T 0752/16 (Relatives Extinktions-Minimum) 27-08-2020
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Verfahren und Vorrichtung zur kontinuierlichen Aufbereitung belasteter Fluide
ARU Anlagen für Recycling und Umweltschutz
Dr.-Ing. Johannes Biegel GbR
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (nein): Umformulierung der objektiven Aufgabe
Zulassung von nach der Ladung zur mündlichen Verhandlung eingereichten Anspruchssätzen - Hilfsanträge 1, 1A, 1B, 2, 3 (nein): keine "außergewöhnlichen Umstände"
Eine Änderung der vorläufigen Meinung der Kammer zu einem bestimmten Einspruchsgrund stellt keinen "außergewöhnlichen Umstand" im Sinne von Artikel 13(2) VOBK 2020 dar (siehe Punkt
3 der Entscheidungsgründe).
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den auf die Einspruchsgründe der mangelnden Ausführbarkeit und der mangelnden erfinderischen Tätigkeit gestützten Einspruch gegen das vorliegende europäische Patent zurückzuweisen.
II. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte, die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und das Patent vollständig zu widerrufen. Sie begründete ihre Beschwerde mit mangelnder Ausführbarkeit der Erfindung (Artikel 100 b) EPÜ) und mangelnder erfinderischer Tätigkeit (Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ) des Gegenstands der Ansprüche gemäß Hauptantrag. Die Argumentation der Beschwerdeführerin stützt sich unter anderem auf die folgenden Dokumente:
E1: EP 1 185 911 B1 und
E11: DE 36 27 199 A1.
III. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte mit ihrer Beschwerdeerwiderung die Zurückweisung der Beschwerde und hilfsweise die Aufrechterhaltung des Streitpatents in geänderter Fassung auf der Basis der Ansprüche gemäß Hilfsantrag 1 (Artikel 101(3)a) EPÜ).
IV. Die Kammer erließ mit einer ersten Ladung am 3. Januar 2020 eine Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK 2020. Sie äußerte darin die vorläufige Ansicht, dass der Gegenstand von Anspruch 1 des Patents wie erteilt nicht durch die Kombination der Dokumente E1 und E11 nahegelegt sei. Der Termin dieser mündlichen Verhandlung wurde am 6. April 2020 aufgrund der damaligen Situation der Corona-Pandemie aufgehoben.| |
V. Die Kammer versandte eine zweite Ladung am 9. Juni 2020 und teilte den Beteiligten mit, dass sie ihre Meinung revidiert hätte, d.h. dass der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags ausgehend von E1 nahegelegt sei.
VI. Die Beschwerdegegnerin nahm daraufhin ihren Hilfsantrag 1 zurück und reichte neue Hilfsanträge 1, 1A, 1B, 2 und 3 ein.
VII. In der ohne die Anwesenheit der Beschwerdeführerin (wie schriftlich angekündigt) abgehaltenen mündlichen Verhandlung am 27. August 2020 wurde die Gewährbarkeit des Hauptantrags und die Zulassung der Hilfsanträge in das Verfahren diskutiert. Die Beschwerdegegnerin beantragte abschließend,
- die Beschwerde zurückzuweisen und das Patent wie erteilt oder in geänderter Fassung auf der Grundlage eines der Hilfsanträge 1, 1A, 1B, 2 oder 3 aufrechtzuerhalten.
Am Ende der Verhandlung wurde die Entscheidung der Kammer verkündet.
