T 0676/90 14-07-1993
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TRAGHILFE FÜR SKIER
Änderung - nicht zulässig
Vorlage von Rechtsfragen an die Große Beschwerdekammer (abgelehnt)
Amendments - inadmissible
Enlarged Board - referral (no)
I. Die eine Traghilfe für Skier betreffende europäische Patentanmeldung Nr. 86 903 187.2 wurde am 4. Juni 1986 unter dem internationalen Aktenzeichen PCT/CH86/00080 angemeldet und am 18. Dezember 1986 unter der internationalen Veröffentlichungsnummer WO 86/07275 veröffentlicht. Der Anmeldung lagen 6 Ansprüche zugrunde, wovon der einzige unabhängige Anspruch 1 eine Skirollvorrichtung betraf und folgenden Wortlaut hatte:
"Traghilfe für ein Skipaar, umfassend ein auf das hintere Ende des Skipaares (4) aufsteckbares Gehäuse (10) mit zwei Seitenwänden (11, 12) zur Anlage an der Oberfläche (7) der Skier (4) und einem Bodenstück (16) zur Anlage der hinteren Stirnseiten der Skier (4), ein Band (38) zum Halten der Skier (4) im Gehäuse (10), sowie eine um eine senkrecht zu den Seitenwänden (11, 12) angeordnete erste Schwenkachse (17) ins Gehäuse (10) einschwenkbare Gabel (28), in welcher eine Laufrolle (33) drehbar gelagert ist, dadurch gekennzeichnet, daß das Bodenstück (16) um die erste Schwenkachse (17) gegenüber dem Gehäuse (10) schwenkbar ist, daß die Gabel (28) im Bodenstück (16) um eine zur ersten Schwenkachse (17) und zur Drehachse (32) der Rolle (33) senkrechte, von der Drehachse (32) beabstandete zweite Schwenkachse (31) schwenkbar gelagert ist, daß das Bodenstück (16) einen Anschlag (18) und ein entsperrbares Rastmittel (20) zur Arretierung gegenüber dem Gehäuse (10) in der ausgefahrenen Lage der Rolle (33) aufweist, daß die zweite Schwenkachse (31) in der ausgefahrenen Lage der Rolle (33) etwa in der Mitte der Gehäuseunterseite angeordnet ist, und daß das Band (38) einen Spannverschluß (43) aufweist."
Der abhängige Anspruch 5, der sich als Weiterbildung des Gegenstandes nach Anspruch 1 mit einem Tragband befaßte, hatte folgenden Wortlaut:
"Traghilfe nach einem der Ansprüche 1 bis 4, dadurch gekennzeichnet, daß sie zusätzlich ein um das Skipaar (4) oberhalb der Bindungen (5) befestigbares Tragband (3) mit einem Spannband (51) mit einem zweiten Spannverschluß (52) und einer am Spannband (51) befestigten Tragschlaufe (67) umfaßt."
II. In dem auf die Mitteilung gemäß Regel 51 (4) EPÜ vom 30. August 1988 der Prüfungsabteilung eingegangenen Schreiben vom 28. Dezember 1988 führte die Anmelderin an, daß die ursprünglichen Anmeldungsunterlagen zwei unabhängig voneinander verwendbare Erfindungen enthielten, nämlich eine Rollvorrichtung und ein Tragband, und legte geänderte Ansprüche 1 bis 6 vor. Der geänderte einzige unabhängige Anspruch 1 betrifft nunmehr das Tragband und hat folgenden Wortlaut:
"Traghilfe für ein Skipaar, umfassend ein um das Skipaar (4) oberhalb der Bindung (5) legbares Spannband (51) mit einem Spannverschluß (52) und eine am Spannband (51) befestigte Tragschlaufe (67)."
