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T 2422/18 06-10-2020
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Medizinisches Instrument
Reduzierte Beschwerdegebühr
Vertrauensschutz (nein)
Geringfügiger Fehlbetrag (nein)
Beschwerde gilt als nicht eingelegt
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die am 20. Juli 2018 zur Post gegebenen Entscheidung der Einspruchsabteilung, gemäß derer das Patent in geändertem Umfang den Erfordernissen des Übereinkommens genügt.
II. Die Beschwerdeschrift wurde am 27. September 2018 eingereicht. An demselben Tag entrichtete die Beschwerdeführerin eine Beschwerdegebühr in Höhe von 1880 ¤. Dies entsprach einer reduzierten Gebühr, die für natürliche Personen und Einheiten im Sinne der Regel 6 (4) und 6 (5) EPÜ i.V.m. Artikel 2 (1) Nr. 11 der Gebührenordnung (Amtsblatt EPA 2018, A4)) zutrifft. Derjenige, der eine solche Gebührenermäßigung in Anspruch nehmen möchte, muss erklären, dass er eine natürliche Person oder eine Einheit im Sinne von Regel 6 (4) EPÜ ist (Mitteilung des EPA vom 18. Dezember 2017 über die ermäßigte Beschwerdegebühr (Artikel 108 EPÜ) für eine Beschwerde, die von einer natürlichen Person oder einer in Regel 6 (4) EPÜ genannten Einheit eingelegt wird, Amtsblatt EPA 2018, A5) . Die Beschwerdeführerin hatte solch eine Erklärung (nachfolgend "die Erklärung") nicht eingereicht.
III. Am 13. Dezember 2019 wurde die Beschwerdeführerin von der Geschäftsstellenbeamtin der Beschwerdekammer über die reduzierte Beschwerdegebühr und das Fehlen der Erklärung informiert. In ihrem Schriftsatz vom 17. Dezember 2019 erklärte die Beschwerdeführerin, dass es sich bei der Einsprechenden nicht um eine Einheit im Sinne der Regel 6 (4) EPÜ handele und die Erklärung daher nicht nachgereicht werden könne. Bei der Entrichtung der reduzierten Gebühr habe es sich um ein Versehen gehandelt, und der Restbetrag von 375 ¤ werde per beiliegender Einzugsermächtigung eingezahlt. Die Beschwerdeführerin beantragte mit Verweis auf den Vertrauensschutz, dass die Beschwerde als zulässig erachtet werden solle. Ein Antrag auf Wiedereinsetzung könne nicht gestellt werden, da dies aufgrund des Ablaufs der einjährigen Ausschlussfrist gemäß Regel 136 (1) EPÜ ausgeschlossen sei.
IV. In ihrer Mitteilung vom 24. Januar 2020 äußerte die Kammer ihre vorläufige Meinung, dass sich die Beschwerdeführerin nicht auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes stützen könne und die Beschwerde als nicht eingelegt gelte. Sie verwies darauf, dass die Beschwerdeführerin keine mündliche Verhandlung beantragt hatte und die Entscheidung im schriftlichen Verfahren ergehen könne.
V. Die Beschwerdeführerin beantragte daraufhin eine mündliche Verhandlung. In ihrer Mitteilung vom 16. April 2020 erklärte die Kammer, dass es in der für den 30. September 2020 anberaumten mündlichen Verhandlung lediglich um die Frage gehen werde, ob die Beschwerde der Einsprechenden als eingelegt gelte. Sollte dies von der Kammer bejaht werden, so werde gegebenenfalls zu einer weiteren Verhandlung geladen, bevor eine Entscheidung in der Sache erginge.
VI. Mit Schreiben vom 4. Juni 2020 kündigte die Beschwerdeführerin an, dass weder sie noch die Vertreter der Einsprechenden an der für den 30. September 2020 anberaumten mündlichen Verhandlung teilnehmen würden und beantragte, dass die Zulässigkeit der Beschwerde gemeinsam mit der Sache über die Beschwerde verhandelt werde. Die Kammer teilte den Beteiligten mit Bescheid vom 16. Juni 2020 mit, dass sie diesen Antrag ablehnt. Sie stellte fest, dass die Einsprechende sich mit der Ankündigung des Nicht-Erscheinens auf ihren schriftlichen Vortrag beschränke und kündigte an, die mündliche Verhandlung voraussichtlich abzusagen. Am 17. September 2020 wurden die Beteiligten darüber informiert, dass der für den 30. September 2020 anberaumte Termin zur mündlichen Verhandlung aufgehoben wurde.
