D 0011/91 (Rückgabe von Schriftstücken) 18-05-1993
1. Schriftstücke, deren rechtmäßige Herkunft ernsthaft in Zweifel steht, können - ohne daß untersucht werden müßte, ob die Zweifel begründet sind - aus der Verhandlung ausgeschlossen werden, wenn sie den Vorwürfen gegen den Beschwerdeführer nicht zugrunde gelegt wurden oder wenn Exemplare von unzweifelhaft rechtmäßiger Herkunft in der Akte verbleiben. Anders als bei einer Rückgabe können Schriftstücke bei einem per Zwischenentscheidung bewilligten Ausschluß nicht der Ermittlungsbefugnis der Kammer entzogen werden.
2. Das Berufsgeheimnis nach Artikel 2 VDV setzt den Ermittlungsbefugnissen der Disziplinarorgane Grenzen und schränkt die in Artikel 18 VDV verankerte Auskunftspflicht der beim EPA zugelassenen Vertreter ein. Ein Vertreter kann sich aber nicht auf die bloße Verschwiegenheitspflicht, die aus einem in Teil I VDV enthaltenen Grundsatz hergeleitet wird, berufen, um sich einem auf Artikel 18 VDV gestützten Antrag zu widersetzen.
3. Im Rahmen ihrer Befugnisse gemäß den Artikeln 25 VDV und 117 EPÜ kann die Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten die zuständige Stelle des EPA ersuchen, ihr Einsicht in die Akte eines Verfahrens - hier: eines bereits abgeschlossenen Einspruchsverfahrens - zu gewähren, in der sie Unterlagen vermutet, die bei der Bearbeitung der Beschwerde von Nutzen sein könnten.
Disziplinarverfahren - Beschwerde - Ausschluß von Schriftstücken aus der Verhandlung - Rückgabe von Schriftstücken
Beim EPA zugelassener Vertreter - Berufsgeheimnis - Verschwiegenheitspflicht - Grenzen der Ermittlungsbefugnis
Beschwerdeverfahren - Vorlage einer Einspruchsakte - Form
I. Mit einem am 20. November 1991 eingegangenen Schreiben legte der Beschwerdeführer gegen die Entscheidung des Disziplinarausschusses des Europäischen Patentamts (im folgenden "Disziplinarausschuß" genannt) Beschwerde ein, der am 14. November 1991 in den zusammengelegten Verfahren DB 01/90 und DB 02/88 verfügt hatte, ihn in der Liste der zugelassenen Vertreter für unbefristete Dauer zu löschen. ...
II. Am 14. Januar 1992 beauftragte der Beschwerdeführer einen Rechtsanwalt aus ... mit der Wahrnehmung seiner Interessen.
III. Die Beschwerdebegründung ging am 16. Januar 1992 ein. Der Hauptantrag lautete auf Nichtigerklärung der gegen den Beschwerdeführer eingeleiteten Verfahren und Ermittlungen; hilfsweise wurde beantragt, die Akte an den Disziplinarausschuß zurückzusenden, dessen Mitglieder nicht der "Compagnie nationale des Conseils en brevets" angehören sollten. Als zweiten Hilfsantrag forderte der Beschwerdeführer, ihn von den gegen ihn erhobenen Vorwürfen freizusprechen, da sie unter eine Amnestie des französischen Rechts fielen, und die gegen ihn verhängte Disziplinarmaßnahme aufzuheben.
IV. Am 24. Januar 1992 wurden der Präsident des Europäischen Patentamts und der Präsident des Rates des Instituts der zugelassenen Vertreter gemäß Artikel 12 Satz 2 der Vorschriften in Disziplinarangelegenheiten von zugelassenen Vertretern (im folgenden "VDV" genannt) zur Stellungnahme aufgefordert. Der Präsident des EPA teilte am 19. März 1992 mit, daß er nicht Stellung nehmen wolle. Der Präsident des Rates des Instituts äußerte sich nicht.
