T 0315/87 14-02-1989
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Spannvorrichtung für ein Förderband
Wiedereinsetzung - Verhältnis zur Unterbrechung
Wiedereinsetzung - extreme seelische Belastung
Wiedereinsetzungsgebühr - nur eine bezüglich Beschwerdedefrist und Begründungsfrist
Restitution in integrum - relation to interruption
restitutio in integrum - extreme psychic burden
fee for reestablishment of rights/only one single time
limit for appeal and for submission of grounds
I. Die am 8. April 1984 angemeldete europäische Patentanmeldung wurde durch Entscheidung der Prüfungsabteilung 083 des Europäischen Patentamts vom 20. Juni 1986 im Hinblick auf den damals geltenden Patentanspruch 1 mangels erfinderischer Tätigkeit zurückgewiesen.
II. Mit Schreiben vom 15. Juni 1987, eingegangen am 17. Juli 1987, reichte der (damalige) Vertreter eine Beschwerde gegen die genannte Entscheidung nebst einer Begründung ein. Zugleich legte er einen Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Einreichung der Beschwerde und in die Frist zur Einreichung der Beschwerdebegründung vor. Für den Fall, daß ihm diese Wiedereinsetzung nicht gewährt werden sollte, stellte er "vorsorglich einen Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Stellung eines Umwandlungsantrag nach Art. 135 (2) EPÜ". An Gebühren zahlte er am 16. Juli 1987 insgesamt 1.180,- DM, die er selbst wie folgt aufgliederte: Beschwerdegebühr 680,- DM, Umwandlungsgebühr 125,- DM und 3 Wiedereinsetzungsgebühren zu je 125,- DM für die Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist, die Beschwerdebegründungsfrist und die Umwandlungsfrist.
III. Den Antrag auf Wiedereinsetzung begründete der (damalige) Vertreter unter Vorlage von Kopien als Beweismittel damit, daß im Fristenbuch seiner Kanzlei die Beschwerdefrist und die Beschwerdebegründungsfrist ordnungsgemäß eingetragen gewesen, aber aus unerklärlichen Gründen gestrichen seien. Diese Tatsache und damit die Fristversäumnis seien erst am 20. Mai 1987 bemerkt worden als man die Akten europäischer Patentanmeldungen von den Akten deutscher Patentanmeldungen ausgesondert habe. Aus Gesundheitsgründen habe er nämlich im März 1986 seine Zulassung als deutscher Patentanwalt zurückgegeben. Das Mandat des amtlich bestellten Kanzleiabwicklers sei mit dem Monatsende des April 1987 abgelaufen. Die von dieser Abwicklung nicht betroffenen Akten europäischer Patentanmeldungen seien ihm erst danach zur Überprüfung vorgelegt worden. Auch habe er sich im Sommer 1986 und um die Jahreswende 1986/87 in einer schweren Krankheitssituation befunden. Über einen Klinikaufenthalt vom 20. November bis zum 4. Dezember 1986 legte er Unterlagen vor. Außerdem fügte er eine eidesstattliche Versicherung seiner Sekretärin bei. Diese bestätigte, daß die Eintragungen im Fristenbuch von ihrer Handschrift seien. Die Streichung der Fristen könne sie sich allerdings nicht erklären.
IV. Mit Schreiben vom 2. Oktober 1987 zeigte der nunmehrige Vertreter unter Vorlage einer Vollmacht an, daß er die Vertretung des Anmelders und Beschwerdeführers übernommen habe. Er übernahm im Prinzip den Wiedereinsetzungsantrag seines Vorgängers. Für den Fall, daß diesem Antrag stattgegeben werde, legte er mit Schreiben vom 5. Oktober 1988 neue Patentansprüche und eine daran angepaßte Beschreibung vor.
V. Zur weiteren Begründung des Wiedereinsetzungsantrags seines Vorgängers legte der neue Vertreter dar, daß seinem Vorgänger durch ein standesrechtliches Verfahren die Zulassung als deutscher Patentanwalt entzogen worden sei. Der Rechtskraft der Entziehung sei der Vorgänger durch freiwillige Rückgabe der Zulassung zuvorgekommen.
