T 1627/15 22-11-2018
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DÄMMELEMENT AUS MINERALFASERN FÜR DEN SCHIFFSBAU
Knauf Insulation
ROCKWOOL INTERNATIONAL A/S
Anwendbares Recht
Spät eingereichtes Dokument - zugelassen (ja)
Spät eingereichter Antrag - zugelassen (ja)
Ausreichende Offenbarung - (nein)
I. Das europäische Patent Nr. 1 680 561 (im Folgenden: Patent) betrifft ein Dämmelement aus Mineralfasern für den Schiffbau.
II. Das Patent beansprucht die Priorität der am 6. Oktober 2003 eingereichten europäischen Patentanmeldung Nr. 03022610.4 (im Folgenden: Erstanmeldung bzw. N1).
III. Gegen das Patent im gesamten Umfang wurden zwei Einsprüche eingelegt. Als Einspruchsgründe wurden geltend gemacht unzulässige Erweiterung des Gegenstands der Anmeldung (Artikel 100 c) EPÜ 1973), unzureichende Offenbarung (Artikel 100 b) EPÜ 1973) sowie mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit (Artikel 100 a) EPÜ 1973).
IV. Am Ende der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung kam diese zu folgenden Feststellungen:
a) der Prioritätstag vom 6. Oktober 2003 könne nicht wirksam in Anspruch genommen werden;
b) der Gegenstand des Anspruchs 1 in der erteilten Fassung sei im Hinblick auf die Veröffentlichung der Erstanmeldung (N1) sowie zwei weitere Druckschriften (N4 und N5; zur genauen Bezeichnung der Dokumente, siehe Punkt XI a)) nicht neu.
Die Einspruchsabteilung entschied daher, das Patent zu widerrufen.
V. Die Patentinhaberin (im Folgenden: Beschwerdeführerin) hat Beschwerde gegen diese Entscheidung eingelegt.
VI. In der Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK) vom 2. Juli 2018 teilte die Kammer ihre vorläufige Einschätzung der Beschwerde mit.
VII. In Anwendung von Artikel 21 (4) (b) EPÜ und Artikel 9 VOBK wurde die Kammer um ein weiteres technisch vorgebildetes und ein weiteres rechtskundiges Mitglied erweitert.
VIII. Die mündliche Verhandlung fand am 22. November 2018 in Anwesenheit der Beschwerdeführerin und der Einsprechenden 1 und 2 (im Folgenden: Beschwerdegegnerinnen 1 und 2) statt. Zum Ablauf der mündlichen Verhandlung, insbesondere zur Stellung neuer Anträge bzw. deren Rücknahme durch die Beschwerdeführerin, wird auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
IX. Anträge
Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in geänderter Form auf der Grundlage der Ansprüche des während der mündlichen Verhandlung eingereichten Hauptantrags, hilfsweise auf der Grundlage der Ansprüche des während der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrags II, aufrechtzuerhalten.
Die Beschwerdegegnerinnen 1 und 2 beantragten jeweils, die Beschwerde zurückzuweisen.
X. Anspruchssätze
a) Hauptantrag
Der geänderte Anspruch 1 lautet folgendermaßen (die Nummerierung der Merkmale wurde von der Kammer hinzugefügt; die Änderungen am Anspruch 1 in der erteilten Fassung sind wie folgt kenntlich gemacht: Die gestrichenen Passagen erscheinen im Text als durchgestrichen und die neuen Passagen erscheinen im Fettdruck):
a) Dämmelement in der Form einer Platte (4,6,7,8) oder eines Rollfilzes (5) für den Schiffbau
b) aus gebundenen, in einem physiologischen Milieu löslichen Mineralfasern,
c) insbesondere als Brand- und/oder Wärme- und/oder Schallschutz eingesetztes Dämmelement,
d) wobei die Zusammensetzung der Mineralfasern des Dämmelements ein Alkali/Erdalkali-Massenverhältnis von < 1 aufweist und
e) die Faserstruktur des Dämmelements bestimmt ist durch einen mittleren geometrischen Faserdurchmesser <= 4 µm,
f) ein Flächengewicht von 0,8 bis 4,3kg/m**(2) und
g) einen Anteil des Bindemittels bezogen auf die Fasermasse des Dämmelements im Bereich von größer 0,5 bis [deleted: 4] 3 Gew.-%;
dadurch gekennzeichnet, dass
h) die Faserstruktur des Dämmelements perlenfrei ist,
i) [deleted: dass] das heißt der Anteil der Perlen in der Faserstruktur < 1 % beträgt.