VIII. Anspruch 1 des Streitpatents (Hauptantrags) hat den folgenden Wortlaut (mit der in der angefochtenen Entscheidung verwendeten Merkmalsgliederung und angepassten Rückbezügen auf vorher genannte Merkmale):
"1.1 Verfahren zur Messung, Steuerung und Regulierung der optimalen Dosiermenge von in kontinuierlich strömende, zu behandelnde Fluide einzubringende Aufbereitungschemikalien (114) zur Aufbereitung von Emulsionen, bei dem
1.2 eine maximale bzw. minimale absolute Dosiermenge (310; 312) an einzubringenden Aufbereitungschemikalien (114), die nicht über- bzw. unterschritten werden darf, vorgegeben wird,
1.3 vor Beginn der Messung, Steuerung und Regulierung ein Dosier-Scan durchgeführt wird, bei dem
1.3.1 ein voreingestellter Dosierbereich, begrenzt durch die maximale, bzw. minimale Dosiermenge, geprüft,
1.3.2 eine Dosiermenge durch das Erreichen eines relativen Minimums einer Verlaufskurve der bestimmten Eigenschaft des Fluids in Abhängigkeit von der Menge der einzubringenden Aufbereitungschemikalien ermittelt wird und
1.3.3 die ermittelte Dosiermenge als optimale Startdosierung (308) verwendet wird, die eine bestimmte Eigenschaft des zu behandelnden Fluids (102) verändert, und
1.3.4 der Wert der bestimmten Eigenschaft des zu behandelnden Fluids (102) im relativen Minimum als Referenzwert für die bestimmte Eigenschaft des zu behandelnden Fluids (102) verwendet wird, und
1.3.5 wobei die bestimmte Eigenschaft des zu behandelnden Fluids (102) mittels einer Messtechnik (140) ermittelt wird,
1.4 die bestimmte Eigenschaft des kontinuierlich strömenden, zu behandelnden Fluids (102) mittels der Messtechnik (140) kontinuierlich überwacht wird,
1.5 die einzubringende Dosiermenge der Aufbereitungschemikalien (114) kontinuierlich und automatisch gemessen, gesteuert und geregelt wird, und
1.5.1 wobei bei einer Änderung der überwachten Eigenschaft des zu behandelnden Fluids (102) die einzubringende Dosiermenge der Aufbereitungschemikalien (114) verändert wird, bis die bestimmte Eigenschaft des zu behandelnden Fluids optimiert wurde,
1.5.2 der in Schritt 1.5.1 gemessene optimierte Wert der bestimmten Eigenschaft des zu behandelnden Fluids als neuer Referenzwert verwendet wird, und
1.5.3 bei erneuter Änderung der überwachten Eigenschaft des zu behandelnden Fluids (102) die Schritte 1.5.1 und 1.5.2 wiederholt werden."
IX. Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags in den folgenden Merkmalen, die am Ende hinzugefügt wurden:
"... wobei
f) es sich bei der bestimmten Eigenschaft des zu behandelnden Fluids (102) um den Wert für die Abschwächung einer Strahlung in dem zu behandelnden Fluid (102) handelt und
g) die Abschwächung der Strahlung mittels Extinktionsmessung bestimmt wird,
h) die Verlaufskurve (300) für die Extinktion in Ihrem Verlauf ein Minimum (304) aufweist, sich mit Erhöhung der Dosiermenge die Extinktion des Fluids zunächst bis zu dem Minimum (304) verringert und bei weiterer Erhöhung der Dosiermenge die Extinktion des Fluids wieder ansteigt,
i) wobei die Dosiermenge, die eine minimale Extinktion (306) des Fluids bewirkt, als optimale Dosiermenge (308) angenommen wird."
X. Anspruch 1 des Hilfsantrags 1A beruht auf Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 mit dem folgenden Merkmal h) (Hinzufügungen sind durch Unterstreichung gekennzeichnet):
"h) die Verlaufskurve (300) für die Extinktion einen durch die minimale und maximale Dosiermenge (310, 312) begrenzten Wertebereich (302) und in ihrem Verlauf in diesem begrenzten Wertebereich genau ein Minimum (304) aufweist, wobei sich mit Erhöhung der Dosiermenge die Extinktion des Fluids zunächst bis zu dem Minimum (304) verringert und bei weiterer Erhöhung der Dosiermenge die Extinktion des Fluids wieder ansteigt, ...".
XI. Anspruch 1 des Hilfsantrags 1B beruht ebenfalls auf Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 mit dem folgenden Wortlaut des Merkmals h):
"h) die Verlaufskurve (300) für die Extinktion einen durch die minimale und maximale Dosiermenge (310, 312) begrenzten Wertebereich (302) und in ihrem Verlauf in diesem begrenzten Wertebereich ein Minimum (304) aufweist, wobei in dem Wertebereich (302) sich mit Erhöhung der Dosiermenge die Extinktion des Fluids zunächst bis zu dem Minimum (304) monoton verringert und bei weiterer Erhöhung der Dosiermenge die Extinktion wieder monoton ansteigt, ...".
