T 0715/92 (Waldsterben/DORFMANN) 10-02-1994
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Mittel zur Bekämpfung des Waldsterbens
01) Kali und Salz AG
02) Radex Austria Aktiengesellschaft für feuerfeste Erzeugnisse
Änderungen - Einspruchsverfahren
Erfinderische Tätigkeit - naheliegende Alternative
Inventive step (no)
Amendments - opposition proceedings
I. Für die unter der Nummer 84 890 160.9 eingegangene und unter der Nummer 0 178 365 veröffentlichte europäische Patentanmeldung mit der Bezeichnung "Mittel zur Bekämpfung des Waldsterbens" erfolgte die Bekanntmachung des Hinweises auf die Patenterteilung am 25. Januar 1989 im Patentblatt 89/4.
Der einzige Patentanspruch lautet wie folgt:
"Verwendung eines Mittels mit einem Gehalt an Magnesiumsulfat und Natriumsulfat zur Beseitigung und Verhinderung von für das Waldsterben typischen Schäden an Bäumen."
II. Gegen das europäische Patent haben zwei Parteien Einspruch eingelegt. Sie beantragten, das Patent in vollem Umfang zu widerrufen aufgrund von Art. 100 (a) in Verbindung mit Art. 54 und 56 EPÜ.
Im Verfahren vor der Einspruchsabteilung sind die folgenden, bezüglich ihres Offenbarungsgehalts als identisch angesehenen Druckschriften entgegengehalten worden:
(1) DE-C-3 148 404
(2) DE-A-3 148 404
III. Die Einspruchsabteilung hat die Einsprüche der Einsprechenden I und II zurückgewiesen und das Patent in erteiltem Umfang aufrechterhalten. Damit hat sie dem Hauptantrag des Patentinhabers stattgegeben, der als Hilfsantrag folgende Anspruchsfassung vorgelegt hatte:
"Verwendung eines Mittels mit einem Gehalt an Magnesiumsulfat und Natriumsulfat im Gewichtsverhältnis 1 : 1 zur Beseitigung und Verhinderung von für das Waldsterben typischen Schäden an Bäumen."
III.1 Die Einspruchsabteilung sah es als dem Streitpatent zugrundeliegende Aufgabe an, nach einer Lösung zu suchen, um die für das Waldsterben typischen Schäden an Bäumen zu verhindern bzw. zu beseitigen. Die Lösung dieser Aufgabe habe darin bestanden, ein Gemisch mit einem Gehalt an Mg- sulfat und Na-sulfat hierfür vorzuschlagen.
III.2 Im Einspruchsverfahren war auch die zwischen den Verfahrensbeteiligten strittige Frage zu beurteilen, ob die aus (1) und (2) bekannte Lehre, wasserlösliche Magnesiumdüngemittel zur Düngung von an Magnesiummangel, hervorgerufen durch landwirtschaftliche Nutzung und Auswaschungen, leidenden Kulturflächen zu verwenden, auch die Indikation "Verwendung eines Mittels mit einem Gehalt an Magnesiumsulfat und Natriumsulfat zur Beseitigung und Verhinderung von für das Waldsterben typischen Schäden an Bäumen" mit einschließt oder nahelegt.
III.3 Bei der Prüfung dieser Frage bezog die Einspruchsabteilung die Entscheidung G 2/88, vgl. ABl. EPA 1990, 93 ff., in ihre Überlegungen mit ein und gelangte zu dem Ergebnis, daß keiner der genannten Druckschriften die Lehre zu entnehmen sei, auch nicht implizit, daß durch Zusatz von Natriumsulfat zu Kieserit bzw. zu Magnesiumsulfat ein Mittel erhalten werden könne, dessen Verwendung zur Beseitigung und Verhinderung von für das Waldsterben typischen Schäden an Bäumen geeignet sei. Somit sei die den Gegenstand des erteilten Patents bildende Indikation neu gegenüber der aus (1) bzw. (2) bekannten Lehre.
