T 0148/24 (VERFAHREN ZUR STEUERUNG EINER WÄRMEBEHANDLUNGSANLAGE FÜR STAHLBAND/SMS) 09-05-2025
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WÄRMEBEHANDLUNGSANLAGE ZUR WÄRMEBEHANDLUNG VON STAHLBAND UND VERFAHREN ZUR STEUERUNG EINER WÄRMEBEHANDLUNGSANLAGE ZUR WÄRMEBEHANDLUNG VON STAHLBAND
Erfinderische Tätigkeit - naheliegende Alternative
Erfinderische Tätigkeit - Verbesserung nicht für gesamte beanspruchte Breite glaubhaft
Beschwerdeerwiderung - Gründe deutlich und knapp angegeben (nein)
Ermessen Vorbringen nicht zuzulassen - Voraussetzungen des Art. 12 (3) VOBK 2020 erfüllt (nein)
Ermessen Vorbringen nicht zuzulassen - Vorbringen zugelassen (nein)
I. Die Beschwerde der Einsprechenden (Beschwerdeführerin) betrifft die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das europäische Patent EP 3 303 643 B1 zurückzuweisen.
II. Die folgenden, im Einspruchsverfahren zitierten Dokumente sind hier von Relevanz:
D1|EP 2 557 183 A1 |
D3|Smith et al., "Application of distributed control on UPI's KM/CAL", Iron and steel engineer, Vol. 70 (1993), Nr. 6, pages 17-22.|
III. Der für die Entscheidung relevante Anspruch 1 des Hauptantrags (erteilte Fassung der Ansprüche) lautet wie folgt (Merkmalnummern in der linken Spalte):
M1.1|"1. Verfahren zur Steuerung einer Wärmebehandlungsanlage zur Wärmebehandlung von Stahlband, die mindestens einen Glühofen umfasst und mindestens eine Steuer- und/oder Regeleinrichtung aufweist, |
M1.2|mittels welcher die in der Wärmebehandlungsanlage ablaufende Wärmebehandlung eines Stahlbandes auf die Einhaltung mindestens einer gewünschten Materialeigenschaft, insbesondere einer mechanischen Eigenschaft, gesteuert und/oder geregelt wird, |
M1.3|wobei die Steuer- und/oder Regeleinrichtung vorzugsweise eine die Vorhersage oder Vorausberechnung der mindestens einen mechanischen Eigenschaft des Stahlbandes nach Durchlaufen der Wärmebehandlung ermöglichende modellprädiktive Regelung umfasst, |
M1.4|in welcher Eingangsdaten, die zumindest einen aus der Gruppe der Daten zum Glühzyklus und/oder der Daten des wärmezubehandelnden Stahlbands und/oder der Daten eines Kaltwalzprozesses und/oder der Daten bezüglich Schnittsetzungen eines Vorbandes und/oder der Daten zu einem oder mehreren Vorprozessen, die das wärmezubehandelnde Stahlband durchlaufen hat, ausgewählten Wert umfassen, zur Einstellung oder zur Steuerung oder Regelung mindestens einer Stellgröße des aktuellen, durch die Länge des wärmezubehandelnden Stahlbandes bestimmten Glüh- oder Wärmebehandlungsprozesses oder -zyklus verarbeitet werden,|
M1.5|wobei mit einem neuen Band ein neuer Glüh- oder Wärmebehandlungszyklus beginnt, |
M1.6|dadurch gekennzeichnet, dass im Fall, dass sich die mindestens eine Stellgröße im Verlaufe des aktuellen Glüh- oder Wärmebehandlungszyklus von einem Ausgangswert auf einen Endwert verändert, diese Stellgröße zu Beginn des nächst nachfolgenden Glüh- oder Wärmebehandlungszyklus auf ihren Ausgangswert beim aktuellen Glüh- oder Wärmebehandlungszyklus zurückgestellt wird." |
