5.5. Parameter
5.5.2 Durch offene Bereichsangaben definierte Parameter
In der kürzlich ergangenen Entscheidung T 1977/22 wurden Rechtsprechung und Grundsatzentscheidungen zu offenen Bereichen und Ausführbarkeit über die gesamte Breite des Anspruchs im Detail analysiert.
In T 1697/12 deckten die Ansprüche durch offene Bereichsangaben Ausführungsformen ab, die mit dem im Patent offenbarten Verfahren nicht herstellbar waren, die aber mit anderen, künftig zu erfindenden Verfahren herstellbar sein könnten (unzureichend offenbarte Erfindung). Verwandte Entscheidungen: T 61/14 (Nr. 5 der Gründe, ebenso, Bereich nicht im gesamten beanspruchten Umfang erzielbar), T 2344/12 (Nr. 1.1.2 der Gründe, ebenso, offener Bereich nicht hinreichend offenbart), T 517/98 (Nr. 1.5 der Gründe, ähnlich, keine Lehre für gesamten Bereich), T 615/19 (Nr. 1.2 der Gründe, Schlussfolgerungen aus T 1697/12 nicht anwendbar, implizite Begrenzung des offenen Bereichs wegen anderer Merkmale) und nachstehende Zusammenfassung der Sache T 398/19, in der die Kammer die Einwände des Einsprechenden gegen offene Bereichsangaben wie "mindestens" oder "höchstens" zurückgewiesen hat, wobei sich die Einwände gegen noch zu erfindende Herstellungsverfahren richteten und der Einsprechende zur Stützung seiner Auffassung auf die Entscheidungen T 1697/12 und T 113/19 sowie die Entscheidungen X ZR 32/17 und X ZR 34/17 des deutschen Bundesgerichtshofs hinwies.
Die Entscheidung T 398/19 enthält eine eingehende Begründung zur Frage der Definition eines Parameters durch offene Bereichsangaben. Der Einsprechende erhob einen Einwand wegen angeblicher unzureichender Offenbarung durch offene Bereichsangaben wie "mindestens" oder "höchstens". Die Kammer stellte fest, dass die bloße Tatsache, dass bestimmte Merkmale durch offene Bereiche ausgedrückt werden, für einen Einwand unzureichender Offenbarung nicht ausreiche, insbesondere wenn, wie im vorliegenden Fall, die Beschreibung und die Beispiele genaue Informationen zur Herstellung eines oder mehrerer spezifischer Erzeugnisse mit allen beanspruchten Merkmalen enthielten. Darüber hinaus sei die Charakterisierung eines Erzeugnisses durch offene Bereiche auf dem betreffenden technischen Gebiet üblich, und häufig blieben in einem Anspruchsgegenstand Parameter außer Acht, die für die Wirksamkeit des beanspruchten Erzeugnisses gleichermaßen wichtig seien. Die Definition eines Erzeugnisses durch sämtliche strukturellen Parameter wäre in Anbetracht des Erfindungsgegenstands eindeutig unmöglich und oft auch nicht notwendig. Abschließend hielt die Kammer fest, dass die Definition eines Parameters durch offene Bereichsangaben in keiner Weise die spätere Erfindung neuer Verfahren verhindere, die es ermöglichten, Parameter von Werten zu erhalten, die sehr weit von den beanspruchten entfernt seien und ebenso patentrechtlich geschützt werden könnten. Die Erfordernisse des Art. 83 EPÜ wurden als erfüllt erachtet. Die Kammer folgte den Feststellungen aus T 113/19, T 1018/05 und T 624/08 und befand T 1697/12 für nicht anwendbar.