XII. Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags in dem Merkmal 1.1, welches wie folgt lautet:
"1.1 Verfahren zur Messung, Steuerung und Regulierung der optimalen Dosiermenge von in kontinuierlich strömende, zu behandelnde Fluide einzubringende Aufbereitungschemikalien (114) zur Aufbereitung von öl-, tensid-, lack-, farb- und schwermetallhaltigen Emulsionen, bei dem ...".
XIII. Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 enthält die Änderungen von Anspruch 1 der Hilfsanträge 1 und 2.
1. Das Streitpatent
Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Messung, Steuerung und Regulierung der optimalen Dosiermenge von Aufbereitungschemikalien, welche in kontinuierlich strömende, zu behandelnde Fluide einzubringen sind. Die Aufbereitungschemikalien dienen insbesondere zur Aufbereitung von öl-, tensid-, lack-, farb- und schwermetallhaltigen Prozess- und Abwässern, Emulsionen und wässrigen Dispersionen.
Ausgangspunkt der Erfindung sind bekannte Verfahren zur organischen Spaltung von verbrauchten
Kühlschmierstoff-Emulsionen und ölhaltigen Abwässern mittels kationischer Spaltmittel, welche jedoch exakt dosiert werden müssen, um eine Verschlechterung des Ergebnisses durch Überdosierung zu verhindern. Die Bestimmung der Spaltmittelmenge erfolgt dazu in einem vorab durchzuführenden Becherglasversuch.
Gemäß der Erfindung wird in einem ersten Verfahrensabschnitt ein "Dosier-Scan" durchgeführt. Dazu wird in einem voreingestellten Dosierbereich eine Verlaufskurve einer Eigenschaft des Fluids (beispielsweise seiner Trübung bzw. Extinktion) ermittelt. Die Dosiermenge, bei der ein "relatives Minimum" dieser Eigenschaft erreicht wird, wird als optimale Dosiermenge angenommen und als Startdosierung für den Beginn der automatischen Regelung eingestellt.
In einem zweiten Verfahrensabschnitt wird die Eigenschaft des Fluids kontinuierlich gemessen. Bei einer Änderung der Eigenschaft des Fluids wird eine neue optimale Dosiermenge und auf dieser Basis ein neuer Referenzwert für die automatische Steuerung ermittelt und die Dosiermenge entsprechend automatisch nachjustiert (siehe Patentschrift, Absätze [0001], [0002], [0007], [0008], [0016] bis [0025] und [0062]).
2. Hauptantrag - erfinderische Tätigkeit
2.1 Dokument E1 bildet den nächstliegenden Stand der Technik im Hinblick auf den Gegenstand von Anspruch 1.
2.1.1 E1 zeigt ein Verfahren zur Steuerung der optimalen Menge an Aufbereitungschemikalien, welche in kontinuierlich strömende, zu behandelnde Fluide eingebracht werden. Zur optimalen Dosierung wird wie im Streitpatent beispielsweise die Trübung (Extinktion) des Fluids gemessen. Durch eine Änderung der Dosiermenge werden Schwankungen der Zulaufmenge oder der Zusammensetzung des zu behandelnden Fluids ausgeglichen. Ausgehend von einer beliebigen Startdosierung wird mittels einer Extremwertregelung das Optimum der Verlaufskurve gesucht (siehe E1, Absätze [0001], [0007], [0008], [0036] und [0037]).
2.1.2 Es ist unbestritten, dass die Merkmale 1.3.2, 1.3.4, 1.5.1 und 1.6 des Anspruchs 1 nicht in E1 offenbart werden.
2.1.3 Strittig ist jedoch, ob die Merkmale 1.3 und 1.3.1 in E1 offenbart werden. Die Beschwerdeführerin stützt ihr Argument, dass Dosier-Scans entsprechend der Merkmale 1.3 und 1.3.1 zur Ermittlung geeigneter Chemikalien dem Fachmann als zwingende, vorbereitende Maßnahme bekannt sind, durch Verweis auf die Patentschrift, Absätze [0018], [0062] und E11, Figur 2 und Spalte 3, Zeilen 15 ff., Spalte 6, Zeilen 7 ff. und 56 ff. (siehe Beschwerdebegründung, Punkt 3.1).