b) Hilfsantrag II
Anspruch 1 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags ausschließlich durch die zusätzlichen Merkmale, dass die Zusammensetzung der Mineralfasern
- "die Bestandteile Al2O3 und MgO beinhaltet" und
- "der Anteil von Al2O3 auf 25 % beschränkt ist und der Anteil an MgO wenigstens 1 %, bevorzugt 1-4 %, insbesondere 1 bis 2 % beträgt, wenn der Anteil an Al2O3 >= 22 % beträgt".
XI. Entgegenhaltungen
a) In der Beschwerdebegründung und in den Beschwerdeerwiderungen haben die Beteiligten unter anderem auf folgende bereits in der angefochtenen Entscheidung genannten Druckschriften Bezug genommen:
N1 EP 1 522 640 A1;
N4 EP 1 522 642 A1;
N5 EP 1 522 531 A1.
b) Die Beschwerdegegnerin 1 hat folgende Druckschrift erstmalig mit Schriftsatz vom 24. Oktober 2018 eingeführt:
N26 EP 1 678 386 B1.
c) Die Beschwerdegegnerin 2 hat folgende Druckschriften erstmalig mit Schriftsatz vom 30. Oktober 2018 eingeführt:
D1 WO 93/02977;
N3 EP 1 522 800 A1;
N13 US 5,601,628;
D14 EP 0 583 791 A1.
XII. Das schriftsätzliche und mündliche Vorbringen der Beteiligten lässt sich, soweit es für diese Entscheidung relevant ist, wie folgt zusammenfassen:
a) Priorität
Das Unternehmen Saint-Gobain Isover G+H AG war Anmelderin der Erstanmeldung. Es ist zwischen den Beteiligten streitig, ob die Rechtsnachfolge von Saint-Gobain Isover G+H AG auf deren Mutterkonzern Saint-Gobain Isover, Anmelderin der Anmeldung, auf deren Basis das Patent erteilt wurde, hinreichend nachgewiesen wurde.
b) Neuheit im Hinblick auf N1, N4 und N5
Die Beschwerdeführerin argumentierte in der Beschwerdebegründung, dass - entgegen der Auffassung der Einspruchsabteilung und der Beschwerdegegnerinnen - der Gegenstand von Anspruch 1 in der erteilten Fassung im Hinblick auf N1, N4 und N5 neu sei.
c) Zulassung des neuen Hauptantrags ins Verfahren
Die Beschwerdeführerin führt aus, der Anspruchssatz gemäß Hauptantrag sei in direkter Reaktion auf die Einschätzung der Kammer eingereicht worden, dass N3 und N26 ins Verfahren zuzulassen sind und der Disclaimer des davor geltenden Anspruchs 1 nicht zulässig ist. Diese Änderung führe weder zu verfahrensrechtlichen noch zu materiellrechtlichen Komplikationen.
Die Beschwerdegegnerinnen argumentieren, dass der neue Hauptantrag nicht zugelassen werden dürfe, weil er schon früher im Beschwerdeverfahren hätte eingereicht werden können, alle noch offenen Einwände offenkundig nicht ausräume und neue Fragen aufwerfe.
d) Hauptantrag - Ausführbarkeit
Die Beschwerdegegnerinnen machen geltend, dem Patent sei keine Anleitung zur erfolgreichen Ausführung der beanspruchten Erfindung entnehmbar. Merkmal i) von Anspruch 1 (Perlenanteil < 1 %) sei aufgrund fehlender Angaben im Patent zur Definition der Perlen und zur Bestimmung des Perlenanteils nicht ausführbar. Das Patent nenne zwar ein Herstellungsverfahren, mit dem ein Perlenanteil < 1 % erreicht werden solle, nämlich eine innere Zentrifugierung im Schleuderkorb-Verfahren (Absatz 29 der Patentschrift). Im Hinblick auf den in Absatz 29 genannten Stand der Technik stelle sich aber heraus, dass für den Fachmann unzureichend offenbart sei, wie dieser extrem geringe Perlenanteil erreicht werden könne.