Argumente der Beteiligten
VII. Die Beschwerdeführerin wies darauf hin, dass gemäß Punkt 4 der Mitteilung des EPA von 18. Dezember 2017 über die ermäßigte Beschwerdegebühr die Erklärung spätestens zum Zeitpunkt der Zahlung der ermäßigten Beschwerdegebühr vorliegen muss. Sie argumentierte, dass das Fehlen der Erklärung zu diesem Zeitpunkt ein für das EPA offensichtlich erkennbarer Mangel sei, über den das EPA die Beschwerdeführerin so früh hätte in Kenntnis setzten können, dass zumindest eine theoretische Möglichkeit einer Wiedereinsetzung bestünde. Die Beschwerdeführerin verwies auf die Entscheidungen T 595/11, T 1037/11, T 2554/11 sowie T 707/12, in denen eine sehr ähnliche Fallgestaltung die Beschwerdekammer dazu bewogen hatte, die Beschwerden trotz verspäteter vollständiger Zahlung der Beschwerdegebühr zuzulassen.
VIII. Auch verlange Artikel 108 EPÜ lediglich, dass "die Beschwerdegebühr" entrichtet werde. Da die ermäßigte Gebühr vollständig entrichtet wurde, müsse die Beschwerde als eingelegt gelten. Außerdem entspräche es der Billigkeit, dass das EPA bei einer reduzierten Gebühr den Restbetrag einfordern könne. Dies entspräche auch "der Billigkeit gemäß Entscheidung T 290/90", da der Restbetrag unter 20% der ordentlichen Beschwerdegebühr liege.
IX. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) argumentierte, dass die Beschwerde als nicht eingelegt angesehen werden müsse und eine Wiedereinsetzung nicht möglich sei.
1. Einziger Gegenstand der vorliegenden Entscheidung ist die Frage, ob die Beschwerdegebühr als rechtzeitig eingegangen und die Beschwerde somit als eingelegt gilt oder nicht (G 1/18).
2. Gemäß Artikel 108 EPÜ ist die Beschwerde innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der Entscheidung einzulegen. Sie gilt erst als eingelegt, wenn die Beschwerdegebühr entrichtet worden ist. Gemäß Artikel 8, Satz 1, der Gebührenordnung gilt eine Zahlungsfrist grundsätzlich nur dann als eingehalten, wenn der volle Gebührenbetrag rechtzeitig gezahlt worden ist.
3. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung wurde am 20. Juli 2018 zur Post gegeben. Die Frist für die Einlegung der Beschwerde lief am 1. Oktober 2018 ab. Die reduzierte Beschwerdegebühr wurde am 27. September 2018 entrichtet, der ausstehende Betrag am 17. Dezember 2019. Somit gilt die Beschwerde als nicht eingelegt, es sei denn, ein Rechtbehelf kann erfolgreich angewendet werden. Die Beschwerdeführerin stützt sich mit ihrem Hinweis auf die Entscheidungen T 595/11, T 1037/11, T 2554/11 und T 707/12, sowie der dazu vorgetragenen Argumente, auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes.
4. Der Grundsatz des Vertrauensschutzes erfordert unter anderem, dass das EPA den Anmelder auf einen drohenden Rechtsverlust hinweist, wenn ein solcher Hinweis nach Treu und Glauben erwartet werden kann. Dies setzt voraus, dass der Mangel für das EPA im Rahmen der normalen Bearbeitung des Falls in der entsprechenden Verfahrensphase leicht erkennbar ist und der Benutzer ihn noch fristgerecht beheben kann (G 2/97, Gründe 4.1).
5. Auf der anderen Seite wies die Große Beschwerdekammer in G 2/97 darauf hin, dass Benutzer des europäischen Patentsystems zu redlichem Verhalten verpflichtet sind und alles tun müssen, um einen Rechtverlust zu vermeiden. So kann weder ein Hinweis auf einen Mangel innerhalb des Zuständigkeitsbereiches eines Beteiligten erwartet werden, noch kann die Beschwerdeführerin ihre Verantwortung für die Erfüllung der Voraussetzungen einer zulässigen Beschwerde auf die Beschwerdekammer abwälzen (G 2/97, Gründe 4.2).
6. Zunächst ist anzumerken, dass der Mangel, der zu dem drohenden Rechtsverlust geführt hat, die nicht ausreichende Gebührenzahlung ist. Das Ausbleiben der Erklärung kann nicht solch ein Mangel sein, denn die Erklärung selbst kann, wie von der Beschwerdeführerin bestätigt, nicht gemacht werden. Daher ist ihr Ausbleiben kein Mangel, sondern eine Notwendigkeit, die sich aus dem vorliegenden Sachverhalt ergibt.
7. Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern gibt es seitens des EPA keine grundsätzliche Pflicht, auf eine ausstehende oder nicht ausreichende Gebührenzahlung aufmerksam zu machen (siehe hierzu Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 9. Auflage 2019, III.A.3.2.2, insbesondere die Entscheidungen G 2/97 und T 642/12). Darüber hinaus war die nicht ausreichende Gebührenzahlung im vorliegenden Fall nicht als Mangel ersichtlich, da sowohl der Betrag als auch der unter der Rubrik ,,Gebühren" aufgeführte Text im Begleitschreiben für nachgereichte Unterlagen darauf hindeuteten, dass es sich bei der Beschwerdeführerin um eine natürliche Person oder eine in Regel 6 (4) EPÜ genannte Einheit handelte. Allein schon aus diesem Grund kann sich die Beschwerdeführerin nicht auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes stützen.
