T 0241/98 (Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit des Berichterstatters) 22-03-1999
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I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat gegen das europäische Patent Nr. 0 564 768 Einspruch eingelegt. Ihre Beschwerde vom 10. März 1998 richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 18. Februar 1998, mit der der Einspruch zurückgewiesen worden ist. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) hat die Zurückweisung der Beschwerde beantragt.
II. In einem Bescheid vom 15. Februar 1999, unterschrieben vom Berichterstatter der Kammer, Herrn Gryc, sandte die Kammer den Beteiligten ihre vorläufige Auffassung zur Beurteilung des Falles.
III. Mit Schriftsatz vom 15. März 1999 lehnte der Vertreter der Beschwerdeführerin in ihrem Namen den Berichterstatter der Kammer, Herrn Gryc, wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Zur Begründung trug er im wesentlichen vor, der Inhalt des Bescheids vom 15. Februar 1999 löse bei ihrer Partei die Besorgnis aus, daß der Berichterstatter nicht mehr in der Lage sein wird, die in der anberaumten mündlichen Verhandlung zur Entscheidung anstehende Sache unvoreingenommen und unparteiisch zu beurteilen. Aus den zweimal wiederholten Hinweisen auf die möglichen negativen Folgen des Nichterscheinens der Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung werde erkennbar, daß der Berichterstatter die Patentinhaberin veranlassen wollte, entgegen ihrer vorherigen ausdrücklichen Entscheidung, nicht zum Termin zu kommen, nun doch an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen. Auch die Beurteilung der technischen Sachverhalte lasse ein einseitiges Bestreben erkennen, der Patentinhaberin ihr Schutzrecht zu erhalten. Auf den vorliegenden Fall sei analog die Feststellung in der Entscheidung T 0253/95 anzuwenden, wonach es eine klare Verletzung des Prinzips der Unparteilichkeit sei, wenn eine Partei auf ein mögliches Argument gegen sie auf der Basis eines Grundes, für den sie die Beweispflicht hat, vor der mündlichen Verhandlung darauf aufmerksam gemacht wird, unabhängig davon, ob die Zwischenverfügung, in der ein solches Argument dargelegt wird, auch der anderen Partei zugestellt wird.
IV. Mit einer Erklärung vom 16. März 1999 hat der Berichterstatter zum Ablehnungsantrag der Beschwerdeführerin Stellung genommen und im wesentlichen ausgeführt, daß die im angegriffenen Bescheid wiedergegebene Auffassung diejenige zumindest der Mehrheit der Mitglieder der Kammer sei und lediglich von ihm gemäß der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern redigiert worden sei. Der Hinweis auf die Folgen des Nichterscheinens der Patentinhaberin sei im Zusammenhang mit der behaupteten Vorbenutzung zu sehen, die zumindest vorläufig von der Kammer als für den Ausgang des Verfahrens wesentlich angesehen worden sei. Der Vorwurf der Parteilichkeit sei daher nicht begründet.
V. Mit Verfügung vom 16. März 1999 hat der Vorsitzende den Beteiligten mitgeteilt, daß die für den 22. März 1999 anberaumte mündliche Verhandlung durchgeführt wird, und in ihr zunächst in entsprechend geänderter Besetzung über den Ablehnungsantrag der Beschwerdeführerin verhandelt wird.
VI. In der mündlichen Verhandlung vom 22. März 1999 erklärten sich die Beteiligten damit einverstanden, daß in der mündlichen Verhandlung und für die Entscheidung über den Ablehnungsantrag deutsch als Verfahrenssprache verwendet wird.
Der Vertreter der Beschwerdeführerin hielt seinen Ablehnungsantrag aufrecht. In Ergänzung zum schriftsätzlichen Vortrag führte er aus, daß bei seiner Partei insbesondere durch den zweimaligen Hinweis im Bescheid vom 15. Februar 1999, welches Risiko für die Patentinhaberin im Falle ihres Nichterscheinens in der mündlichen Verhandlung entstehen könnte, der Eindruck einer Parteilichkeit des Berichterstatters hervorgerufen worden sei. Auf diesen subjektiven Eindruck müsse es aber für die Begründetheit des Ablehnungsantrags ankommen und nicht darauf, ob objektiv auf Seiten des Berichterstatters ein Ablehnungsgrund nachgewiesen werden kann.