Die Beschwerdeführerin argumentiert, dass der Einwand der mangelnden Ausführbarkeit unbegründet sei. Mit dem Begriff "Perlen" sei unzerfasertes Material, d. h. gröbere Faserbestandteile gemeint, mit einer Partikelgröße von mehr als 40 mym oder gar mehr als 100 mym. Absatz 29 der Patentschrift nenne ein konkretes Herstellungsverfahren, mit dem ein Anteil an Perlen mit einer Größe von über 100 µm von weniger als 1 Gew.-% erreichbar sei, nämlich eine innere Zentrifugierung im Schleuderkorb-Verfahren mit einer Temperatur am Schleuderkorb von mindestens 1.100 °C, wie in D1, N13 und D14 näher beschrieben wird. Dort werde offenbart, dass der Perlenanteil abhängig von der Temperatur bzw. der Viskosität des Schmelzmaterials sei und dass bei geeigneter Einstellung der Betriebsbedingungen ein Anteil an Perlen mit einer Größe von über 100 µm von weniger als 0,8 Gew.-% (D1, Seite 37, Zeile 17) und sogar weniger als 0,6 Gew.-% (D14, Seite 16, Zeile 6) erhalten werden könne. Ein erfindungsgemäßes Dämmelement lasse sich mithin durch einfaches Herumexperimentieren herstellen.
e) Zulassung des Hilfsantrags II ins Verfahren
Die Beschwerdeführerin führt aus, dass mit den vorgenommenen Änderungen die beanspruchte Erfindung nacharbeitbar sei.
Die Beschwerdegegnerinnen argumentieren, dass der neue Hilfsantrag II nicht ins Verfahren zugelassen werden dürfe, weil die Änderungen den bisherigen Einwand der mangelnden Ausführbarkeit der Erfindung nicht ausräumen können und neue Fragen aufwerfen.
1. Anwendbares Recht
1.1 Die Anmeldung, auf deren Grundlage das Patent erteilt wurde, ist am 4. Oktober 2004 eingereicht worden, d. h. vor dem Inkrafttreten des revidierten Übereinkommens (EPÜ 2000) am 13. Dezember 2007.
1.2 Deshalb sind im vorliegenden Fall in Anwendung des Artikels 1 (1) des Beschlusses des Verwaltungsrats vom 28. Juni 2001 über die Übergangsbestimmungen nach Artikel 7 der Akte zur Revision des Europäischen Patentübereinkommens vom 29. November 2000 (ABl. EPA 2007, Sonderausgabe Nr. 4, 139) unter anderem die Artikel 56, 83, 84, 100 und 114 (2) EPÜ 1973 sowie die Artikel 52, 54 und 123 EPÜ (2000) anzuwenden. Bezüglich potenziell kollidierender europäischen Anmeldungen im Sinne von Artikel 54 (3) EPÜ ist hingegen Artikel 54 (4) EPÜ 1973 anzuwenden. Da die Regel 23a EPÜ 1973 dem Artikel 54 (4) EPÜ 1973 zugeordnet ist, ist sie ebenfalls anwendbar (in Analogie zu J 10/07, ABl. EPA 2008, 567).
2. Relevanz von N1, N4 und N5 und Priorität
2.1 In der Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK vom 2. Juli 2018 hat die Kammer den Beteiligten unter anderem mitgeteilt,
- dass jede der Druckschriften N1, N4 und N5 ein potentiell kollidierender Stand der Technik gemäß Artikel 54 (3) EPÜ und Artikel 54 (4) EPÜ 1973 ist (Punkt 8.1 der Mitteilung);
- dass die als Druckschriften N1, N4 und N5 veröffentlichten Anmeldungen jeweils wegen Nichtentrichtung der Benennungsgebühren aller Vertragsstaaten nach Ablauf der vorgeschriebenen 6-Monatsfrist am 14. Oktober 2005 als zurückgenommen galten (vgl. Rechtsverlustmitteilung nach Regel 69 (1) EPÜ 1973 vom 22. Februar 2006, 21. März 2006 bzw. 22. Februar 2006; Artikel 79 (3) EPÜ 1973), so dass diese Druckschriften kein Stand der Technik nach Artikel 54 (3) EPÜ und Artikel 54 (4) EPÜ 1973 sein können (vgl. Regel 23a EPÜ 1973) (Punkt 8.2);
- dass N1, N4 und N5 daher für die Beurteilung der Neuheit nicht relevant sind - entgegen der Auffassung der Einspruchsabteilung (Punkt 9.2); und
- dass die Frage der Gültigkeit der Priorität voraussichtlich dahingestellt bleiben kann (Punkt 6.3).
