R 0012/22 (Antrag auf Überprüfung) 18-12-2023
Download und weitere Informationen:
ZUSAMMENSETZUNG FÜR DIE NASALE APPLIKATION MIT VERBESSERTER STABILITÄT
Regel 104 abschließende Regelung im Hinblick auf Art. 112a(2)d) (ja, Bestätigung von R 10/20)
Videokonferenz grundsätzlich mit Recht auf rechtliches Gehör vereinbar (ja, wie in G 1/21)
Denkbarer abstrakter Verstoß gegen G 4/95 für die Zulassung von Vorbringen der Begleitperson kein Verstoß egen das Recht auf rechtliches Gehör
Kein Recht eines Beteiligten auf Nachweis ausreichender Vorbereitung eines Kammermitglieds auf mündliche Verhandlung aus Recht auf rechtliches Gehör
Überprüfungsantrag offensichtlich unbegründet mangels Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör
1. Die Begründungspflicht von Entscheidungen der Beschwerdekammern nach Regel 102 g) EPÜ ist nicht von Artikel 112a (2) d) EPÜ umfasst. Begründungsmängel sind nur unter den Voraussetzungen von Artikel 112a (2) c) i.V.m. 113 (1) EPÜ relevant. Diese Voraussetzungen sind im Orientierungssatz von R 10/20 genannt. (Entscheidungsgründe II.2.B)
"Korrelat" zum Äußerungsrecht nach Artikel 113 (1) EPÜ ist die Pflicht zur Begründung einer Entscheidung nur unter diesen Voraussetzungen. Als "Korrelat" allgemein kann man das Recht auf Berücksichtigung des Geäußerten, d.h. dessen Kenntnisnahme und Erwägung (Prüfung, ob das Vorbringen relevant und ggf. richtig ist) ansehen. (Entscheidungsgründe ebenda)
2. Eine nur theoretische Möglichkeit verschlechterter Kommunikation und Austauschmöglichkeit im Rahmen einer als Videokonferenz durchgeführten mündlichen Verhandlung vor einer Beschwerdekammer stellt keinen Verstoß gegen Artikel 113 (1) EPÜ dar (Entscheidungsgründe II.B.3.2.1d)). Eine Durchführung als Videokonferenz ist grundsätzlich mit dem Recht auf rechtliches Gehör vereinbar (G 1/21, insbesondere Nr. 40 und 43).
3. Auf einen abstrakten Verstoß gegen die in G 4/95 aufgestellten Voraussetzungen für die Zulassung von Vorbringen der Begleitperson kann es bei der Prüfung eines Verstoßes gegen des Rechts auf rechtliches Gehör nicht ankommen. Denn letzteres Recht bezieht sich auf die Möglichkeit, auf den Inhalt konkreter Äußerungen angemessen reagieren zu können, nicht auf das Recht, diesen Inhalt durch eine zum umfassenden Vortrag, auch zu komplexen rechtlichen Fragen, berechtigte und von einem zugelassenen Vertreter hierbei beaufsichtigte Begleitperson präsentiert zu bekommen. (Entscheidungsgründe, Nr. II.B.3.2.2).
4. Aus dem Recht auf rechtliches Gehör folgt kein Recht eines Beteiligten auf einen Nachweis, dass ein Kammermitglied ausreichend auf eine mündliche Verhandlung vorbereitet ist, weder im Falle einer kurzfristigen Umbesetzung der Kammer nach Artikel 2 VOBK noch generell. Denn die Ausübung eines solchen Rechts würde gegen die Unabhängigkeit des betroffenen Beschwerdekammermitglieds verstoßen. (Entscheidungsgründe Nr. II.B.3.2.3b)).
Vorbemerkung
Diese Entscheidung besteht zum großen Teil aus als solchen gekennzeichneten wörtlichen Auszügen aus der vorläufigen Meinung, welche die Große Beschwerdekammer (im Folgenden auch: GBK) in ihrer Mitteilung gemäß Artikel 13 und 14 (2) der Verfahrensordnung der Großen Beschwerdekammer (VOGBK) vom 28. September 2023 (im Folgenden auch: "die Mitteilung") zum Ausdruck gebracht hat. Diese Auszüge, deren Inhalt nunmehr endgültig wird, sowie ihre Erweiterungen mit Text in eckigen Klammern bilden diese Entscheidung. Hervorhebungen durch Fettdruck sind - falls nicht anders gekennzeichnet - solche der GBK.
[Es folgt ein Auszug aus der Mitteilung.]
A. Sachverhalt und Verfahren
Der Überprüfungsantrag der Patentinhaberin richtet sich gegen die Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.3.01 in der Beschwerdesache T 247/19. In dieser Sache hatte die Patentinhaberin Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung eingelegt, mit welcher letztere das europäische Patent Nr. 2 766 008 widerrufen hatte. Mit der zur Überprüfung stehenden Entscheidung wies die Beschwerdekammer die Beschwerde zurück. Die Entscheidung wurde in der mündlichen Verhandlung vom 8. Februar 2022 verkündet, und die mit Entscheidungsgründen versehene schriftliche Entscheidung wurde für die Beteiligten am 30. März 2022 zur Post gegeben.
Die Bezeichnung der Erfindung lautet: Zusammensetzung für die nasale Applikation mit verbesserter Stabilität.
Der Überprüfungsantrag der Patentinhaberin und Beschwerdeführerin im Verfahren vor der Beschwerdekammer wird darauf gestützt, dass die zu überprüfende Entscheidung
- "in mehrfacher Hinsicht mit einem schwerwiegenden Verfahrensmangel behaftet [sei] (vgl. Artikel 112a (2) d)[)] EPÜ, insbesondere auch in Verbindung mit Regel 104 EPÜ)",
- "- ebenfalls in mehrfacher Hinsicht - ein schwerwiegender Verstoß gegen Artikel 113 EPÜ vor[liege], da die Beschwerdekammer mit der angefochtenen Entscheidung das Recht der Patentinhaberin auf rechtliches Gehör verletzt hat (vgl. Artikel 112a (2) c) EPÜ)."
Die Antragstellerin beantragt gemäß Artikel 112a (2) c) und d) EPÜ
- die Überprüfung der Entscheidung,
- deren Aufhebung und die Anordnung der Wiederaufnahme des Verfahrens vor der Technischen Beschwerdekammer,
- die Rückzahlung der Antragsgebühr sowie
- im Fall der Wiedereröffnung des Verfahrens die Ersetzung der Mitglieder der Beschwerdekammer, welche an der zu überprüfenden Entscheidung mitgewirkt haben.
[Ende des Auszugs aus der Mitteilung]
In der Mitteilung vom 28. September 2023 teilte die GBK ihre vorläufige Auffassung zum Überprüfungsantrag mit.
In ihrer Antwort auf die Mitteilung der GBK vom 17. November 2023 suchte die Antragstellerin, die vorläufigen Schlussfolgerungen der GBK zu den darin behandelten Punkten zu widerlegen. In einer weiteren Antwort vom 12. Dezember 2023 ergänzte die Antragstellerin ihre Ausführungen in Bezug auf den geltend gemachten Verfahrensmangel der Durchführung der mündlichen Beschwerdeverhandlung als Videokonferenz
Am 18. Dezember 2023 fand eine mündliche Verhandlung vor der GBK statt. Darin bestätigte die Antragstellerin ihre vorgenannten Anträge.
Am Ende der mündlichen Verhandlung verkündete der Vorsitzende die Entscheidung.
B. Entscheidungsgründe
[Der Auszug aus der Mitteilung wird nachstehend fortgesetzt.]
I. Zulässigkeit
Gemäß Regel 126 (2) i.V.m. 134 (1) EPÜ gilt die am 30. März 2022 zur Post gegebene, mit Gründen versehene Entscheidung als am 09. April 2022 zugestellt. Der Antrag auf Überprüfung gemäß Artikel 112a EPÜ ging, zusammen mit der entsprechenden Gebühr, am 25. Mai 2022 und damit fristgerecht (Artikel 112a (4) EPÜ) ein.
Es wird unterstellt, dass die nach Regel 106 EPÜ erforderlichen Rügen erhoben wurden. Erhebliche Zweifel bestehen insoweit im Hinblick auf
- die im Zusammenhang mit Verfahrensmängeln Nr. 4 b) und 3b) geltend gemachte Zulassung des Vortrags einer nicht zugelassenen Vertreterin (dazu unten, II.3.2.2 a.E.) sowie
- die im Zusammenhang mit Verfahrensmängeln Nr. 4c) und 3c) geltend gemachte fehlende Möglichkeit, die Voraussetzungen von Artikel 24 EPÜ in Bezug auf das ersetzte Kammermitglied zu überprüfen unten, II.3.2.3 zu a) a.E.).
Die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen gemäß Regel 107 EPÜ scheinen erfüllt zu sein.
Der Antrag auf Überprüfung wird damit bezüglich aller geltend gemachter Verfahrensmängel als zulässig unterstellt. [Einer abschließenden Beurteilung der Zulässigkeit des Überprüfungsantrags bedarf es im Hinblick auf die nachstehende, negative Beurteilung der Begründetheit des Überprüfungsantrags nicht.]
II. Begründetheit
1. Ausgangspunkt
Der Antrag ist begründet, wenn zumindest einer von jeweils mehreren geltend gemachten schweren Verfahrensmängeln
- gemäß Artikel 112a (2) (d) EPÜ, "insbesondere auch in Verbindung mit Regel 104 EPÜ", oder
- gemäß Artikel 112a (2) c) EPÜ wegen Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör (Artikel 113 EPÜ)
vorliegt.
Der Überprüfungsantrag der Patentinhaberin gibt dazu Anlass, für diesen Antrag relevante Grundprinzipien für das Überprüfungsverfahren, welche die Große Beschwerdekammer (im Folgenden auch: GBK) seit Beginn ihrer Rechtsprechung zum Überprüfungsverfahren nach Artikel 112a EPÜ entwickelt hat, in Erinnerung zu rufen.