Der Vertreter der Beschwerdegegnerin hielt den Ablehnungsantrag für unbegründet. Er wies insbesondere darauf hin, daß die Hinweise auf die Folgen des Nichterscheinens der Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung lediglich die Wiederholung einer gesetzlich vorgesehenen Warnung seien. Außerdem ergebe sich aus der Rechtsprechung der Beschwerdekammern, wie sie beispielhaft in der Entscheidung T 843/91 wiedergegeben sei, daß es für die Begründetheit eines Ablehnungsantrags auf objektive Merkmale, d. h. eine nachweisbare Begünstigungs- oder Benachteiligungsabsicht, und nicht auf den subjektiven Eindruck der Beteiligten ankomme.
1. Artikel 24 (3) Satz 1 EPÜ bestimmt, daß "die Mitglieder" der Beschwerdekammern von jedem Beteiligten abgelehnt werden können. Wie bereits in der Entscheidung T 843/91 (ABl. EPA 1994, 818) festgestellt worden ist, folgt hieraus, daß die Mitglieder einer Kammer einzeln oder gemeinsam abgelehnt werden können. Da im übrigen die Ausschlußgründe des Artikels 24 (3) Satz 2 und 3 EPÜ nicht vorliegen, ist der Ablehnungsantrag der Beschwerdeführerin zulässig.
2. Nach Artikel 12 der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern kann eine Kammer, sofern sie es für zweckmäßig hält, den Beteiligten eine Mitteilung über die sachliche oder rechtliche Beurteilung des Falles zukommen lassen. Diese wird, wie auch vorliegend geschehen, üblicherweise vom Berichterstatter in Abstimmung mit dem Vorsitzenden abgefaßt, und von jenem "im Auftrag der Kammer" unterzeichnet", Artikel 4 (2) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern. Der Wortlaut der zuletzt genannten Bestimmung, sowie die zehnmalige Verwendung des Worts "Kammer" im Bescheid, lassen somit unmißverständlich erkennen, daß der Bescheid vom 15. Februar 1999 nicht die persönliche Meinung des Berichterstatters, Herrn Gryc, sondern die - vorläufige - Auffassung mindestens der Mehrheit der Kammer zur Sach- und Rechtslage wiedergibt. Daher bestehen gegen die Begründetheit des Ablehnungsantrags der Beschwerdeführerin bereits deshalb erhebliche Bedenken, als er gegen den falschen Adressaten, den Berichterstatter, und nicht sämtliche Mitglieder der Kammer gerichtet ist.
3. Aber auch wenn zugunsten der Beschwerdeführerin davon ausgegangen wird, ihr Antrag richte sich gegen das für den Inhalt der Mitteilung "verantwortliche" Mitglied, den Berichterstatter, vermögen die vorgetragenen Ablehnungsgründe die Kammer nicht zu überzeugen.
In der bereits zitierten Entscheidung T 843/91 ( Ziff. 8 der Entscheidungsgründe) sind gewisse Kriterien für die Beurteilung der Befangenheit aufgestellt worden, denen sich diese Kammer anschließt. Befangenheit liegt danach vor, wenn eine Partei bewußt begünstigt wird, indem ihr Rechte eingeräumt werden, die ihr nicht zustehen, oder wenn die Rechte der anderen Partei absichtlich mißachtet werden. Mängel, Fehlverhalten oder Verfahrensfehler, so schwerwiegend sie auch sein mögen, können eine Ablehnung wegen Befangenheit nicht begründen, soweit sie nicht auf Voreingenommenheit oder Vorsatz zurückzuführen sind.
Aus Wortlaut und Sinn des angegriffenen Bescheids läßt sich jedoch an keiner Stelle entnehmen, daß der Berichterstatter die Beschwerdegegnerin bewußt begünstigen wollte, indem er ihr Rechte einräumte, die ihr nicht zustanden. Der Hinweis auf die möglichen Folgen des Nichterscheinens der Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung ist gesetzlich ausdrücklich vorgesehen, Regel 71 (2) EPÜ. Mag man die zweimalige Hervorhebung dieses Hinweises auch als unnötig belehrend betrachten, keinesfalls wird hierdurch die Beschwerdegegnerin im Verhältnis zur Beschwerdeführerin günstiger gestellt. Wenn die Patentinhaberin auf diese Hinweise hin tatsächlich ihre Meinung geändert und beschlossen hat, an der mündlichen Verhandlung nunmehr doch teilzunehmen, ist dies ihr gutes Recht und kann nicht als Wahrnehmung einer ihr nicht zustehenden, vom Berichterstatter eingeräumten Begünstigung angesehen werden.