2.2 Die Beteiligten haben weder in ihren Erwiderungen auf diese Mitteilung der Kammer noch in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer auf diese vorläufige Meinung reagiert. Die Kammer sieht daher keinen Anlass, ihre vorläufige Meinung zu ändern. Die Dokumente N1, N4 und N5 sind kein Stand der Technik nach Artikel 54(3) EPÜ und Artikel 54(4) EPÜ 1973 und sind daher nicht für die Beurteilung der Neuheit heranzuziehen. Weiterhin sieht die Kammer im Hinblick auf die vorliegenden Anträge der Beteiligten keine Gründe, sich mit der Frage der Gültigkeit der Priorität, geschweige denn der Übertragung des Prioritätsrechts zu befassen.
3. Zulassung der Dokumente N3, N13, N26, D1 und D14 ins Verfahren
3.1 Die Dokumente N3, N13, N26, D1 und D14 wurden erstmals nach der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor der Kammer und damit in einem späten Verfahrensstadium eingereicht.
3.2 Nachdem die Kamer in der Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK ihre vorläufige Meinung zu N1, N4 und N5 kundgetan hatte, reichten die Beschwerdegegnerinnen die Dokumente N3 und N26 ein. Diese Dokumente sind jeweils prima facie hochrelevant für die Frage der Neuheit, wobei N3 bereits im Einspruchsverfahren dem patentierten Gegenstand entgegengehalten worden ist.
3.3 Die Dokumente N13, D1 und D14 sind jeweils hochrelevant für die Frage, ob im Patent für den Fachmann ausreichend offenbart ist, wie ein geringer Perlenanteil < 1 % erreicht werden kann, und dienen nur dazu, das erstinstanzliche Vorbringen der Beschwerdegegnerinnen zu untermauern. N13, D1 und D14 gehören jeweils zur selben Patentfamilie wie die in Absatz 28 der Patentschrift genannten Anmeldungen EP 0 583 792 (N13), EP 0 551 476 (D1) bzw. WO 94/04468 (D14).
3.4 Die Kammer kam daher zu dem Schluss, diese Dokumente ins Verfahren zuzulassen und zu berücksichtigen (Artikel 114 (2) EPÜ 1973 und Artikel 13 (1) VOBK). Im Übrigen hat sich die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung nicht gegen die Zulassung dieser Dokumente ins Verfahren ausgesprochen.
4. Zulassung des neuen Hauptantrags ins Verfahren
4.1 Der Hauptantrag der Beschwerdeführerin wurde in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereicht. Seine Zulassung liegt gemäß Artikel 13 (1) VOBK im Ermessen der Kammer.
4.2 Dieser Hauptantrag unterscheidet sich vom Hauptantrag, der mit Schriftsatz vom 14. November 2018 eingereicht wurde, darin, dass der Disclaimer, dass "der Anteil des Bindemittels nicht 4 Gew.-% ist", gestrichen wurde und die Obergrenze für den Bindemittelanteil von 4 Gew.-% auf 3 Gew.-% reduziert wurde (Merkmal g)). Damit unterscheidet sich der Hauptantrag vom ursprünglichen Hauptantrag, der mit der Beschwerdebegründung vom 21. Oktober 2015 eingereicht wurde, ausschließlich durch die reduzierte Obergrenze für den Bindemittelanteil.
4.3 Im vorliegenden Fall ist die Stellung dieses Antrags als sachdienliche Reaktion auf die Einschätzung der Kammer anzusehen, dass die spät eingereichten Dokumente N3 und N26 ins Verfahren zuzulassen sind und dass der Disclaimer des davor geltenden Anspruchs 1 nicht zulässig ist, weil er mehr ausschließt, als nötig ist, um die Neuheit wiederherzustellen.
4.4 Die Kammer kann mit der Einreichung dieses neuen Antrags keinen Verfahrensmissbrauch durch die Beschwerdeführerin erkennen. Die Beschwerdegegnerinnen haben die Dokumente N3 und N26 erst kurz vor der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereicht, auch wenn N3 bereits im Einspruchsverfahren entgegengehalten wurde, und ihren Einwand der unzulässigen Änderung betreffend den Disclaimer erst in der mündlichen Verhandlung erhoben haben, der auch erfolgreich war. Hierauf einen neuen Antrag der Beschwerdeführerin als sofortige Reaktion zuzulassen, erschien der Kammer angemessen.