III. Die Anmeldung wurde durch eine am 24. April 1990 abgesandte Entscheidung der Prüfungsabteilung zurückgewiesen. Die Zurückweisung, der die mit der Eingabe vom 28. Dezember 1988 eingereichten Ansprüche 1 bis 6 zugrunde lagen, wurde im wesentlichen damit begründet, daß in den ursprünglich eingereichten Unterlagen keine Grundlage für die Änderung der Anmeldung vorhanden sei und eine derartige Änderung einen Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ darstelle.
IV. Am 6. Juni 1990 hat die Beschwerdeführerin gegen die vorgenannte Entscheidung unter gleichzeitiger Bezahlung der Gebühr Beschwerde eingelegt und am 11. August 1990 die Beschwerdebegründung eingereicht.
V. a) In ihrer schriftlichen Beschwerdebegründung sowie in den Antwortschreiben auf einen Zwischenbescheid der Beschwerdekammer und in der am 14. Juli 1993 durchgeführten mündlichen Verhandlung hat die Beschwerdeführerin im wesentlichen folgendes vorgebracht:
Da die in der Anmeldung enthaltenen zwei unabhängig voneinander verwendbaren Erfindungen nicht einheitlich im Sinne von Artikel 82 EPÜ seien, müsse der beanspruchte Schutzbereich auf eine der beiden Erfindungen beschränkt werden. Die andere Erfindung könne in der gleichen Anmeldung nur in abhängiger Form beansprucht werden. Die Anmelderin mache deshalb von ihrem Recht auf Änderung der Beschreibung und der Ansprüche nach Regel 86 (3) EPÜ Gebrauch.
Der vorliegende Fall sei analog zum Beschwerdefall T 177/86, in welchem eine analoge Änderung der Ansprüche zugelassen worden sei. Der Fachmann erkenne ohne weiteres, daß zwischen der Rollvorrichtung gemäß den ursprünglichen Ansprüchen 1 bis 4 und dem Tragband nach den ursprünglichen Ansprüchen 5 und 6 kein notwendiger funktioneller Zusammenhang bestehe. Schon das Wort "Tragband" weise darauf hin, daß das Band zum Tragen des Skipaares bestimmt sei.
Die Anmelderin sei sich vor dem Anmeldetag der vorliegenden Anmeldung über den unabhängigen Charakter der zweiten Erfindung sehr wohl bewußt gewesen, wie die Patentanmeldung DE-A-3 606 832 zeige. Der Grund, warum dies in der ursprünglichen Beschreibung nicht expressis verbis ausgedrückt sei, liege darin, daß die Anmelderin einen Widerspruch zwischen der Beschreibung und den Ansprüchen im Hinblick auf das EPÜ vermeiden wollte. Das heiße in keiner Weise, daß die zweite Erfindung auf das Tragband nicht ebenfalls offenbart sei, d. h. so dargelegt sei, daß der Fachmann sie ausführen könne (Artikel 83 EPÜ).
Nach Ansicht der Beschwerdeführerin verkenne die Prüfungsabteilung mit ihrem Hinweis auf die Richtlinien C VI 5.8 a, daß diese Stelle der Richtlinien die Zulässigkeit eines durch Weglassen eines Merkmals erweiterten Anspruchs betreffe, wobei es sich um einen Anspruch auf die gleiche Erfindung jedoch mit einem breiteren Schutzumfang handle. Im vorliegenden Fall sei jedoch nicht der ursprüngliche Anspruch 1 erweitert worden, sondern es sei ein unabhängiger Anspruch für die zweite Erfindung aufgestellt worden.