2.1.4 Die Kammer stimmt zu, dass durch die genannten Passagen von E11 nachgewiesen wird, dass Dosier-Scans dem Fachmann zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents grundsätzlich bekannt waren. Der Auffassung der Beschwerdeführerin, dass die Merkmale 1.3 und 1.3.1 in E1 implizit offenbart seien, kann sich die Kammer jedoch nicht anschließen, da E1 explizit von einer beliebigen Dosierung als Startwert ausgeht (siehe z.B. E1, Absatz [0037]).
2.1.5 Die Kammer stimmt daher mit der angefochtenen Entscheidung überein, dass die Merkmale 1.3, 1.3.1, 1.3.2, 1.3.4, 1.5.1 und 1.6 von Anspruch 1 nicht in Dokument E1 offenbart werden (siehe Punkte 3.3 und 3.4 der Entscheidungsgründe).
2.2 Die Unterscheidungsmerkmale 1.3, 1.3.1, 1.3.2, 1.3.4 beziehen sich auf den ersten Verfahrensabschnitt, d.h auf den vor Beginn der Messung, Steuerung und Regulierung durchzuführenden "Dosier-Scan". Gemäß dieser Merkmale wird ein voreingestellter Dosierbereich geprüft und eine "optimale Startdosierung" durch das Erreichen eines relativen Minimums einer Verlaufskurve der bestimmten Eigenschaft des Fluids ermittelt.
2.3 Die übrigen Unterscheidungsmerkmale 1.5.1 und 1.6 beziehen sich auf den zweiten Verfahrensabschnitt und spezifizieren ein zu E1 alternatives Regelungskonzept. Bei erfolgter Optimierung der überwachten Eigenschaft des Fluids schaltet die Regelung von einer Extremwertregelung in einen Zustand "Messen", d.h. es wird lediglich die "bestimmte Eigenschaft" des Fluids überwacht. Wenn sich die Eigenschaft ändert, erfolgt eine erneute Optimierung. Das in der Optimierung gefundene relative Minimum der Verlaufskurve wird als neuer "Referenzwert" verwendet.
2.4 Die Kammer kann keinen synergetischen Effekt zwischen den die Ermittlung der "optimalen Startdosierung" betreffenden Merkmalen 1.3, 1.3.1, 1.3.2, 1.3.4 und den die Regelung betreffenden Merkmalen 1.5.1 und 1.6 erkennen.
2.4.1 Gemäß der angefochtenen Entscheidung bewirke der in den Merkmalen 1.3.2 und 1.3.4 spezifizierte Dosier-Scan, dass das iterative Optimierungsverfahren mit einem "guten" Startwert beginnt und somit schneller das Optimum finde (siehe angefochtene Entscheidung, Entscheidungsgründe, Punkt 3.5.2). Die Beschwerdegegnerin argumentierte, dass die Unterscheidungsmerkmale zu einem schnellen und sicheren Auffinden des Minimums führen würden. Zudem brachte sie in der mündlichen Verhandlung vor, dass die Schrittweite des Dosier-Scans im Vergleich zu der Änderung im zweiten Verfahrensabschnitt (siehe
Merkmal 1.5.1) so groß gewählt werden könne, dass der Dosier-Scan vergleichsweise schnell das Optimum finde. Bedingt durch das schnelle Auffinden des Minimums würde eine geringere Menge an Chemikalien verbraucht. Ausgehend von E1 sei daher die aus diesen Unterscheidungsmerkmalen resultierende objektive technische (Teil-)Aufgabe, "ein Verfahren anzugeben, welches schneller und sicherer das Minimum findet sowie mit einer geringeren Menge an Aufbereitungschemikalien auskommt".
2.4.2 Da die auf den Dosier-Scan bezogenen Schritte Teil des Verfahrens sind und als vorbereitende Schritte für die Gesamtdauer des Suchprozesses zu berücksichtigen sind, ist die Kammer nicht überzeugt, dass - auf das gesamte Verfahren bezogen - das Optimum schneller als in E1 gefunden werden kann.