In T 2702/19 (Medizinische Vorrichtungen mit Visualisierungsmitteln mit kleinem Durchmesser) befand die Kammer, dass die Fachperson nicht in der Lage sei, anhand ihres allgemeinen Fachwissens aus dem Patent einen Grenzwert für den maximalen Außendurchmesser der medizinischen Vorrichtung abzuleiten, unterhalb dessen sie Varianten sofort als eindeutig außerhalb des praktischen Anwendungsbereichs des beanspruchten Gegenstands liegend verwerfen würde. Wie vom Beschwerdegegner (Einsprechenden) vorgebracht, offenbare das Patent nicht, wie die Erfindung über den gesamten beanspruchten Wirkungsbereich des maximalen Außendurchmessers der medizinischen Vorrichtung ausgeführt werden kann. Der Beschwerdeführer (Patentinhaber) behauptete zudem, T 2773/18 bestätige, dass in der Praxis nicht erzielbare Werte eines Parameters keinen Einwand der unzureichenden Offenbarung rechtfertigten. Die Kammer war jedoch nicht von der Vergleichbarkeit der Situation in T 2773/18 mit dem vorliegenden Fall überzeugt, da der betreffende Anspruch in dieser Entscheidung keine offene Bereichsangabe enthielt (für ähnliche Fälle wie T 2702/19 siehe: T 2401/19 und T 953/21; die mündlichen Verhandlungen in diesen Fällen fanden nacheinander statt).
In T 1708/22 war die Kammer der Ansicht, dass die "Gesamtlichtdurchlässigkeit" durch die anderen Merkmale des Anspruchs 1 inhärent begrenzt ist. Der offene Bereich führe daher nicht zu einer unzureichenden Offenbarung.
In T 1942/21 stellte sich die Frage, ob die Fachperson genügend Anleitungen im Patent erhält, wie hohe Anteile an Methan im Synthesegas erhalten werden können. Der Argumentation des Beschwerdeführers (Patentinhabers), dass diese Frage sich gar nicht stelle, da ohne Angabe einer Untergrenze für Methan kein Ausführbarkeitsproblem vorgelegen hätte, stimmte die Kammer nicht zu. Würde diese Argumentation gutgeheißen, so könnte eine Einschränkung eines Anspruchs durch einen nicht-ausführbaren Parameter nicht bemängelt werden, da der breitere Anspruch ohne den Parameter ja wahrscheinlich kein Ausführbarkeitsproblem aufwiese. Es ist jedoch etablierte Rechtsprechung, dass, wenn ein wesentliches Merkmal einer Erfindung durch einen Parameter ausgedrückt wird, sich die Frage stellt, ob der Parameter so definiert ist, dass es der Fachperson möglich ist, anhand der Offenbarung in ihrer Gesamtheit und mithilfe des allgemeinen Fachwissens ohne unzumutbaren Aufwand die technischen Maßnahmen zu identifizieren, die zum beanspruchten Gegenstand führen. Diese Sichtweise ist auch im Einklang mit Entscheidungen, die abhängige, also eingeschränkte Ansprüche als nicht ausführbar ansahen, ohne den breiteren unabhängigen Anspruch wegen fehlender Ausführbarkeit zu bemängeln. Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, dass das Patent ausreichend Anweisungen enthalten muss, wie das jetzt wesentliche Merkmal, das sozusagen das zu erreichende Ergebnis definiert, nämlich einen Methananteil von mehr als 12 Vol-% im Synthesegas zu erhalten, über die gesamte Breite verwirklicht werden kann. Dieses Merkmal ist das Wesen der Erfindung, da Synthesegas mit weniger Methan bereits bekannt war. Deshalb sollte die Lehre des Patents es erlauben, dieses neue Merkmal über den gesamten beanspruchten Bereich zu erhalten. Obwohl der vorliegende Fall ein zu erreichendes Ergebnis einer chemischen Reaktion betrifft und nicht einen physikalischen Parameter, ist er trotzdem ähnlich gelagert wie der in der Rechtsprechung zitierte Fall T 1697/12 (dort waren bestimmte realistische Werte durch das offenbarte Verfahren nicht erreichbar weshalb auch die Ausführbarkeit verneint worden war). Im vorliegenden Fall führt die Einführung der Methanmenge im Synthesegas dazu, dass dieses Merkmal wesentlich ist (R. 43 (3) EPÜ) und sich somit die Frage stellt, wie das beanspruchte Ziel über den gesamten Bereich erreicht werden kann. Das Patent enthält Informationen wie die Untergrenze von 12 Vol-% Methan überschritten werden kann. Jedoch gab es keinerlei Informationen im Patent, wie Methanmengen von 20 bis 25 % erreicht werden können, die sicherlich nicht als unrealistisch angesehen werden. Es stimmt, dass der nach oben offene Bereich durch das Verfahren an sich (Reaktion mit Wasserdampf) beschränkt ist, jedoch sind Werte im Bereich von 20 bis 25 Vol.% Methan unbestritten nicht durch diese Beschränkung ausgeschlossen. Die Kammer ist sich bewusst, dass es Entscheidungen gibt, die jedoch einen physikalischen Parameter betreffen, in denen der nach oben offene Bereich als nicht problematisch angesehen wurde. Im vorliegenden Fall ist jedoch die Situation anders. Da es unstrittig zwischen den Parteien war, dass Methangehalte von 20 bis 25 Vol-% von dem Anspruch umfasst sind und die Lehre des Patents dahingehend nicht ausreichend ist, wird der Gegenstand des Anspruchs 1 als nicht ausführbar angesehen.
