T 0136/16 03-03-2020
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Verfahren zur Beförderung von Personen in einem Gebäude
Einspruchsgründe - mangelnde Patentierbarkeit (ja)
Neuheit - (nein)
Spät eingereichte Hilfsanträge - Antrag eindeutig gewährbar (nein)
Spät eingereichte Hilfsanträge - zugelassen (nein)
Rückzahlung der Beschwerdegebühr - Verletzung des rechtlichen Gehörs (ja)
I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat Beschwerde gegen die Zurückweisung ihres Einspruchs gegen das europäische Patent Nr. 1 666 398 durch die Einspruchsabteilung eingelegt.
II. Aus dem Verlauf des Einspruchsverfahrens ist folgender Sachverhalt für die hier zu treffende Entscheidung über die Beschwerde relevant.
a) Der Einspruch war unter anderem gestützt auf die Einspruchsgründe nach Artikel 100 a) in Verbindung mit 54 und 56 EPÜ.
b) Dabei wurde unter anderem auf folgenden Stand der Technik Bezug genommen:
E1 : JP-A-03-166177 zusammen mit seiner Zusammenfassung (Patent Abstracts of Japan) und der auszugsweisen Übersetzung ins Englische seiner Beschreibung,
E2 : JP-A-07-133082 und seine Maschinenübersetzung ins Englische,
E3 : US-A-5 861 587,
E4 : JP-A-2003252537,
E5 : GB-A-2 315 567,
E6 : DE-A-4120586.
c) Neuheitseinwände wurden in der Einspruchsschrift auf Grundlage von E1 bis E3 erhoben, erfinderische Tätigkeit wurde nur ausgehend von E4 oder E6 als nächstliegendem Stand der Technik in Kombination mit E5 angegriffen.
d) Vor der Einspruchsabteilung fand eine mündliche Verhandlung statt.
e) Auf Seite 2 der Niederschrift über die Verhandlung hat die Einspruchsabteilung eine Phase des Verlauf in folgender Weise festgehalten:
"[zu Punkt 3 Neuheit] Um 11.42 Uhr wird die Verhandlung fortgesetzt.
Die Einspruchsabteilung ist der Auffassung, dass Anspruch 1 gegenüber E1-E3 und E5 neu ist.
4 Erfinderische Tätigkeit
Die Parteien diskutieren über die erfinderische Tätigkeit des Anspruchs 1 gegenüber einer Kombination der Dokumente E4+E5 und E6+E5.
Die Einsprechende beantragt zusätzliche Angriffe, gestützt auf die Dokumente E1-E3 zur Diskussion zur erfinderischen Tätigkeit zuzulassen.
Der Patentinhaber beantragt, die zusätzlichen Anträge aus verfarhensökonomischen [sic] Gründen zurückzuweisen.
Die Einsprechende trägt vor, dass nach Feststellung der Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 gegenüber E1,E2,E3, diese nun mindestens gegen das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit sprächen.
Um 12.05 Uhr wird die Verhandlung zur Beratung der Einspruchsabteilung über die Zulassung der neuen Anträge unterbrochen.
Um 12.12 Uhr wird die Verhandlung fortgesetzt.
Die Einspruchsabteilung ist der Meinung, dass zusätzliche Anträge anhand der Dokumente E1-E3 nicht zur Diskussion zur erfinderischen Tätigkeit zugelassen werden.
Um 12.13 Uhr wird die Verhandlung zur Beratung der Einspruchsabteilung über die erfinderische Tätigkeit des Anspruchs 1 unterbrochen.
Um 12.24 Uhr wird die Verhandlung fortgesetzt.
Die Einspruchsabteilung ist der Auffassung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht."
f) Die angefochtene Entscheidung führt in 2.4.4 der Entscheidungsgründe aus:
"Die Einsprechende beantragt weitere auf die Dokumente E1, E2, E3 gestützte Angriffe gegen das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit der Erfindung gemäss Streitpatent vortragen zu wollen. Die Einspruchsabteilung ist aber der Auffassung, dass die Einsprechende nicht überzeugend dargelegt hat, aus welchen Gründen bei ungeändertem Anspruch1 [sic] die Angriffe auf erfinderische Tätigkeit gestützt auf E1, E2, E3 hätten relevanter sein sollen als die zuvor vorgetragenen. Aus Gründen mangelnder "prima facie" Relevanz sowie der Verfahrensökonomie werden diese zusätzlichen Anträge im Einspruchsverfahren nicht zugelassen. Gegen die Relevanz dieser Angriffe spricht zudem der Umstand, dass die Einsprechende im schriftlichen Sachvortrag mit den Dokumenten E1, E2, E3 alleinig die Neuheit des Erfindungsgegenstands angreift."
III. In Erwiderung auf die Beschwerde reichte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) zur Stützung ihrer Argumente folgende Patentschrift ein:
E12 : EP-B1-1 565 396.
IV. Die Parteien wurden zur mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer geladen. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) hat die Kammer den Parteien ihre vorläufige Meinung über die Sache mitgeteilt.
V. Die Beschwerdegegnerin reichte daraufhin mit ihrem Schreiben vom 3. Februar 2020 zwei Sätze geänderter Ansprüche ein, entsprechend Hilfsanträgen 1 und 2.
VI. Die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer fand am 3. März 2020 statt.
VII. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das europäische Patent zu widerrufen. Zudem beantragte sie, die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wegen eines wesentlichen Verfahrensfehlers sowie die Nichtzulassung der Hilfsanträge 1 und 2.
VIII. Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen (Hauptantrag), hilfsweise das Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage eines der Hilfsanträge 1 und 2, eingereicht mit Schreiben vom 3. Februar 2020, aufrecht zu erhalten. Zudem beantragte sie, das Dokument E5 zur Frage der Neuheit nicht in das Verfahren zuzulassen. Weiters beantragte sie, die auf den Dokumenten E1 bis E3 beruhenden Einwände mangelnder erfinderischer Tätigkeit nicht in das Verfahren zuzulassen.