4.5 Ferner führt die Änderung in Anspruch 1 keinen neuen Streitstoff ein, dessen Behandlung der Kammer oder den Beschwerdegegnerinnen nicht zugemutet werden könnte bzw. der zu einer Verlegung der mündlichen Verhandlung oder zu einer Zurückverweisung der Sache an die Einspruchsabteilung führen könnte.
4.6 Aus diesen Gründen kam die Kammer zu dem Schluss, den neuen Hauptantrag ins Verfahren zuzulassen (Artikel 114 (2) EPÜ 1973 und Artikel 13 (1) VOBK).
5. Hauptantrag - Artikel 100 b) EPÜ 1973
5.1 Nach Artikel 83 EPÜ 1973 ist die Erfindung so deutlich und vollständig zu offenbaren, dass ein Fachmann sie ausführen kann. Nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist diese Vorschrift so zu verstehen, dass ein beanspruchter Gegenstand anhand des Gesamtinhalts des Patents und mit Hilfe des allgemeinen Fachwissens ohne unzumutbaren Aufwand ausführbar sein muss.
5.2 Im vorliegenden Fall machen die Beschwerdegegnerinnen geltend, dass das Patent keine ausreichende Offenbarung enthalte für die Herstellung des in Anspruch 1 definierten Dämmelements.
5.3 Aus folgenden Gründen überzeugt der diesbezügliche Vortrag der Beschwerdegegnerinnen.
5.4 Der Gegenstand von Anspruch 1 ist ein Dämmelement für den Schiffbau aus gebundenen Mineralfasern mit den in Anspruch 1 detailliert angegebenen Eigenschaften b) und d) bis i), insbesondere
- einem Alkali/Erdalkali-Massenverhältnis < 1 (vgl. Merkmal d));
- einem mittleren geometrischen Faserdurchmesser <= 4 µm (Merkmal e));
- einem Flächengewicht von 0,8 bis 4,3 kg/m**(2) (Merkmal f));
- einem Bindemittelanteil von größer 0,5 bis 3 Gew.-% (Merkmal g)); und
- einem Perlenanteil < 1 % (Merkmal i)).
5.5 Die Beschwerdegegnerinnen machen zunächst geltend, dass Merkmal i) keine nacharbeitbare technische Lehre vermittle, weil aufgrund der fehlenden Angabe zur Größe der Perlen der Fachmann nicht feststellen könne, ob er innerhalb oder außerhalb des beanspruchten Bereichs für den Perlenanteil arbeite.
Die Kammer kann sich dieser Argumentation nicht anschließen, da sie die Abgrenzung des Schutzbereichs und mithin eher die Klarheit (Artikel 84 EPÜ 1973) als die Ausführbarkeit der Erfindung (vgl. T 2290/12, Gründe Nr. 3.1; T 646/13, Gründe Nr. 3 und 4) betrifft.
Davon abgesehen, kann die Kammer zunächst der Beschwerdeführerin folgen, dass der Fachmann, der gewillt ist, die beanspruchte Erfindung zu verstehen und umzusetzen, im Lichte des im Patent genannten Stands der Technik erkennen wird, dass der gewünschte Perlenanteil < 1 % für Perlen mit einer Größe von über 100 µm oder gar 40 µm zu erzielen ist. So wird in Absatz 29 der Patentschrift im Hinblick auf die Herstellung des praktisch perlenfreien, erfindungsgemäßen Dämmelements durch innere Zentrifugierung auf die Anmeldungen EP 0 583 792, EP 0 551 476 und WO 94/04468 verwiesen, die im vorliegenden Verfahren als N13, D1 und D14 zitiert sind. Dort ist der Perlenanteil für Perlen mit einer Größe von über 100 µm bzw. von über 40 µm angegeben.
5.6 Im Patent ist ein einziges, konkret beschriebenes Ausführungsbeispiel des erfindungsgemäßen Dämmelements offenbart, dessen Mineralfaserzusammensetzung ein Massenverhältnis von Alkali- (CaO + MgO) zu Erdalkalibestandteilen (Na2O + K2O) von 0,7 aufweist (Absatz 48 der Patentschrift, Spalte 4 der Tabelle 2), mit einem mittleren geometrischen Faserdurchmesser von 3,2 µm, einem Flächengewicht von 2,3 kg/m**(2) und einem Bindemittelanteil von 1,8 Gew. -% (Absätze 45 und 47). Das Patent enthält keine Angaben über den erhaltenen Perlenanteil. Das Patent offenbart auch nicht wie das Ausführungsbeispiel tatsächlich hergestellt worden ist.