2. Relevante Grundprinzipien für das Überprüfungsverfahren
2.1 Keine vollständige Überprüfung einer Entscheidung auf deren Vereinbarkeit mit dem EPÜ oder anderem Recht
In der EPA-Publikation "Rechtsprechung der Beschwerdekammern", 10. Auflage 2022 (im Folgenden: "Rechtsprechung"), heißt es in Abschnitt V.B.3.4.3 (bei engzeiligen Passagen im Folgenden handelt es sich jeweils um Zitate; Hervorhebungen in Fettdruck, auch in Zitaten in dieser Mitteilung, sind solche der GBK):
Der Überprüfungsantrag darf keinesfalls dazu instrumentalisiert werden, die Anwendung des materiellen Rechts überprüfen zu lassen. ... Die Große Beschwerdekammer ist gemäß Art. 112a EPÜ nicht befugt, die Entscheidung in der Sache zu prüfen und im Überprüfungsverfahren inhaltlich auf einen Fall einzugehen ...
Der Zweck des Überprüfungsverfahrens besteht nicht darin zu beurteilen, ob die von der Kammer angegebenen Gründe angemessen sind oder nicht ...; die Große Beschwerdekammer kann die sachliche Beurteilung einer Kammer nicht durch ihre eigene ersetzen ... Die Große Beschwerdekammer kann im Überprüfungsverfahren nicht als eine dritte Instanz bzw. als ein übergeordnetes Berufungsgericht fungieren ...
2.2 Überprüfung lediglich des Vorhandenseins von in Artikel 112a (2) d) EPÜ ausdrücklich bezeichneter Mängel
Artikel 112a (2) d) EPÜ bildet keine Generalklausel für Verfahrensmängel, sondern ermächtigt den Gesetzgeber lediglich zur Bestimmung weiterer Mängel in der Ausführungsordnung über die in Artikel 112a EPÜ im Einzelnen bezeichneten Mängel hinaus. Davon sind in Regel 104 EPÜ genau zwei abschließend bestimmt worden. Die Vorschrift lautet:
Regel 104
Weitere schwerwiegende Verfahrensmängel
Ein schwerwiegender Verfahrensmangel nach Artikel 112a Absatz 2 d) kann vorliegen, wenn die Beschwerdekammer
a) entgegen Artikel 116 eine vom Antragsteller beantragte mündliche Verhandlung nicht anberaumt hat oder
b) über die Beschwerde entschieden hat, ohne über einen hierfür relevanten Antrag zu entscheiden.
In der "Rechtsprechung" heißt es hierzu in Abschnitt V.B.3.4.2:
Die Gründe, auf die ein Überprüfungsantrag gestützt werden kann, hat der Gesetzgeber erschöpfend aufgezählt, nämlich in Art. 112a (2) EPÜ in Verbindung mit R. 104 EPÜ ... Nicht in der Ausführungsordnung genannte Rechtsverletzungen gelten nicht als Verfahrensmängel im Sinne des Art. 112a (2) d) EPÜ (R 16/09).
Die fehlerhafte Anwendung einer Verfahrensvorschrift, welche selbst nicht zu den im EPÜ aufgezählten Überprüfungsgründen gehört, kann nur überprüft werden, wenn sie einen der in Art. 112a (2) in Verbindung mit R. 104 EPÜ aufgezählten Verfahrensmängel zur Folge hat ...
[Die Nummern der zitierten Entscheidungen der Großen Beschwerdekammer wurden weggelassen.]
2.3 Zum Recht auf rechtliches Gehör
Artikel 113 (1) EPÜ bestimmt:
Entscheidungen des Europäischen Patentamts dürfen nur auf Gründe gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.
Die Grundsätze zur Beurteilung des Vorliegens eines Gehörsverstoßes, der sich erst aus der schriftlichen Entscheidung ergeben kann, wurden in der Entscheidung im Fall R 10/18 dargelegt und sind in den Orientierungssätzen zusammengefasst. Diese lauten (in deutscher Übersetzung des englischen Originals durch die GBK):
1. Ein Aspekt des Rechts auf rechtliches Gehör, so wie es von Artikel 113 (1) EPÜ erfasst wird, verlangt, dass eine Kammer das Vorbringen eines Beteiligten erwägt, d.h. die Tatsachen, Beweismittel und Argumente auf ihre Relevanz und Richtigkeit hin überprüft.
Artikel 113 (1) EPÜ ist verletzt, wenn die Kammer Vorbringen, welches aus ihrer Sicht für die Entscheidung relevant ist, nicht in einer Weise behandelt, welche belegt, dass die Beteiligten hinsichtlich dieses Vorbringens gehört wurden, d.h. dass die Kammer dieses Vorbringen in der Sache berücksichtigt hat. (Siehe Entscheidungsgründe, Nr. 2.1.1, welche den maßgeblichen Teil des Orientierungssatzes 1 von R 8/15 bestätigen.)
2. Es wird vermutet, dass eine Kammer das Vorbringen eines Beteiligten berücksichtigt hat, welches sie in den Entscheidungsgründen nicht behandelt hat, d.h. erstens, dass sie es zur Kenntnis genommen und zweitens erwogen hat, d.h. geprüft hat, ob es relevant und ggf. richtig ist.
Eine Ausnahme kann bei Anzeichen für das Gegenteil vorliegen, z.B. wenn eine Kammer in den Entscheidungsgründen das Vorbringen eines Beteiligten nicht behandelt, welches objektiv betrachtet entscheidend für den Ausgang eines Falles ist, oder derartiges Vorbringen von der Hand weist, ohne es zuvor auf seine Richtigkeit zu überprüfen. (Siehe Entscheidungsgründe, Nr. 2.1.1.2.)
In R 8/15 befand die Große Beschwerdekammer, dass Artikel 113 (1) EPÜ enger auszulegen ist als Regel 102 g) EPÜ. Nach dieser Regel muss eine Kammer ihre Entscheidung begründen, ein Verstoß gegen diese Regel ist aber für sich genommen kein Überprüfungsgrund. Die Begründung kann daher zwar unvollständig sein, doch solange sie den Schluss zulässt, dass die Kammer im Laufe des Beschwerdeverfahrens einen bestimmten von ihr für relevant befundenen Punkt sachlich geprüft hat, liegt kein Verstoß gegen Artikel 113 (1) EPÜ vor.
Der Inhalt einer Entscheidung darf die Beteiligten allerdings nicht überraschen. So heißt es unter der Überschrift ,,Verletzung des rechtlichen Gehörs gemäß Artikel 113 (1) EPÜ - überraschende Entscheidungsbegründung" in der Entscheidung im Fall R 3/15 unter Nr. 4.1:
Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs gemäß Artikel 113 (1) EPÜ erfordert es, dass die Entscheidung nur auf Gründe gestützt werden darf, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten. Dies bedeutet insbesondere, dass ein Beteiligter nicht durch bisher unbekannte Gründe und Beweismittel in der Entscheidungsbegründung überrascht werden darf ...
2.4 Zweck der Rüge nach Regel 106 EPÜ
Hierzu heißt es in der "Rechtsprechung" (in Abschnitt V.B.3.6.1.):
R. 106 EPÜ soll der Kammer die Möglichkeit geben, unmittelbar und angemessen zu reagieren, indem sie den Grund für den Einwand beseitigt oder den Einwand zurückweist ... R. 106 EPÜ stellt sicher, dass Fehler von einer Kammer korrigiert werden können, bevor eine endgültige Entscheidung ergeht ...
[Ende des Auszugs]
2.A Die Auffassung der Antragstellerin zu den vorstehenden "relevanten Grundprinzipien für das Überprüfungsverfahren" (oben, Nr. B.II.2.1 bis B.II.2.3)
Mit Schreiben vom 17. November 2023 in Reaktion auf die Mitteilung der GBK sowie in der mündlichen Verhandlung vor der GBK trug die Antragstellerin ihre Auffassung zu den relevanten Grundprinzipien für das Überprüfungsverfahren vor.
2.A.1 Zum Umfang der Überprüfung (Nr. B.II.2.1 oben)
Im Rahmen des Überprüfungsverfahrens gemäß Artikel 112a EPÜ erfolge keine Überprüfung der fraglichen Entscheidung in tatsächlicher, aber in rechtlicher Hinsicht im Sinne eines Rechtsbeschwerde- oder Revisionsverfahrens, wie es auch aus den EPÜ-Vertragsstaaten in langer Rechtstradition bekannt sei. Andernfalls würde das Überprüfungsverfahren zu einem reinen Formalismus herabgestuft. Voraussetzung hierfür sei, dass der Antrag und somit die Überprüfungsbefugnis auf die Gründe von Artikel 112a (2) EPÜ gestützt werden könne.
Folgerichtig habe die GBK in der Entscheidung im Fall R 5/19 im Rahmen ihrer Prüfung eines Verstoßes im Sinne von Artikel 112a (2) c) EPÜ in Verbindung mit Artikel 113 EPÜ in rechtlicher Hinsicht geprüft, ob bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit die zuständige Technische Beschwerdekammer die materiellrechtlichen Vorschriften zutreffend angewendet habe. Dabei sei unter anderem auch geprüft worden, ob die Kammer
bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit den Aufgabe/Lösung-Ansatz verwendet habe. Auch habe die GBK inhaltlich geprüft, welche genaue Argumentation der Antragstellerin in der der zu überprüfenden Entscheidung und der mündlichen Verhandlung berücksichtigt worden sei, wobei die GBK im Rahmen ihrer Überprüfung zu dem Ergebnis gekommen sei, dass bestimmtes Vorbringen der Antragstellerin nicht in die Entscheidung eingeflossen und somit eine für die Antragstellerin überraschende Entscheidung ergangen sei. Dies zeige, dass sich im Rahmen des Überprüfungsverfahrens gemäß Artikel 112a EPÜ die angegriffene Entscheidung vollumfänglich in rein materiell-rechtlicher Hinsicht zu überprüfen sei.