IX. Anspruch 1 des Streitpatents hat folgenden Wortlaut:
"Verfahren zur Beförderung von Personen in einem Gebäude mittels einer Aufzugsanlage (10), die wenigstens eine Aufzugskabine (11) umfasst, wobei die Aufzugskabine (11) von Personen in wenigstens einem ersten oder einem zweiten Zugangsstockwerk (S1, S2) betreten wird, wobei jedem Zugangsstockwerk (S1, S2) wenigstens ein Zielstockwerk (S4, S5, S6, S7) fest zugewiesen wird, dadurch gekennzeichnet, dass Personen mit gleichem Zielstockwerk (S4, S5, S6, S7) gleichen Zugangsstockwerken (S1, S2) zugeleitet werden, und dass die feste Zuweisung von Zielstockwerken (S4, S5, S6, S7) zu Zugangsstockwerken (S1, S2) zeitabhängig vorgenommen wird."
Der zweite unabhängige Anspruch 9 des Streitpatents lautet:
"Anordnung zur Beförderung von Personen in einem Gebäude mit einer Aufzugsanlage (10), die wenigstens eine Aufzugskabine (11) umfasst, wobei wenigstens zwei Zugangsstockwerke (S1, S2) vorgesehen sind, wobei den Zugangsstockwerken (S1, S2) jeweils wenigstens ein Zielstockwerk (S4, S5, S6, S7) fest zugewiesen ist, dadurch gekennzeichnet, dass eine Gebäudesteuerungseinheit (12) vorgesehen ist, die zur Zuordnung von Personen gemäß ihrem Zielstockwerk (S4, S5, S6, S7) zu den einzelnen Zugangsstockwerken (S1, S2) vorgesehen ist, und welche feste Zuweisung von Zielstockwerken (S4, S5, S6, S7) zu Zugangsstockwerken (S1, S2) zeitabhängig vorgenommen wird."
In Hilfsantrag 1 wurde im Oberbegriff von Anspruch 1 folgende Änderung (Unterstreichung durch die Kammer) vorgenommen:
"...fest zugewiesen wird und wobei das Gebäude durch die Zugangsstockwerk [sic] (S1, S2) erschlossen wird, dadurch gekennzeichnet, dass...",
und ähnlich im Oberbegriff von Anspruch 9:
"...vorgesehen sind, durch die das Gebäude erschlossen wird, wobei den Zugangsstockwerken..."
Zusätzlich zu den Änderungen gemäß Hilfsantrag 1 wurden im Hilfsantrag 2 noch folgende Merkmale am Ende des jeweiligen unabhängigen Anspruchs hinzugefügt,
in Anspruch 1:
", dass eine Zuordnung der Personen zum ersten oder zweiten Zugangsstockwerk (S1, S2) gemäß den jeweiligen Zielstockwerken (S4, S5, S6, S7) der Personen von einer Gebäudesteuerungseinheit (12) unabhängig von einer Aufzugssteuerung vorgenommen wird, und dass eine Zugangsberechtigung zu einem Zugangsstockwerk (S 1, S2) von der Gebäudesteuerungseinheit (12) überprüft wird",
und im unabhängigen Anspruch 7, der auf Anspruch 9 von Hilfsantrag 1 beruht:
", dass wenigstens ein mit der Gebäudesteuerungseinheit (12) gekoppeltes Zugangsterminal (13) vorgesehen ist, das zur Überprüfung einer Zugangsberechtigung von Personen vorgesehen ist, und dass eine Zugangsbarriere (15, 15a, 15b) vorgesehen ist, die zum Öffnen oder Schließen eines Zugangsstockwerks (S1, S2) in Abhängigkeit von der Zugangsberechtigung vorgesehen ist".
X. Die Argumente der Beschwerdeführerin können wie folgt zusammengefasst werden.
Hauptantrag
Anspruch 1 wie erteilt, insbesondere der Begriff "Zugangsstockwerk", sei von der Einspruchsabteilung und der Beschwerdegegnerin auf Grundlage der Beschreibung des Patents, Absatz 7, Zeilen 18-24, unangemessen eng ausgelegt worden. Bei korrekter fachmännischer Auslegung bezeichne ein Zugangsstockwerk nicht mehr als ein Stockwerk eines Gebäudes, über das eine Aufzugskabine zugänglich ist. Außerdem würden andere Passagen der Beschreibung, z.B. die Absätze 16, 17, 19 oder 39, sowie z.B. Figur 2 ebenfalls belegen, dass der Begriff nicht auf das Gebäude erschließende, also baulich spezifisch ausgelegte und nicht ohne weiteres änderbare Stockwerke beschränkt ist. Im Sinne dieser Passagen sei der Begriff "Zugangsstockwerk" wesentlich breiter auszulegen und bezeichne jeden Zugangsbereich oder jede Lobby vor einer beliebigen Aufzugstür. Anspruch 1 schließe auch nicht aus, dass sich ein Zugangsstockwerk ändert und z.B. vorher als Zielstockwerk gedient hat.
