T 1765/21 22-11-2023
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Katheter-Vorrichtung
I. Diese Beschwerde wurde von der Patentinhaberin gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung eingelegt, das Streitpatent in geändertem Umfang auf der Grundlage des Hilfsantrags 4 aufrechtzuerhalten.
II. In ihrer Entscheidung hielt die Einspruchsabteilung den Hauptantrag für nicht gewährbar, weil der Gegenstand von Anspruch 1 in unzulässiger Weise erweitert worden sei und nicht den Erfordernissen der Artikel 76 (1) und 123 (2) EPÜ genüge.
III. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Streitpatents auf der Grundlage des Hauptantrags, hilfsweise eines der Hilfsanträge 1 bis 3, die der Entscheidung zugrunde lagen und der Beschwerdebegründung erneut beigefügt wurden.
IV. Mit ihrem Schreiben vom 19. Mai 2022 nahm die damalige Einsprechende und Beschwerdegegnerin ihren Einspruch zurück, ohne auf die Beschwerdebegründung der Beschwerdeführerin zu erwidern.
V. Für die vorliegende Entscheidung ist das Dokument WO 2009/046789 A1 (im Folgenden "die Stammanmeldung") relevant, dessen Veröffentlichung anstelle der Veröffentlichung der früheren europäischen Patentanmeldung Nr. 08785716.5 trat, aus deren Teilanmeldung Nr. 10008271.8 nach Artikel 76 (1) EPÜ das Streitpatent erteilt wurde.
VI. Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag (im Folgenden "Anspruch 1") lautet wie folgt:
"Katheter-Vorrichtung umfassend,
- einen Katheterschaft (8, 8.2)
- eine Antriebswelle (4), die von dem Katheterschaft
(8, 8.2) umgeben ist und mit einem Motor (7)
verbunden ist,
- einen komprimierbaren und selbst-expandierbaren
spiralförmigen Rotor (3.2), der am distalen
Endbereich auf der Antriebswelle (4) befestigt ist,
- ein komprimierbares und selbst-expandierbares
Pumpengehäuse (3.1), das den Rotor (3.2) mit einem
rohrförmigen Pumpenabschnitt (3.1.3) umgibt, wobei
das Pumpengehäuse (3.1) aus einem Gitter aus
Formgedächtnismaterial ausgebildet ist, dessen
Öffnungen zumindest im Bereich des Pumpen-
abschnittes (3.1 .3) mittels einer elastischen
Bespannung verschlossen sind,
dadurch gekennzeichnet,
dass in dem Pumpengehäuse (3.1) distal des Rotors (3.2) ein distaler schlauchförmiger Wellenschutz (13.1) vorgesehen ist, der in einem distalen Verbindungs-abschnitt des Pumpengehäuses verläuft, die Antriebs-welle drehbar lagert und benachbart zum Rotor (3.2) angeordnet ist, wobei der distale Wellenschutz die Antriebswelle derart mit einem geringen Spalt umgibt, dass der distale Wellenschutz die Antriebswelle im Pumpengehäuse (3.1) zentriert und stützt, und
dass in dem Pumpengehäuse (3.1) proximal des Rotors (3.2) ein proximaler schlauchförmiger Wellenschutz (13.2) vorgesehen ist, der in einem proximalen Verbindungsabschnitt des Pumpengehäuses verläuft, die Antriebswelle drehbar lagert und benachbart zum Rotor (3.2) angeordnet ist, wobei der proximale Wellenschutz die Antriebswelle derart mit einem geringen Spalt umgibt, dass der proximale Wellenschutz die Antriebswelle im Pumpengehäuse (3.1) zentriert und stützt."