IV. In Anspruch 1 des Hilfsantrags I wurde das Wort "vorzugsweise" in Merkmal 1.3 gestrichen.
V. In Anspruch 1 des Hilfsantrags II lauten die Merkmale M1.5 und M1.6 wie folgt (Hinzufügungen bezüglich des Hauptantrags unterstrichen):
M1.5|wobei die Stellgrößen die Glühtemperatur und/oder die Haltezeit und/oder die Temperatur nach jeglichem Kühlbereich und/oder Heiz- oderKühlraten und/oder die Bandgeschwindigkeit sind, und wobei mit einem neuen Band ein neuer Glüh- oder Wärmebehandlungszyklus beginnt,|
M1.6|dadurch gekennzeichnet, dass im Fall, dass sich die mindestens eine Stellgröße im Verlaufe des aktuellen Glüh- oder Wärmebehandlungszyklus von einem Ausgangswert auf einen Endwert verändert, diese Stellgröße oder Stellgrößen zu Beginn des nächst nachfolgenden Glüh- oder Wärmebehandlungszyklus auf ihren Ausgangswert beim aktuellen Glüh- oder Wärmebehandlungszyklus zurückgestellt wird oder werden." |
VI. Anspruch 1 des Hilfsantrags III enthält alle Änderungen der Ansprüche 1 der Hilfsanträge I und II.
VII. In Anspruch 1 des Hilfsantrags IV wurde das Wort "vorzugsweise" in Merkmal 1.3 gestrichen. Darüber hinaus wurden die Merkmale des Anspruchs 2 aufgenommen (Merkmal 1.7) und die Merkmale M1.5 und M1.6 wie folgt geändert (Änderungen bezüglich des Hauptantrags hervorgehoben):
M1.5|wobei die Stellgrößen die Glühtemperatur, die Haltezeit, die Temperatur nach jeglichem Kühlbereich, Heiz- oder Kühlraten und die Bandgeschwindigkeit sind, und wobei mit einem neuen Band ein neuer Glüh- oder Wärmebehandlungszyklus beginnt, |
M1.6|dadurch gekennzeichnet, dass im Fall, dass sich die [deleted: mindestens eine] Stellgrößen im Verlaufe des aktuellen Glüh- oder Wärmebehandlungszyklus von einem Ausgangswert auf einen Endwert verändert, [sic] diese Stellgrößen zu Beginn des nächst nachfolgenden Glüh- oder Wärmebehandlungszyklus auf ihren Ausgangswert beim aktuellen Glüh- oder Wärmebehandlungszyklus zurückgestellt [deleted: wird] werden,|
M1.7|wobei die mindestens eine Stellgröße beim Einlauf der Verbindungsschweißnaht zwischen einem dem aktuellen Glüh- oder Wärmebehandlungszyklus unterworfenen aktuellen Stahlband und einem nachfolgenden Stahlband in den Glühofen auf den Ausgangswert rückgeführt oder rückgestellt wird.|
VIII. Anspruch 1 des Hilfsantrags V enthält die gleichen Änderungen wie Anspruch 1 des Hilfsantrags IV, wobei zusätzlich Merkmal M1.4 wie folgt geändert wurde (Änderungen bezüglich des Hauptantrags hervorgehoben):
M1.4|in welcher Eingangsdaten, die zumindest einen aus der Gruppe der Daten zum Glühzyklus und/oder der Daten des wärmezubehandelnden Stahlbands und/oder der Daten eines Kaltwalzprozesses und/oder der Daten bezüglich Schnittsetzungen eines Vorbandes und/oder der Daten zu einem oder mehreren Vorprozessen, die das wärmezubehandelnde Stahlband durchlaufen hat, ausgewählten Wert umfassen, zur Einstellung oder zur Steuerung oder Regelung [deleted: mindestens einer] der Stellgrößen des aktuellen, durch die Länge des wärmezubehandelnden Stahlbandes bestimmten Glüh- oder Wärmebehandlungsprozesses oder -zyklus verarbeitet werden,|