Als Zugangsstockwerke im obigen weitesten Sinn seien in Figur 5 der E1 die Bereiche im Stockwerk 1F vor den Eingangstüren der Aufzüge A, B und C, D anzusehen, was durch den Vergleich mit den ebenfalls als zwei Zugangsstockwerke S1a und S1b bezeichneten Bereichen in Figur 2 des Streitpatents gerechtfertigt sei. Eine physikalische, bauliche Trennung sei dort nicht erkennbar. Darüber hinaus sei in E1 auch das Stockwerk 2F zeitweise Zugangsstockwerk im Sinne des Anspruchs, siehe Figur 4. Eine zeitabhängige feste Zuweisung von Zielstockwerken zu den jeweiligen Zugangsstockwerken sei in zweifacher Hinsicht in E1 offenbart, nämlich in dem Prozessschritt S1 und im Zusammenhang mit der Zuleitung von Personen zu den Aufzügen auf das (weitere Zugangs-) Stockwerk 2 nach einer Wartezeit von drei Minuten im Falle erhöhten Andrangs auf Stockwerk 1F, wie aus den vorgelegten übersetzten Abschnitten der Beschreibung der E1 hervorgehe. In Zeiten des Betriebs der Aufzugsanlage von E1 gemäß Figuren 4 oder 5 würden deshalb Personen mit gleichen Zielstockwerken gleichen Zugangsstockwerken zugewiesen werden.
Hilfsanträge 1 und 2
Die Hilfsanträge sollten nicht in das Verfahren zugelassen werden, da die mit ihnen vorgeschlagenen Änderungen früher erfolgen hätten können und darüber hinaus zu neuen Einwände führten. Einerseits hätte die Änderung in Ansprüchen 1 und 9 des Hilfsantrags 1 bereits mit der Beschwerdeerwiderung erfolgen können, da der ihr zugrundeliegende Sachverhalt von wesentlicher Bedeutung für die Begründung der angefochtenen Entscheidung war, siehe 2.2 der Entscheidungsgründe, und ebenso in der Beschwerdebegründung ausführlich diskutiert wurde, siehe Abschnitt II.2.2. Andererseits seien die Änderungen an Anspruch 1 von Hilfsantrag 1 ungeeignet, den Neuheitseinwand zu überwinden und verstießen beim Gegenstand von Anspruch 9 gegen das Klarheits-Erfordernis des Artikels 84 EPÜ. Es sei unklar, welche Einschränkung für die beanspruchte Anordnung erzielt werde.
Rückzahlung der Beschwerdegebühr
Das der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegende Verfahren leide an einem schwerwiegenden Verfahrensmangel. Der Einsprechende-Beschwerdeführerin sei in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung keinerlei Gelegenheit gegeben worden, ihre Angriffe unter Artikel 56 EPÜ gestützt auf die Entgegenhaltungen E1, E2 und E3, bzw. zur Relevanz dieser Einwände vorzutragen.
XI. Die Argumente der Beschwerdegegnerin können wie folgt zusammengefasst werden.
Hauptantrag
Bei der Auslegung des Begriffs "Zugangsstockwerk" müsse das Verständnis des Fachmanns berücksichtigt werden. Der Fachmann müsse dabei die gesamte Offenbarung des Patents heranziehen und es unter Berücksichtigung seines allgemeinen Fachwissens mit der Bereitschaft auslegen, es zu verstehen. Zum Fachwissen zähle dabei nicht nur das Gebiet der Aufzugsanlagen und ihrer Steuerung, sondern auch der Bereich, in dem diese zur Anwendung kommen, hier also die Bauwirtschaft. Außerdem sei ein im Anspruch verwendeter Begriff in seinem Kontext auszulegen.
Der Fachmann erkenne allein aus Anspruch 1, dass Zugangsstockwerke, zu denen Personen anspruchsgemäß zugeleitet werden, um in die entsprechenden, den jeweiligen Zugangsstockwerken fest zugewiesenen und von diesen zu unterscheidenden Zielstockwerke befördert werden zu können, solche Stockwerke seien, die das Gebäude von außen erschließen, wie z.B. Erdgeschosse oder Parkdecks. Es handle sich daher um Stockwerke, die den Zugang zur Aufzugsanlage zum ersten Mal nach dem Betreten des Gebäudes ermöglichen. Die Eigenschaft Zugangsstockwerk zu sein, definiere also eine Gebäudeeigenschaft und erfordere eine entsprechende bauliche Ausgestaltung. Das gleiche Verständnis dieses Begriffs ergebe sich auch aus dem Patent E12 der Beschwerdeführerin, das ebenso wie das Streitpatent die effiziente Steuerung einer Aufzugsanlage betrifft und allein schon aus diesem Grund vom Fachmann berücksichtigt werden würde. Der Anspruch definiere mindestens zwei solcher Zugangsstockwerke, die als solche aufgrund baulicher Gegebenheiten existierten bevor das beanspruchte Verfahren durchgeführt werde. Eine entsprechende bauliche Ausgestaltung der Zugangsstockwerke S1a und S1b finde sich auch in Figur 2 des angegriffenen Patents, was sich zweifelsfrei aus der Darstellung der Schachtwand zwischen den zwei Doppel-Aufzugschächten entnehmen ließe.
Da die Kammer Diskussionsbedarf in der Auslegung der Begriffe im Anspruch gesehen habe, bestünden also Zweifel. Der ständigen Rechtsprechung folgend müsse sich der beanspruchte Gegenstand aber unmittelbar und eindeutig aus dem Stand der Technik ergeben, es müsse außer Zweifel stehen, dass der beanspruchte Gegenstand offenbart sei. E1 könne diesem Maßstab entsprechend nicht neuheitsschädlich sein, da offensichtlich Zweifel bestünden, was zum Beispiel als Zugangsstockwerk zu betrachten wäre. In E1 gebe es allenfalls ein Zugangsstockwerk, das Stockwerk 1F, zu dem alle Personen zugeleitet werden, unabhängig von ihrem jeweiligen Zielstockwerk. Darüber hinaus finde in E1 keine rein zeitabhängige Zuweisung von Zielstockwerken statt. E1 offenbare demgegenüber eine Abhängigkeit vom Personenaufkommen.