Zudem beschreibt Absatz [0062] des Streitpatents in Verbindung mit Figur 3 zwar die Ermittlung der optimalen Dosiermenge als die Dosiermenge, welche "eine minimale Extinktion (Trübung) 306 des Fluids bewirkt". Dieses Beispiel bezieht sich jedoch nur auf eine Verlaufskurve mit einem Minimum. Anspruch 1 lässt offen, ob der Dosier-Scan den ganzen Dosierbereich überprüft oder die Suche nach Auffinden eines relativen Minimums abbricht. Ebenso bleibt offen, welche der Messwerte des Dosier-Scans zur Ermittlung des relativen Minimums verwendet und nach welcher Vorschrift diese Messwerte verarbeitet werden. Es findet sich auch kein Hinweis auf eine große oder einstellbare Schrittweite in der Patentschrift. Die Kammer kann daher weder erkennen, dass das Minimum gemäß dem beanspruchten Verfahren schneller oder sicherer gefunden wird, noch dass dazu eine geringere Menge an Aufbereitungs-chemikalien eingesetzt wird.
2.5 Die Kammer sieht die objektive technische Aufgabe daher ausgehend von E1 darin, "einen alternativen Startwert für die Dosierung zu ermitteln und ein alternatives Regelungsverfahren zu finden".
2.6 Das in den Merkmalen 1.5.1 und 1.6 angegebene alternative Regelungskonzept wird in E1, Absatz [0025], erwähnt und dort als "herkömmliches Verfahren" bezeichnet.
2.7 Hinsichtlich der Merkmale 1.3, 1.3.1, 1.3.2, 1.3.4 verwies die Beschwerdeführerin auf Dokument E11.
E11 betrifft die automatische Bestimmung der optimalen Menge an in eine Emulsion einzubringenden Aufbereitungschemikalien. Dazu zeigt E11 beispielhaft eine über den gesamten Dosierbereich aufgenommene Verlaufskurve der Trübung. Zur automatischen Bestimmung der optimalen Menge an Aufbereitungschemikalien wird ein Dosier-Scan durchgeführt, der automatisch unterbrochen wird, wenn die Trübung ein erstes Minimum erreicht hat (siehe Spalte 6, Zeilen 16 bis 27).
2.8 Die Kammer ist daher der Meinung, dass der Fachmann auf dem Gebiet der Regelungstechnik ausgehend von E1 angesichts der objektiven technischen Aufgabe Dokument E11 herangezogen hätte, um einen alternativen Startwert zu bestimmen. Weiterhin hätte der Fachmann das in E1, Absatz [0025], offenbarte Regelungskonzept mit dem Zustand "Messen" als Alternative zu dem vorrangig in E1 offenbarten Regelungskonzept in Betracht gezogen.
2.9 Damit beruht der beanspruchte Gegenstand nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Hinblick auf die Kombination der Dokumente E1 und E11 sowie des allgemeinen Fachwissens (Artikel 56 EPÜ).
3. Hilfsanträge 1, 1A, 1B, 2 und 3 - Zulassung
3.1 Im vorliegenden Fall wurden die Hilfsanträge 1, 1A, 1B, 2 und 3 nach der Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung vom 9. Juni 2020 eingereicht. Ihre Zulassung in das Beschwerdeverfahren unterliegt daher Artikel 13(2) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern 2020 (VOBK 2020), welche zum 1. Januar 2020 in Kraft trat (siehe Artikel 24 und 25 VOBK 2020).
3.2 Gemäß Artikel 13(2) VOBK 2020 bleiben Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, der Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass "außergewöhnliche Umstände" vorliegen. Bei der Anwendung von Artikel 13(2) VOBK 2020 können wiederum die Kriterien von Artikel 13(1) VOBK 2020 herangezogen werden (siehe z.B. T 989/15, Gründe 16.2). Eines dieser Kriterien bezieht sich im Falle von Patentänderungen auf die Prüfung, ob die Änderungen bereits aufgeworfene Fragen ausräumen und hierbei keinen Anlass zu neuen Einwänden geben.