b) Die Beschwerdeführerin nimmt Bezug auf den Zwischenbescheid der Kammer vom 16. Juli 1992 und sieht darin folgende "abstrakte Rechtsnorm" angesprochen: "Eine Erweiterung eines Patentanspruches 1 (durch Weglassen oder Verallgemeinern von Merkmalen) sei grundsätzlich nur dann zulässig, wenn für sie (also für die Erweiterung als solche) in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen eine Offenbarungsgrundlage vorhanden sei". Diese "abstrakte Rechtsnorm" als Auslegung des Artikels 123 (2) EPÜ fände sich bereits in der Entscheidung T 177/86 und neuerdings in vielen Entscheidungen von Beschwerdekammern, sie stehe jedoch im Widerspruch zu mehreren Entscheidungen anderer Beschwerdekammern, z. B. T 331/87, T 52/82 und T 201/83 sowie zur Rechtspraxis in den meisten industrialisierten Ländern. Sie verweist in diesem Zusammenhang auch auf die Artikel von O. Bossung in GRUR Int. 1991, Seite 439 ff; und R. Kraßer in GRUR Int. 1992, Seite 699 ff sowie auf die in GRUR 1985, Seite 1037 ff veröffentlichte BGH-Entscheidung "Raumzellenfahrzeug", basierend auf der Stammanmeldung DE-OS 1 784 851 des Deutschen Patentamtes.
Da die Beschwerdeführerin in der angeführten, unterschiedlichen Auslegung des Artikels 123 (2) EPÜ ein Rechtsproblem von grundsätzlicher Bedeutung sieht, legt sie mehrere Fragen zur Vorlage an die Große Beschwerdekammer als Hilfsantrag vor.
c) Zur Stützung ihrer Argumente hat die Beschwerdeführerin weiterhin noch auf folgende Entscheidungen hingewiesen: T 190/83, T 169/83, T 229/85, T 120/83, T 151/84, T 159/86, T 147/90, T 167/90, T 260/85, T 199/84, T 416/86, T 118/89, T 514/88, T 194/84.
d) Wegen weiterer Darlegungen der Beschwerdeführerin vor allem zum Thema "Artikel 123 (2) EPÜ" wird auf den Akteninhalt verwiesen.
VI. Die Anmelderin hat folgende Anträge gestellt:
Hauptantrag:
Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Erteilung eines Patentes mit den folgenden Unterlagen:
Patentansprüche: 1 bis 6 eingereicht mit Schreiben vom 28. Dezember 1988 (diese Ansprüche waren für den Zurückweisungsbeschluß gültig);
Beschreibung: Seiten 1, 2 und 2a eingereicht mit Schreiben vom 28. Dezember 1988; Seiten 3 bis 7 wie ursprünglich eingereicht;
Zeichnung: Figuren 1 und 5 eingereicht mit Schreiben vom 13. November 1992; Figuren 2 bis 4 wie ursprünglich eingereicht.
Hilfsantrag
Vorlage der folgenden Rechtsfragen an die Große Beschwerdekammer:
a) Ist eine Erweiterung eines Patentanspruchs durch Weglassen oder Verallgemeinern von Merkmalen grundsätzlich nur dann zulässig, wenn für die Erweiterung als solche in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen eine Offenbarungsgrundlage vorhanden war?
b) Kann in einer Anmeldung im Hinblick auf Art. 123 (2) ein Anspruch auf eine zweite Erfindung aufgestellt werden, die im ursprünglichen Anmeldetext nur in abhängiger Form beschrieben und beansprucht war?
c) Welches ist nach der Entstehungsgeschichte und der Rechtssprechung in den Vertragsstaaten der Zweck des Artikels 123 (2)?
d) Ist die grundlegende Prüfung, ob einem Patentanspruch der Prioritätstag einer Prioritätsunterlage zukommt, identisch ist der Prüfung, ob eine Änderung einer Anmeldung das Erfordernis des Artikels 123 (2) erfüllt? (Richtlinien C V 2.4).
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie der Regel 64 EPÜ; sie ist zulässig.
2. Zulässigkeit von Änderungen im Hinblick auf Artikel 123 (2) EPÜ
2.1. Änderungen nach Regel 86 (3) EPÜ sind nur im Rahmen des EPÜ möglich. Im vorliegenden Fall betrifft die Änderung eine Erweiterung des Patentanspruches 1 gegenüber dem ursprünglichen Patentbegehren insofern, als in ihm die auf die Rollvorrichtung gerichteten Merkmale nach dem ursprünglichen Patentanspruch 1 fehlen. Gegen den Hinweis der Prüfungsabteilung auf die Richtlinien C VI 5.8a ist daher nichts einzuwenden.