Hilfsanträge 1 und 2
Die Anträge sollten in das Verfahren zugelassen werden, da angesichts der Vielzahl der von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Einwände vor der Mitteilung der Beschwerdekammer kein sinnvoller Hilfsantrag vorbereitet werden konnte. Die vorläufige Meinung der Kammer habe zudem neue Fragen aufgeworfen, insbesondere habe die Kammer Klärungsbedarf gesehen hinsichtlich der Begriffe "gleiche Zielstockwerke" und "zeitabhängig". Die Zulassung sei außerdem der Verfahrensökonomie nicht abträglich, da die Anzahl der Hilfsanträge gering sei, zumindest die Einwände mangelnder Neuheit ausgeräumt und keine neuen Fragen aufgeworfen werden würden, da die unabhängigen Ansprüche im wesentlichen durch Merkmale von erteilten Ansprüchen eingeschränkt seien.
Die Änderung an Ansprüchen 1 und 9 des Hilfsantrags 1, die keine neuen Sachverhalte einführe, sondern nur Merkmale betreffe, die schon immer im Verfahren waren, bedeuteten im wesentlichen eine Klarstellung des Begriffs "Zugangsstockwerke" im Sinne der Beschreibung, Absatz 7. Damit seien für den Fachmann jetzt eindeutig zwei baulich voneinander getrennte und nicht veränderbare Stockwerke eines Gebäudes als Zugangsstockwerke in Aufwärtsrichtung definiert.
Hinsichtlich der entsprechenden Änderungen im Hilfsantrag 2 wurden keine weiteren Ausführungen gemacht.
Hauptantrag - Artikel 100 a) und 54 EPÜ
1. Auslegung der Ansprüche 1 und 9
Im folgenden wird zwar nur auf den Verfahrensanspruch 1 Bezug genommen. Die Ausführungen gelten aber in entsprechender Weise auch für den auf die Anordnung gerichteten Anspruch 9.
Die Beurteilung der Neuheit des beanspruchten Verfahrens hängt, wie auch in der angefochtenen Entscheidung festgestellt, entscheidend von der Auslegung des Ausdrucks "[erstem oder zweitem] Zugangsstockwerk", darüber hinaus auch von der Auslegung der Ausdrücke "Personen mit gleichem Zielstockwerk gleichen Zugangstockwerken zugeleitet" und "[Zuweisung] zeitabhängig [vorgenommen]" ab. Die Parteien sind sich zwar dahingehend einig, dass insbesondere der erste der drei Ausdrücke klar ist. Seine Bedeutung ist dennoch strittig. Hinsichtlich des zweiten und dritten Ausdrucks ergibt sich der Klärungsbedarf aus den Argumenten der Beschwerdegegnerin, mit denen sie die Offenbarung der entsprechenden Merkmale unter anderem in E1 bestreitet.
1.1 Die Kammer kann der Beschwerdegegnerin hinsichtlich der bei der Auslegung der Ansprüche und der in ihnen verwendeten Begriffe zu berücksichtigenden Prinzipien der ständigen Rechtsprechung im wesentlichen zustimmen.
Allerdings kommt die Kammer bei der Anwendung der von der Beschwerdegegnerin angeführten Prinzipien zu anderen Schlussfolgerungen.
1.2 "Zugangsstockwerk"
Unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts des Streitpatents kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass der Fachmann den Begriff "Zugangsstockwerk" in seiner breitesten, technisch sinnvollen Auslegung dahingehend versteht, dass er - neben der ebenfalls vom Anspruch mit umfassten, aber eben nicht ausschließlichen Bedeutung, wonach ein Stockwerk wie z.B. ein Erdgeschoss oder ein Parkdeck gemeint sein kann, welches das Gebäude erschließt - einen Bereich oder eine Lobby vor einer Aufzugstür auf einem Stockwerk bezeichnet, über welche mittels der Aufzugsanlage Zugang zu anderen Stockwerken des Gebäudes, umfassend die zeitabhängig fest zuzuweisenden Zielstockwerke, ermöglicht wird.
Diese Auslegung ist gestützt auf die Offenbarung in Absätzen 16 (insbesondere Spalte 4, Zeilen 24-28) und 17 (insbesondere Spalte 4, Zeile 50 bis Spalte 5, Zeile 1). Hier wird der Begriff zwar im Zusammenhang mit der Prüfung einer Zugangsberechtigung erläutert, welche erst in einigen abhängigen Ansprüchen (siehe Ansprüche 7 und 8) definiert wird. Aber da der unabhängige Anspruch 1 diese Ausführungsformen mit umfasst, muss der Begriff auch in Anspruch 1 bereits in diesem breiten Sinn ausgelegt werden. Weiter können, wie z.B. Figur 2 und ihre Beschreibung in Absatz 38 des Streitpatents für ein erfindungsgemäßes Verfahren offenbart, zwei Zugangsstockwerke bzw. die ihnen entsprechenden Bereiche auch auf einem physischen Stockwerk des Gebäudes direkt, d.h. ohne bauliche Trennung, nebeneinander liegen. In dieser Ausführungsform der Erfindung des Streitpatents liegen nämlich die explizit als separate Zugangsstockwerke S1a und S1b bezeichneten Bereiche auf einem gleichen Stockwerk (hier ein Parkdeck) vor einer aus vier Aufzügen bestehenden Aufzugsanlage (Spalte 7, Zeilen 52-58). Eine (bauliche) Trennung der Bereiche S1a und S1b ist nirgends offenbart. Der Zugang zu beiden Bereichen S1a und S1b erfolgt mittels einer einzigen Zugangskontrolle (Terminal 13) an der schematisch dargestellten Rampe, nach deren Passage beide Bereiche S1a und S1b vor den entsprechenden Aufzugstüren der Aufzugsanlage frei zugänglich sind. Nichts deutet darauf hin, dass die schematisch in Figur 2 durch Schachtwände angedeutete Trennung in der aus zwei Doppel-Aufzügen in zwei nebeneinander liegenden Schächten bestehenden Aufzugsanlage vom Fachmann als bauliche Trennung der Zugangsstockwerke S1a und S1b verstanden wird. Die Schächte der Aufzugsanlage sind nirgends näher beschrieben. Der Fachmann misst dieser schematisch dargestellten Trennung der Schächte im Rahmen des Gegenstand der beanspruchten Erfindung keine besondere Bedeutung bei.