IX. In Anspruch 1 des Hilfsantrags VI wurde das Wort "vorzugsweise" in Merkmal 1.3 gestrichen. Zudem enthält er die Änderungen des Merkmals 1.4 des Hilfsantrags V. Merkmal 1.6 wurde wie folgt geändert (Hinzufügungen bezüglich des Hauptantrags unterstrichen):
M1.6 |dadurch gekennzeichnet, dass im Fall, dass sich die mindestens eine Stellgröße im Verlaufe des aktuellen Glüh- oder Wärmebehandlungszyklus von einem Ausgangswert auf einen Endwert verändert, diese Stellgröße zu Beginn des nächst nachfolgenden Glüh- oder Wärmebehandlungszyklus auf ihren Ausgangswert beim aktuellen Glüh- oder Wärmebehandlungszyklus zurückgestellt wird,|
M1.7*|wobei die zumindest eine vorhergesagteEigenschaft die Zugfestigkeit und die Streckgrenze sind."|
X. Anspruch 1 des Hilfsantrags VII, enthält die gleichen Änderungen wie Anspruch 1 des Hilfsantrags IV wobei jedoch Merkmal 1.7 wie folgt lautet (Änderungen bezüglich des Hauptantrags hervorgehoben):
M1.7|wobei die zumindest eine vorhergesagte mechanische Eigenschaft die Zugfestigkeit unddie Streckgrenze sind.|
XI. Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, dass der Gegenstand des Patents wie erteilt, nicht ausreichend offenbart, nicht neu gegenüber der D1 oder D3, und nicht erfinderisch ausgehend von der D1 sei. Die Hilfsanträge wiesen über die Mängel des Hauptantrags hinaus zum Teil auch noch Klarheitsmängel auf.
XII. Die Beschwerdegegnerin ist der Ansicht, dass das Streitpatent in der erteilten Fassung (Hauptantrag) oder zumindest die Hilfsanträge die Erfordernisse des EPÜ erfüllten.
XIII. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
XIV. Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen oder hilfsweise das Patent auf Grundlage eines der erneut mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträge I - VII aufrechtzuerhalten.
1. Hauptantrag
1.1 Neuheit des Gegenstands des Verfahrensanspruchs, Anspruch 1, Artikel 54(1) und (2) EPÜ
Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, dass die D1 und die D3 neuheitsschädlich seien.
Es ist strittig, ob das Merkmal M1.6 ebenso in der D1 offenbart ist.
Die D1 offenbart eine modellprädiktive Regelung (MPR) für eine Konti-Glühe. Dabei wird gemäß des Ausführungsbeispiels anhand einer Messeinrichtung am Eingang des Glühofens die Zugfestigkeit und/oder Streckgrenze des Bands gemessen und dem Modell zugeführt (D1: Absatz [0022] - [0023]). Darüber hinaus werden auch Daten aus dem Vorprozess verwendet (D1: Absatz [0026]). Auf Basis dieser Größen wird im Modell eine Materialeigenschaft des Bandes nach der Konti-Glühe simuliert. Die simulierte Materialeigenschaft wird mit einem vorgegebenen Sollwert verglichen. Weicht der simulierte Wert vom Sollwert ab, werden die Prozessgrößen der Behandlungslinie bzw. Konti-Glühe gesteuert oder geregelt. Solche Prozessgrößen sind z.B. die Bandgeschwindigkeit V, der Temperaturverlauf T in der Konti-Glühe oder aber auch Prozessparameter des Dressiergerüsts S (D1: Absatz [0027]).
Dadurch ist es möglich, eine kontinuierliche Echtzeitanpassung der aktuellen Echtzeitparameter T, V und S an die bandspezifischen Eingangsparameter vorzunehmen, um eine genaue Kontrolle der Materialeigenschaften sowohl innerhalb des Bandes als auch von Band zu Band zu erreichen (Absatz [0031]).