2.A.2 Zum Inhalt von Artikel 112a (2) d) EPÜ (Nr. B.II.2.2 oben)
In Artikel 112a (2) EPÜ seien die Gründe, aufgrund derer ein Überprüfungsantrag gestellt werden könne, abschließend aufgezählt. Nicht abschließend dagegen würden in dessen Buchstabe d) die sonstigen, in der Ausführungsordnung genannten schwerwiegenden Verfahrensmängel genannt. - In Buchstabe d) heißt es: "Der Antrag kann nur darauf gestützt werden, dass ... d) das Beschwerdeverfahren mit einem sonstigen, in der Ausführungsverordnung genannten schwerwiegenden Verfahrensmangel behaftet war ..."). - Einziger Vorbehalt sei, dass sich der schwerwiegende Verfahrensmangel aus der Ausführungsordnung zu ergeben habe.
Bei dem von der Antragstellerin geltend gemachten Begründungsmangel handele es sich um einen solchen sonstigen, in der Ausführungsordnung - nämlich in Regel 102 g) EPÜ - genannten schwerwiegenden Verfahrensmangel.
Ein Begründungsmangel sei somit nicht nur als ein unter Artikel 112a (2) c) EPÜ fallender schwerwiegender Verstoß gegen Artikel 113 EPÜ zu werten, sondern darüber hinaus auch und zusätzlich als ein sonstiger, in der Ausführungsordnung genannter schwerwiegender Verfahrensmangel im Sinne von Artikel 112a (2) d) EPÜ in Verbindung mit Regel 102 g) EPÜ. Dies sei deshalb von Bedeutung, weil in der vorläufigen Auffassung (Mitteilung) die Große Beschwerdekammer für einen Begründungsmangel im Sinne von Artikel 112a (2) c) EPÜ in Verbindung mit Artikel 113 EPÜ - unzutreffender Weise - harschere Maßstäbe anlegen wolle als im Fall von Regel 102 g) EPÜ.
Dass ein Begründungsmangel auch unter Artikel 112a (2) d) EPÜ falle, ergebe sich auch aus folgenden Erwägungen: Artikel 125 EPÜ sehe ausdrücklich vor, dass - soweit das EPÜ Vorschriften über das Verfahren nicht enthalte - das EPA die in den Vertragsstaaten im Allgemeinen anerkannten Grundsätze des Verfahrensrechts berücksichtige. Hierzu gehöre auch die Begründungspflicht von Entscheidungen. So sehe beispielsweise in der Bundesrepublik Deutschland § 100 Absatz 3 Nr. 6 Patentgesetz vor, dass die Rechtsbeschwerde (vergleichbar der Überprüfung gemäß Artikel 112a EPÜ) damit begründet werden könne, dass der angegriffene Beschluss nicht mit Gründen versehen sei (d. h. Begründungsmangel); eine vergleichbare Regelung enthalte auch § 547 Nr. 6 Zivilprozessordnung als absoluten Revisionsgrund. Auch in einer Vielzahl von weiteren EPÜ-Vertragsstaaten, wie beispielsweise in den Benelux-Ländern, Großbritannien, Frankreich, Italien, Spanien etc., gebe es vergleichbare Vorschriften.
Die Pflicht, die Entscheidungen des EPA zu begründen, bilde das Korrelat des Äußerungsrechts nach Artikel 113 (1) EPÜ (vgl. Singer-Stauder, "Europäisches Patentübereinkommen", Kommentar, 6. Auflage, Seite 922, Rz. 14). Eine Begründung müsse eine logische Kette von Überlegungen enthalten, welche das Ergebnis rechtfertigten (vgl. ebenda, Seite 923, Rz. 5, sowie T 698/94 und T 1366/05). Die Begründungspflicht sei folglich auch dann nicht erfüllt, wenn eine Begründung widersprüchliche Feststellungen enthalte (vgl. ebenda, Seite 924, erster Absatz, sowie T 278/00).
2.A.3 Zum Recht auf rechtliches Gehör (Nr. 2.3 oben)
Die in Regel 102 g) EPÜ verankerte Begründungspflicht für Entscheidungen der Beschwerdekammern dürfe im Rahmen von Artikel 113 (1) EPÜ nicht eng ausgelegt werden, jedenfalls sei dies im Rahmen von 112a (2) d) EPÜ nicht erlaubt.
2.B Die Beurteilung der GBK der Auffassung der Antragstellerin zu den "relevanten Grundprinzipien für das Überprüfungsverfahren "
- Zum Umfang der Überprüfung (oben Nr. 2.A.1 und 2.A.2)
Diesbezüglich nimmt die GBK allgemein auf die Entscheidung R 10/20 vom 25. September 2023, Abschnitt B.II.2, Bezug. In dem diesbezüglichen Verfahren mit anderen Beteiligten, aber demselben Vertreter - dort der Einsprechenden -, hat dieser im Kern identische Rechtsausführungen gemacht. Diese wurden im genannten Abschnitt vollumfänglich mit ausführlicher Begründung zurückgewiesen. Daran hält die GBK im vorliegenden Verfahren fest.
Zusammenfassend sei ausgeführt, dass die GBK durch das Verfahren nach Artikel 112a EPÜ nicht die korrekte Anwendung des materiellen Rechts in der zu überprüfenden Entscheidung in vollem Umfang auf Rechtsfehler überprüfen kann. Artikel 112a (2) d) EPÜ bildet keine Generalklausel; vielmehr sind in Regel 104 EPÜ genau zwei weitere Verfahrensmängel - über die in Artikel 112a ausdrücklich genannten - abschließend bestimmt worden. Da die Begründungspflicht von Entscheidungen der Beschwerdekammern nach Regel 102 g) EPÜ nicht in Regel 104 aufgeführt ist, bedeutet das, dass ein Verstoß hiergegen nicht von Artikel 112a (2) d) erfasst wird.
Zu dem ergänzenden Vorbringen im vorliegenden Verfahren im Schreiben vom 17. November 2023 und der mündlichen Verhandlung vor der GBK wird wie folgt Stellung genommen:
R 5/19 spricht nicht dafür, dass eine angegriffene Entscheidung im Überprüfungsverfahren nach Artikel 112a EPÜ vollumfänglich in rein materiell-rechtlicher Hinsicht zu überprüfen ist.
Die GBK hat in diesem Fall die zu überprüfende Entscheidung aufgehoben, weil die Einsprechende von der Anforderung der Technischen Beschwerdekammer in der zu überprüfenden Entscheidung überrascht worden war, dass die verschiedenen in der Beschwerdebegründung vorgebrachten Angriffe bezüglich der erfinderischen Tätigkeit - mangels Verwendung des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes - keine Beachtung fänden. Damit beruhe die Entscheidung, so die GBK, auf einem Grund, zu welchem sich die Einsprechende vor deren Kenntnisnahme nicht haben äußern können. (Siehe Abschnitt II.2.2.)
Eine rechtliche Analyse des Sachverhalts erfolgte damit lediglich im Hinblick auf die Beachtung des Rechts auf rechtliches Gehör. Die von der Antragstellerin behauptete Prüfung in rechtlicher Hinsicht, ob bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit die zuständige Technische Beschwerdekammer die materiellrechtlichen Vorschriften und dabei insbesondere den Aufgabe-Lösungs-Ansatz zutreffend angewendet habe, fand nicht statt. Es ging nicht um die zutreffende Anwendung, sondern vielmehr um die Pflicht zur Verwendung dieses Ansatzes überhaupt, auf welche die Kammer nicht hingewiesen hatte.
- Zum Umfang der Begründungspflicht nach Artikel 112a (2) Buchst. c) und d) EPÜ (oben Nr. 2.A.2 und 2.A.3)
Der Umfang der Pflicht zur Begründung von Entscheidungen nach Artikel 113 (1) EPÜ wurde oben unter Nr. 2.3 im Rahmen des Orientierungssatzes von R 10/18 dargestellt. Die GBK stellte diesen in R 10/20 in Abschnitt B. II.3.2.1.1 und 3.2.1.2 wie folgt klar (siehe den Orientierungssatz):
Artikel 113 (1) EPÜ verlangt, dass die Kammer Vorbringen eines Beteiligten in der Sache berücksichtigt hat, d.h.
- erstens, dass sie das Vorbringen eines Beteiligten zur Kenntnis genommen und
- zweitens dieses Vorbringen erwogen hat, d.h. geprüft hat, ob es relevant und ggf. richtig ist.
Es wird vermutet, dass eine Kammer das Vorbringen eines Beteiligten in der Sache berücksichtigt hat, welches sie in den Entscheidungsgründen nicht behandelt hat. Denn dann ist anzunehmen, dass es aus ihrer Sicht nicht relevant war.
Diese Vermutung kann widerlegt sein, wenn Anzeichen für eine Nicht-Berücksichtigung vorliegen, z.B. wenn eine Kammer in den Entscheidungsgründen das Vorbringen eines Beteiligten nicht behandelt, welches objektiv betrachtet entscheidend für den Ausgang des Falles ist, oder derartiges Vorbringen von der Hand weist, ohne es zuvor auf seine Richtigkeit zu überprüfen.
Der Charakter eines Vorbringens als objektiv betrachtet entscheidend für den Ausgang des Falles muss sich aufdrängen. Das folgt daraus, dass das Überprüfungsverfahren nach Artikel 112a EPÜ grundsätzlich nicht der Überprüfung des materiellen Rechts dient, weswegen Ausnahmen von diesem Grundsatz nur unter strengen Voraussetzungen zuzulassen sind.
Die von der Antragstellerin zitierte Aussage, das Korrelat, d.h. die Entsprechung oder das Gegenstück, zum Äußerungsrechts nach Artikel 113 (1) EPÜ bilde die Pflicht, die Entscheidungen des EPA zu begründen, muss im Einklang mit diesen Grundsätzen stehen. Ohne Bezugnahme hierauf ist die Aussage unklar und damit nicht hilfreich. Eine Behandlung des Geäußerten in den Entscheidungsgründen ist nur unter den vorgenannten Voraussetzungen vom Recht auf rechtliches Gehör gefordert; ggf. kann sie vollständig unterbleiben, sofern die Kammer das Vorbringen des Beteiligten für irrelevant hält und seine objektive Relevanz sich nicht aufdrängt.