III.4 Nachdem der Patentinhaber mit seinen während des Prüfungsverfahrens eingereichten Versuchsergebnissen vom 21. März 1988 glaubhaft dargelegt habe, daß durch die patentgemäße Verwendung eines Gemisches, enthaltend Magnesiumsulfat und Natriumsulfat, die im Patentanspruch formulierte gestellte Aufgabe gelöst werden könne, während durch die Verwendung weder von Natriumsulfat allein noch von Magnesiumsulfat allein diese Aufgabe nicht gelöst werden konnte, beruhe der Gegenstand des Patentanspruchs gemäß Hauptantrag gegenüber der in (1) bzw. (2) offenbarten Lehre auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
IV. Der Beschwerdeführer (Einsprechender 2) legte gegen diese Entscheidung Beschwerde ein unter gleichzeitiger Entrichtung der Beschwerdegebühr.
V. Im Beschwerdeverfahren hat der Beschwerdeführer im wesentlichen zunächst vorgetragen, die spätere Rückkehr zum Patentanspruch in der ursprünglich erteilten Fassung stelle einen Verstoß gegen Artikel 123 (3) EPÜ dar, nachdem der Patentinhaber mit Schriftsatz vom 31. Mai 1990 einen verbindlich beschränkten Patentanspruch vorgelegt und beantragt habe, das Patent mit diesem Anspruch aufrechtzuerhalten.
Weiterhin sei nach der Entscheidung G 2/88 der Großen Beschwerdekammer (ABl. EPA 1990, 93) eine beanspruchte Lehre nur dann neu, wenn sie mindestens ein wesentliches technisches Merkmal enthalte, durch das sie sich vom Stand der Technik unterscheide. Im vorliegenden Fall sei nicht zu erkennen, welches "neues Ausführungsmittel" der angegriffene Anspruch enthalte. Es seien keine neuen Schritte einer Tätigkeit formuliert, durch die sich die beanspruchte Verwendung auszeichne.
Vielmehr werde ganz allgemein die Verwendung des bekannten Mittels zur Beseitigung und Verhinderung von für das Waldsterben typischen Schäden an Bäumen beansprucht. Dabei gebe der Anspruch noch nicht einmal eine technische Regel dahingehend, in welcher Konzentration oder in welchen Mischungsverhältnissen beziehungsweise in welcher Ausbringung die beanspruchte Verwendung erfolgen solle.
Das einzige "Ausführungsmittel", das im Sinne der vorgenannten Entscheidung zu erkennen sei, sei die Ausbringung des Mittels auf Böden. Gerade dieses technische Merkmal entspreche aber identisch dem Stand der Technik nach Dokument (2). Diesem Sachverhalt entsprechend enthalte der Patentanspruch des Streitpatents kein neues technisches Merkmal und sei nicht patentwürdig.
Der Beschwerdeführer beantragt
- die Entscheidung auf Zurückweisung des Einspruchs aufzuheben und das angegriffene Patent in vollem Umfang zu widerrufen
- hilfsweise, mündliche Verhandlung anzuberaumen.
VI. Der Patentinhaber ist im Beschwerdeverfahren nicht aufgetreten. Er hat keine Anträge gestellt und zu der ihm an die auf der Titelseite dieser Entscheidung genannte Anschrift zuletzt am 7. Januar 1993 ordnungsgemäß zugestellten Abschrift der Beschwerdebegründung nicht Stellung genommen.
Nachdem sich die Mitteilung vom 7. Januar 1993 als unzustellbar erwiesen hatte (Regel 80 (1) EPÜ), wurde die öffentliche Zustellung veranlaßt, woraufhin die Bekanntmachung im europäischen Patentblatt am 7. April 1993 erfolgte.