Für die Beurteilung der Neuheit stellt sich daher die Frage, ob die in D1 beschriebene MPR für den Fall, dass sich die Bandparameter vom Bandanfang zum Bandende hin ändern, implizit zu Beginn eines neuen Glühzyklus und damit neuen Bands zumindest eine Stellgröße auf den selben Wert stellt, wie zu Beginn des zuvor behandelten Bands (Merkmal M1.6).
Das ist eindeutig zu verneinen.
Die D1 offenbart nicht, dass das neu zu behandelnde Band die gleiche Richtung der Veränderung der Bandparameter aufweist, wie das aktuell behandelte Band (vgl. Streitpatent, Absatz [0024]). Wenn jedes zweite Band umgewickelt wird (vgl. Streitpatent: Absatz [0023])), so misst der Sensor am Eingang der Conti-Glühe (Fig. 1, Ref. 16, Absatz [0023]) keinen Sprung der Bandparameter, bzw. keinen, der mit einem Sprung vergleichbar wäre, den er messen würde, wenn alle Bänder die gleiche Orientierung aufwiesen.
Aus diesem Grund kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die in der D1 beschriebene MPR eine Stellgröße zu Beginn des folgenden Glühzyklus auf ihren Ausgangswert beim aktuellen Glühzyklus zurückstellt.
Auch die D3 offenbart nichts zur fraglichen Abfolge der Bänder und kann daher bereits aus diesem Grund die Neuheit nicht vorwegnehmen.
1.2 Erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des Verfahrensanspruchs, Anspruch 1, Artikel 100 a) EPÜ i.V.m. Artikel 56 EPÜ
Das Streitpatent ist auf die Regelung einer Konti-Glühe gerichtet.
Die Beschwerdeführerin geht in ihrem Einwand unter Artikel 56 EPÜ von der D1 aus, welche unstrittig einen geeigneten Ausgangspunkt darstellt, denn die D1 offenbart eine MPR einer Konti-Glühe.
Die Beschwerdegegnerin gibt als die zu lösende technische Aufgabe an, eine Verbesserung/Alternative des Steuerungs- und/oder Regelungsverhaltens zu erzielen (Beschwerdeerwiderung, Seite 8, letzter Absatz).
Es wird vorgeschlagen, diese Aufgabe durch die Merkmale des Anspruchs 1 zu lösen, der sich von der D1 dadurch unterscheidet, dass im Fall, dass sich die mindestens eine Stellgröße im Verlaufe des aktuellen Glüh- oder Wärmebehandlungszyklus von einem Ausgangswert auf einen Endwert verändert, diese Stellgröße zu Beginn des nächst nachfolgenden Glüh- oder Wärmebehandlungszyklus auf ihren Ausgangswert beim aktuellen Glüh- oder Wärmebehandlungszyklus zurückgestellt wird (Merkmal M1.6).
Es ist allerdings nicht ersichtlich, dass die technische Aufgabe über die gesamte Breite des Anspruchs 1 gelöst wird.
Zwar sind sich die Parteien einig, dass der Standardfall die Produktion von mehreren Hundert, in gleicher Orientierung aufeinanderfolgenden, gleich hergestellten Bändern mit gleicher Geometrie betrifft. Die Bandparameter am Kopfende der Bänder sind in diesem Fall im wesentlichen gleich. Analoges gilt für das Fußende.
Anspruch 1 ist jedoch bezüglich der Bandrichtungen von aufeinanderfolgenden Bändern offen. Im Fall, dass jedes zweite Band umgewickelt wird (vgl. Streitpatent: Absatz [0023]), ist es nicht überzeugend, dass ein Zurückstellen einer Stellgröße zu Beginn des nächst nachfolgenden Glüh- oder Wärmebehandlungszyklus auf ihren Ausgangswert beim aktuellen Glüh- oder Wärmebehandlungszyklus zu einer Verbesserung des Steuerungs- und/oder Regelungsverhaltens führt.
