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T 1744/21 23-10-2023
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Verfahren zur Veränderung einer Kante eines tragbaren kartenförmigen Datenträgers
I. Die Beschwerden der Patentinhaberin und der Einsprechenden richten sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, in der festgestellt wurde, dass unter Berücksichtigung der von der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen gemäß dem Hilfsantrag 2 das Patent Nr. 3 313 668 (im Folgenden das "Patent" genannt) und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des EPÜ genügen.
Die angefochtene Entscheidung beruht hinsichtlich des Patents in der erteilten Fassung lediglich auf der Auffassung der Einspruchsabteilung, der Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) i.V.m. Artikel 56 EPÜ stehe der Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung entgegen. Die Einspruchsabteilung war der Ansicht, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 gegenüber der Druckschrift E1 in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe (siehe Punkte 5.2 bis 5.4 der Entscheidungsgründe).
II. Mit Schreiben vom 30. November 2021 nahm die Einsprechende ihre Beschwerde zurück. Die Patentinhaberin ist damit die alleinige verbleibende Beschwerdeführerin. Die Einsprechende ist Beschwerdegegnerin.
III. Von den bereits im Einspruchsverfahren vorgelegten Druckschriften wird im Folgenden die Druckschrift E1 (US 2004/0217178 A1) zitiert.
IV. Die mündliche Verhandlung vor der Kammer fand am 23. Oktober 2023 statt.
V. Schlussanträge
Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückweisung des Einspruchs, d.h. die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung (Hauptantrag), hilfsweise die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf der Grundlage der am 12. Juni 2020 eingereichten Ansprüche und der am 14. April 2021 eingereichten Beschreibung gemäß Hilfsantrag 1.
Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.
VI. Anspruch 1 des erteilten Patents lautet wie folgt (die von der Kammer verwendete Merkmalsgliederung ist in eckigen Klammern eingefügt):
"[1] Verfahren zur Veränderung einer Geometrie einer Kante (24) eines tragbaren, kartenförmigen Datenträgers (12) und zu deren Bearbeitung, [2] wobei der Datenträger eine erste Außenseite (26) und eine zweite Außenseite (28) aufweist, [3] wobei die Geometrie der Kante (24) verändert wird, dadurch gekennzeichnet, dass [4] die geometrisch veränderte Kante (24) und eine Außenseite (26, 28) des Datenträgers (12) [4.1] von einer gemeinsamen Seite aus bearbeitet werden, [4.2] ohne dass eine räumliche Lage des Datenträgers (12) verändert wird."
VII. Die Beteiligten trugen im Wesentlichen Folgendes vor:
a) Beschwerdeführerin
Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 beruhe ausgehend von der Druckschrift E1 auf einer erfinderischen Tätigkeit. Diese Druckschrift offenbare nicht die Merkmale 4.1 und 4.2. Die objektive technische Aufgabe sei in der schnelleren Bearbeitung bei gleichzeitig besserer Abstimmung bei der Bearbeitung der Kante und der Außenseite zu sehen. Die Druckschrift E1 gebe keinen Hinweis auf das Bedrucken einer Kante. Vielmehr würde in der Druckschrift E1 die Kante gebürstet und die Außenseite einem Laserätzen unterzogen. Dies seien unterschiedliche Bearbeitungsschritte. Ohne rückschauende Betrachtung wäre der Fachmann nicht zum Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 gelangt.
b) Beschwerdegegnerin
Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 beruhe ausgehend von der Druckschrift E1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Diese Druckschrift offenbare nicht die Merkmale 4.1 und 4.2. Die objektive technische Aufgabe sei es, das aus der Druckschrift E1 bekannte Verfahren derart zu modifizieren, dass es schneller durchgeführt werden könne. Angesichts der Absätze [0008] bis [0011] des Patents gebe es für den Fachmann keine besonderen Schwierigkeiten, die Merkmale 4.1 und 4.2 umzusetzen. Der Fachmann wisse, wie er ein Bedrucken oder ein Lasermarkieren durchführen könne, bei dem nicht nur die Außenseite, sondern auch die abgeschrägte Kante bearbeitet werde. Diese ihm bekannten Verfahren könne er durchführen, ohne dass eine räumliche Lage des Datenträgers verändert werde. Diese Kenntnisse könne der Fachmann auch bei der Druckschrift E1 anbringen. Ausgangspunkt seien die Absätze [0089] und [0090] sowie die Figuren 5 und 6 der Druckschrift E1. Der Fachmann könne dabei auch von derselben Seite aus bedrucken. Bei der Herstellung eines Datenträgers sei es in der Regel so, dass sich der Datenträger dabei nicht bewege. Dies erlaube eine präzise Positionierung. Der Fachmann wisse, dass er das Verfahren damit schnell durchführen könne. Die Druckschrift E1 gebe zwar keinen Hinweis auf das Bedrucken der Karte, aber auf das Markieren mittels Laserätzen. Das allgemeine Fachwissen umfasse, wie man ebene und nicht ebene Flächen im Hinblick auf die objektive technische Aufgabe bearbeite.
1. Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ
1.1 Die Beteiligten stimmen darin überein, dass die Druckschrift E1 die Merkmale 4.1 und 4.2 nicht offenbart. Die Kammer teilt diese Auffassung.
1.2 Die Beschwerdegegnerin sieht die objektive technische Aufgabe darin, das aus der Druckschrift E1 bekannte Verfahren derart zu modifizieren, dass es schneller durchgeführt werden kann.
