensteten, der für die Aufnahme zuständig ist, und dem Bediensteten, der die mündliche Verhandlung oder Beweisaufnahme leitet, unterzeichnet.
Im vorliegenden Fall ist die Niederschrift vom Direktor anstelle des Vorsitzenden, der die mündliche Verhandlung geleitet hat, unterzeichnet worden. Dies stellt einen weiteren Verfahrensfehler dar.
Weiteres Verfahren
8. Über die reine Zurückverweisung gemäß Artikel 111 (1) EPÜ hinaus sieht die Kammer keine Notwendigkeit, sich zu weiteren Schritten der ersten Instanz zu äußern und Vorgaben hinsichtlich der künftigen Besetzung der Einspruchs abteilung zu machen: Soweit aus den Akten ersichtlich, verstieß die Zusammensetzung der Einspruchsabteilung, die die mündliche Entscheidung getroffen hat, nicht gegen die Voraussetzungen des Artikels 19 (2) EPÜ. Der nicht näher begründete Vorwurf der Beschwerdeführerin, die Entscheidung der Einspruchsabteilung könnte durch Vorgesetzte beeinflusst worden sein, ist kein hinreichender Anlass, die ursprüngliche Zusammensetzung der Einspruchsabteilung in Frage zu stellen. Grundsätzlich fällt die Zusammensetzung der Einspruchs abteilung allein in die Zuständigkeit der ersten Instanz.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.
3. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.