Für die eingeschränkte Auslegung durch die Beschwerdegegnerin hingegen findet sich weder eine Grundlage im Streitpatent noch wurde ein Nachweis erbracht, dass die angenommene Bedeutung dem allgemeinen Fachwissen entspringt.
Die Kammer stimmt der Beschwerdegegnerin zu, dass der Fachmann in der vorliegenden Sache neben dem Fachwissen über Aufzugsanlagen und deren Steuerung auch das Fachwissen auf dem Gebiet der Bauwirtschaft, insbesondere über die Planung der Gebäude und ihre Erschließung besitzt. Die Beschwerdegegnerin hat allerdings, wie bereits angedeutet, keinen Nachweis aus dem allgemeinen Fachwissen für ihre Deutung des Begriffs "Zugangsstockwerk" vorgelegt. Die von der Beschwerdegegnerin diesbezüglich eingereichte Patentschrift E12, die die Beschwerdeführerin wiederum als Patentinhaberin anführt, betrifft in der Tat einen ähnlichen Gegenstand wie das Streitpatent und verwendet in der Beschreibung ebenfalls den Begriff "Zugangsstockwerk", womit "beispielsweise das Erdgeschoss oder ein Parkdeck" gemeint sein kann (E12, Spalte 6, Zeilen 9-15). Abgesehen davon, dass objektiv außer einer generellen Ähnlichkeit des Gegenstands der beiden Patente keine Verknüpfung zwischen ihnen erkennbar ist, z.B. in Form irgendeines Verweises im Streitpatent, der den Fachmann bei der Auslegung der im Streitpatent verwendeten Begriffe zu E12 führen könnte, steht die beispielhafte Aufzählung, was in E12 ein Zugangsstockwerk sein kann, der breiteren Auslegung durch die Kammer im Sinne des Streitpatents nicht entgegen.
Auch aus der Unterscheidung von Zugangsstockwerken und Zielstockwerken, bzw. aus ihrer anspruchsgemäßen Verknüpfung durch die Begriffe "Zuweisung" oder "zuleiten" folgt nicht zwangsläufig, dass Zugangsstockwerke eine Erschließung des Gebäudes von außen ermöglichen müssen, oder dass Personen durch Zugangsstockwerke zum ersten Mal nach Betreten des Gebäudes Zugang zur Aufzugsanlage bekommen.
1.3 "Personen mit gleichem Zielstockwerk [werden] gleichen Zugangsstockwerken zugeleitet"
Wie die Kammer in ihrer vorläufigen Mitteilung ebenfalls bereits dargelegt hatte und entgegen der ursprünglich vorgetragenen Auffassung der Beschwerdegegnerin, ist dieser Wortlaut bei technisch sinnvoller Auslegung nicht so zu verstehen, dass nur Personen mit einem gleichen bzw. identischen Zielstockwerk auf ein bestimmtes Zugangsstockwerk zugeleitet werden und keine Personen mit einem anderen Zielstockwerk auf dieses bestimmte Zugangsstockwerk zugeleitet werden dürfen. Vielmehr schließt der Wortlaut nicht aus, dass auch Personen mit unterschiedlichen Zielstockwerken einem gleichen Zugangsstockwerk zugeleitet werden. Würde dieses Merkmal im dem Sinn verstanden werden, den ihm die Beschwerdegegnerin ursprünglich gab, würde sich daraus ergeben, dass für jedes Zielstockwerk genau ein Zugangsstockwerk existieren müsste. Eine solche Auslegung stünde nicht im Einklang mit den Ausführungsformen des Patents. Zum Beispiel werden bei der erfindungsgemäßen Ausführungsform in Figur 1 Personen mit den unterschiedlichen Zielstockwerken S5, S6, oder S7 von dem gleichen Zugangsstockwerk S2 befördert (siehe auch Absatz 30). Ähnliches gilt zumindest auch für die Ausführungsformen der Figuren 2 (S2a bedient Stockwerke S3, S4) oder Figur 5b; siehe ebenso Anspruch 3.
Die Beschwerdegegnerin hat der vorläufigen Auslegung durch die Kammer auch nicht widersprochen, sondern nur angemerkt, dass die Ausführungen der Kammer hierzu eher die Zuleitungen von Personen betroffen hätten, was am Ergebnis der Auslegung aber nichts ändert.
1.4 "zeitabhängig"
Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin findet die Kammer, dass das Merkmal, durch das die zeitabhängige Zuweisung von Ziel- zu Zugangsstockwerken definiert wird, die Verwendung weiterer Kriterien zur Durchführung der Zuweisung nicht ausschließt. Es erfordert notwendigerweise die Berücksichtigung der Zeit, schließt aber eben nicht aus, dass ein weiteres Kriterium für die Durchführung der Änderung verwendet wird. Eine allein durch die Uhrzeit bestimmte Zuweisung ist im Anspruch nicht definiert.
2. Neuheit des Verfahrens nach Anspruch 1 - E1
Unter Berücksichtigung der zuvor begründeten Auslegung der genannten Merkmale kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass das in E1 im Zusammenhang mit den Abbildungen 3 und 5 offenbarte Verfahren den Gegenstand von Anspruch 1 vorwegnimmt.