V. In einer am 20. Februar 1992 beim Europäischen Patentamt eingegangenen Telekopie legte der Beschwerdeführer dar, daß
- einer der Antragsteller, der dieses Disziplinarverfahren ... in Gang setzte, für schuldig befunden worden sei, Dokumente aus der Kanzlei des Beschwerdeführers in Form von Fotokopien gestohlen zu haben, und
- zahlreiche gestohlene Schriftstücke in seiner Disziplinarakte zu finden und teilweise der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegt worden seien.
Seines Erachtens sei die Entscheidung vom 14. November 1991 nichtig, weil sie sich auf gestohlene Unterlagen stütze; das Einbehalten dieser Unterlagen erfülle in Anbetracht des strafrechtlichen Urteils den Tatbestand der Unterschlagung. Er beantrage daher die Rückgabe der nachstehend aufgelisteten Unterlagen:
In einer am 3. März 1992 eingegangenen Telekopie führte der Beschwerdeführer aus, daß die Akte seiner Meinung nach an den Disziplinarausschuß zurückgeschickt werden müßte, damit dieser seine Entscheidung allein auf der Grundlage der ihm rechtmäßig zur Verfügung stehenden Schriftstücke treffen könne. Falls die Unterlagen, deren Entfernung aus der Akte er beantrage, nicht innerhalb von zwei Wochen an ihn zurückgingen, sehe er sich leider gezwungen, gegen eine etwaige implizite oder explizite Verweigerung gerichtliche Schritte zu unternehmen. Für den Fall, daß eine mündliche Verhandlung angesetzt werden sollte, bitte er um Benachrichtigung, damit er mündlich vorbringen könne, was zu seiner Verteidigung erforderlich sei.
VI. Damit die mit der vorliegenden Sache befaßte Beschwerdekammer über den Antrag bezüglich der Schriftstücke entscheiden konnte, die in dem am 20. Februar 1992 beim Europäischen Patentamt eingegangenen Schreiben aufgezählt sind, wurde der Beschwerdeführer am 6. März 1992 aufgefordert, nachzuweisen, daß es sich dabei tatsächlich um die Unterlagen handle, deren betrügerische Beschaffung als Diebstahl geahndet worden sei; ferner sollte er nachweisen, daß das Urteil des Tribunal correctionnel (Strafkammer des Landgerichts) ... rechtskräftig sei.
VII. Mit einer am 23. März 1992 im Europäischen Patentamt eingegangenen Telekopie reichte der Beschwerdeführer das am 17. März 1992 von der zuständigen Gerichtsgeschäftsstelle ausgestellte Rechtskraftzeugnis ein. Der Beweis der unrechtmäßigen Herkunft der Schriftstücke, deren Rückgabe er verlange, gehe aus dem Protokoll der örtlichen Kriminalpolizei ... vom ... hervor, das diese auf das Rechtshilfeersuchen des Untersuchungsrichters hin erstellt habe. Dieses Protokoll sei bereits während des Verfahrens vor dem Disziplinarausschuß in die Akte aufgenommen worden.
VIII. Mit Schreiben vom 3. Juni 1992 beantragte der Beschwerdeführer außerdem die Entfernung derjenigen Unterlagen aus der Akte, in denen von den gestohlenen Schriftstücken die Rede sei, sowie derjenigen, die unter Verletzung des für zugelassene Vertreter obligatorischen Grundsatzes der Verschwiegenheit beigebracht worden seien. Er listete sie wie folgt auf:
Abschließend machte er geltend, daß die 205 Schriftstücke, die der Anzeigenerstatter in seinem Schreiben an das Europäische Patentamt vom 13. Oktober 1989 aufgezählt habe, nur widerrechtlich in seine Disziplinarakte gelangt sein könnten.