Hingegen beinhaltet das Recht auf rechtliches Gehör nach dem oben Gesagten neben dem Äußerungsrecht das Recht auf Berücksichtigung des Geäußerten, d.h. dessen Kenntnisnahme und Erwägung (die Prüfung, ob das Vorbringen relevant und ggf. richtig ist). Wenn ein Schlagwort zur Charakterisierung dieser Beziehung als nützlich empfunden werden sollte, dann würde sich der Begriff "Korrelat" hier eignen.
Die von der GBK angelegten - und von der Antragstellerin für unzutreffend gehaltenen - "harscheren Maßstäbe" bei der Annahme eines Begründungsmangels im Sinne von Artikel 112a (2) c) EPÜ in Verbindung mit Artikel 113 (1) EPÜ als im Fall von Regel 102 g) EPÜ hat die GBK in R 8/15 aus der Rechtsprechung des EGMR hergeleitet; siehe Nr. 2.2.2. Der EGMR lässt es im Falle letztinstanzlicher Entscheidungen, gegen die kein Rechtsbehelf eingelegt werden kann, sogar zu, dass auf eine Begründung vollständig verzichtet wird (ebenda, letzter Absatz). In diesem Fall fehlt es an jeglichem "Korrelat" zwischen Äußerungsrecht und Begründungspflicht.
Der Umstand, dass ein Verstoß gegen Regel 102 g) EPÜ nicht von Artikel 112a (2) d) EPÜ umfasst ist und Begründungsmängel nur unter den obigen Voraussetzungen nach Art. 112a (2) c) i.V.m. 113 (1) EPÜ relevant sind, bedeutet nicht, dass Regel 102 g) EPÜ von den Kammern nicht umfassender zu beachten wäre. Der Gesetzgeber hat lediglich eine Verletzung dieser Norm als solcher, also ohne Verstoß gegen Artikel 113 (1) EPÜ, nicht als so schwerwiegend angesehen, dass er es als erforderlich angesehen hätte, diese Norm in Regel 104 EPÜ aufzuführen, sodass ein Verstoß zur Aufhebung einer Entscheidung führen müsste.
3. Analyse der geltend gemachten Verfahrensmängel
[Es folgt ein Auszug aus der Mitteilung.]
3.1 Verfahrensmängel gemäß Artikel 112a (2) d) EPÜ, "insbesondere auch in Verbindung mit Regel 104 EPÜ"
Insoweit macht die Antragstellerin jeweils einen schwerwiegenden Verfahrensmangel geltend
- infolge der Durchführung der mündlichen Beschwerdeverhandlung als Videokonferenz (Nr. 3a),
- infolge der Zulassung des umfangreichen, vorher nicht näher spezifizierten Sach- und Rechtsvortrags eines "Nichtverfahrensvertreters" mit Fokus auf überwiegend rechtliche Aspekte (Nr. 3b),
- infolge der überraschend kurzfristigen Umbesetzung der zuständigen Beschwerdekammer unmittelbar vor Verhandlung und die äußerst kurzfristige diesbezügliche Mitteilung an die Verfahrensbeteiligten ohne weitergehende Begründung und ohne Stellungnahmemöglichkeit seitens der Parteien (Nr. 3c),
- infolge der Nichtzulassung von Hilfsantrag XIII (Nr. 3d),
- betreffend die Beurteilung der Erfordernisse von Artikel 123 (2) EPÜ i.V.m. Artikel 100c) EPÜ (Nr. 3e).
Wie oben in Nr. 2.2 festgehalten, hat der Gesetzgeber die Gründe, auf die ein Überprüfungsantrag gestützt werden kann, erschöpfend aufgezählt, nämlich in Artikel 112a (2) EPÜ in Verbindung mit Regel 104 EPÜ. Nicht in der Ausführungsordnung genannte Rechtsverletzungen gelten nicht als Verfahrensmängel im Sinne des Artikel 112a (2) d) EPÜ.
Demnach wären Verfahrensmängel nach Artikel 112a (2) d) EPÜ im Überprüfungsverfahren lediglich dann von Relevanz, wenn ein Mangel nach Regel 104 a) oder 104 b) EPÜ (oder Mängel nach beiden Vorschriften) geltend gemacht würde(n). Die Antragstellerin hat sich aber weder auf das Übergehen eines Antrags auf mündliche Verhandlung (Regel 104 a) EPÜ) noch eines sonstigen relevanten Antrags im Verfahren (Regel 104 b) EPÜ) berufen.
Das gilt insbesondere auch für die als Verfahrensmangel gerügte Nichtzulassung von Hilfsantrag XIII (Nr. 3d) des Überprüfungsantrags). Denn die Beschwerdekammer hat nach Erörterung entschieden, den Antrag nicht zuzulassen und damit in formeller Hinsicht darüber entschieden. Damit greift Regel 104 b) EPÜ nicht ein.
Folglich sind sämtliche Ausführungen in Teil 3 (Seiten 14 bis 29) des Antrags zu Artikel 112a (2) d) EPÜ in Bezug auf diese Vorschrift gegenstandslos.
Allerdings korrespondiert ein jeder der (unter Nr. 3 des Überprüfungsantrags) betreffend Artikel 112a (2) d) EPÜ geltend gemachten Verfahrensmängel mit einem jeden der ebenfalls (unter Nr. 4 des Überprüfungsantrags) behaupteten Verfahrensmängel nach Buchstabe c) dieser Vorschrift. Die Überschriften von Nr. 3a) bis e) sind in derselben Reihenfolge identisch mit denjenigen von Nr. 4a) bis e). Im Rahmen des Vorbringens zu Buchstabe c) beruft sich die Antragstellerin auch bezüglich eines jeden Verfahrensmangels auf die entsprechenden Ausführungen im Rahmen von Buchstabe d) von Artikel 112a (2) EPÜ. Danach begründe der jeweilige zu letzterem Buchstaben geschilderte Sachverhalt auch einen Verstoß gegen Buchstabe c), also Artikel 113 EPÜ.
Daher behandelt die GBK die Ausführungen unter Nr. 3a) bis 3e) zu Artikel 112a (2) d) EPÜ zusammen mit den entsprechenden, unter Nr. 4a) bis 4e) geltend gemachten fünf Verfahrensmängeln nach Artikel 112a (2) c) EPÜ i.V.m. Artikel 113 EPÜ.
Bezüglich der geltend gemachten Verfahrensmängel gemäß Artikel 112a (2) d) EPÜ, "insbesondere auch in Verbindung mit Regel 104 EPÜ" ist der Überprüfungsantrag unbegründet.
3.2 Verfahrensmängel gemäß Artikel 112a (2) c) EPÜ wegen Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör (Artikel 113 EPÜ)
Vorbemerkung
Artikel 113 EPÜ regelt zwei Pflichten des EPA: die Pflicht, rechtliches Gehör zu gewähren in Absatz 1 und die Pflicht, sich bei der Prüfung an die vom Anmelder oder Patentinhaber vorgelegte oder gebilligte Fassung der Patentanmeldung oder des Patents zu halten. Da sich das Vorbringen der Antragstellerin zu Artikel 113 EPÜ ausschließlich auf das rechtliche Gehör bezieht ist, ist in dieser Entscheidung bei Nennung der von der Antragstellerin verwendeten Bezeichnung "Artikel 113 EPÜ" ausschließlich dessen Absatz 1 gemeint.
3.2.1 Verstoß gegen Artikel 113 EPÜ bezüglich der Durchführung der mündlichen Beschwerdeverhandlung als Videokonferenz (Nr. 4a) des Überprüfungsantrags)
Vorbringen der Antragstellerin [im Überprüfungsantrag]
Die engen Voraussetzungen gemäß der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer in der Sache G 1/21 (ABl. EPA 2022, A49) seien im vorliegenden Fall nicht erfüllt gewesen, so dass die Durchführung der mündlichen Verhandlung als Videokonferenz ohne Zustimmung der Patentinhaberin nicht nur einen schwerwiegenden Verfahrensmangel nach Artikel 112a (2) d) EPÜ, sondern darüber hinaus auch einen Verstoß gegen Artikel 113 EPÜ darstelle. Das folge aus dem Umstand, dass in G 1/21 die Durchführung der mündlichen Verhandlung als Präsenzverhandlung ausdrücklich als sogenannter Goldstandard bezeichnet werde, weil nur eine Präsenzverhandlung optimale Verfahrenstransparenz und einen optimalen Austausch zwischen Gericht und Parteien ermögliche (vgl. insbesondere Nr. 38 bis 51 von G 1/21) und da vor allem im vorliegenden Fall keine objektive Unmöglichkeit bestanden habe, die mündliche Verhandlung als Präsenzverhandlung durchzuführen. Die weiterführende Argumentation der Patentinhaberin zu dem Verstoß gegen Artikel 113 EPÜ betreffend diesen Verfahrensaspekt sei auch in der zu überprüfenden Entscheidung zutreffend wiedergegeben, wo es unter Ziff. XXI. auf den Seiten 12/13 heiße:
Format der mündlichen Verhandlung, Antrag auf Verlegung bzw. Vertagung (Artikel 15a(1) VOBK)
Im Rahmen einer Videokonferenz könnten komplexe Sachverhalte nicht ausreichend dargelegt und erörtert werden, was die Beschwerdeführerin extrem benachteiligen würde.
Auch seien die seitens der Entscheidung G 1/21 der Großen Beschwerdekammer vom 16. Juli 2021 vorgegebenen Voraussetzungen zur Durchführung der Verhandlung als Videokonferenz vorliegend nicht gegeben. Mit entsprechendem Impfschutz seien die teilnehmenden Personen nicht an der Anreise und einem persönlichen Erscheinen zur Verhandlung vor Ort gehindert. Sämtliche in Deutschland ansässigen Institutionen einschließlich der Gerichte und Ämter ließen schon seit längerem und sehr umfangreich Präsenz-Verhandlungen unter entsprechenden Hygienemaßnahmen durchführen. Auch andere Veranstaltungen wie beispielsweise Konzerte fänden mit einer hohen Zahl von Teilnehmenden statt.