Die Beschwerdegegnerin macht geltend, dass auch in diesem Fall eine Verbesserung des Reglerverhaltens stattfände, weil die Bänder nie identisch seien. Es könne daher nicht davon ausgegangen werden, dass die Bandparameter des Kopfendes der Bänder invariabel gleich seien. Das beanspruchte Verfahren könne diese Variabilität zu einem gewissen Umfang ausgleichen, so dass insgesamt das Reglerverhalten verbessert werde.
Das ist jedoch weder gezeigt noch nachvollziehbar.
Der Effekt der beanspruchten Maßnahme dürfte sich dann vorteilhaft ergeben, wenn der Sprung der Bandparameter zwischen allen Bändern etwa gleich ist, weil immer ein Kopfende des folgenden Bandes auf ein Fußende des aktuellen Bandes folgt. Findet jedoch ein Umwickeln jedes zweiten Bandes statt, so stoßen abwechselnd die Kopfenden und die Fußenden von aufeinanderfolgenden Bändern aneinander. Zwar ist es klar, dass auch dann die Bandparameter an den Stößen praktisch nie völlig identisch sein werden, aber die Fachperson erwartet, dass die Unterschiede der Bandparameter im Normalfall bei einem Stoß von Kopfende an Kopfende bzw. Fußende an Fußende erheblich geringer sind, als bei einem Stoß von Kopfende an Fußende. Das steht auch mit der Lehre des Absatz [0023] des Streitpatents im Einklang.
Würde man nach Umwickelung jedes zweiten Bandes die Stellgröße zu Beginn des nächst nachfolgenden Glüh- oder Wärmebehandlungszyklus auf ihren Ausgangswert beim aktuellen Glüh- oder Wärmebehandlungszyklus zurückstellen, so würde die für das Fußende passende Stellgröße des aktuellen Bandes auf das Kopfende des nächst nachfolgenden Bandes angewandt und umgekehrt.
Es ist nicht überzeugend oder belegt, dass dadurch eine Verbesserung des Reglerverhaltens stattfindet.
Daher kann die technische Aufgabe nicht für den gesamten beanspruchten Bereich als gelöst angesehen werden und muss in die zweite, weniger ambitionierte, jedoch von der Beschwerdegegnerin auf Seite 8 der Beschwerdeerwiderung bereits genannte Aufgabe umformuliert werden, nämlich die Bereitstellung eines alternativen Verfahrens.
Die D1 offenbart eine MPR wobei u.a. Bandparameter am Eingang der Konti-Glühe gemessen werden (D1: Absatz [0026]).
Diese Maßnahme ist dazu geeignet, dass es der MPR möglich ist, auf sich sprunghaft ändernde Bandparameter mit sich sprunghaft ändernden Stellgrößen zu reagieren, wobei bei gleichen Sprünge eine gleiche Sprungantwort zu erwarten ist. Auch im Streitpatent erfolgt das Rückstellen durch die MPR und nicht durch einen von ihr unabhängigen Eingriff auf die Stellgröße, was unstrittig ist.
Die Fachperson würde bei der Aufgabe, ein alternatives Verfahren bereitzustellen, sofort erkennen, dass beim Standardfall der Produktion das Merkmal M1.6 umgesetzt wird.
Dem Gegenstand des Anspruchs 1 mangelt es daher an einer erfinderischen Tätigkeit.
1.3 Hilfsanträge
Zur Zulassung dieser Hilfsanträge nimmt die angefochtene Entscheidung keine Stellung. Darüber hinaus gibt die Beschwerdegegnerin in der Beschwerdeerwiderung zu den in den Hilfsanträgen enthaltenen Änderungen keine Basis in der ursprünglichen Offenbarung an (Beschwerdeerwiderung, Seite 10).