IX. Am 16. Juni 1992 teilte der Berichterstatter dem Beschwerdeführer mit, daß er der Kammer vorschlagen wolle, sie solle zunächst über die Zulässigkeit der vorliegenden Beschwerde und über den Antrag entscheiden, mit dem das Vorhandensein bestimmter Schriftstücke in der Akte beanstandet werde, und das Verfahren dann im Hinblick auf die Sachentscheidung fortsetzen. Der Beschwerdeführer wurde aufgefordert, hierzu Stellung zu nehmen.
X. In seiner am 18. Juni 1992 per Telekopie übermittelten Antwort vertrat der Beschwerdeführer die Ansicht, daß die gestohlenen Schriftstücke noch vor einer Entscheidung von Amts wegen aus der Akte zu entfernen seien, weil die Kammer in dieser Angelegenheit keine Ermessensfreiheit besitze. Bei der ersten Entscheidung könne es also nur darum gehen, eine sowohl straf- als auch standesrechtlich vorschriftsmäßige Disziplinarakte zu erstellen. Erst wenn das Recht der Verteidigung gewahrt sei, dürfe die Kammer in der Hauptsache entscheiden.
XI. Am 30. Juni 1992 fügte der Beschwerdeführer der Akte informationshalber eine Kopie des Strafantrags gegen Unbekannt hinzu, den er am selben Tag persönlich beim ranghöchsten Untersuchungsrichter des Tribunal de Grande Instance (Landgericht) ... wegen Unterschlagung der Schriftstücke gestellt habe, die ihm vom Anzeigenerstatter gestohlen und widerrechtlich in die Disziplinarakte aufgenommen worden seien.
XII. Aufgrund des neuen Sachverhalts, der sich im Laufe des Verfahrens ergeben hatte, wurde dem Präsidenten des Europäischen Patentamts und dem Präsidenten des Rates des Instituts der zugelassenen Vertreter erneut Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Am 20. Juli 1992 nahm der Präsident des EPA den Verfahrensstand zur Kenntnis; eine Stellungnahme hielt er für nicht erforderlich. Der Präsident des Rates des Instituts der zugelassenen Vertreter äußerte sich nicht.
1. Die Beschwerde entspricht Artikel 22 (1) VDV und ist somit zulässig.
2. Der Beschwerdeführer beantragt, daß die unter den Nrn. V und VIII aufgeführten bzw. erwähnten Unterlagen vor der Entscheidung in der Hauptsache aus der Verhandlung ausgeschlossen und zum Teil an ihn zurückgegeben werden. Er behauptet, daß sie widerrechtlich in die Akte gelangt seien und unter keinen Umständen der gegen ihn verhängten Disziplinarmaßnahme zugrunde gelegt werden könnten.
2.1 Da dem Beschwerdeführer mit der schriftlichen Aufforderung vom 16. Juni 1992 Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde und er die Beweismittel zur Stützung dieser Anträge ausführlich darlegen konnte, hält es die Kammer vor Erledigung der Hauptsache für geboten, mit der vorliegenden sogenannten "Zwischenentscheidung" rechtskräftig über diese Anträge zu entscheiden, ohne eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.
2.2 Bei dieser Entscheidung geht es um die Frage, ob Unterlagen, deren Herkunft beanstandet wird, aus der Akte zu entfernen und zum Teil an den Beschwerdeführer zurückzugeben sind, ohne daß die Kammer auf ihre Beweiskraft eingehen muß, die allein für die Sachdiskussion von Belang ist.
2.2.1 Die Kammer behält sich vor, von ihrer Ermittlungsbefugnis, die für die Dauer des gesamten Beschwerdeverfahrens bestehen bleibt, Gebrauch zu machen, und ordnet im vorliegenden Fall an, die streitigen Schriftstücke (s. Nrn. V und VIII), die der Disziplinarausschuß den Vorwürfen gegen den Beschwerdeführer nicht zugrunde gelegt hat, und die, von denen es weitere Exemplare unzweifelhaft rechtmäßiger Herkunft in der Akte gibt, aus der Sachdiskussion auszuschließen, ohne daß geprüft werden muß, ob der Antrag begründet ist. Unter den gegebenen Umständen und angesichts des Verfahrensstands erscheint deren Verbleib in der Akte nämlich nutzlos bzw. überflüssig.