VII. Auch zu dem an die genannte Anschrift unter Fristsetzung von 2 Monaten gerichteten Bescheid gemäß Artikel 110, Absatz 2 EPÜ der Technischen Beschwerdekammer vom 8. Juli 1993 hat der Patentinhaber keine Stellungnahme eingereicht, so daß hiermit nunmehr eine Entscheidung nach Lage der Akten ergeht.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Der geltende Patentanspruch ergibt sich durch Aufnahme des Gegenstands des ursprünglichen Anspruchs 4 in den ursprünglichen Anspruch 1 und dessen im Prüfungsverfahren erfolgte, formal zulässige Formulierung als Verwendungsanspruch. Bezüglich der Frage der Zulässigkeit nach Artikel 123 (3) bemerkt die Kammer folgendes: Die Tatsache, daß ein Patentinhaber Ergänzungen zu seinen Patentansprüchen beantragt, die sich aus dem Einspruch ergeben und somit den Umfang des Patentbegehrens beschränkt, stellt in der Regel keinen Verzicht auf den Gegenstand der Ansprüche dar, mit denen das Patent erteilt worden ist. Solche Änderungsvorschläge während des Einspruchsverfahrens hindern den Patentinhaber nicht daran, später auf den Gegenstand der erteilten Patentansprüche wieder zurückzugreifen (vgl. T 123/85, EPA ABl. 1989, 336). Der Anspruch ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden (Art. 123 (2) und (3) EPÜ).
3.1. Wie in der Streitpatentschrift Spalte 1, Zeilen 17 - 24 unter Hinweis auf einen Bericht in der "Süddeutschen Zeitung" (vgl. 39. Jahrgang vom 25. Februar 1983, Seite 11, dort insbes. Spalte 2, Absatz 2) angegeben ist, weisen erkrankte, vom Waldsterben bedrohte Fichten typische Symptome von Magnesium-Mangel auf.
Somit kann die Beseitigung dieses Mangels als Stand der Technik angesehen werden, wie die Veröffentlichung
Forstwissenschaftliches Centralblatt 102, 1983, Seiten 50 bis 55,
bestätigt, in der festgestellt wird, daß die Gelbspitzigkeit von Fichten und Tannen in erster Linie eine Folge von Magnesium-Mangel ist, der sogar zum Absterben der Bäume führen kann (vgl. dort Seite 53, Zeilen 7 - 10) und daß die Applikation von magnesiumhaltigen Verbindungen über dem Boden eine Revitalisierung bewirkt (vgl. dort Seite 54, "Zusammenfassung", letzter Satz).
Aufgrund dessen ist die Verwendung von magnesiumhaltigen Verbindungen zur Beseitigung von für das Waldsterben typischen Schäden an Bäumen bekannt.
3.2. Betrachtet man hiervon ausgehend die vom Beschwerdegegner vorgebrachte Aufgabe, so besteht diese darin, ein verbessertes Mittel anzugeben, mit dem für das Waldsterben typische Schäden an Bäumen beseitigt oder verhindert werden können.
Durch die mit Schriftsatz des Beschwerdegegners vom 21. März 1988 eingereichten Ergebnisse von Vergleichsversuchen ist die Wirkung einer Mischung aus Bittersalz (MgSO4 7H2O) und Glaubersalz (Na2SO4 10H2O) für das Gewichtsverhältnis von ca. 1:1 gezeigt worden, das auch den ursprünglichen Beispielen 1 und 2 zugrundeliegt.
Somit hatte der Beschwerdegegner schon im Prüfungsverfahren glaubhaft machen können, daß die Verwendung von Mischungen von Magnesiumsulfat und Matriumsulfat mindestens für ein bestimmtes Gewichtsverhältnis die Aufgabe löst.
3.3. Wie sich aus den nachstehend zitierten Ausführungen des Patentinhabers ableiten läßt, ist es jedoch nicht ohne weiteres glaubhaft, daß die in der Verbesserung bestehende Aufgabe auch dann gelöst wird, wenn anspruchsgemäß Mittel mit einem nur geringen Gehalt an Natriumsulfat verwendet werden.
Im Hinblick auf die voranstehend genannte Aufgabe fehlt in dem geltenden Patentanspruch somit ein zur Lösung dieser Aufgabe wesentliches, über die lediglich qualitative Bezeichnung zweier Mischungsbestandteile hinausgehendes Merkmal.
Nach den Ausführungen des Patentinhabers im Schriftsatz vom 24. Oktober 1991 kommt diesem Mischungsverhältnis ca. 1:1 erfindungswesentliche Bedeutung zu, nachdem geschädigte Pflanzen "durch jahrelange Versuche" mit "immer geänderten Mischungsverhältnissen der Substanzen" gedüngt worden waren (vgl. dort Seite 1, Absatz 1).