Die objektive Möglichkeit einer Präsenzverhandlung habe bestanden, was allein schon durch die Tatsache belegt werde, dass im betreffenden Zeitraum, in welchem auch der ursprüngliche und der verlegte Verhandlungstermin gelegen hätten, zahlreiche Präsenzverhandlungen seitens der Beschwerdekammern des EPA durchgeführt worden seien.
[Ende des Auszugs aus der Mitteilung]
Vorbringen der Antragstellerin im Schreiben vom 17. November 2023 sowie in der mündlichen Verhandlung vor der GBK
Die vorläufige Auffassung der GBK in ihrer Mitteilung, wonach die Entscheidung über die Form der Durchführung der mündlichen Verhandlung dem Ermessen der hierzu ladenden Beschwerdekammer anheimgestellt sein solle, unter Bezug auf Abschnitt C. 3 Nr. 30 von G 1/21, sei unzutreffend, aber für den vorliegenden Fall ohnehin nicht durchgreifend. Denn in G 1/21 werde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese Entscheidung nur und ausschließlich für die dort bestehende Notstandssituation getroffen worden sei. Das bedeute, dass diese Feststellung nicht auf die normale Situation, wie sie zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor der Technischen Beschwerdekammer im vorliegenden Fall wieder vorherrschte, übertragen werden dürfe.
Unterstellt, die Festlegung des Verhandlungsformats läge im Ermessen der Beschwerdekammer, so könne es dennoch nicht angehen, dass die Kammer ohne weiterführende Begründung ihre Ermessensausübung innerhalb kürzester Zeit ändere: Im vorliegenden Fall sei noch mit der Mitteilung vom 15. Oktober 2021 die Ladung zu einer Präsenzverhandlung festgelegt worden, während unmittelbar darauffolgend mit gegenteiliger Mitteilung vom 3. Dezember 2021 der anberaumte Termin als Videokonferenz bestimmt worden sei.
Es könne jedoch nicht im Ermessen der Kammer liegen, eine vorangehende Festlegung - zumal ohne weiterführende Begründung - willkürlich abzuändern: Dies liefe nicht auf das
Ausüben eines Ermessens hinaus, sondern vielmehr auf nicht vorhersehbare reine
Willkür. Folglich sei für die Antragstellerin auch nicht erkennbar gewesen, warum das Format der mündlichen Verhandlung abgeändert worden sei, so dass sie
auch keine Möglichkeit gehabt habe, hierzu Stellung zu nehmen.
Wenn im Einzelfall ein Beteiligter sich aufgrund bei der Durchführung der Videokonferenz aufgetretener technischer Mängel und dem Fehlen von angemessenen Abhilfemaßnahmen zu konkreten Gesichtspunkten nicht habe äußern können, so sei das nicht der einzige Grund, welcher einen Verstoß gegen Artikel 113 (1) EPÜ begründen könne.
Die Große Beschwerdekammer in G 1/21 erachte die Videokonferenz als nicht gleichwertig zu einer Präsenzverhandlung, insbesondere nicht aufgrund der nicht optimalen Verfahrenstransparenz und des nicht optimalen Austauschs zwischen Spruchkörper und Verfahrensbeteiligten.
Dies bedeute folglich im vorliegenden Fall, dass grundsätzlich die Möglichkeit bestanden habe, dass die Patentinhaberin mit ihrem Vorbringen nicht optimal zur Kammer vorgedrungen sei oder aber vice versa bestimmte Hinweise oder Anmerkungen der Kammer nicht vollumfänglich von den Vertretern der Patentinhaberin im Rahmen der Videokonferenz erfasst worden seien.
Aufgrund dieser grundsätzlich bestehenden, wenn auch nur theoretischen Möglichkeit einer gegenüber einer Präsenzverhandlung verschlechterten Kommunikation und Austauschmöglichkeit sei bereits ein Verstoß gegen Artikel 113 (1) EPÜ in schwerwiegender Weise begründet, da es hierdurch zu einer Nichtbeachtung von Vorbringen oder Hinweisen auf beiden Seiten führen könne.
Prüfung des Vorbringens
Die Antragstellerin macht geltend, dass die Voraussetzungen gemäß der Entscheidung G 1/21 nicht erfüllt gewesen seien, so dass die Durchführung der mündlichen Verhandlung als Videokonferenz ohne Zustimmung der Patentinhaberin einen Verstoß gegen Artikel 113 EPÜ darstelle. Wie oben (unter Nr. 3.1) erwähnt, beruft sich die Antragstellerin nicht auf das Übergehen eines Antrags auf mündliche Verhandlung (Regel 104 a) EPÜ). Dementsprechend beschränkt sich die folgende Prüfung auf das Vorliegen eines Verstoßes gegen Artikel 113 (1) EPÜ.
a) G 1/21 zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs bei Durchführung einer mündlichen Verhandlung als Videokonferenz
Diese Prüfung erfolgt unter Zugrundelegung der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer in G 1/21 unter Berücksichtigung von Artikel 15a der Verfahrensordnung der Beschwerdekammer (VOBK).
In dieser Entscheidung beantwortete die GBK die - umformulierte - Vorlagefrage wie folgt:
In einem allgemeinen Notfall, der die Möglichkeit der Beteiligten einschränkt, persönlich an einer mündlichen Verhandlung in den Räumlichkeiten des EPA teilzunehmen, ist die Durchführung der mündlichen Verhandlung vor einer Beschwerdekammer in Form einer Videokonferenz mit dem EPÜ vereinbar, auch wenn nicht alle Beteiligten ihr Einverständnis mit der Durchführung der mündlichen Verhandlung in dieser Form erklärt haben.
In den Entscheidungsgründen heißt es, dass eine in Form einer Videokonferenz durchgeführte mündliche Verhandlung eine mündliche Verhandlung im Sinne des Artikels 116 EPÜ ist; siehe Abschnitt C.3, Nr. 30. Es wurde auch erläutert, dass die Entscheidung über die Form der Durchführung der mündlichen Verhandlung dem Ermessen der hierzu ladenden Beschwerdekammer anheimgestellt sei; siehe Abschnitt C.5, Nr. 50.
Mit diesen in Nr. 30 und 50 genannten Grundsätzen stimmt Artikel 15a (1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK), der auf Artikel 23 Absatz 4 EPÜ gestützt ist, überein. Aus seinem Wortlaut folgt, dass mündliche Verhandlungen in Form einer Videokonferenz mündliche Verhandlungen im Sinne vom Artikel 116 EPÜ sind, sowie dass die Entscheidung über die Form der Durchführung einer mündlichen Verhandlung dem Ermessen der hierzu ladenden Beschwerdekammer anheimgestellt ist. Artikel 15a (1) VOBK lautet:
Als Videokonferenz durchgeführte mündliche Verhandlung
(1) Die Kammer kann beschließen, die mündliche Verhandlung gemäß Artikel 116 EPÜ auf Antrag eines Beteiligten oder von Amts wegen als Videokonferenz durchzuführen, wenn sie dies für zweckmäßig erachtet.
In der Entscheidung G 1/21 sind grundsätzliche Ausführungen zum Recht auf rechtliches Gehör bezüglich der Durchführung einer mündlichen Verhandlung als Videokonferenz insbesondere in den folgenden Absätzen enthalten:
[C.4]
38. Die Große Beschwerdekammer ist der Auffassung, dass die Kommunikation per Videokonferenz - zumindest derzeit - nicht mit der persönlichen Kommunikation gleichgesetzt werden kann. Auch wenn sie die Auffassung teilt, dass Videokonferenzen die oben [unter Nr. 34] aufgezählten wesentlichen Merkmale einer mündlichen Verhandlung gewährleisten können, so ist diese Art der Kommunikation dennoch weniger direkt und infolge der Einschränkungen durch die verwendete Technik limitierter. Was die Kommunikation angeht, sind mündliche Präsenzverhandlungen momentan das optimale Format. Die bei Videokonferenzen eingesetzte Technik soll dafür sorgen, dass man dieser direkten menschlichen Interaktion so nahe wie möglich kommt. Sicher hat sich die Videokonferenztechnik in jüngerer Zeit verbessert, dennoch reicht sie noch nicht an das Kommunikationsniveau heran, das möglich ist, wenn alle Teilnehmer in ein und demselben Raum physisch anwesend sind. ...
40. Aus dem Vorstehenden folgt jedoch nicht, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör und das Recht auf ein faires Verfahren nicht gewahrt werden können, wenn die mündliche Verhandlung in Form einer Videokonferenz durchgeführt wird. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass das Verfahren vor dem EPA überwiegend ein schriftliches ist. Das schriftliche Vorbringen bildet die Grundlage des Verfahrens und wird bei Bedarf oder auf Antrag durch eine Gelegenheit für die Beteiligten ergänzt, ihre Argumente mündlich zu präsentieren und zu verteidigen. Selbst wenn das Format der Videokonferenz bestimmte Nachteile hat, so bietet es den Beteiligten dennoch die Gelegenheit, ihre Argumente mündlich zu präsentieren. Zusammen mit dem schriftlichen Teil des Verfahrens reicht dies in der Regel aus, um den Grundsätzen eines fairen Verfahrens und des rechtlichen Gehörs Genüge zu tun.
43. Alles in allem ist die Große Beschwerdekammer der Auffassung, dass die derzeit mit dem Einsatz von Videokonferenztechnik verbundenen Einschränkungen diese als Format für mündliche Verhandlungen - objektiv oder nach dem Empfinden der Beteiligten - nicht optimal erscheinen lassen können, allerdings normalerweise nicht in dem Maße, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör oder das Recht auf ein faires Verfahren eines Beteiligten ernsthaft verletzt würde. Kann dieser Anspruch oder dieses Recht im Einzelfall nicht gewahrt werden, so ist das Entscheidungsorgan selbstverständlich verpflichtet, angemessene Abhilfemaßnahmen zu treffen.