2.1 Es ist unbestritten, dass E1 ein Verfahren zur Beförderung von Personen in einem Gebäude mittels einer Aufzugsanlage offenbart, wobei die Aufzugsanlage vier Aufzugskabinen A, B, C, D umfasst, wobei die Aufzugskabinen A-D von Personen z.B. im Stockwerk 1F betreten werden können. Figur 3 offenbart ein Ablaufdiagramm für die Steuerung der Aufzugsanlage und Figur 5 stellt einen demnach erreichbaren Zustand der Aufzugsanlage dar, in dem im Stockwerk 1F die Aufzüge A und B nur die Stockwerke 2F-4F bedienen, wohingegen die daneben liegenden Aufzüge C und D die Stockwerke 5F und 6F bedienen.
In Analogie zu der in Figur 2 des Streitpatents dargestellten Situation, die bei einem erfindungsgemäßen Verfahren erreicht werden können sollte und derzufolge die Zugangsstockwerke S1a und S1b nur als Bereiche vor der jeweiligen Aufzugstür, von links gesehen der zweiten und vierten, ausgeführt sind, können die entsprechenden Bereiche vor den Aufzügen A, B bzw. C, D, in E1 als respektive erstes und zweites Zugangsstockwerk im Sinne des Anspruchs 1 verstanden werden.
In der in Figur 5 der E1 dargestellten Situation werden die Aufzugskabinen A, B und C, D also in einem ersten und zweiten Zugangsstockwerk "A/B" und "C/D" betreten, wobei zuvor den beiden Zugangsstockwerken "A/B" und "C/D" wenigstens ein Zielstockwerk (2F-4F, bzw. 5F,6F) fest zugewiesen worden ist. Der im Anspruch 1 des Streitpatents angegebene Zuweisungsschritt ("...fest zugewiesen wird") ergibt sich unmittelbar und eindeutig aus dem in Figur 3 dargestellten Prozess, bzw. der entsprechenden auszugsweisen Übersetzung der Beschreibung, deren Richtigkeit von der Beschwerdegegnerin nicht in Zweifel gezogen wurde.
Damit Personen ihre gewünschten Zielstockwerke bei dem in Figur 5 der E1 dargestellten Betriebsmodus ("divided operation") erreichen, müssen sie notwendigerweise durch geeignete, aber in E1 nicht explizit beschriebene Maßnahmen, dem entsprechenden Zugangsstockwerk "A/B" oder "C/D" zugeleitet werden. Die Kammer merkt an, dass Anspruch 1 nicht definiert, durch welche Maßnahmen oder Mittel die Zuleitung umgesetzt wird. Die Beschwerdegegnerin hat auch nicht behauptet, dass eine Zuleitung in E1 prinzipiell nicht erfolgen würde. Sie hat dagegen im wesentlichen bestritten, dass die Zuleitung nicht anspruchsgemäß in dem Sinne ist, dass sie für alle Personen unabhängig von ihrem Zielstockwerk immer nur zum gleichen Stockwerk 1F erfolgt. Dieses Argument beruht aber auf einer unzulässig engen Auslegung des Begriffs "Zugangsstockwerk" (siehe oben). Denn auch im Betriebsmodus, der in Figur 5 der E1 dargestellt ist, werden entsprechend der breiteren Auslegung des Begriffs "Zugangsstockwerk" durch die Kammer, notwendigerweise alle Personen mit gleichem Zielstockwerk, z.B. 3F, dem Zugangsstockwerk "A/B" zugeleitet (unbeschadet der Tatsache, dass auch Personen mit Ziel 4F dem selben Zugangsstockwerk zugeleitet werden).
Die Zuweisung von Zielstockwerken zu Zugangsstockwerken erfolgt in E1 auch zeitabhängig, was sich unmittelbar und eindeutig aus dem Ablaufdiagramm in Figur 3 und der dazugehörigen (übersetzten) Beschreibung ergibt. Im Schritt S1 findet nämlich eine Prüfung statt, ob Beginn der Bürozeit ist ("whether it is in the office beginning time zone based on the output from the timer", 1. Absatz des übersetzten Auszugs der Beschreibung). Wenn diese Abfrage bejaht wird, beginnt der entsprechend Figur 5 gezeigte Betriebsmodus mit festen Zuweisungen von Zielstockwerken zu den beiden Zugangsstockwerken "A/B" und "C/D". Unabhängig davon, dass im Falle einer Verneinung in S1 im folgenden Schritt S2 auch eine Prüfung einer manuellen Umschaltung zu der in Figur 5 dargestellten festen Zuweisung führt, gibt es im Verfahren nach E1 eine zeitabhängige feste Zuweisung.
Damit sind alle Verfahrensschritte von Anspruch 1 des Streitpatents in E1 unmittelbar und eindeutig offenbart.
Folglich ist das beanspruchte Verfahren nicht neu im Sinne des Artikels 54 (1) und (2) EPÜ.
2.2 Die Gegenargumente der Beschwerdegegnerin beruhen im wesentlichen auf einer eingeschränkten Auslegung des Anspruchs und überzeugen die Kammer aus den diesbezüglich oben unter Punkt 1. dargelegten Gründen nicht.