VII. Hinsichtlich des Hauptantrags argumentierte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen, dass sich die in Anspruch 1 beanspruchte Zentrierung und Stützung der Antriebswelle im Pumpengehäuse durch die Wellenschutze, auf die sich die in der angefochtenen Entscheidung ausgeführten Einwände nach Artikel 76 (1) und 123 (2) EPÜ bezogen, implizit daraus ergebe, dass der jeweilige Wellenschutz die Antriebswelle zum Antrieb des Rotors im Pumpengehäuse drehbar lagere, wie insbesondere in Anspruch 23 der Stammanmeldung ohne jegliche Bezugnahme auf weitere Merkmale definiert sei.
Die weiteren in der Stammanmeldung offenbarten Merkmale, wie die Verbindungsbuchsen und das distale Katheterschaftstück, spezifizierten lediglich das konkret offenbarte Ausführungsbeispiel, seien aber nicht, wie von der Einspruchsabteilung behauptet, untrennbar mit den Wellenschutzen verbunden. Dies entnehme der Fachmann auch ausdrücklich der Stammanmeldung, z. B. der Passage auf Seite 15, Zeilen 7-9, in der die Zentrierung und die Stützung der Antriebswelle nur mit Bezug auf die beiden Wellenschutze beschrieben sei.
Darüber hinaus offenbare der ursprüngliche Anspruch 7 der Teilanmeldung ausdrücklich, dass die beiden Wellenschutze die Antriebswelle im Betrieb zentrierten und stützten.
Daher sei der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß dem Hauptantrag nicht unzulässig erweitert worden und genüge den Erfordernissen der Artikel 76 (1) und 123 (2) EPÜ.
1. Das Streitpatent betrifft eine Kathetervorrichtung mit einer miniaturisierten Pumpe an ihrem distalen Ende.
Ein Ausführungsbeispiel dieser Kathetervorrichtung ist in der unten wiedergegebenen Figur 6 dargestellt.
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Die Kathetervorrichtung umfasst am distalen Ende eines Katheterschaftes 8.2 ein Pumpengehäuse 3.1 und einen spiralförmigen Rotor 3.2, der von einem rohrförmigen Pumpenabschnitt des Pumpengehäuses umgeben ist. Der Rotor ist auf einer Antriebswelle 4.1, 4.2, 4.3 befestigt, die von dem Katheterschaft umgeben ist und an ihrem proximalen Ende mit einem Motor verbunden ist. Sowohl das Pumpengehäuse als auch der Rotor sind komprimierbar und selbst-expandierbar.
Die Kathetervorrichtung nach Anspruch 1 zeichnet sich dadurch aus, dass im Pumpengehäuse distal und proximal des Rotors jeweils ein schlauchförmiger Wellenschutz 13.1, 13.2 vorgesehen ist, der in einem distalen bzw. proximalen Verbindungsabschnitt 3.1.1, 3.1.5 des Pumpengehäuses verläuft, die Antriebswelle drehbar lagert und benachbart zum Rotor angeordnet ist, wobei der Wellenschutz die Antriebswelle mit einem derart geringen Spalt umgibt, dass der Wellenschutz die Antriebswelle im Pumpengehäuse zentriert und stützt (vgl. Absätze [0049]-[0054] der Beschreibung des Streitpatents).
2. Die einzigen Einwände, die die Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung gegen den Hauptantrag für überzeugend erachtete, sind Einwände nach Artikel 76 (1) und 123 (2) EPÜ gegen Anspruch 1 in Bezug auf die oben genannte Zentrier- und Stützfunktion der beiden Wellenschutze (vgl. Punkte II.2.1.2 und
II.2.1.7 der Entscheidung).
Nach Ansicht der Einspruchsabteilung sei nämlich die beanspruchte Zentrier- und Stützfunktion der Wellenschutze untrennbar mit den weiteren Merkmalen verbunden, die in der Beschreibung der Stammanmeldung in diesem Zusammenhang ebenfalls beschrieben seien, nämlich den Verbindungsbuchsen 12.1, 12.2 und dem distalen Katheterschaftstück 8.1. Dabei bezog sich die Einspruchsabteilung auf die Passage auf Seite 14, Zeilen 18-21, wonach die beiden Verbindungsbuchsen "zusammen mit den darin angeordneten Bauteilen (Wellenschutz, Pumpengehäuse, Katheterschaft) einen Lagerbereich für die Antriebswelle 4" "bilden" und "die Achszentriertheit der Antriebswelle 4 insbesondere im Pumpengehäuse 3.1" "gewährleisten". Wegen des Weglassens dieser weiteren Merkmale in Anspruch 1 beruhe der beanspruchte Gegenstand nach Auffassung der Einspruchsabteilung auf einer unzulässigen Zwischenverallgemeinerung und verstoße gegen Artikel 76 (1) und 123 (2) EPÜ.