Für die Prüfung des Einwands der Antragstellerin, dass die Durchführung der mündlichen Verhandlung als Videokonferenz ohne Zustimmung der Patentinhaberin einen Verstoß gegen Artikel 113 EPÜ darstelle, gilt demnach Folgendes:
Die oben zitierten Ausführungen der GBK in G 1/21 zum Recht auf rechtliches Gehör in Nr. 38, 40 und 43 stellen auch klar, dass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Form einer Videokonferenz grundsätzlich keinen Verstoß gegen das Recht auf rechtliches Gehör bedeutet. Ein Gehörsverstoß wegen der Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Form einer Videokonferenz käme vor diesem Hintergrund in erster Linie dann in Frage, wenn im Einzelfall ein Beteiligter sich aufgrund bei der Durchführung der Videokonferenz aufgetretener technischer Mängel und dem Fehlen von angemessenen Abhilfemaßnahmen zu konkreten Gesichtspunkten nicht äußern könnte.
b) Allgemeine Gültigkeit der Ausführungen zum rechtlichen Gehör in G 1/21 (in Abschnitten C.3 und C.4), auch bei Nicht-Vorliegen eines allgemeinen Notfalls, oder obiter dictum?
Die Antragstellerin vertritt in ihrem Schreiben vom 17. November 2023 die Auffassung, G 1/21 gelte nur für dort bestehende Notstandssituation. In diesem Zusammenhang ist die Entscheidung im Fall T 1171/20 von Interesse, welche die Antragstellerin auch in ihrem weiteren Schreiben vom 12. Dezember 2023 zitiert hat.
In T 1171/20 vom 10. Mai 2023 war die Kammer der Meinung, man möge Ausführungen in Abschnitten C.3 und C.4 von G 1/21 und insbesondere zur Vereinbarkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem Recht auf rechtliches Gehör als obiter dictum anzusehen:
1.4 Die Große Beschwerdekammer hat sich in ihrer Entscheidung G 1/21 mit der Frage befasst, ob es während einer allgemeinen Notlage rechtmäßig sei, gegen den Willen einer Verfahrensbeteiligten eine mündliche Verhandlung als Videokonferenz durchzuführen. Die Große Beschwerdekammer ist in ihrer Begründung über den Umstand der allgemeinen Notlage hinausgegangen und hat festgestellt, dass eine mündliche Verhandlung in Form einer Videokonferenz eine mündliche Verhandlung im Sinne des Artikel 116 EPÜ sei und nicht gegen das rechtliche Gehör nach 113(1) EPÜ oder das Recht auf ein faires Verfahren verstoße. Darüber hinaus hat sie die Frage diskutiert, ob eine Videokonferenz als gleichwertig ("equivalent") mit einer Präsenzveranstaltung zu gelten hätte, und ob sie ein "geeignetes" Format zur Durchführung von mündlichen Verhandlungen grundsätzlich sei.
1.5 Man mag diese Ausführungen angesichts der rechtlich höherrangigen, und möglicherweise rechtlich allein entscheidenden, Feststellungen zu Artikel 113 und 116 EPÜ und dem Recht auf ein faires Verfahren als "obiter dicta" ansehen. Allerdings haben auch solche Überlegungen Gewicht (vgl. etwa G 3/08, Schlagwort 5, sowie Gründe 7.3.7, mit Verweis auf G 3/93, Gründe 2). Insbesondere erscheinen die detaillierten Ausführungen zu Gleichwertigkeit und Eignung von Videokonferenzen in der G 1/21 als Ausweis eingehender Überlegungen der Großen Beschwerdekammer (entgegen der grundsätzlich anderslautenden Annahme in G 4/19, Gründe 39-41, und T 574/17, Gründe 2.3.7), zumal sich die Große Beschwerdekammer entschieden hat, ihre Antwort trotz ihrer prinzipiell positiven Bewertung von mündlichen Verhandlungen als Videokonferenz auf allgemeine Notlagen zu beschränken.
Die GBK kann die Auffassung in Nr. 1.5, erster Satz, man möge die in Nr. 1.4 zusammengefassten Passagen von Abschnitten C.3 (Überschrift: Auslegung von Artikel 116 EPÜ) und C.4 (Überschrift: Ist eine Videokonferenz mit einer mündlichen Verhandlung in Person gleichwertig, falls nicht, ist eine Videokonferenz ein geeignetes Format für die Durchführung mündlicher Verhandlungen?) als obiter dicta ansehen, nicht teilen. Die Ausführungen in diesen Abschnitten bilden nämlich die Grundlage für die Entscheidungsformel: In G 1/21 wird geklärt, ob eine Videokonferenz überhaupt eine mündliche Verhandlung im Sinne von Art. 116 EPÜ (Abschnitt C.3, insbesondere Nr. 30) und des Weiteren ggf. eine Alternative zur Präsenzverhandlung darstellen kann und dabei insbesondere das Recht auf rechtliches Gehör wahrt (Abschnitt C.4, insbesondere Nr. 38, 40 und 43, wie oben wiedergegeben). Nachdem die Rechtmäßigkeit in der Entscheidungsformel bejaht wurde, kann man nicht davon ausgehen, dass die, in Abschnitten C.3 und C.4 behandelten Vorfragen als offen gelassen anzusehen sind.
c) Die zu überprüfende Entscheidung
Die für die vorliegende Betrachtung maßgeblichen Passagen der zu überprüfenden Entscheidung sind vor allem die folgenden:
6.1 Unter Berücksichtigung der pandemischen Lage und der Komplexität der zu behandelnden Fragestellungen hat die Kammer die Durchführung der mündlichen Verhandlung im Format einer Videokonferenz als zweckmäßig erachtet (Artikel 15a(1) VOBK).
6.3 Aufgrund der COVID 19-Pandemie lag ein auch im Zeitraum von Dezember 2021 bis Februar 2022 immer noch andauernder "allgemeiner Notstand" im Sinne der vorgenannten Entscheidung vor. ...
6.4 Weiter wies die vorliegende Beschwerdesache keine rechtlichen oder technischen Besonderheiten auf, die die Kammer hätten annehmen lassen, ein angemessener Vortrag seitens der Verfahrensbeteiligten könne nur im Rahmen einer Präsenzverhandlung gewährleistet werden. Auch war nicht erkennbar, weshalb das Format einer Videokonferenz, wie von der Beschwerdeführerin geltend gemacht, diese gegenüber der Beschwerdegegnerin benachteiligen würde.
Die Kammer hat demnach Artikel 15a (1) VOBK 2020 angewendet und die Durchführung der mündlichen Verhandlung als Videokonferenz als zweckmäßig im Sinne dieser Vorschrift erachtet.
d) Bewertung der Entscheidung im Hinblick auf einen Verstoß gegen das Recht auf rechtliches Gehör
Vorliegend hat die Antragstellerin keine konkreten, das Recht auf rechtliches Gehör beeinträchtigenden Umstände geltend gemacht, und die GBK kann keine derartigen Umstände erkennen.
So hat die Antragstellerin keine technischen Probleme bei der Durchführung der mündlichen Verhandlung mit allen Beteiligten behauptet.
Des Weiteren hat sie nicht dargetan, warum sie sich konkret nicht hätte ausreichend äußern oder auf Vortrag des anderen Beteiligten oder Bemerkungen und Fragen der Kammer hätte reagieren können. Sie hat (lt. von ihr nicht beanstandetem Inhalt des Protokolls) in der mündlichen Verhandlung nur allgemein ausgeführt:
Im Rahmen einer Videokonferenz könnten komplexe Sachverhalte nicht ausreichend dargelegt und erörtert werden, was die Beschwerdeführerin extrem benachteiligen würde.
Weshalb dem so sein sollte, konnte die Kammer (siehe Entscheidung unter 6.4 oben) nicht erkennen, und Gleiches gilt für die GBK.
Die Aussage der Kammer (ebenda), die Beschwerdesache habe keine rechtlichen oder technischen Besonderheiten aufgewiesen, die die Kammer hätten annehmen lassen, ein angemessener Vortrag seitens der Verfahrensbeteiligten könne nur im Rahmen einer Präsenzverhandlung gewährleistet werden, hat die Antragstellerin nicht ausdrücklich angegriffen.
Die Ausführungen der Antragstellerin, wonach es sich um einen komplexen Fall mit umfangreichem Akteninhalt gehandelt habe, hat sie im Zusammenhang mit der Frage der Vorbereitungsmöglichkeit des ersetzten Mitglieds, nicht mit der Durchführung einer Videokonferenz vorgetragen (siehe unten, Nr. 3.2.3). Es wäre auch nicht erkennbar, warum ein komplexer Fall und umfangreicher Akteninhalt als solche gegen die Beachtung des rechtlichen Gehörs im Rahmen einer Videokonferenz spräche.
Vielmehr hat die Antragstellerin im Überprüfungsantrag hauptsächlich mit der fehlenden Ausnahmesituation angesichts der abgeklungenen Pandemie argumentiert. Dieser Punkt bezieht sich aber grundsätzlich nicht auf die Vereinbarkeit mit dem Recht auf rechtliches Gehör.
In ihrem Schreiben vom 17. November 2023 und in der mündlichen Verhandlung hat sie sich Wesentlichen darauf gestützt, dass die GBK in G 1/21 die Videokonferenz als nicht gleichwertig zu einer Präsenzverhandlung erachtet habe, insbesondere nicht aufgrund der nicht optimalen Verfahrenstransparenz und des nicht optimalen Austauschs zwischen Spruchkörper und Verfahrensbeteiligten. Aufgrund dieser grundsätzlich bestehenden, wenn auch nur theoretischen Möglichkeit einer gegenüber einer Präsenzverhandlung verschlechterten Kommunikation und Austauschmöglichkeit sei bereits ein Verstoß gegen Artikel 113 (1) EPÜ in schwerwiegender Weise begründet, da es hierdurch zu einer Nichtbeachtung von Vorbringen oder Hinweisen auf beiden Seiten kommen könne.