2.2.2 Bei Unterlagen, die die oben genannten Kriterien nicht erfüllen, muß die Kammer jedoch feststellen, ob der Antrag begründet ist und, falls dies bejaht wird, ob sie aus der Akte zu entfernen und dem Beschwerdeführer gegebenenfalls zurückzugeben sind.
3. Die Kammer weist darauf hin, daß sich in der Akte zwei Briefe vom 25. Mai 1987 befinden und sie bezüglich der Anträge auf Rückgabe der Schriftstücke (Nr. V) nicht feststellen kann, ob diese Briefe oder das Schreiben vom 3. September 1987 aus Akten stammt, die dem Beschwerdeführer gestohlen wurden. Es handelt sich dabei jeweils um Schreiben des Herrn ... an die Disziplinarorgane, von denen der Beschwerdeführer erst in den Verfahren erfuhr, an denen er beteiligt war. Eine Rückgabe erscheint daher unbegründet. Somit gilt es nur noch zu entscheiden, ob sie aus der Verhandlung auszuschließen sind (vgl. Nr. 5) und was mit den Anlagen dazu zu geschehen hat.
3.1 Bei dem ersten der beiden Briefe vom 25. Mai 1987 handelt es sich um die ursprüngliche Anzeige des Herrn ... (Anzeigenerstatter) gegen Herrn ... (Beschwerdeführer). Beigefügt waren 6 Anlagen, die der Disziplinarausschuß zweien der sieben Vorwürfe gegen den Beschwerdeführer zugrunde gelegt hat.
3.1.1 Die ersten 5 Anlagen (A, B nebst beigefügten Unterlagen, C, D und E) betreffen den Einspruch der Firma M... gegen das auf die Anmeldung ... im Namen von J... erteilte Patent Nr. ... . Die Kammer hat sich davon überzeugt, daß die Originale all dieser Unterlagen in der Einspruchsakte enthalten sind, die Eigentum des Europäischen Patentamts ist und im Disziplinarverfahren schon von Anfang an verfügbar war. Die Kammer hat beantragt, sie nunmehr den Beschwerdeunterlagen beizufügen. Somit ist es für die Fortsetzung des Verfahrens ohne Belang, ob sich die Fotokopien, die die Anlagen A und E des besagten Briefes bilden, in der Beschwerdeakte befinden. Die Kammer ordnet jedoch ihre Rückgabe an den Beschwerdeführer nicht an. Da die Firma M.... in ihrem irrtümlich auf den 11. Mai 1986 datierten Schreiben (Schriftstück Nr. 53 der Einspruchsakte) unmißverständlich darlegt, daß Herr ... (Anzeigenerstatter) ihr einziger Vertreter in dieser Einspruchssache war, läßt sich nicht widerlegen, daß dieser rechtmäßig im Besitz aller diesbezüglichen Dokumente war, auch wenn die Akte auf Anordnung des Untersuchungsrichters im Rahmen der strafrechtlichen Ermittlungen gegen ihn beschlagnahmt wurde.
3.1.2 Bei der sechsten Anlage (f) handelt es sich um die Fotokopie eines Schreibens, mit dem Herr ... (Anzeigenerstatter) die Anzeige gegen den Beschwerdeführer stützt, um seinen vom Disziplinarausschuß unter Nr. 6 festgehaltenen Vorwurf der Anschwärzung zu untermauern. Dieses Schreiben vom 15. Januar 1987 hatte Herr ... (Anzeigenerstatter) an Herrn ... (Beschwerdeführer) gerichtet, um ihm darzulegen, warum er ihr Vertragsverhältnis habe auflösen wollen. Nach Auffassung der Kammer kann daher nicht glaubhaft gemacht werden, daß die von Herrn ... (Anzeigenerstatter) in die Verhandlung eingebrachte Kopie des Schreibens aus einer Mandantenakte stammt, die dem Beschwerdeführer gestohlen worden sein soll. Der Antrag auf Rückgabe entbehrt somit jeder Grundlage.