Ebenso ist das Argument der Beschwerdegegnerin, wonach die strikten Anforderungen an den Nachweis mangelnder Neuheit nicht erfüllt seien, nämlich das Erfordernis der Zweifellosigkeit, nicht überzeugend. In der Tat muss die Offenbarung eines beanspruchten Gegenstands im Stand der Technik unmittelbar und eindeutig, und damit zweifelsfrei gegeben sein, um auf mangelnde Neuheit schließen zu können. Die Kammer hat im vorliegenden Fall hinsichtlich der Offenbarung der E1 überhaupt keine Zweifel, wie aus den Ausführungen in Punkt 2.1 hervorgeht. Das Argument der Beschwerdegegnerin betrifft im Kern eher den Gegenstand des Anspruchs, d.h. die Interpretation des Anspruchswortlauts und die Frage, was der Fachmann im Lichte der gesamten Offenbarung des Streitpatents sinnvollerweise als unter den Anspruch fallendes Verfahren verstehen würde. Dass der Anspruch in dieser Hinsicht im Lichte der Beschreibung Interpretationsspielraum lässt (und möglicherweise auch noch ganz andere Ausführungsformen eines Verfahrens umfasst, die von den Parteien gar nicht diskutiert wurden und für die Beurteilung der Neuheit anhand des im Verfahren befindlichen Stands der Technik auch hier nicht relevant sind), ist eine normale Eigenschaft von Patentansprüchen, die sich durch die Absicht des Patentinhabers begründet, möglichst weitreichenden Schutz für seine Erfindung zu bekommen und nicht auf einige wenige Ausführungsformen eingeschränkt zu werden. Dass dabei auch Zweifel bestehen bleiben können, was noch alles unter einen Begriff des Anspruchs fällt, widerspricht aber nicht der Anforderung an eine zweifelsfreie Offenbarung eines Gegenstands, der unter Berücksichtigung der gesamten Offenbarung des Patents unter den Wortlaut des Anspruchs fallen soll. Die Frage, wie Anspruch 1 in technisch sinnvoller Weise vom Fachmann verstanden werden kann, wurde im Beschwerdeverfahren in einem ersten Schritt geklärt und im zweiten Schritt geprüft, ob ein solcher Gegenstand zweifelsfrei in E1 offenbart ist.
Die Kammer merkt der Vollständigkeit halber an, dass dahingestellt bleiben kann, ob z.B. Zielstockwerke zu Zugangsstockwerken werden können, bzw. ob Änderungen der Art des Stockwerks ausgeschlossen sind. Diese Fragen wären allenfalls hinsichtlich der weiteren in E1 offenbarten Verfahrensschritte relevant gewesen, auf die aber im Hinblick auf die bereits festgestellte mangelnde Neuheit nicht weiter eingegangen werden muss.
2.3 Der Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) in Verbindung mit 54 EPÜ steht also der Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung entgegen.
Hilfsanträge 1 und 2
3. Die Hilfsanträge wurden nach Ablauf der Frist für die Erwiderung auf die Beschwerdebegründung eingereicht und stellen somit eine Änderung des Vorbringens der Beschwerdegegnerin dar.
3.1 Artikel 13 (1) VOBK 2020 findet Anwendung (siehe z.B. auch T 634/16). Dies wurde von den Parteien auch nicht bestritten.
Gemäß Artikel 13 (1) VOBK 2020 bedürfen Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Einreichung seiner Beschwerdebegründung oder Erwiderung rechtfertigender Gründe seitens des Beteiligten. Ihre Zulassung steht im Ermessen der Kammer.
Der Artikel bestimmt unter anderem weiter, dass der Beteiligte die Gründe dafür angeben muss, weshalb er die Änderung erst in dieser Phase des Beschwerdeverfahrens einreicht.
Bei der Ausübung ihres Ermessens berücksichtigt die Kammer insbesondere den Stand des Verfahrens, die Eignung der Änderung zur Lösung der von einem anderen Beteiligten im Beschwerdeverfahren in zulässiger Weise aufgeworfenen Fragen oder der von der Kammer selbst aufgeworfenen Fragen, ferner ob die Änderung der Verfahrensökonomie abträglich ist, und bei Änderung einer Patentanmeldung oder eines Patents, ob der Beteiligte aufgezeigt hat, dass die Änderung prima facie die von einem anderen Beteiligten im Beschwerdeverfahren oder von der Kammer aufgeworfenen Fragen ausräumt und keinen Anlass zu neuen Einwänden gibt.
3.2 Unter Berücksichtigung der in Artikel 13 (1) VOBK 2020 aufgeführten Kriterien hat die Kammer ihr Ermessen dahingehend ausgeübt, Hilfsantrag 1 nicht in das Verfahren zuzulassen.
3.2.1 Einerseits führt die vorgenommene Änderung am Anspruch 9 prima facie zu einem neuen Einwand unter Artikel 84 EPÜ. Das aus Absatz 7 der Beschreibung des Patents in den Anspruch aufgenommene Merkmal, "[Zugangsstockwerke...,] durch die das Gebäude erschlossen wird", lässt auf den ersten Blick nicht mit der geforderten Deutlichkeit erkennen, durch welche (möglicherweise auch nur implizierten) strukturellen oder funktionellen Merkmale die beanspruchte Anordnung zur Personenbeförderung in einem Gebäude mit einer Aufzugsanlage weiter eingeschränkt werden soll. Das Argument der Beschwerdegegnerin, wonach die Änderung im wesentlichen der Klarstellung des Ausdrucks "Zugangsstockwerk" dienen solle, ist in diesem Zusammenhang nicht relevant, weil es keine Antwort auf die aufgeworfene Frage hinsichtlich einer Einschränkung gibt.