Hierzu ist zu wiederholen, dass die GBK in G 1/21 trotz der von ihr im Zeitpunkt des Ergehens der Entscheidung angenommenen mangelnden Gleichwertigkeit einer Videokonferenz mit einer Präsenzverhandlung erstere als mit dem Recht auf rechtliches Gehör grundsätzlich vereinbar angesehen hat; siehe Nr. 43. Ausnahmsweise gilt (Nr. 43 a.E.): "Kann dieser Anspruch oder dieses Recht im Einzelfall nicht gewahrt werden, so ist das Entscheidungsorgan selbstverständlich verpflichtet, angemessene Abhilfemaßnahmen zu treffen."
Das steht in diametralem Gegensatz zur vorgenannten Auffassung der Antragstellerin, eine nur theoretische Möglichkeit verschlechterter Kommunikation und Austauschmöglichkeit stelle bereits einen Verstoß gegen Artikel 113 (1) EPÜ dar. Damit ist dieses Vorbringen ohne Weiteres zurückzuweisen.
Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass es Sache der Beteiligten ist, die Kammer, insbesondere den Vorsitzenden, auf Schwierigkeiten des Mitverfolgens der mündlichen Verhandlung hinzuweisen, langsameren Vortrag oder Wiederholungen von Vortrag, Klarstellung, wer für wen spricht etc. zu beantragen. Mangels Stattgabe eines solchen Antrags kann der Beteiligte unter Vortrags konkreter Umstände die Vertagung der Videokonferenz zur Ermöglichung der Behebung von technischen Problemen bzw. die Umwandlung in eine Präsenzverhandlung beantragen. Wird ein derartiger Antrag aus seiner Sicht dann zu Unrecht abgelehnt, kommt die Einlegung des Rechtsbehelfs des Artikels 112a EPÜ wegen Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör aufgrund dieser konkreten Umstände in Betracht.
Im vorliegenden Fall hat die Antragstellerin aber keine derartigen konkreten Umstände behauptet, und für die Kammer sind auch keine ersichtlich.
Die Antragstellerin beruft sich in ihrem Schreiben vom 17. November 2023 auch auf einen Gehörsverstoß wegen Änderung der Ausübung des - der Kammer mangels Notstandssituation ohnehin nicht zustehenden - Ermessens betreffend die Durchführung der Verhandlung zunächst in Präsenz, dann als Videokonferenz und noch dazu ohne weiterführende Begründung, so dass eine Stellungnahme zur Änderung der Ermessensentscheidung nicht möglich gewesen sei. Das stelle Willkür dar.
Wie oben mehrfach ausgeführt, verletzt das Abhalten einer mündlichen Verhandlung als Videokonferenz gegen den Willen eines Beteiligten grundsätzlich das Recht auf rechtliches Gehör nicht. Im vorliegenden Fall hat die Antragstellerin zwar in der mündlichen Verhandlung vor der GBK geltend gemacht, es sei für sie schwierig gewesen, der Verhandlung zu folgen. Sie hat aber nicht behauptet, dass sie konkrete Mängel der Verhandlung während derselben gerügt hätte. Die förmliche Rüge nach Regel 106 EPÜ bezog sich auf die abstrakten Mängel der Durchführung der mündlichen Verhandlung.
Damit kommt eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör wegen der Durchführung der mündlichen Verhandlung als Videokonferenz nach den oben wiedergegebenen Grundsätzen von G 1/21 vorliegend nicht in Betracht.
Folglich kann es nicht darauf ankommen, ob die Entscheidungsfindung betreffend die Art der Durchführung der Verhandlung - in Präsenz oder per Videokonferenz - , also die Ermessensausübung gemäß Artikel 15a VOBK, mit Artikel 113 (1) EPÜ vereinbar war. Im Einzelnen stellt sich daher weder die Frage, ob
- das Ermessen vorliegend korrekt ausgeübt wurde,
- die Ermessenserwägungen in Fällen wie dem vorliegenden überhaupt und sogar stets offenzulegen sind oder
- das Ergebnis von Ermessensentscheidungen ohne Weiteres revidiert und ins Gegenteil verkehrt werden darf,
- der Antragstellerin Gelegenheit zur Stellungnahme zur Ermessensausübung oder jedenfalls deren Änderung mit gegenteiligem Ergebnis hätte gegeben werden müssen.
Anders als unten, bei der Frage der Zulassung neuen Vorbringens (Abschnitt 3.2.4), kann es demnach nicht darauf ankommen, ob die Ausübung des Ermessens offensichtlich unrichtig war. Denn anders als im Falle der Ermessensausübung beim Thema Zulassung, die zu einer rechtswidrigen Nicht-Zulassung führen kann, kann eine unzutreffende Ermessensausübung zugunsten der Durchführung einer mündlichen Verhandlung als Videokonferenz mangels Einfluss auf das Recht auf rechtliches Gehör keinen Verstoß gegen dieses Recht begründen, wenn - wie hier - ein konkreter praktischer Mangel weder behauptet noch ersichtlich ist.
Nach Alledem geht der Vorwurf der Willkür im Zusammenhang mit der Ermessensausübung offenkundig ins Leere.
Die Beteiligten wurden im Übrigen zur Frage der Durchführung der mündlichen Verhandlung als Videokonferenz gehört, so dass auch insofern kein Gehörsverstoß vorliegt. Die Antragstellerin hat sich hierauf auch nicht berufen.
3.2.2 Verstoß gegen Artikel 113 EPÜ infolge der Zulassung des umfangreichen, vorher nicht näher spezifizierten Sach- und Rechtsvortrags einer nicht zugelassenen Vertreterin mit Fokus auf überwiegend rechtliche Aspekte (Nr. 4b) des Überprüfungsantrags)
[Es folgt ein Auszug aus der Mitteilung.]
Vorbringen der Antragstellerin
Die Zulassung des Vortrags des "Nichtverfahrensvertreters", d.h. der nicht zugelassenen Vertreterin als Begleitperson, stelle einen Verstoß gegen Artikel 113 EPÜ dar. Dieser von der Beschwerdekammer zugelassene Vortrag stehe insbesondere nicht in Übereinstimmung mit der Entscheidung der GBK im Fall G 4/95 (ABl. EPA 7/1996, 412), da es sich um einen umfangreichen, vorher nicht näher spezifizierten Sach- und vor allem Rechtsvortrag zu dem gesamten Einspruchsgrund von Artikel 100c) i.V.m. Artikel 123(2) EPÜ gehandelt habe, welcher folglich zugelassenen Vertretern vorbehalten sei, und gerade nicht um mündliche Ausführungen zu konkreten rechtlichen und technischen Fragen wie im Fall G 4/95.
Im Unterschied zum Fall G 4/95 habe sich der Vortrag der nicht zugelassenen Vertreterin immenser Länge im vorliegenden Fall ganz überwiegend auf einen komplexen rechtlichen Sachverhalt bezogen, ohne dass vorab der Inhalt mitgeteilt worden wäre. Vielmehr finde sich in der schriftlichen Vorankündigung der Einsprechenden nur der vage Hinweis, wonach die Begleitperson während der mündlichen Verhandlung Ausführungen zum Einspruchsgrund nach Artikel 100c) EPÜ vorbringen solle. Dies sei für eine entsprechende Vorbereitung durch die Vertreter der Patentinhaberin keine ausreichende Auskunft gewesen, sodass in der Zulassung dieses Vortrags ein Verstoß gegen Artikel 113 EPÜ zu sehen sei.
In ihrem Vortrag zum entsprechenden ... Verfahrensmangel nach Art. 112a (2) d) EPÜ betont die Antragstellerin, der rechtlich komplexe Vortrag sei den rechtlich hierfür geschulten zugelassenen Vertretern vorbehalten. Nur zugelassene Vertreter und vertretungsberechtigte Rechtsanwälte dürften nach dem EPÜ Dritte vertreten. Folglich würde dieses Vertretererfordernis in ungebührlicher Weise umgangen, wenn man es - wie im vorliegenden Fall geschehen - zulassen wollte, einen derartigen Vortrag durch rechtlich nicht geschulte Personen, d. h. nicht zugelassene Vertreter bzw. nichtvertretungsberechtigte Dritte, vortragen zu lassen. In G 4/95 werde darauf abgestellt, dass es gerade die Kernfunktion des Vertreters im Sinne von Artikel 133 EPÜ darstelle und von ihm folglich zu erwarten sei, dass er in der mündlichen Verhandlung den vollständigen Fall vorzutragen imstande sei und er für den gesamten Vortrag des Beteiligten verantwortlich sei.
Im Übrigen sei im Rahmen der mündlichen Verhandlung überhaupt nicht ersichtlich gewesen, ob und bejahendenfalls unter wessen konkreter Aufsicht der Vortrag der nicht zugelassenen Vertreterin überhaupt erfolgt sei, da diese ihren Vortrag wie eine zugelassene Vertreterin präsentiert habe und nicht wie eine Begleitperson unter Aufsicht eines zugelassenen Vertreters.
Die zu überprüfende Entscheidung
Dort wird die Zulassung des Vortrags u.a. wie folgt begründet:
2.2 Im vorliegenden Fall handelt es sich um mündliche Ausführungen zu der konkreten Frage, ob der in den vorliegenden Anträgen (Anspruchssätzen) beanspruchte Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in ihrer ursprünglichen Fassung hinausgeht (Artikel 100 c) bzw. 123(2) EPÜ). Der entsprechende Vortrag wurde unter Angabe des Namens und der Qualifikation der Begleitperson fünf Wochen vor dem zuerst vorgesehenen Verhandlungstermin von der zugelassenen Vertreterin der Beschwerdegegnerin angekündigt, mit dem Hinweis, dass dieser Vortrag unter ihrer Aufsicht erfolgen würde. Unmittelbar nach der Bekanntgabe des geänderten neuen Verhandlungstermins teilte die Beschwerdegegnerin mit, dass sie ihren Antrag, den Vortrag der Begleitperson zuzulassen, nach wie vor aufrechterhalte (s.o. Punkt XV. und XVI.).