3.2 Der zweite Brief vom 25. Mai 1987 ist an den Disziplinarrat gerichtet. Darin legt Herr ... (Anzeigenerstatter) vor allem dar, welche Tätigkeiten er als Angestellter der Kanzlei ... (Kanzlei des Beschwerdeführers) ausgeübt hat. Beigefügt waren zwei Anlagen A und B, die ausschließlich aus Fotokopien der Unterlagen bestanden, über die unter den Nrn. 3.1 bis 3.1.2 entschieden wurde. Dieser Brief wird - mit derselben Begründung wie oben - ebenfalls nicht zurückgegeben.
3.3 Was nun die unter Nr. V c von 2 bis 26 numerierten Anlagen zu dem Schreiben vom 3. September 1987 betrifft, so stellt die Kammer fest, daß die dargelegten Fakten einem konkreten Vorwurf gegen Herrn ... (Beschwerdeführer) in der angefochtenen Entscheidung nicht zugrunde gelegt wurden, auch wenn der Disziplinarausschuß dies im Protokoll seiner mündlichen Verhandlung vom 17. und 18. Juni 1991 ausdrücklich als möglich bezeichnet hat. Infolgedessen sind diese Schriftstücke für die weitere Verhandlung nicht von Belang und werden daher ausgeschlossen. Im übrigen ist die Kammer der Ansicht, daß deren Herkunft nach wie vor äußerst zweifelhaft ist. Zwar ist nicht auszuschließen, daß sie aus den von der Kriminalpolizei bei der Firma Z... beschlagnahmten Akten stammen, beweisen läßt sich dies jedoch nicht. Auch geht aus dem Urteil des Tribunal correctionnel (Strafkammer des Landgerichts) ... nicht hervor, welche der beschlagnahmten Akten Herrn ... (Beschwerdeführer) tatsächlich gestohlen wurden (s. den Fall der Akte M... am Ende der Nr. 3.1.1). Diese Schriftstücke werden dem Beschwerdeführer folglich nicht ausgehändigt, denn er kann nicht beweisen, daß er der Eigentümer ist. Sollte aber im Rahmen des wegen Unterschlagung gestohlener Schriftstücke gegen Unbekannt gestellten Strafantrags gerichtlich verfügt werden, daß die Unterlagen entweder dem Gericht auszuhändigen oder dem rechtmäßigen Eigentümer zurückzugeben sind, so käme das EPA dem selbstverständlich nach.
4. Der Beschwerdeführer beantragt darüber hinaus, daß auch diejenigen Unterlagen aus den Akten entfernt werden, "in denen von den gestohlenen Schriftstücken die Rede ist". Aus denselben Gründen, aus denen die Kammer bestimmte Anlagen der beiden Schreiben des Anzeigenerstatters an die Disziplinarorgane aus der Verhandlung ausgeschlossen hat, hält sie es hier für angezeigt, zwischen den Anlagen A bis E des Briefes vom 25. Mai 1987 (Nr. 3.1.1) einerseits und den von 2 bis 26 numerierten Anlagen des Schreibens vom 3. September 1987 andererseits zu unterscheiden.