3.3 Die Beschwerdegegnerin machte geltend, dass die Kammer ihre vorläufige Meinung mit ihrer zweiten Ladung vom 9. Juni 2020 revidiert hätte (siehe Punkt V oben). Die Hilfsanträge 1 bis 3 würden den beanspruchten Gegenstand durch die Anwendung auf eine "Verlaufskurve mit nur einem Minimum" beschränken. Gemäß Anspruch 1 der Hilfsanträge 1A und 1B weise die Verlaufskurve nun "genau ein Minimum" auf.
3.4 Nach Ansicht der Kammer ist es im Hinblick auf Artikel 13(2) VOBK 2020 unerheblich, ob die in der Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK 2020 geäußerte vorläufige Meinung der Kammer von einer vorherigen Stellungnahme oder der angefochtenen Entscheidung abweicht. Mit einer für die Beteiligten ungünstigen vorläufigen Meinung kann jederzeit in den Verfahren vor den Beschwerdekammern vor Verkündung der Entscheidung prinzipiell gerechnet werden. In diesem Zusammenhang ruft die Kammer in Erinnerung, dass die Mitteilung einer vorläufigen Meinung nach Artikel 15(1) VOBK 2020 primär den Rahmen einer anberaumten mündlichen Verhandlung absteckende und eine die effiziente Vorbereitung der Beteiligten auf diese Verhandlung erleichternde Verfahrensmaßnahme darstellt und keine "Einladung" zu weiteren Änderungen in Reaktion hierauf impliziert (siehe z.B. T 1459/11, Gründe 3.2). Mit anderen Worten kann ein Patentinhaber nicht so lange Änderungen als Reaktion auf die vorgebrachten Einwände eines Einsprechenden zurückhalten bis er sich mit einer für ihn negativen vorläufigen Meinung einer Beschwerdekammer konfrontiert sieht bzw. den Eindruck gewinnt, dass die Kammer nicht seiner Ansicht und Argumentation folgt (siehe z.B. T 136/16, Gründe 3.2.2; T 2072/16, Gründe 4.1.7).
3.5 Im vorliegenden Fall basierte die vorläufige Meinung der Kammer auf bereits in der Beschwerdebegründung der Beschwerdeführerin genannten Einwänden und Argumentationslinien. Insbesondere wurde dort das Argument ausgeführt, dass ein Dosier-Scan über das relative Minimum hinaus unnötig sei und keinen weiteren Erkenntnisgewinn liefere, welcher für das Verfahren von Anspruch 1 relevant sei (siehe Seite 8, zweiter und dritter Absatz).
Die Beschwerdegegnerin hätte daher bereits mit ihrer Beschwerdeerwiderung auf die Einwände der Beschwerdeführerin reagieren und gegebenenfalls Ansprüche einreichen sollen, die den Einwänden der Beschwerdeführerin Rechnung tragen.
3.6 Die Kammer erachtet daher die von der Beschwerdegegnerin vorgebrachten Gründe als nicht stichhaltig bzw. sie erkennt keine "außergewöhnlichen Umstände" im Sinne des Artikels 13(2) VOBK 2020, welche die verspätete Vorlage der Hilfsanträge rechtfertigen.
3.7 Im Übrigen ist die Kammer in der Sache nicht überzeugt, dass die Hilfsanträge 1, 1A, 1B, 2 und 3 so verstanden werden können, dass sie das Verfahren auf die Anwendung auf Verlaufskurven mit genau einem Minimum beschränken. Die Kammer stimmt der Beschwerdegegnerin darin zu, dass die hinzugefügten Merkmale einen Fremdbezug beinhalten. Sie beschränken vermeintlich das beanspruchte Verfahren durch einen Bezug auf das zu behandelnde Fluid, welches jedoch nicht Teil des Verfahrens ist (siehe Schreiben der Beschwerdeführerin vom 24. August 2020, Punkt 3.1).
Damit geben die Änderungen Anlass zu neuen Einwänden. Sie sind somit auch der Verfahrensökonomie abträglich (Artikel 13(1) VOBK 2020).
3.8 Die Hilfsanträge 1, 1A, 1B, 2 und 3 wurden daher nicht in das Beschwerdeverfahren zugelassen (Artikel 13(1) und (2) VOBK 2020).
4. Da keine zulässigen bzw. gewährbaren Anspruchssätze vorliegen, ist das Streitpatent zu widerrufen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.