Eine derartige Erweiterung eines Patentanspruches 1 ist grundsätzlich nur dann zulässig, wenn dafür in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen eine Offenbarungsgrundlage vorhanden ist. Es muß also aus den ursprünglichen Unterlagen für den Fachmann unmittelbar und eindeutig hervorgehen, daß der nunmehr beanspruchte erweiterte Gegenstand vom Inhalt der ursprünglichen Anmeldung umfaßt wurde.
2.2. Aus dem Gesamtinhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung ergibt sich folgendes:
Der in der Beschreibung erläuterte Stand der Technik befaßt sich ausschließlich mit Rollvorrichtungen (Seite 1; Seite 2, Absätze 1 bis 3).
Auch die erwähnte Aufgabe (Seite 2, 4. Absatz) befaßt sich mit Rollvorrichtungen, die weiterzubilden sind.
Bei der Beschreibung der Ausführungsbeispiele wird ausdrücklich und unmißverständlich darauf hingewiesen (Seite 3, Zeilen 10 bis 15), daß die Traghilfe entweder aus einer Rollvorrichtung und einem Tragband besteht oder nur aus der Rollvorrichtung. Dies wird durch die weitere Beschreibung (Seite 6, Zeilen 19 und 20; Seite 6, Zeile 21 bis Seite 7, Zeile 3) sowie durch den Wortlaut des abhängigen Patentanspruches 5 (zusätzlich) noch unterstützt.
Auch die Patentansprüche offenbaren nichts anderes, nämlich einerseits eine Traghilfe mit Rollvorrichtung (Patentanspruch 1), andererseits eine Traghilfe mit Rollvorrichtung und Tragband (Patentanspruch 5).
2.3. Deswegen bezieht sich die technische Offenbarung, die am Anmeldetag ersichtlich war für einen Fachmann, ausschließlich auf eine Traghilfe mit mindestens einer Rollvorrichtung. Eine Alternative ohne Rollvorrichtung oder ein Indiz für eine andere Möglichkeit ist dieser Anmeldung in ihrer ursprünglichen Fassung nicht zu entnehmen. Im Gegenteil, am Ende der Beschreibung wird sogar unmittelbar und eindeutig mit Bezug auf die drehbare Rolle vorgebracht, daß mit Hilfe der über die Schulter gehängten Tragschlaufe das Skipaar nachgezogen werden kann, was mit den bekannten, nicht schwenkbaren Rollen (also nicht erfindungsgemäßen Rollvorrichtungen) nicht möglich wäre, d. h. daß die Tragschlaufe im Rahmen der vorliegenden Offenbarung nur in Zusammenarbeit mit der Rollvorrichtung gemäß Patentanspruch 1 sinnvoll Verwendung findet.
Obwohl die Beschwerdeführerin die Möglichkeit gehabt hatte, am Anmeldetag ihre Unterlagen anders zu gestalten, so wie sie es im Falle der Druckschrift DE-A-3 606 832 auch getan hat, hat sie dies anscheinend damals nicht gewollt. Tatsache ist, daß die Anmeldung die Alternative einer Traghilfe ohne Rollvorrichtung nicht offenbart.
2.4. Auch die separate Darstellung des Tragbandes in Figur 5 kann zu keiner anderen Schlußfolgerung führen. Erstens betrifft die Figur 5 entsprechend der Beschreibung (Seite 3, Zeile 8) eine vergrößerte Darstellung des in Figur 1 dargestellten Tragbandes, wobei Figur 1 einen Ski mit dem Tragband in Verbindung mit der Rollvorrichtung zeigt, zweitens kann eine Figur nie losgelöst von dem Gesamtinhalt der Anmeldung, sondern nur in diesem Gesamtrahmen interpretiert werden. Der Inhalt einer Anmeldung wird nicht nur durch die darin erwähnten oder gezeigten Merkmale, sondern auch durch deren Beziehung zueinander bestimmt.