4.1 Wo immer von ersteren die Rede ist, die alle den Einspruch der Firma M... gegen das Patent J ... betreffen, bezieht sich dies stets auf die Originalunterlagen der Einspruchsakte. Da diese Originale in einer Akte enthalten sind, die rechtmäßig dem Europäischen Patentamt gehört, hält die Kammer die Vorlage von Fotokopien durch den Anzeigenerstatter für überflüssig. Der Anzeigenerstatter, der ordnungsgemäß bevollmächtigt war, die Einsprechende zu vertreten, und der Herrn ... (Beschwerdeführer) vorwarf, sich in derselben Angelegenheit einer gefälschten Vollmacht bedient zu haben, konnte sich bereits bei Erstattung der Anzeige auf Unterlagen beziehen, die Bestandteil der Einspruchsakte waren, ohne auf Fotokopien zurückgreifen zu müssen. Erst das EPA machte ja Herrn ... (Anzeigenerstatter) und Herrn ... (Beschwerdeführer) mit Bescheid vom 30. April 1987 darauf aufmerksam, daß in ein und derselben Einspruchssache zwei Vollmachten für verschiedene Vertreter (Schriftstücke 49 bis 52 der Einspruchsakte zum Patent J ...) vorlagen. Es besteht daher kein Anlaß, Unterlagen aus der Verhandlung auszuschließen, in denen der Anzeigenerstatter auf die in der Einspruchsakte enthaltenen Schriftstücke eingeht.
4.2 Die Unterlagen der zweiten Kategorie hat die Kammer dagegen für belanglos erachtet, weil sie letztlich keinem der Vorwürfe zugrunde gelegt worden waren, weshalb sie nunmehr feststellt, daß die Schriftstücke, in denen von diesen Unterlagen die Rede ist, für die Fortsetzung der Verhandlung irrelevant und somit auszuschließen sind.
5. Der Beschwerdeführer hält den Antrag auf Entfernung der unter Nr. VIII genannten Schriftstücke (P1 bis P17) aus der Akte für begründet, weil deren Vorlage den Grundsatz der Verschwiegenheit verletze, dem ein Patentvertreter verpflichtet sei.
5.1 Bevor sich die Kammer hierzu äußert, weist sie darauf hin, daß in dieser Liste auch die Schreiben des Herrn ... (Anzeigenerstatter) vom 25. Mai 1987 (P3) und 3. September 1987 (P6) an die Disziplinarorgane und die Anlagen dazu aufgeführt sind. Vorstehend wurde bereits darauf erkannt, daß die Schreiben nicht zurückzugeben (Nr. 3) und die Anlagen aus der Verhandlung auszuschließen sind (Nr. 3.1.1 und 3.3). Im folgenden geht es um die Frage, ob sie gegebenenfalls aufgrund ihrer Vertraulichkeit aus der Akte entfernt werden müssen.
Dem Schriftstück P1 lagen auch jene 205 Schriftstücke bei, deren Entfernung aus der Akte unter Nr. VIII, letzter Absatz beantragt wird. Das Schreiben betraf jedoch mehrere vor dem Disziplinarausschuß anhängige Fälle, und die der Beschwerdekammer vorgelegte Akte enthält lediglich eine Kopie ohne die besagten 205 Anlagen. Nach Auffassung der Kammer erübrigt es sich beim jetzigen Verfahrensstand, diese Unterlagen anzufordern, da sie keinem der Vorwürfe gegen den Beschwerdeführer zugrunde gelegt wurden. Des weiteren ist festzuhalten, daß es sich bei den Schriftstücken P1 bis P10 um den Schriftwechsel zwischen dem Anzeigenerstatter und den Disziplinarorganen handelt, wogegen die Schriftstücke P11 bis P17 mit dem Einspruch M... zusammenhängen und vom Anzeigenerstatter beigebracht wurden, um zu widerlegen, daß er die Einspruchsakte gestohlen habe. Die Schriftstücke P1 und P9 sowie P2 und P10 sind jeweils identisch. Der Antrag auf Entfernung all dieser Unterlagen aus der Akte wird, wie gesagt, mit der Verletzung des Grundsatzes der Verschwiegenheitspflicht begründet.