5.7 Hinweise, wie das erfindungsgemäße Dämmelement hergestellt werden kann, erhält der Fachmann ausschließlich aus den Absätzen 29 bis 30 der Patentschrift. Dort heißt es:
"Zweckmässigerweise sind die Mineralfasern des Dämmelements durch innere Zentrifugierung im Schleuderkorb-Verfahren mit einer Temperatur am Schleuderkorb von mindestens 1.100 °C hergestellt. Die Herstellung von Mineralfasern mit einer vergleichsweise hohen Temperaturbeständigkeit im Wege der inneren Zentrifugierung ist bereits bekannt, wozu ausdrücklich auf die EP 0 551 476, die EP 0 583 792, WO 94/04468 sowie US 6,284,684 verwiesen und Bezug genommen wird ... Die im Wege der inneren Zentrifugierung hergestellten Mineralfasern sind feiner und länger als herkömmliches Steinwollematerial, welches mit dem Düsenblasverfahren oder mit äusserer Zentrifugierung hergestellt ist ... Überdies ist derartiges durch innere Zentrifugierung hergestelltes Mineralwollematerial praktisch perlenfrei ..." (Hervorhebung durch die Kammer).
5.8 In den in Absatz 29 der Patentschrift zitierten Dokumenten erhält der Fachmann jedoch keine brauchbare Anleitung, um weniger als 1 Gew.-% Perlen mit einer Größe von über 100 µm und gleichzeitig einen Faserdurchmesser <= 4 µm zu erhalten. Insbesondere wird dort kein einziger, konkret beschriebener Weg zur Erzeugung eines Dämmelements mit diesen erwünschten Parametern offenbart.
Im Folgenden wird auf die Lehre von D1, N13 und D14 näher eingegangen, die in diesem Verfahren anstelle von EP 0 551 476, EP 0 583 792 und WO 94/04468 zitiert worden sind.
5.8.1 In D1 findet der Fachmann die allgemeine Lehre, dass durch innere Zentrifugierung im Schleuderkorb-Verfahren Mineralwollematten auf der Basis von Basalt, Stein oder ähnlichem hergestellt werden können, die bei geeigneter Einstellung der Betriebsbedingungen weniger als 5 Gew.-% Perlen mit einem Durchmesser von über 100 µm aufweisen (Seite 37, Zeilen 21 bis 25).
Zur Stützung dieser allgemeinen Lehre beschreibt D1 die Ergebnisse von Versuchen mit 27 unterschiedlichen Zusammensetzungen, die auf den Seiten 38 und 39 definiert sind und - mit Ausnahme der Zusammensetzung Nr. 8 - stets ein Alkali/Erdalkali-Massenverhältnis < 1 aufweisen, wie Merkmal d) von Anspruch 1 verlangt.
Auf Seite 11, Zeilen 1 bis 5 ist angegeben, dass mit den Zusammensetzungen Nr. 1, 2, 4 bis 7, 9 bis 11, 13 bis 16, 19 und 27 ein Anteil an Perlen mit einer Größe von über 100 µm von weniger als 10 Gew.-% und sogar weniger als 5 Gew.-% erhalten werden konnte, "was einen außerordentlich geringen Perlenanteil darstellt". D1 weist gleichzeitig darauf hin, dass mit traditionell für die Steinwolleherstellung verwendeten Zusammensetzungen ein Perlenanteil von z. B. bis zu 10 Gew.-% angenommen werden muss (Seite 11, Absatz 2). Mit den Zusammensetzungen Nr. 17, 18, 20, 24 und 25 wurde ein hoher Perlenanteil von beispielsweise mehr als 10 Gew.-% erhalten (Seite 27, Zeilen 7 bis 12).
Vergleichsversuche mit der Zusammensetzung Nr. 25 haben zu folgenden Perlenanteilen und Faserfeinheiten geführt (Tabelle auf Seite 26; in der Spalte "Beads" ist an erster Stelle der Anteil an Perlen mit einer Größe von über 100 µm, und in Klammern der Anteil an Perlen mit einer Größe von über 40 µm angegeben):
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Wie die vorstehende Tabelle zeigt, lag der Perlenanteil unabhängig von der Viskosität des Schmelzematerials ("Viscosity") und der Drehgeschwindigkeit des Schleuderorgans ("RPM") stets deutlich über 1 Gew.-%.