In diesem Schriftsatz ist von der "hohen Zufügung" von Natriumsulfat und der "großen Konzentration" an Natriumsulfat (vgl. dort Seite 1), dagegen unter Bezugnahme auf die DE-C-3 148 404 von der "kleinen unwesentlichen Menge Natriumsulfat" die Rede (vgl. Seite 1).
Demgegenüber ist dem geltenden Patentanspruch jedoch nicht zu entnehmen, daß das Gewichtsverhältnis von Bittersalz zu Glaubersalz erfindungswesentlich und somit zwingend einzuhalten ist.
3.4. Die Vorteile, auf die sich der Beschwerdegegner beruft, sind somit für den beanspruchten Gegenstand nicht hinreichend belegt und können bei der Ermittlung der der Erfindung zugrunde liegenden Aufgabe nicht in Betracht gezogen werden.
4.1. Unter Zugrundelegung des unverändert geltenden Anspruchs 1 gemäß Streitpatentschrift ist die Aufgabe darin zu sehen, ein Mittel anzugeben, das zur Beseitigung und Verhinderung von für das Waldsterben typischen Schäden an Bäumen verwendet werden kann.
Nach dem geltenden Anspruch 1 kommen hierfür sämtliche Mischungen mit einem Gehalt an Magnesiumsulfat und Natriumsulfat in jedem beliebigen Gewichtsverhältnis in Betracht.
4.2. Aus der im Einspruchsverfahren entgegengehaltenen Druckschrift (1) sind nun Mischungen bekannt, die so hergestellt werden, daß Kieserit mit 4 bis 10 % einer wäßrigen Lösung, welche 10 bis 30 Gew.-% an Salzen enthält, vermischt wird.
Unter den dort genannten Salzen ist auch Natriumsulfat, wobei es weiter heißt, daß vorzugsweise gesättigte oder nahezu gesättigte Lösungen eingesetzt werden sollen, welche die genannten Salze einzeln (oder im Gemisch) enthalten, was insbesondere für Natriumsulfat (bzw. Kaliumsulfat oder Natriumcarbonat) gilt (vgl. (1) Seite 2, Zeilen 61 bis 66).
4.3. Gegenüber der Verwendung derartiger Kieserit-Granalien für das Ausbringen auf Kulturflächen mittels für mineralische Düngemittel gebräuchlicher Streueinrichtungen (vgl. (1) Seite 2, Zeilen 48 bis 49) stellt die nach dem geltenden Anspruch 1 des Streitpatents beanspruchte Verwendung von Mitteln mit einem Gehalt an Magnesiumsulfat und Natriumsulfat in jedem beliebigen Gewichtsverhältnis nur eine nahegelegte Alternative dar, nachdem im Streitpatent selbst als bekannt angegeben ist, daß erkrankte Fichten Symptome aufweisen, die für Magnesium-Mangel typisch sind (vgl. Spalte 1, Zeilen 21 bis 24).
4.4. In der Zusammenschau des voranstehend genannten Standes der Technik ist es für den Fachmann naheliegend, auf der Suche nach Mitteln zur Behebung von durch Magnesium- Mangel bedingten Pflanzenschäden die aus (1) bekannten Mischungen heranzuziehen, insbesondere wegen der vorteilhaften anwendungstechnischen Eigenschaften der demgemäß erhältlichen trockenen, gut handhabbaren, hochverdichteten Granalien, die auch bei längerer Lagerung nicht verbacken und nur einen geringen Abrieb haben (vgl. (1) Seite 3, Zeilen 19 bis 21).
4.5. Im Gegensatz zu derjenigen Mischung aus Magnesiumsulfat und Natriumsulfat, für welche der Beschwerdegegner überraschend vorteilhafte Eigenschaften glaubhaft gemacht hat, ist in der willkürlichen, d. h. in jedem beliebigen Gewichtsverhältnis vorzunehmenden Beimischung von Natriumsulfat zu Magnesiumsulfat und der beanspruchten Verwendung derartiger Mischungen kein erfinderisches Vorgehen zu sehen, so daß der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 die Anforderung von Regel 56 EPÜ nicht erfüllt.
Da der Patentinhaber im Beschwerdeverfahren keinen Antrag gestellt hat, war das Patent zu widerrufen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das europäische Patent EP-B-0 178 365 wird widerrufen.