3. Dies überzeugt die Kammer nicht.
3.1 Entgegen der Auffassung der Einspruchsabteilung entnimmt der Fachmann der Stammanmeldung, dass es für die Zentrierung und Stützung der Antriebswelle im Pumpengehäuse ausschließlich auf die Wellenschutze ankommt. Wie von der Beschwerdeführerin vorgetragen, ergibt sich dies nämlich implizit daraus, dass - wie in Anspruch 23 der Stammanmeldung ohne jegliche Bezugnahme auf weitere Merkmale definiert - der jeweilige Wellenschutz die Antriebswelle drehbar lagern soll, damit diese den auf ihr befestigten Rotor zur Rotation innerhalb des rohrförmigen Pumpenabschnitts des Pumpengehäuses antreiben kann. Dies setzt voraus, dass der jeweilige Wellenschutz nicht nur - wie explizit in Anspruch 1 beansprucht - in einem Verbindungsabschnitt des Pumpengehäuses verläuft, sondern auch, dass er implizit in einer definierten Weise mit dem Pumpengehäuse verbunden ist, damit er seine Funktion erfüllt, die Antriebswelle mit einem geringen Spalt aufzunehmen, so dass diese - und daher auch der Rotor - im Pumpengehäuse zentriert und gestützt ist.
3.2 Im konkret offenbarten Ausführungsbeispiel der Figur 6 wird diese definierte Verbindung und damit ein "Lagerbereich" für die Antriebswelle zwar dadurch hergestellt, dass der jeweilige schlauchförmige Wellenschutz und der jeweilige Verbindungsabschnitt des Pumpengehäuses jeweils in einer Verbindungsbuchse aufgenommen und mit dieser verbunden sind (Seite 14, Zeilen 13-16; Seite 11, Zeilen 6-15 und Seite 13, Zeilen 27-28); außerdem ist der jeweilige Wellenschutz mit dem jeweiligen Katheterschaftstück verbunden (Seite 14, Zeilen 13-16), das seinerseits mit derselben Verbindungsbuchse verbunden ist (Seite 13, Zeilen 28-31).
Wie die Beschwerdeführerin argumentierte, entnimmt der Fachmann der Stammanmeldung jedoch insgesamt, dass es unerheblich ist, auf welche Weise diese definierte Verbindung zwischen den Wellenschutzen und dem Pumpengehäuse hergestellt wird. Beispielsweise können die Verbindungsbuchsen zwar dazu dienen, von außen eine Klemmverbindung herzustellen, die die Verbindungs-abschnitte des Pumpengehäuses koaxial mit dem jeweiligen Wellenschutz anbindet. Die ursprüngliche Offenbarung macht jedoch deutlich, dass die Ausgestaltung dieser Verbindung nicht entscheidend ist, da für derartige Verbindungen ausdrücklich eine Reihe von Verbindungsarten verwendet werden können, die auch eine einfache Verklebung ohne jegliche Klemmung umfassen (Seite 10, Zeilen 18-24).
Der Fachmann entnimmt daher der Stammanmeldung, dass die offenbarten Verbindungsbuchsen nur mögliche Mittel darstellen, um die definierte Verbindung zwischen dem Pumpengehäuse und den Wellenschutzen herzustellen. Gleiches gilt für die Katheterschaftstücke 8.1, 8.2, mit denen die Wellenschutze verbunden sind und die die Verbindungsbuchsen mit dem Pumpengehäuse verbinden.