4. Auch bei vordringlicher Berücksichtigung des subjektiven Eindrucks auf Seiten der Partei, wovon der Vertreter der Beschwerdeführerin ausgeht, müssen doch auch gewisse konkret faßbare Anhaltspunkte gegeben sein, die einen solchen Eindruck rechtfertigen. Artikel 12 der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern hebt ausdrücklich den vorläufigen, nicht verbindlichen Charakter eines solchen Bescheids hervor. Demgemäß heißt es zu Beginn des Bescheids vom 15. Februar 1999 "L'opinion exprimée ci-dessous n'est que provisoire et ne saurait lier la Chambre quant à la décision finale". Daß dann im weiteren Verlauf der Mitteilung die Kammer in ihrer Argumentation mehr die Auffassung der Beschwerdegegnerin zu stützen scheint, ist ein durchaus typischer Regelfall. Da der vorläufige Charakter einer solchen Argumentation "zugunsten" einer Partei offensichtlich ist, kann hieraus doch wohl keine Besorgnis einer Befangenheit sondern allenfalls die Anregung für die Beschwerdeführerin herausgelesen werden, die nach ihrer Meinung irrige Auffassung der Kammer zu widerlegen.
Darüber hinaus möchte die Kammer festhalten, daß Meinungsbildung einer der Aufgaben, wenn nicht die wichtigste Aufgabe oder Pflicht einer Beschwerdekammer ist. Das Vorbringen einer vorläufigen Meinung ist in diesem Kontext zu sehen, und kann daher nicht als parteiisch betrachtet werden.
5. Der Hinweis der Beschwerdeführerin auf die Entscheidung T 253/95 kann zu keiner anderen Beurteilung führen.
Die Beschwerdeführerin hat alleinig auf den sehr allgemeinen Wortlaut des "Catchwords", der auch in der Entscheidung, Abschnitt 3, letzter Satz, zu finden ist, Bezug genommen, und nicht auf eine Analogie zwischen dem konkreten Fall einerseits, auf den sich dieser Wortlaut in der genannten Entscheidung bezogen hat, und dem vorliegenden Fall andererseits.
Der angeführte Wortlaut des "Catchwords" ist aber im Zusammenhang mit dem konkreten Fall, auf den jener sich bezogen hat, zu verstehen. In der Tat handelt der Fall in der Entscheidung T 253/95 von dem erstmaligen Einführen eines neuen Arguments in einem Einspruchs-Beschwerdeverfahren hinsichtlich Artikel 123 (2) EPÜ während der abschließenden mündlichen Verhandlung, und zwar durch die Kammer selbst. Die Kammer kommt für diesen Fall in ihrer Entscheidung zu der Auffassung, daß ein solches Vorbringen zwar möglich ist, aber nur im Verlauf der abschließenden mündlichen Verhandlung. Ein schriftliches Einführen dieses neuen Arguments vorab im Rahmen eines Bescheids demonstriere nach Auffassung der Kammer dagegen Befangenheit.
Dies vermag die vorliegend entscheidende Kammer nicht nachvollziehen. Obwohl es richtig ist, daß das Vorbringen eines neuen Arguments möglich ist, ist der Zeitpunkt dieses Vorbringens nicht auf die abschließende mündliche Verhandlung beschränkt sondern kann im Normalfall stets stattfinden (siehe Unterschied zwischen Artikel 114 (1) und 114 (2) EPÜ hinsichtlich des Begriffs "Argumente", insbesondere in der englischen Fassung; und G 4/95, Abschnitt 4b, ABl EPA 1996, 412).
Für die Kammer ist es darüber hinaus nicht klar, wieso ein sehr spät, d. h. während der abschließenden mündlichen Verhandlung eingeführtes neues Argument unparteiisch, aber dessen früheres schriftliches Vorbringen parteiisch sein soll. Es stellt sich daher auch die Frage, was eine Kammer tun würde, wenn keine abschließende mündliche Verhandlung erforderlich wäre.
In jedem Fall steht der Wortlaut des "Catchwords" in seiner Allgemeinheit im Widerspruch zu all jenen Beschwerdefällen, in denen die Kammer in ihren Bescheiden gemäß Artikel 110 (2) EPÜ und Artikel 12 der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern eine vorläufige Meinung vorgebracht hat, die neue Argumente von Seiten der Beschwerdekammer enthält.
Ein Verbot solchen Vorbringens neuer Argumente seitens der Beschwerdekammer würde deren Pflicht zur Meinungsbildung und Wahrheitsfindung erheblich einschränken.
Aus den genannten Gründen ist die Kammer daher davon überzeugt, daß der von der Beschwerdeführerin herangezogene Wortlaut der Entscheidung T 253/95 in seiner Allgemeinheit verfahrensmäßig nicht zutreffend ist und deswegen auf andere Fälle nicht übertragen werden kann.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit des Berichterstatters, Herrn Gryc, wird zurückgewiesen.