3.2.2 Darüber hinaus hätte diese Änderung bereits in einem früheren Stadium des Beschwerdeverfahrens erfolgen können und müssen. Bereits die Einspruchsabteilung hatte in der angefochtenen Entscheidung auf die zentrale Bedeutung der Auslegung des Begriffs "Zugangsstockwerk" hingewiesen und ihn eingeschränkt im Sinne des Absatz 7 der Beschreibung verstanden (Entscheidungsgründe 2.2). Die Beschwerdeführerin hat in der Beschwerdebegründung dieser engen Auslegung durch die Einspruchsabteilung und die Beschwerdeführerin detailliert widersprochen (II.2.2 der Beschwerdeerwiderung) und anhand anderer Passagen der Beschreibung argumentiert, dass die vorgenommene einschränkende Auslegung ungerechtfertigt sei. Die Beschwerdegegnerin hätte also bereits mit ihrer Erwiderung Anlass gehabt, die vorgenommene Änderung durchzuführen, die auf dem zuvor umfänglich diskutierten Sachverhalt, insbesondere Absatz 7 des Patents, beruht. Die Beschwerdegegnerin hatte keinen Anlass davon auszugehen, dass die Beschwerdekammer in jedem Fall der Linie der Einspruchsabteilung und Beschwerdegegnerin folgen würde. Dass die Vielzahl der vorgetragenen Angriffe ohne eine vorläufige Beurteilung der Kammer der Formulierung sinnvoller Hilfsanträge entgegengestanden hätte, überzeugt die Kammer im Hinblick auf die zentrale Bedeutung der Auslegung des Begriffs "Zugangsstockwerk" in nahezu allen vorgetragenen Einwänden nicht. Zudem sieht die Kammer unter diesen Umständen und entgegen der Meinung der Beschwerdegegnerin die Vorlage von Hilfsanträgen mit dieser Änderung erst zu diesem Zeitpunkt im Beschwerdeverfahren als der Verfahrensökonomie abträglich an.
Hilfsantrag 2
4. Der ebenfalls auf eine Anordnung gerichtete unabhängige Anspruch 7 enthält neben weiteren Änderungen die gleiche Änderung wie der unabhängige Anspruch 9 des Hilfsantrags 1. Es ist nicht erkennbar und es wurde auch von der Beschwerdegegnerin nicht behauptet, dass die weiteren Änderungen den hinsichtlich Anspruch 9 von Hilfsantrag 1 prima facie erhobenen Einwand unter Artikel 84 EPÜ ausräumen würden. Die Kammer hat daher ihr Ermessen nach Artikel 13 (1) VOBK 2020 in der gleichen Weise wie zu Hilfsantrag 1 ausgeübt und auch Hilfsantrag 2 nicht in das Verfahren zugelassen.
5. Da folglich keine Fassung des Streitpatents vorliegt, welche den Erfordernissen des EPÜ genügt, ist das Patent entsprechend dem Antrag der Beschwerdeführerin zu widerrufen (Artikel 101 (3) b) EPÜ).
Rückzahlung der Beschwerdegebühr
6. Nach Regel 103 (1) a) EPÜ wird die Beschwerdegebühr in voller Höhe zurückgezahlt, wenn der Beschwerde durch die Beschwerdekammer stattgegeben wird und die Rückzahlung wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels der Billigkeit entspricht.
Da die Beschwerde Erfolg hat und das Einspruchsverfahren wie im folgenden dargelegt an einem wesentlichen Verfahrenmangel leidet, nämlich der Verletzung des rechtlichen Gehörs nach Artikel 113 (1) EPÜ, entspricht die Rückzahlung der Gebühr der Billigkeit.
Die Beschwerdeführerin hat erstmals in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung, nach dem Misserfolg ihrer auf E1, E2, und E3 gestützten Neuheitseinwände, versucht, Einwände ausgehend von diesen drei Entgegenhaltungen zur erfinderischen Tätigkeit zu erheben. Diese Einwände wurden von der Einspruchsabteilung nicht im Verfahren berücksichtigt.
Die schriftliche Begründung hierzu (siehe Punkt 2.4.4 der angefochtenen Entscheidung) gibt an, dass keine überzeugenden Gründe dargelegt wurden, warum die Einwände relevanter hätten sein sollen als die zuvor vorgetragenen Einwände zur erfinderischen Tätigkeit (auf E4, E5 und E6 beruhend) und das mangels prima facie erkennbarer Relevanz diese nicht zugelassen wurden, wobei gegen die Relevanz der Angriffe bereits die Tatsache spräche, dass mit E1, E2 und E3 im schriftlichen Verfahren alleinig Neuheit angegriffen worden sei (siehe oben II.f)).
Auch wenn die Einspruchsabteilung in der schriftlichen Begründung ihrer Ermessensentscheidung auf hierfür wesentliche Kriterien Bezug nimmt, wurde bei der Entscheidungsfindung das rechtliche Gehör der Beschwerdeführerin verletzt.
Aus der Niederschrift über die mündliche Verhandlung ist nicht erkennbar, dass, wie die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdebegründung argumentiert hat, ihr überhaupt Gelegenheit gegeben wurde, die betreffenden Einwände zumindest insoweit vorzutragen, dass die Einspruchsabteilung und die Beschwerdegegnerin die prima facie Relevanz hätten beurteilen können. Es ist aus der Niederschrift noch nicht einmal zu entnehmen (siehe oben II.e) unter "4"), dass die Einspruchsabteilung die prima facie Relevanz bei ihrer Entscheidung überhaupt berücksichtigt hat.
Insofern wurde die angefochtene Entscheidung entgegen den Bestimmungen des Artikels 113 (1) EPÜ auf Gründe gestützt, zu denen sich die Beschwerdeführerin nicht äußern konnte, was als ein wesentlicher Verfahrensmangel zu werten ist. Folglich entspricht die Rückzahlung der Beschwerdegebühr der Billigkeit.
Andere Anträge
7. Über die Anträge der Beschwerdegegnerin betreffend die Nicht-Berücksichtigung des Neuheitseinwands beruhend auf E5 und der Einwände unter Artikel 56 EPÜ beruhend auf E1, E2 und E3 muss nicht entschieden werden, da sie für den Ausgang des Verfahrens offensichtlich keine Bedeutung haben.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.
3. Die Beschwerdegebühr wird zurückerstattet.