Die Änderung in Hilfsantrag I bewirkt, dass die MPR zur Vorhersage von mechanischen Eigenschaften nicht mehr optional ist.
D1, Absatz [0015] und [0016] offenbaren, dass durch die MPR Materialeigenschaften wie die Oberflächenrauigkeit, die Zuggrenze und/oder die Streckgrenze vorhergesagt werden.
Da die nunmehr zwingenden Merkmale ganz offensichtlich in D1 enthalten sind, ist es nicht ersichtlich, warum die vorgeschlagene Änderung einen Einwand unter Artikel 100 a) EPÜ behebt und hätte jedenfalls einer weiteren Erklärung bedurft.
Für das hinzugefügte Merkmal betreffend die Stellgrößen in den Hilfsanträgen II bis V und VII ist die Grundlage der Änderungen in der ursprünglichen Anmeldung nicht ohne weiteres erkennbar. Der vorletzte Absatz der Seite 7 der Beschreibung wie ursprünglich eingereicht, der potentiell als eine Grundlage in Frage kommt, nennt eine Liste mit Stellgrößen, von denen nur einige in die Ansprüche übernommen wurden. Ein Dressiergerüst und ein Streckrichter sind zwar nur optional vorhanden, allerdings ist der Dressiergrad und der Streckgrad in diesem Absatz genau so optional, wie alle anderen Stellgrößen genannt (siehe "kann/können").
Zudem soll dem fraglichen Absatz zufolge eine Vorhersage von mechanischen Blechparametern stattfinden, die es nötig macht, dass mindestens Teile des Glühzyklus in die Berechnung eingehen. Das ist beispielsweise bei den Änderungen in den Hilfsanträgen II, III und VII nicht zwingend der Fall. Darüber hinaus gibt es für jede Stahlgüte einen eigenen Satz an Stellgrößen, der Einfluss auf die Stahlgüte hat. Dass dieser Satz mit Ausnahme des Streckgrads und des Dressiergrads aus allen diesen Stellgrößen besteht, wie in den Hilfsanträgen IV und V vorgeschlagen, ist aus der genannten Stelle nicht offensichtlich zu entnehmen.
Es hätte jedenfalls einer weiteren Erklärung bedurft.
Auch für das hinzugefügte Merkmal betreffend die vorhergesagten Größen in den Hilfsanträgen VI und VII ist die Grundlage der Änderungen in der ursprünglichen Anmeldung nicht ohne weiteres erkennbar. Der letzte Absatz der Seite 8 der Beschreibung wie ursprünglich eingereicht, der potentiell als eine Grundlage in Frage kommt, offenbart die Vorhersage der Zugfestigkeit und der Streckgrenze in einem bestimmten Kontext. Warum daraus nur die mechanischen Eigenschaften isoliert werden können, ist nicht ohne weiteres ersichtlich und hätte einer weiteren Erklärung bedurft.
Zudem offenbart die D1 die Bandgeschwindigkeit als Stellgröße (D1: Absatz [0031]) und die Zugfestigkeit oder Streckgrenze als vorhergesagte Größen (D1: Absätze [0015] und [0016]), so dass auch nicht ersichtlich ist, warum die vorgeschlagenen Änderungen der Hilfsanträge II, III, VI und VII einen Einwand unter Artikel 100 a) EPÜ beheben.
Es hätte jedenfalls einer weiteren Erklärung bedurft.
1.4 Das Erfordernis der Substantiierung nach Artikel 12(3) VOBK gilt auch dann, wenn der Einspruch im erstinstanzlichen Verfahren zurückgewiesen wurde und die Patentinhaberin ? wie hier - im Beschwerdeverfahren lediglich als Beschwerdegegnerin beteiligt ist. Der Umstand, dass die Anträge bereits erstinstanzlich eingereicht wurden, entbindet eine Partei nicht von ihrer Pflicht, die Anträge zu substantiieren (T 1128/21, Punkt 2.3.2).