Zur Rechtfertigung einer Wiedereinsetzung führte der neue Vertreter aus, daß die Unerklärbarkeit der Streichung einer Frist im Fristenbuch selbstverständlich eine Wiedereinsetzung nicht rechtfertigen könne. Hier läge aber erwiesenermaßen der Fall vor, daß sich sein Vorgänger und seine Kanzlei im Sommer 1986 in einer außergewöhnlichen Situation befunden hätten. Diese Situation habe sich auf die körperliche und auch geistig-seelische Verfassung seines Vorgängers so ausgewirkt, daß er zeitweilig zur Wahrnehmung seiner beruflichen Obliegenheiten nicht mehr fähig gewesen sei. Es habe wohl eine Situation vorgelegen, in der nach Regel 90 (1) c) EPÜ eine Unterbrechung des Verfahrens eintritt. Die in der Entscheidung der Juristischen Beschwerdekammer vom 11. März 1985 (Amtsbl. EPA 1985, 159) genannten Voraussetzungen für eine Unterbrechung des Verfahrens dürften vorliegen. Das zum Nachweis erforderliche ärztliche Attest sei in der gegebenen Situation aber nicht beschaffbar. Dennoch habe es sich um eine "extreme seelische Belastung in außergewöhnlicher Situation" gehandelt, wie sie im Falle der unveröffentlichten Entscheidung J 01/84 (zitiert bei Ford in GRUR Int. 1987, 458, dort S. 459 Anm. 9) zur Wiedereinsetzung geführt habe.
VI. Der neue Vertreter des Beschwerdeführers beantragt die Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist und in die Beschwerdebegründungsfrist sowie die Erteilung des nachgesuchten Patents mit den mit Schreiben vom 5. Oktober 1988 (eingegangen am 7. Oktober 1988) eingereichten neuen Unterlagen.
1. Die Zulässigkeit der Beschwerde hängt davon ab, ob die beantragte Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Beschwerde und zur Begründung der Beschwerde gewährt werden kann. Diese Frage soll in der vorliegenden Zwischenentscheidung zusammen mit gebührenrechtlichen Nebenfragen vorab geklärt werden.
2. Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist zulässig, da alle in Art. 122 (1) bis (3) EPÜ für die Zulässigkeit genannten Erfordernisse erfüllt sind. Hinzuweisen ist dabei besonders darauf, daß bei Stellung des Antrags auf Wiedereinsetzung das Ausschluß-Jahr nach Art. 122 (2) Satz 3 EPÜ noch nicht abgelaufen war.
3. Das Vorbringen, daß sich der frühere Vertreter in der fraglichen Zeit (Sommer und Herbst 1986) in der geschilderten außergewöhnlichen Situation befand, ist glaubhaft, zumal die vorgetragenen Umstände (standesrechtliches Verfahren und Kanzleiabwicklung) auch beim Europäischen Patentamt amtsbekannt wurden. Glaubhaft ist auch, daß eine körperliche und geistig-seelische Beeinträchtigung des früheren Vertreters in der fraglichen Zeit gegeben waren. Dafür spricht, daß die vom früheren Vertreter selbst noch vorgelegten Klinikunterlagen auf psychosomatische Zusammenhänge schließen lassen.