Ebensowenig kann aus der Bezeichnung "Tragband" die Alternative ohne Rollvorrichtung hergeleitet werden, da auch die Rollvorrichtung als Traghilfe bezeichnet ist und man davon ausgehen muß, daß das Tragband ein Teil dieser Traghilfe ist. "Traghilfe" im Sinne der ursprünglichen Offenbarung ist als "Führen eines Skipaares mittels einer Rollvorrichtung" zu verstehen. Etwas anderes ist der ursprünglichen Offenbarung nicht zu entnehmen.
Der eindeutige Gesamtinhalt der Anmeldung ist so zwingend auf die oben genannten Traghilfe-Möglichkeiten (Rollvorrichtung oder Rollvorrichtung und Tragband) ausgerichtet, daß ein Fachmann am Anmeldetag den Eindruck bekam, daß eine Vorrichtung und ein damit verbundenes Schutzrecht nur in diesem Rahmen gewollt und deshalb auch so offenbart war. Raum für eine andere, mehr flexiblere Interpretation, hat sich die Anmelderin selber mit ihrer ursprünglich eingereichten Anmeldung nicht geschaffen.
2.5. Der Auffassung der Beschwerdeführerin, daß die Entscheidung T 177/86 einen gleichgelagerten Fall behandle, kann die Kammer nicht zustimmen. Abgesehen davon, daß in dieser Entscheidung bereits darauf hingewiesen wird, es müsse immer vom konkreten Einzelfall ausgegangen werden, ist hier der abgeänderte Anspruch 1 weiterhin auf den grundlegenden Gegenstand der ursprünglichen Erfindung bezogen, nämlich auf die Elektrokochplatte. Im vorliegenden Fall dagegen wird der grundlegende Gegenstand, nämlich die Rollvorrichtung, im Anspruch 1 vollkommen weggelassen und eine Traghilfe beansprucht, die ein Spannband mit einem Spannverschluß und eine am Spannband befestigte Tragschlaufe umfaßt, die für ein Skipaar zwar geeignet ist, jedoch einen wesentlich weiteren Verwendungsbereich beinhaltet.
Darüber hinaus wird in der Entscheidung T 177/86 u. a. auch deutlich zum Ausdruck gebracht (Abschnitt 6.5), daß in der damals vorliegenden Beschreibung ein Satz vorhanden war, der eine Betrachtung einer Einzel-Verwendung der unterschiedlichen, voneinander unabhängigen Merkmale durch den Fachmann, ermöglichte.
Die Kammer möchte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß nicht ein solcher Satz alleine, so wie auch nicht eine Figur alleine, für eine zulässige Änderung entscheidend sein kann, sondern daß dafür das Gesamtbild der ursprünglichen Unterlagen, wofür der Anmelder verantwortlich ist, so gestaltet sein muß, daß ein Fachmann in die Lage versetzt wird, den geänderten Gegenstand unmittelbar und eindeutig diesen Unterlagen zu entnehmen.
2.6. Die von der Beschwerdeführerin hier zur Stützung ihrer Ansicht herangezogenen Entscheidungen sind nicht einschlägig.
Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, daß die Auslegung des Artikels 123 (2) EPÜ derart, daß eine Erweiterung eines Patentanspruches 1 grundsätzlich nur dann zulässig sei, wenn dafür in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen eine Offenbarungsgrundlage vorhanden sei, im Widerspruch zu den Entscheidungen T 331/87, T 52/82 und T 201/83 und zur Rechtspraxis in den meisten industrialisierten Ländern stehe. In Verbindung mit den Entscheidungen T 52/82 und T 331/87 nennt die Beschwerdeführerin auch noch die Entscheidungen T 120/83, T 151/84, T 159/86 und T 147/90 (vgl. Eingabe vom 13. November 1992, Seite 8). Hierzu ist festzustellen, daß die genannten Beschwerdeentscheidungen keinen Anhaltspunkt dafür geben, daß es erlaubt ist, die im ursprünglichen Anspruch 1 und aus der Beschreibung als für die Erfindung wesentlich zu erkennenden Merkmale in einem geänderten Anspruch 1 wegzulassen. Auch die genannte Entscheidung des deutschen Bundesgerichtshofes (BGH), die in GRUR 1985, Seite 1037 ff veröffentlicht ist, kann die Argumente der Beschwerdeführerin nicht stützen. Nach der Entscheidung des BGH muß das im Anspruch 1 aufgenommene Merkmal in einer Weise offenbart gewesen sein, die für den Fachmann erkennbar werden ließ, daß der geänderte Lösungsvorschlag von vornherein von dem Schutzbegehren erfaßt werden sollte. Dies ist im vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben.