- T 1977/22
In case T 1977/22, the opposition division revoked the patent arguing that the definition of certain parameters in terms of an open-ended range rendered the invention insufficiently disclosed, as these parameters could not be reproduced over the whole scope of the open-ended side.
The board addressed this question by first reviewing the landmark decisions which gave rise to the principle of "reproducibility over the whole claimed scope" (T 435/91, T 292/85, T 226/85, T 409/91, and G 1/03), then reviewing the case law specifically dealing with open-ended range desiderata and sufficiency of disclosure, before addressing the question of how to apply the general requirement of "reproducibility over the whole scope“ to the specific case of inventions defined in terms of an open-ended range desideratum, and finally by applying the proposed criteria.
More specifically, the board stated that the main idea behind the principle of reproducibility over the whole scope is that where an invention is defined as a combination of process and/or structural features (A+B) to achieve a certain result or desideratum (X), the skilled person should be enabled to achieve the result (X) over the whole scope of the claim, which is intended to ensure that the breadth of the claimed invention is commensurate with the teachings of the patent, i.e. that the scope of protection is restricted to the actual technical contribution of the patent. According to the landmark decisions, the assessment should be based on balanced criteria, avoiding unrealistic requirements, such as excluding all non-working embodiments or providing instructions to identify every possible working embodiment, while still ensuring that the claim includes all features essential to achieving the defined desideratum and that the breadth covered by the functional definition is commensurate with the teachings of the patent.
The board then turned to review in detail the case law dealing with "open-ended ranges desideratum and sufficiency of disclosure" (point 3 of the Reasons). Following this, the board dealt with the key question of the reproducibility over the whole scope of open-ended ranges (point 4 of the Reasons). It stated that where the desideratum was, as in the present case, defined in terms of an open-ended range for a physical parameter of a product, the problem of reproducibility over the whole scope was analogous to that addressed in the landmark decisions, with the key distinction being that the inclusion of non-working embodiments may also stem from the desideratum itself, as the open definition broadens the claimed scope in such a way as to implicitly encompass non-working embodiments, i.e. irreproducible parametric values (unrealistically high) and/or yet-to-be-discovered alternatives (values only achieved with inventive skill). That the claim covered non-working embodiments was not in itself sufficient to conclude that the invention would not be reproducible over the whole scope. The key issue was the burden to be applied for assessing whether the teachings in the patent would enable the skilled person to reproduce the open-ended range over the whole scope of the open-ended side. In this respect, the open-ended definition should not be interpreted literally as requiring teachings enabling the skilled person to achieve any parametric value in the upward direction; interpreting the concept literally would impose a technically unsurmountable burden and would be in contradiction with the landmark decisions that it was not required that all non-working embodiments be excluded or that every working embodiment be enabled. Instead the board concluded that open-ended ranges should be interpreted as equivalent to a directional requirement to adjust and increase the parameter to obtain values as high as achievable (beyond the lower end value) with the structural and/or process features defined in the claim (see details point 4.6.7of the Reasons; also Catchword and conclusions point 4.13). By making routine adjustments within the scope of these features, it was possible to achieve parametric values exceeding the lower-end limits.
The differing outcomes in the case law (open-ended ranges) did not stem from any fundamental divergences.