Auf Seite 37, Zeilen 7 bis 19 ist erwähnt, dass mit der Zusammensetzung Nr. 2 eine Basaltwolle mit einem Micronaire-Wert von 3/5g und einem Anteil an Perlen mit einer Größe von über 100 µm von weniger als 0,8 Gew.-% erzeugt wurde.
D1 enthält keine Angaben über den mittleren Durchmesser der in den genannten Versuchen erhaltenen Fasern, sondern lediglich über die Faserfeinheit, ausgedrückt durch den Micronaire-Wert (F) auf 5 g (rechte Spalte in der vorstehenden Tabelle). Je kleiner der Faserdurchmesser ist, desto geringer ist der Micronaire-Wert. Die ermittelten Micronaire-Werte lassen sich aber nicht direkt in mittlere Faserdurchmesser umrechnen.
5.8.2 In N13 und D14 ist jeweils offenbart, dass durch innere Zentrifugierung im Schleuderkorb Basalt- bzw. Steinwollematten hergestellt werden konnten, mit einem Perlenanteil < 10 Gew.-% bei einer Schmelzviskosität in der Größenordnung von 100 Poise und mit einem Perlenanteil < 5 Gew.-% bei einer Schmelzviskosität oberhalb von 320/350 Poise (N13, Spalte 3, Zeilen 43 bis 44; D14, Seite 6, Zeilen 2 bis 4).
5.8.3 N13 offenbart zudem, dass Versuche mit einer besonderen Zusammensetzung mit einem Alkali/Erdalkali-Massenverhältnis < 1 (Spalte 9, Zeilen 1 bis 13) zu folgenden Faserfeinheiten und Perlenanteilen geführt haben (vgl. Tabelle auf Spalte 10, insbesondere zwei letzten Zeilen):
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Wie die vorstehende Tabelle zeigt, lag der Perlenanteil stets deutlich über 1 Gew.-%. Die Tabelle enthält keine Angaben über den Faserdurchmesser, sondern über die Faserfeinheit (Micronaire-Wert F auf 5 g).
5.8.4 D14 beschreibt die Ergebnisse von Versuchen mit 27 unterschiedlichen Zusammensetzungen, die auf den Seiten 17 und 18 definiert sind und - mit Ausnahme der Zusammensetzung Nr. 8 - stets ein Alkali/Erdalkali-Massenverhältnis < 1 aufwiesen, wie Merkmal d) von Anspruch 1 verlangt. Vergleichsversuche mit der Zusammensetzung Nr. 2 haben zu folgenden Faserfeinheiten, Faserdurchmessern und Perlenanteilen geführt (Tabellen auf Seite 15, Zeilen 33 bis 36 und Seite 16):
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Mit Ausnahme des Tests 6 lag der Perlenanteil stets deutlich über 1 Gew.-%. Ein geringer Perlenanteil < 1 Gew.-% wurde im Test 6 zwar erhalten, jedoch nur für Perlen mit einer Größe von über 100 µm und nur in Kombination mit einem mittleren Faserdurchmesser über 4 µm.
Im Übrigen bestätigen die ermittelten Werte für die Faserfeinheit (F/5g) und den mittleren Faserdurchmesser, dass die Werte sich nicht direkt umrechnen lassen (Punkt 5.8.1 vorstehend).
5.9 Die Beschwerdeführerin argumentiert, dass die allgemeine Lehre von D1 und N13 den Fachmann in die Lage versetzt, die Erfindung im gesamten Bereich des Anspruchs auszuführen. Dies überzeugt die Kammer nicht.