Selbst wenn diese Formulierung der objektiven technischen Aufgabe akzeptiert wird, beruht der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 ausgehend von der Druckschrift E1 aus den folgenden Gründen auf einer erfinderischen Tätigkeit.
1.3 Die Beschwerdegegnerin trägt vor, angesichts der Angaben im Patent bereite die Implementierung der Merkmale 4.1 und 4.2 dem Fachmann keine besonderen Schwierigkeiten. Der Fachmann könne diese Merkmale daher auch bei dem Verfahren der Druckschrift E1 implementieren. Der Fachmann könne, wenn er sowohl die Außenseite als auch die Kante der Karte bedrucken oder mit dem Laser ätzen wolle, dies von einer gemeinsamen Seite aus durchführen, ohne dass eine räumliche Lage des Datenträgers verändert werde.
1.4 Ausschlaggebend ist jedoch nach Ansicht der Kammer nicht, ob ein Fachmann den Gegenstand des Streitpatents hätte ausführen können, sondern vielmehr, ob er es in der Erwartung auf eine Lösung der zugrunde liegenden technischen Aufgabe bzw. in der Erwartung einer Verbesserung oder eines Vorteils auch getan hätte (siehe auch Ausführungen zum "could would approach" in "Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts", 10. Auflage, Juli 2022, I.D.5.). Es kommt also nicht darauf an, ob der Fachmann durch Modifikation des Stands der Technik zur Erfindung hätte gelangen können; zu fragen ist vielmehr, ob er in Erwartung der tatsächlich erzielten Vorteile, d. h. im Lichte der bestehenden technischen Aufgabe, so vorgegangen wäre, weil dem Stand der Technik Anregungen für die Erfindung zu entnehmen waren.
1.5 Die Beschwerdegegnerin hat jedoch nach Ansicht der Kammer nicht überzeugend aufgezeigt, dass dem Stand der Technik Anregungen für die im erteilten Anspruch 1 definierte Erfindung zu entnehmen waren. Die Auffassung der Beschwerdegegnerin, dass der Fachmann wisse, wie er die Merkmale 4.1 und 4.2 ausführen könne, bedeutet für sich genommen nicht, dass er ausgehend von der Druckschrift E1 einen Anlass hatte, diese Merkmale vorzusehen und somit in naheliegender Weise zum beanspruchten Gegenstand zu gelangen. Ihr Vortrag, der Fachmann wisse, dass er das Verfahren durch das Implementieren der Merkmale 4.1 und 4.2 schnell durchführen könne, geht nicht über eine reine Tatsachenbehauptung hinaus.
Darüber hinaus offenbart die Druckschrift E1 unstrittig nicht, dass sowohl die Außenseite als auch die Kante der Karte bedruckt oder dass beide mit dem Laser geätzt werden. Vielmehr sind dort unterschiedliche Bearbeitungsschritte für die Außenseite und die Kante vorgesehen. So werden bei der von der Beschwerdegegnerin als Ausgangspunkt betrachteten Ausführungsform der Druckschrift E1 die Kanten gebürstet und gereinigt (siehe Absatz [0089]) und die Außenseite geätzt, mit einem Primer, einem Magnetstreifen und einem Unterschriftfeld versehen und geprägt (siehe Absatz [0090]). Um zu dem Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 zu gelangen, hätte der Fachmann - dem Vortrag der Beschwerdegegnerin folgend - somit zunächst vorsehen müssen, die Außenseite und die Kante mit den gleichen Bearbeitungsmitteln zu bearbeiten. Sodann hätte er erkennen müssen, dass dies schneller erfolgen könne, wenn die Kante und die Außenseite von einer gemeinsamen Seite aus bearbeitet werden, ohne dass eine räumliche Lage der Karte verändert wird. Die Beschwerdegegnerin hat jedoch nicht überzeugend aufgezeigt, dass der Fachmann für diese beiden Schritte eine Anregung im Stand der Technik gefunden hätte.
Im Übrigen merkt die Kammer an, dass das von der Beschwerdegegnerin vorgeschlagene Vorgehen den Fachmann aber auch nicht zu einer Lösung für die von ihr vorgeschlagene objektive technische Aufgabe führen würde. Diese besteht darin, das aus der Druckschrift E1 bekannte Verfahren derart zu modifizieren, dass es schneller durchgeführt werden kann. Das aus der Druckschrift E1 bekannte Verfahren sieht jedoch nicht vor, dass sowohl die Außenseite als auch die Kante bedruckt oder dass beide mit dem Laser geätzt werden. Das von der Beschwerdegegnerin vorgeschlagene Vorgehen würde den Fachmann somit nicht zu einer schnelleren Ausführung des aus der Druckschrift E1 bekannten Verfahrens, sondern zu einem anderen Verfahren führen, bei dem zumindest die Außenseite oder die Kante auf eine andere als die in der Druckschrift E1 vorgesehene Weise bearbeitet wird. Auch aus diesem Grund wäre der Fachmann ausgehend von der Druckschrift E1 im Lichte der von der Beschwerdegegnerin vorgeschlagenen objektiven technischen Aufgabe nicht in naheliegender Weise zum Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 gelangt.
1.6 Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 beruht somit ausgehend von der Druckschrift E1 auf einer erfinderischen Tätigkeit.
1.7 Der Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ steht der Aufrecherhaltung des Patents daher nicht entgegen.
2. Schlussfolgerung
Da der einzige im Beschwerdeverfahren geltend gemachte Einspruchsgrund der Aufrechterhaltung des Patents nicht entgegensteht, war die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in unveränderter Form aufrechtzuerhalten.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird in unveränderter Form aufrechterhalten.