5.2 Bei genauerer Betrachtung der Pflichten der beim Europäischen Patentamt zugelassenen Vertreter zeigt sich, daß die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Verschwiegenheitspflicht vor allem aus einem in Teil I der Vorschriften in Disziplinarangelegenheiten von zugelassenen Vertretern (VDV) verankerten Grundsatz hergeleitet wird. Zweck dieser Vorschriften ebenso wie der Vorschriften über die Errichtung eines Instituts der beim EPA zugelassenen Vertreter und der Richtlinien für die Berufsausübung ist es, alle Pflichten zu regeln, die den Vertretern aus Tätigkeiten in Zusammenhang mit dem Europäischen Patentübereinkommen im Umgang mit der Öffentlichkeit, ihren Mandanten, ihren Kollegen, dem Europäischen Patentamt und dem Institut der zugelassenen Vertreter erwachsen. In diesem Rahmen wurden auch die Disziplinarorgane eingesetzt und ihre Kompetenzen und Ermittlungsbefugnisse festgelegt.
So heißt es in Artikel 18 VDV, daß ein zugelassener Vertreter, gegen den ein Verfahren vor einem Disziplinarorgan anhängig ist, dem Organ Auskunft zu geben und auf Verlangen seine Akte vorzulegen hat, sofern er nicht dadurch seine Pflicht zur Verschwiegenheit verletzen würde. In Artikel 2 VDV wird dies dahingehend präzisiert, daß der zugelassene Vertreter zur Verschwiegenheit über Geheimnisse verpflichtet ist, die ihm bei Ausübung des Berufs anvertraut worden sind, sofern er von dieser Verpflichtung nicht befreit wird. Wie aus diesen beiden Artikeln hervorgeht, setzt allein das Berufsgeheimnis den Ermittlungsbefugnissen der Disziplinarorgane Grenzen. Ein Vertreter, gegen den ein Verfahren vor einem Disziplinarorgan anhängig ist, kann sich also einem auf Artikel 18 VDV gestützten Antrag nicht mit dem Hinweis auf die bloße Vertraulichkeit einer in seinem Besitz befindlichen Akte oder darin enthaltener Informationen widersetzen.
Aufgrund der Befugnis sowohl des Disziplinarausschusses als auch dieser Beschwerdekammer, die Offenlegung vertraulicher Informationen zu verlangen, geht das Argument des Beschwerdeführers fehl, daß diese Organe Unterlagen mit solchen vertraulichen Informationen schon allein deshalb aus der Verhandlung ausschließen müßten, weil sie vom Anzeigenerstatter vorgelegt worden seien.
Da die betreffenden Unterlagen nicht unter das Berufsgeheimnis fallen - was der Beschwerdeführer übrigens auch nie behauptet hat -, weist die Kammer die Anträge, sie aufgrund ihrer Vertraulichkeit aus der Akte zu entfernen, als unbegründet zurück.
6. Die vorstehenden Ausführungen machen deutlich, daß die hiermit aus der Verhandlung ausgeschlossenen Unterlagen in der Akte nutzlos bzw. überflüssig waren. Dem Antrag, die Sache an den Disziplinarausschuß zurückzuverweisen, wird daher nicht stattgegeben.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Anlagen A, B, C, D, E des Schreibens vom 25. Mai 1987, die dem Schreiben vom 3. September 1987 beigefügten Schriftstücke 2 bis 26 und die Unterlagen bzw. Teilunterlagen, in denen von den besagten Schriftstücken 2 bis 26 die Rede ist, werden aus der Verhandlung ausgeschlossen.
Die Anträge auf Ausschluß anderer als der vorgenannten Unterlagen und der Antrag auf deren Rückgabe werden abgewiesen.
Der Antrag, die Sache an den Disziplinarausschuß zurückzuverweisen, wird ebenfalls abgewiesen.