Die von der Beschwerdeführerin weiterhin angeführte Entscheidung T 190/83 beinhaltet zwar, daß das Weglassen von Merkmalen aus einem unabhängigen Anspruch, für sich betrachtet, nicht einen Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ darstellen kann, weist jedoch darauf hin, daß zu untersuchen sei, ob durch die Änderungen nicht geoffenbarte Verbindungen geoffenbarter Merkmale in die Anmeldung eingebracht werden. Dies sei insbesondere bei Weglassen von Merkmalen aus einem Anspruch und Hinzufügen anderer durchaus möglich. Im vorliegenden Fall wird jedoch durch das Weglassen der wesentlichen Merkmale ein völlig neuer Sachverhalt geschaffen, der in dieser Form ursprünglich nicht offenbart war.
Im Hinblick auf die angeführte Beschwerdeentscheidung T 260/85, wonach es nicht zulässig ist, ein Merkmal zu streichen, das in der ursprünglichen Anmeldung durchweg als wesentliches Erfindungsmerkmal hingestellt worden ist, bleibt festzustellen, daß gerade die vorliegende Anmeldung die Streichung eines durchweg als wesentlich herausgestellten Merkmales betrifft, nämlich die Rollvorrichtung, die als Entlastungseinrichtung beim Tragen der Skier zu verstehen ist. Auch die Beschwerdeentscheidung T 514/88 bestätigt, daß im Hinblick auf die Prüfung nach Artikel 123 (2) EPÜ der Gesamtinhalt der Offenbarung durch die Anmeldung wesentlich ist.
Die weiteren von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Beschwerdekammerentscheidungen T 169/83, die sich mit Artikel 123 (3) EPÜ und der Möglichkeit der Aufnahme von Merkmalen aus der Zeichnung befaßt, T 229/85, die sich mit der Formulierung der technischen Aufgabe befaßt, T 167/90, die sich mit der Wiedereinsetzung befaßt und T 199/84, die sich mit der erfinderischen Tätigkeit befaßt, sind nach Ansicht der Kammer für den vorliegenden Fall nicht relevant.
2.7. Die durch die Beschwerdeführerin im Schreiben vom 13. November 1992 in Bezug auf Artikel 123 (2) EPÜ vorgebrachten Beispiele (Seiten 12 bis 19) beziehen sich alle auf konkrete Sachverhalte, die mit dem vorliegenden nichts zu tun haben.
2.8. Somit kann das Anspruchsbegehren nach dem Hauptantrag nicht gewährt werden, weil es gegen Artikel 123 (2) EPÜ verstößt.
2.9. Die Kammer kann auch dem Argument der Beschwerdeführerin nicht folgen, sie habe am Anmeldetag, also bevor eine grundsätzliche Änderung der Rechtssprechung der Beschwerdekammern stattgefunden habe, darauf vertrauen können, daß eine Änderung, so wie sie im vorliegenden Fall vorgenommen worden sei, zulässig gewesen wäre.
Für eine solche spekulative Behauptung findet die Kammer keine Stütze. Darüber hinaus kann von einer grundsätzlichen Änderung der Rechtssprechung der Beschwerdekammern nicht die Rede sein. Die als Beweis dafür vorgebrachten Entscheidungen T 52/82 und T 190/83, die nach Meinung der Beschwerdeführerin die jetzt vorliegende Änderung erlaubt hätten, reihen sich nach Meinung der Kammer ein in eine hinsichtlich der Frage des Weglassens wesentlicher Merkmale weitgehend einheitliche Rechtssprechung, so wie es im Abschnitt 2.6 oben erläutert worden ist.