Die Beschwerdegegnerin bestreitet nicht, dass ihr schriftliches Vorbringen weder die Basis in der Anmeldung wie ursprünglich eingereicht angibt, noch Angaben enthält, warum die vorgeschlagenen Änderungen einen Einwand unter Artikel 100 a) EPÜ i.V.m. Artikel 56 EPÜ beheben. Sie macht jedoch geltend, dass bereits die Auseinandersetzung der Beschwerdeführerin mit den Hilfsanträgen I bis VII hinreichend sei, um sie in das Verfahren einzuführen.
Tatsächlich hat sich die Beschwerdeführerin bereits in der Beschwerdebegründung mit den Hilfsanträgen I bis VII auseinandergesetzt, obwohl die Einspruchsabteilung nicht über sie entschieden hat. Sie hat dabei aber nur ihr Beschwerdevorbringen für den Fall substanziiert, d.h., Gründe gegen die Hilfsanträge I bis VII vorgetragen, dass die Beschwerdegegnerin diese Hilfsanträge im Beschwerdeverfahren aufrecht erhält.
Dieses Vorbringen kann daher eine Substanziierung der Patentinhaberin nicht ersetzen, weil es deren Aufgabe ist, Gründe für die Gewährbarkeit der Hilfsanträge I bis VII vorzubringen. Es ist auch nicht Aufgabe der Kammer, aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin im Umkehrschluss über die Gründe der Beschwerdegegnerin zu spekulieren.
Die Auseinandersetzung der Beschwerdeführerin mit den im Einspruchsverfahren eingereichten Hilfsanträgen kann daher vorliegend nicht die Substanziierung der Hilfsanträge durch die Beschwerdegegnerin ersetzen.
Die Beschwerdegegnerin macht weiter geltend, dass der Einwand der nicht ersichtlichen Basis von der Kammer und nicht von der Beschwerdeführerin erhoben wurde, was den vorliegenden Fall auch von der in der Mitteilung zitierten T 1128/21, einer älteren Entscheidung, unterscheide.
Der Beschwerdefall T 1128/21 wurde am 1. Februar 2024 entschieden, ist also durchaus aktuell. Vorliegend kommt als Grundlage für die Änderung der Hilfsanträge II bis VII nur die Beschreibung wie ursprünglich eingereicht infrage. In dieser Situation sind die Anforderungen an Artikel 123(2) EPÜ von Amts wegen zu überprüfen (G 10/91, Gründe 19; T 996/18, Orientierungssatz). Auf das Vorliegen eines Einwands von Seiten der Beschwerdeführerin kommt es daher nicht an.
Für die Hilfsanträge II bis VII hätte daher auf jeden Fall die Änderungsgrundlage angegeben werden müssen.
Aufgrund der unzureichenden Substantiierung hinsichtlich der Grundlage für die Änderungen, sowie der erfinderischen Tätigkeit in der Beschwerdeerwiderung liegt die Zulassung der Hilfsanträge I bis VII gemäß Artikel 12(3) und (5) VOBK im Ermessen der Kammer. Dieses Ermessen ist unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falles auszuüben.
Dazu gehört mangels jeglichen substanziellen Vorbringens zu den zusätzlichen Unterschieden gegenüber der D1, sowie zur Grundlage der Änderungen hier die Frage, ob die Änderungen selbsterklärend ist. Das ist jedoch, wie zuvor dargelegt, nicht der Fall.
Es ist aber nicht Aufgabe der Kammer, über die Überlegungen die zu den Änderungen führten, zu spekulieren oder das erstinstanzliche Vorbringen nach etwaigen (ergänzenden) Erklärungen zu durchsuchen (T 1128/21, Punkt 2.3.2).
Die Hilfsanträge I bis VII werden daher nicht zugelassen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
Das Patent wird widerrufen.