8. Dies unterscheidet den vorliegenden Fall auch von der Fallkonstellation, die die Beschwerdeführerin angeführt hat (T 595/11, T 1037/11, T 2554/11, T 707/12). In diesen Fällen hatte die Beschwerdekammer entschieden, dass die korrekte Gebühr einfach hätte ermittelt werden können und das EPA die Beschwerdeführerin auf die fehlende Gebühr hätte aufmerksam machen sollen. Hintergrund war, dass eine in der Schweiz ansässige Firma die Beschwerdeschrift auf Niederländisch eingereicht und eine reduzierte Beschwerdegebühr gezahlt hatte, dazu aber offensichtlich nicht berechtigt war. Darüber hinaus fiel in diesen Entscheidungen ins Gewicht, dass das jeweilige Verfahren über Jahre hinweg so geführt wurde, als wäre die Beschwerdegebühr vollständig entrichtet worden.
9. Die Argumentation, dass das EPA die Beschwerdeführerin auf die fehlende Erklärung hätte aufmerksam machen müssen, was die Beschwerdeführerin dann wiederum auf die nicht ausreichende Gebührenzahlung aufmerksam gemacht hätte, greift auch aus anderen Gründen nicht. Zum einen setzt diese Argumentation voraus, dass das EPA das Fehlen der Erklärung im Rahmen der normalen Bearbeitung des Falls in der entsprechenden Verfahrensphase erkannt hätte und die Beschwerdeführerin den Mangel noch fristgerecht hätte beheben können. Allerdings lagen zwischen dem Entrichten der reduzierten Beschwerdegebühr am 27. September 2018 und dem Ablauf der Frist für die Zahlung der Beschwerdegebühr am 1. Oktober 2018 nur zwei Arbeitstage. Es kann nicht vom EPA erwartet werden, dass es die Gebührenzahlung innerhalb einer solch kurzen Zeit auf Vollständigkeit hinsichtlich zuzüglicher Unterlagen prüft.
10. Zum anderen setzt die Argumentation voraus, dass die fehlende Erklärung zum Zeitpunkt der reduzierten Gebührenzahlung notwendigerweise zu einem Rechtsverlust führt. Allerdings ist dies nicht der Fall, da eine fehlende Erklärung unter Umständen nachgereicht werden kann (T 3023/18, Gründe 6).
11. Die Verantwortung dafür, die Erklärung einzureichen, liegt im Zuständigkeitsbereich der Beschwerdeführerin, und sie kann diese nicht auf das EPA abwälzen. Daher kann der Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht auf die Sachlage des vorliegenden Falls angewendet werden.
12. Auch dem Argument der Beschwerdeführerin, es entspräche der Billigkeit, dass der ausstehende Betrag nachgezahlt werden könne, vermag die Kammer nicht zu folgen. Die Beschwerdeführerin hat nicht ausgeführt, warum dies der Fall sein sollte, und die Kammer verweist auf den Wortlaut des Artikels 8, Satz 3, der Gebührenordnung, gemäß dessen dem Einzahler die Möglichkeit einer Nachzahlung eingeräumt werden kann, soweit die laufende Frist es erlaubt. Im vorliegenden Fall erfolgte die Nachzahlung jedoch nach Ablauf der Frist.
13. Die Beschwerdeführerin verwies auch auf die "Billigkeit gemäß Entscheidung T 290/90". Sie scheint daher der Ansicht zu sein, dass es sich bei dem Fehlbetrag um einen geringfügigen Fehlbetrag handelt, den das EPA gemäß Artikel 8, Satz 4, der Gebührenordnung unberücksichtigt lassen kann.
14. Die Kammer stimmt der zuständigen Kammer in T 3023/18 zu, dass Artikel 8, Satz 4, der Gebührenordnung nicht auf einen Fehlbetrag angewendet werden kann, der der Differenz zwischen einer gemäß Regel 6 (4) EPÜ (i.V.m. Artikel 2 (1), Nr.11 der Gebührenordnung) reduzierten Gebühr und einer nicht reduzierten Gebühr entspricht (siehe Gründe 11-18). Artikel 8, Satz 4, der Gebührenordnung zielt darauf ab, unnötigen Arbeitsaufwand in Hinblick auf geringe Fehlbeträge zu vermeiden. Somit können mit dem Begriff "geringfügige Beträge" auch nur insignifikante Beträge gemeint sein, also unbedeutende Summen oder Bagatellbeträge (siehe hierzu auch T 905/90, Gründe 10 sowie T 642/12, Gründe 20), und damit kein Betrag, der einer Gebührenreduzierung gemäß Regel 6 (4) EPÜ entspricht. Auch kann es sich bei einer vom Gesetzgeber vorgesehenen Gebührenreduzierung, der Kleinanmelder unterstützen soll, nicht um einen Bagatellbetrag handeln.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Beschwerde gilt als nicht eingelegt.
2. Die Beschwerdegebühr wird zurückgezahlt.