3. Unter Bezugnahme auf die Entscheidung T 177/86 (vgl. Eingabe der Beschwerdeführerin vom 13. November 1992, Seite 5, zweiter Absatz) sowie auf die Entscheidungen T 331/87, T 52/82 und T 201/83 beantragt die Beschwerdeführerin im Hilfsantrag, die im Abschnitt VI zitierten Rechtsfragen der Großen Beschwerdekammer vorzulegen. Wie vorstehend im Abschnitt 2.5 dargelegt wurde, befaßt sich die Entscheidung T 177/86 mit einem zum vorliegendem Fall unterschiedlichen Einzelfall, wobei auch dort der Forderung, daß eine Erweiterung eines Patentanspruches 1 nur dann zulässig ist, wenn dafür in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen eine Offenbarungsgrundlage vorhanden ist, entsprochen wurde, wie dies die Beschwerdeführerin in ihrer Eingabe vom 13. November 1992, Seite 20, richtig festgestellt hat. Wie weiter im vorstehenden Abschnitt 2.6 in Verbindung mit den Entscheidungen T 331/87, T 52/82 und T 201/83 ausgeführt wurde, ist die Rechtssprechung der Beschwerdekammern zumindest im Hinblick auf das Weglassen oder Verallgemeinern von ursprünglich als wesentlich offenbarten Merkmalen weitgehend einheitlich. Die Kammer schließt sich in dieser Hinsicht den Entscheidungen T 118/89, T 416/86 und T 194/84 an, so daß der in Artikel 112 (1) EPÜ genannte Vorlagegrund der "Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung", entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin nicht besteht. Auch handelt es sich vorliegend nach Auffassung der Kammer um einen durchaus üblichen Fall der Auslegung des Artikels 123 (2) EPÜ und nicht um eine "grundsätzliche Rechtsfrage", so daß auch der weitere Vorlagegrund des Artikels 112 (1) EPÜ nicht gegeben ist.
Darüber hinaus kann in Bezug auf die im Hilfsantrag angeschnittene Frage a) nochmals wiederholt werden (vgl. Abschnitt 2.1), daß für die Zulässigkeit hinsichtlich Artikel 123 (2) EPÜ einerseits der Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung und andererseits der durch die Änderung entstandene Gegenstand maßgebend sind.
Die im Hilfsantrag angeschnittene Frage b), ob in einer Anmeldung im Hinblick auf Artikel 123 (2) EPÜ ein Anspruch auf eine zweite Erfindung aufgestellt werden könne, die im ursprünglichen Anmeldetext nur in abhängiger Form beschrieben und beansprucht war, geht im wesentlichen über den Inhalt der Frage a) nicht hinaus und erfüllt ebenfalls nicht die Voraussetzung zur Vorlage an die Große Beschwerdekammer.
Die im Hilfsantrag angeschnittene Frage c), welches nach der Entstehungsgeschichte und der Rechtssprechung in den Vertragsstaaten der Zweck des Artikels 123 (2) EPÜ sei, kann nur von Bedeutung sein, wenn eine einheitliche Rechtsanwendung nicht gegeben ist oder wenn sich eine Rechtsfrage in dieser Hinsicht von grundsätzlicher Bedeutung stellt. Dies ist jedoch im vorliegenden Fall nicht gegeben.
Da hier die Frage nach dem Prioritätstag einer Prioritätsunterlage nicht zu behandeln ist, ist die Fragestellung d), die die Überprüfung des Prioritätstages eines Patentanspruches nach einer Prioritätsunterlage betrifft, nicht von Bedeutung.
Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Vorlage der vorangehend genannten Fragen an die Große Beschwerdekammer war somit zurückzuweisen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.