5.10 In D1 bzw. N13 wird zwar allgemein gelehrt, dass der Perlenanteil mittels Vergrößerung des Produktes myV - wobei my die Viskosität des Schmelzematerials und V seine Geschwindigkeit im Moment seines Abschleuderns bezeichnen - reduziert werden kann, beispielweise durch Verminderung der Temperatur zur Erhöhung der Viskosität oder durch Erhöhung der Bewegungsgeschwindigkeit des Materials (D1, Seite 20, Zeilen 28 bis 32; N13, Spalte 4, Zeilen 51 bis 54). Allerdings weist D1 gleichzeitig darauf hin, dass eine Viskosität höher 3000 Poise den Durchtritt des Materials durch die umfangsseitigen Durchtrittsöffnungen des Schleuderkorbs und das Ausziehen der Fäden zu Fasern erschweren kann (Seite 7, Zeilen 20 bis 23; Seite 24, Zeilen 32 bis 36) und dass eine Verminderung der Temperatur des Schleuderkorbs zu einem Zusetzen von dessen Durchtrittsöffnungen führen kann (Seite 37, Zeilen 35 und 36).
5.11 Selbst unter Berücksichtigung dieser technischen Lehre von D1 bzw. N13 ist der Fachmann also gezwungen, durch Herumexperimentieren herauszufinden, welche Zusammensetzung mit einem Alkali/Erdalkali-Massenverhältnis von < 1 und welche Betriebsparameter zu verwenden sind, um den extrem geringen Perlenanteil < 1% und gleichzeitig den kleinen Faserdurchmesser <= 4 µm zu erhalten. Dies stellt einen unzumutbaren Aufwand dar.
5.12 Soweit die Beschwerdeführerin behauptet, dass das im Patent mit konkreten Angaben offenbarte Ausführungsbeispiel anhand der in Tabelle 2 definierten Zusammensetzung und mithilfe weniger Routineversuche zur Bestimmung der geeigneten Betriebsparameter der inneren Zentrifugierung im Schleuderkorb nacharbeitbar sei, fehlt dafür der Nachweis. Davon abgesehen ist der Wortlaut von Anspruch 1 nicht auf diese bevorzugte Zusammensetzung beschränkt (Merkmal b)) und die Kammer ist nicht davon überzeugt, dass die Nacharbeitung des einzigen Ausführungsbeispiels die Ausführung der Erfindung im gesamten beanspruchten Bereich ermöglichen kann.
5.13 Schließlich führt die Beschwerdeführerin aus, dass die Beschwerdegegnerinnen als Einsprechende die Beweispflicht für ihre Behauptung der unzureichenden Offenbarung nicht genügt haben. Die Kammer teilt diese Auffassung nicht, denn die Beschwerdegegnerinnen haben mit Verweis auf die in D1, N13 und D14 offenbarten Versuchsergebnisse ernsthafte, durch nachprüfbare Tatsachen untermauerte Zweifel an der Ausführbarkeit der beanspruchten Erfindung geweckt.
6. Folglich steht der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 b) EPÜ 1973 der Aufrechterhaltung des Patents in der Fassung des Hauptantrags entgegen.
7. Hilfsantrag II - Anspruch 1
Anspruch 1 unterscheidet sich von Anspruch 1 in der erteilten Fassung darin, dass die in Absatz 39 der Patentschrift offenbarten Merkmale aufgenommen worden sind, wonach die Zusammensetzung der Mineralfasern
- die Bestandteile Al2O3 und MgO beinhaltet und
- der Anteil von Al2O3 auf 25 % beschränkt ist und der Anteil an MgO wenigstens 1 %, bevorzugt 1-4 %, insbesondere 1 bis 2 % beträgt, wenn der Anteil an Al2O3 >= 22 % beträgt.
8. Zulassung des Hilfsantrags II ins Verfahren
8.1 Der Hilfsantrag II der Beschwerdeführerin wurde in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereicht. Seine Zulassung liegt daher gemäß Artikel 13 (1) VOBK im Ermessen der Kammer.
8.2 Im Gegensatz zum Hauptantrag ließ die Kammer den Hilfsantrag II nicht ins Verfahren zu, da Anspruch 1 des Hilfsantrags II prima facie nicht gewährbar ist, aus den gleichen Gründen wie der Hauptantrag.
8.2.1 Die in D1, N13 und D14 offenbarten Zusammensetzungen der Mineralfasern beinhalten jeweils die Bestandteile Al2O3 und MgO, wobei der Al2O3-Anteil stets < 22 % und der MgO-Anteil stets > 1% (D1, Tabellen auf den Seiten 9 und 10, 38 und 39; N13, Tabelle auf Spalte 9; D14, Tabellen auf den Seiten 10, 17 und 18).
8.2.2 Die hinzugefügten Merkmale vermögen an der vorstehenden Beurteilung der Ausführbarkeit der Erfindung also nichts zu ändern.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.