4. Unter diesen Umständen stellt sich zunächst die Frage, ob nicht vorrangig vor einer Wiedereinsetzung und von Amts wegen geprüft werden muß, ob nicht im zweiten Halbjahr 1986 eine Unterbrechung des Verfahrens nach Regel 90 (1) c) EPÜ wegen Geschäftsunfähigkeit des früheren Vertreters eingetreten ist. Neben der vom neuen Vertreter genannten Entscheidung (oben V.) zu Regel 90 EPÜ ist auch noch auf die Entscheidung J xx/87 vom 17. August 1987 (Amtsbl. EPA 1988, 323) aufmerksam zu machen. Die Frage der Unterbrechung des Verfahrens kann hier jedoch aus mehreren Gründen dahingestellt bleiben. Es ist zwar glaubhaft, daß der frühere Vertreter körperlich und seelisch-geistig beeinträchtigt war. Es ist jedoch bisher nicht erwiesen, daß diese Beeinträchtigungen so stark und andauernd waren, daß von einer zeitweiligen Geschäftsunfähigkeit gesprochen werden kann. Hierfür bedürfte es ärztlicher Zeugnisse, die unter den gegebenen Umständen nicht zu erbringen sind. Daher kann hier nicht von einer das Verfahren unterbrechenden Geschäftsunfähigkeit ausgegangen werden. Vielmehr ist der Anwendung von Art. 122 EPÜ der Vorzug zu geben, bei der auch eine weniger starke Beeinträchtigung eine Wiedereinsetzung rechtfertigen kann. Da das Ausschluß-Jahr nach Art. 122 (2) Satz 2 EPÜ nicht überschritten ist, kommt es auch auf die zweifelhafte Frage, ob auch der Ablauf dieses Jahres nach Regel 90 (4) EPÜ gehemmt werden könnte, nicht an. Die Frage einer etwaigen Verfahrensunterbrechung nach Regel 90 EPÜ kann dahingestellt bleiben, wenn alle eingetretenen Rechtsverluste durch Wiedereinsetzung nach Art. 122 EPÜ überwunden werden können.
5. Im vorliegenden Fall ist die Wiedereinsetzung sachlich gerechtfertigt. Zwar kann die Unerklärbarkeit der Streichung einer Eintragung im Fristenbuch allein eine Wiedereinsetzung nicht rechtfertigen. Unter den außergewöhnlichen Umständen eines standesrechtlichen Verfahrens und nachfolgender, mehr oder weniger zwangsweiser Kanzleiauflösung kann jedoch - unabhängig vom Fristenbuch - ein Fristversäumnis entschuldbar sein, wenn ausreichende Anhaltspunkte dafür gegeben sind, daß der betroffene Vertreter auch unter einer starken körperlichen und geistig-seelischen Beeinträchtigung gelitten hat. Dies entspricht der Entscheidung J 01/84 vom 30. November 1984 (vgl. auch Ford in GRUR Int. 1987, 458, 459). Nach Auffassung der Beschwerdekammer besteht eine ausreichende Wahrscheinlichkeit dafür, daß im Sommer 1986 eine entsprechende Beeinträchtigung des früheren Vertreters die Ursache dafür war, daß die rechtzeitige Einlegung und Begründung der Beschwerde unterblieben ist. Nicht die berufliche Situation, aber die durch sie ausgelöste körperliche und geistig-seelische Beeinträchtigung stellte eine Verhinderung i.S.v. Art. 122 (1) EPÜ dar, die die Wiedereinsetzung rechtfertigt. Dabei braucht die Beeinträchtigung nicht derart zu sein, daß sie einer Geschäftsunfähigkeit gleichzusetzen ist. Es genügt die nach Auffassung der Kammer hier gegebene, ausreichende Wahrscheinlichkeit, daß Beeinträchtigungen der genannten Art vorlagen und diese für das Versäumnis ursächlich waren.
6. Der frühere Vertreter des Beschwerdeführers hat Wiedereinsetzungsgebühren je für die Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist und in die Begründungsfrist bezahlt. Hier liegt jedoch ein einheitlicher Vorgang vor, da ein und dieselbe Verhinderung zur Versäumung beider Fristen führte. Eine dieser Gebühren ist daher zurückzuzahlen. Zurückzuzahlen sind auch die ohne Rechtsgrund gezahlten Gebühren für Umwandlung und für Wiedereinsetzung in die Umwandlungsfrist.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Dem Beschwerdeführer wird Wiederseinsetzung in die Frist zur Beschwerdeeinlegung und in die Frist zur Beschwerdebegründung gewährt.
2. Die Rückzahlung einer Wiedereinsetzungsgebühr von 125,- DM, der Umwandlungsgebühr von 125,- DM und der Gebühr für die Wiedereinsetzung in die Umwandlungsfrist von 125,- DM, zusammen 375,- DM, wird angeordnet.