3.3 Darüber hinaus ergibt sich diese definierte Verbindung zwischen den Wellenschutzen und den Verbindungs-abschnitten des Pumpengehäuses und damit die beanspruchte Zentrierung und Stützung der Antriebswelle im Pumpengehäuse unabhängig von den besonderen elastischen Eigenschaften der Verbindungsbuchsen und der Katheterschaftstücke - auch wenn diese, wie die Einspruchsabteilung hervorhob, die elastischen Eigenschaften der Kathetervorrichtung, insbesondere in den gebildeten Lagerbereichen für die Antriebswelle, beeinflussen.
3.4 Entgegen der Auffassung der Einspruchsabteilung und wie es sich aus Seite 15, Zeilen 7-9, der Beschreibung der Stammanmeldung ergibt, wo nur auf die beiden Wellenschutze 13.1, 13.2 Bezug genommen wird, sind daher keine weiteren Merkmale als die in Anspruch 1 genannten erforderlich, um die Antriebswelle wie in Anspruch 1 beansprucht im Pumpengehäuse zu zentrieren und zu stützen.
Das Weglassen der Verbindungsbuchsen 12.1, 12.2 und des Katheterschaftstücks 8.1 in Anspruch 1 stellt daher keine unzulässige Zwischenverallgemeinerung dar. Der Gegenstand von Anspruch 1 erfüllt somit das Erfordernis des Artikels 76 (1) EPÜ.
3.5 Im Hinblick auf das Erfordernis des Artikels 123 (2) EPÜ ist zunächst zu betonen, dass die Beschreibung der Stammanmeldung und die Beschreibung der ursprünglich eingereichten Teilanmeldung, aus der das Streitpatent erteilt wurde (siehe Punkt V. oben), inhaltlich identisch sind.
Darüber hinaus wird im ursprünglichen Anspruch 7 der Teilanmeldung ohne jegliche Bezugnahme auf weitere Merkmale ausdrücklich definiert, dass die beiden Wellenschutze "die Antriebswelle im Betrieb zentrieren und stützen". Daraus entnimmt der Fachmann, dass die Zentrierung und Stützung der Antriebswelle im Pumpengehäuse ausschließlich auf die Wellenschutze zurückzuführen ist.
Aus den obigen Darlegungen folgt daher, dass der Gegenstand von Anspruch 1 ebenfalls das Erfordernis des Artikels 123 (2) EPÜ erfüllt.
4. Die anderen Einwände nach Artikel 76 (1), 123 (2) und 123 (3) EPÜ, die die damalige Einsprechende gegen den Hauptantrag vorbrachte, konnten die Einspruchs-abteilung, wie in der angefochtenen Entscheidung ausgeführt, nicht überzeugen. Die Kammer sieht keinen Grund, dieses Ergebnis zu bezweifeln. Auch die Einwände gegen den damaligen Hilfsantrag 4, die die Einspruchsabteilung auch als unzutreffend ansah, sind, soweit sie auch den Hauptantrag betreffen, prima facie nicht überzeugend.
5. Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass die einzigen Einwände, die nach der angefochtenen Entscheidung der Aufrechterhaltung des Streitpatents in geändertem Umfang gemäß dem Hauptantrag entgegenstanden, nicht gerechtfertigt sind.
6. Allerdings ist die Beschreibung der Patentschrift nicht an die Ansprüche des Hauptantrags angepasst. Wie in der mündlichen Verhandlung erörtert, wird beispielsweise in Absatz [0022] beschrieben, dass das Gitter des Pumpengehäuses "vorzugsweise" aus einem Formgedächtnis-material ausgebildet ist. Dieses Merkmal ist aber in Anspruch 1 gemäß Hauptantrag als nicht optionales Merkmal definiert.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent mit folgenden Ansprüchen und einer noch anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten:
Ansprüche 1 bis 11 gemäß Hauptantrag eingereicht mit der Beschwerdebegründung