2.3 Dementsprechend sind die in der Entscheidungsformel der G 4/95 definierten Kriterien i), ii) und iv) erfüllt. Der dem Kriterium gemäß Punkt iii) zugrundeliegende Fall (Beantragung erst kurz vor oder während der mündlichen Verhandlung) ist vorliegend nicht gegeben.
Bewertung
Die GBK vermag in den Darlegungen der Antragstellerin und auch unabhängig davon keinen Verstoß gegen ihr Recht auf rechtliches Gehör darin erkennen, dass die Beschwerdekammer den Vortrag der Person in der mündlichen Verhandlung zugelassen hat.
Nach Artikel 113 (1) EPÜ dürfen Entscheidungen des EPA nur auf Gründe gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten. Das in dieser Vorschrift verankerte Recht auf rechtliches Gehör soll sicherstellen, dass kein Beteiligter in einer gegen seinen Antrag gerichteten Entscheidung durch Gründe und Beweismittel, zu denen er sich nicht äußern konnte, überrascht wird (R 2/14).
Im mehrseitigen Verfahren spiegelt Artikel 113 (1) EPÜ den Grundsatz wider, dass jeder Verfahrensbeteiligte ausreichend Gelegenheit haben muss, zum Vorbringen einer Gegenpartei Stellung zu nehmen. Das hat die GBK im Fall G 4/95, amtliche deutsche Übersetzung des englischen Originaltextes) für die vorliegende Thematik näher erläutert. Die diesbezüglich maßgebliche Passage findet sich in der Antwort zu Frage 3b, welche nachstehend auszugsweise wörtlich wiedergegeben wird (mit Hervorhebungen durch die GBK).
Frage 3 b: Welche Kriterien gelten für die Ausübung des Ermessens durch das EPA?
10. Nach einem allgemein anerkannten Grundsatz des Verfahrensrechts muß im mehrseitigen Verfahren jeder Verfahrensbeteiligte ausreichend Gelegenheit haben, zum Vorbringen einer Gegenpartei Stellung zu nehmen. Dieser Grundsatz kommt in Artikel 113 (1) EPÜ zum Ausdruck, wo betont wird, daß ein Beteiligter von den Gründen oder Beweismitteln, auf die eine ihn beschwerende Entscheidung gestützt wird, nicht überrumpelt werden darf.
Wendet man diesen Grundsatz auf die Durchführung von Einspruchs- und Einspruchsbeschwerdeverfahren an, so muß gewährleistet sein, daß ein Beteiligter in der mündlichen Verhandlung keine mündlichen Ausführungen macht, die eine Gegenpartei überrumpeln könnten und auf die sie nicht vorbereitet ist. Wünscht ein Beteiligter in einer mündlichen Verhandlung vor einer Einspruchsabteilung oder einer Beschwerdekammer, daß über den umfassenden Vortrag seines Falls durch seinen zugelassenen Vertreter hinaus in seinem Namen mündliche Ausführungen durch eine Begleitperson gemacht werden, so muß dennoch der zugelassene Vertreter rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung beantragen, daß diese mündlichen Ausführungen gemacht werden dürfen. Bei der Antragstellung muß der zugelassene Vertreter den Namen und die Qualifikation der Person angeben, der zusätzliche mündliche Ausführungen gestattet werden sollen, und den Gegenstand nennen, zu dem sich diese Person äußern möchte.
Dieser Antrag muß gestellt werden, sobald der Beteiligte beschlossen hat, daß in der mündlichen Verhandlung solche mündlichen Ausführungen gemacht werden sollen. In jedem Fall muß er so rechtzeitig vor dem Tag gestellt werden, auf den die mündliche Verhandlung anberaumt ist (oder anberaumt werden soll), daß sich alle Gegenparteien auf die beabsichtigten mündlichen Ausführungen angemessen vorbereiten können.
Die Antragstellerin trägt vor, in der schriftlichen Vorankündigung der Einsprechenden finde sich nur der vage Hinweis, wonach die Begleitperson während der mündlichen Verhandlung Ausführungen zum Einspruchsgrund nach Artikel 100c) EPÜ vorbringen solle. Dies sei für eine entsprechende Vorbereitung durch die Vertreter der Patentinhaberin keine ausreichende Auskunft gewesen, sodass in der Zulassung dieses Vortrags ein Verstoß gegen Artikel 113 EPÜ zu sehen sei.
Nach Auffassung der GBK kann die Frage, ob in der Vorankündigung der Einsprechenden der "Gegenstand" benannt wird, zu der sich die Begleitperson in der mündlichen Verhandlung äußern können sollte (G 4/95, Nr. 10, Ende des 2. Absatzes), hier offen bleiben. Gleiches gilt folglich für die Frage, ob sich die Vertreter der Patentinhaberin auf den "Gegenstand" angemessen vorbereiten konnten (ebenda, 3. Absatz).
Denn die GBK hat in G 4/95 die Voraussetzung der Benennung des Gegenstands aus dem allgemeinen Grundsatz in Absatz 1 von Nr. 10 ihrer Entscheidung hergeleitet, wonach nach "einem allgemein anerkannten Grundsatz des Verfahrensrechts ... im mehrseitigen Verfahren jeder Verfahrensbeteiligte ausreichend Gelegenheit haben [muss], zum Vorbringen einer Gegenpartei Stellung zu nehmen."
Die Antragstellerin hat aber keinen einzigen konkreten Punkt des Vorbringens der Begleitperson in der mündlichen Verhandlung genannt, zu welchem sie mangels klarer Benennung rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung des Gegenstands des von der nicht zugelassenen Vertreterin in der Verhandlung vorgenommenen Vortrags zu komplexen rechtlichen Fragen sich nicht hätte ausreichend äußern können. Vielmehr beanstandet die Antragstellerin einen abstrakten Verstoß gegen die in G 4/95 aufgestellten Voraussetzungen für die Zulassung von Vorbringen der Begleitperson. Auf die Frage, ob ein solcher abstrakter Verstoß vorliegt, kann es bei der Prüfung eines Verstoßes gegen des Rechts auf rechtliches Gehör aber nicht ankommen. Denn letzteres Recht bezieht sich auf die Möglichkeit, auf den Inhalt konkreter Äußerungen angemessen reagieren zu können, nicht auf das Recht, diesen Inhalt durch eine zum umfassenden Vortrag, auch zu komplexen rechtlichen Fragen, berechtigte und von einem zugelassenen Vertreter hierbei beaufsichtigte Begleitperson präsentiert zu bekommen.
Nach alledem ist es bereits fraglich, ob der Überprüfungsantrag hinsichtlich dieses geltend gemachten Verfahrensmangels überhaupt zulässig ist. Zwar hat die Antragstellerin die Zulassung des Vortrags der Begleitperson in der mündlichen Verhandlung gerügt. Sie hat aber - wie soeben ausgeführt - nicht erklärt, worin denn der Gehörsverstoß liegen solle, d.h. auf welches konkrete Vorbringen sie mangels klarer Bezeichnung des Gegenstands des Vorbringens rechtzeitig vor der Verhandlung in derselben nicht habe angemessen reagieren können. Damit hat die Antragstellerin die Kammer nicht in die Lage versetzt, entsprechendes Vorbringen zu erkennen und die Rechtmäßigkeit der Zulassung des Vortrags hierzu zu überprüfen und ggf. zu unterbinden. Die Rügepflicht nach Regel 106 EPÜ soll aber gerade sicherstellen, dass eine Kammer Fehler vor Ergehen einer endgültigen Entscheidung korrigieren kann (oben 2.4). Siehe hierzu R 10/11, 3.1 und 5. Die Zulässigkeit des Antrags betreffend diesen geltend gemachten Verfahrensmangel wurde vorliegend daher lediglich zugunsten der Antragstellerin unterstellt. Er ist jedenfalls insoweit offensichtlich nicht begründet.
[Ende des Auszugs aus der Mitteilung]
In der Antwort vom 17. November 2023 auf die Mitteilung vertrat die Antragstellerin die Auffassung, es komme nicht darauf an, dass die Antragstellerin keinen einzigen konkreten Punkt des Vorbringens der Begleitperson in der mündlichen Verhandlung benannt habe, zu welchem sie
sich mangels klarer Benennung rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung hätte
ausreichend äußern können. G 4/95 verlange, dass ein solcher Vortrag durch einen "Nichtverfahrensvertreter" bzw. durch eine Begleitperson zuvor auch seinem Inhalt nach
angekündigt werde, damit sich alle Gegenparteien auf die beabsichtigten
mündlichen Ausführungen angemessen vorbereiten könnten. Hieran habe es im konkreten Fall gefehlt.
Die GBK hält ungeachtet dieser Ausführungen an ihrer vorläufigen Meinung zu diesem Punkt in vollem Umfang fest. Dabei sei betont, dass die GBK ihre Entscheidung zur Zulassung von Ausführungen einer Begleitperson im Fall G 4/95 (unter Nr. 10) auf Artikel 113 (1) gestützt hat, der nach ihrer Auffassung besagt, dass "ein Beteiligter von den Gründen oder Beweismitteln, auf die eine ihn beschwerende Entscheidung gestützt wird, nicht überrumpelt ("not be taken by surprise" im englischen Original) werden darf." Mit anderen Worten soll die prozessuale Waffengleichheit zwischen den einander gegenüberstehenden Beteiligten gewährleistet werden.
Demgegenüber müssen zugelassene Vertreter ihre für die mündliche Verhandlung beabsichtigten Ausführungen nicht vorab kundtun.
Daraus folgt, dass G 4/95 auf den Fall abzielt, dass eine Begleitperson in Bezug auf den Fall über besondere Kenntnisse oder Erfahrungen verfügt und auf deren Grundlage zu dem Fall in der mündlichen Verhandlung vortragen will. G 4/95 will verhindern, dass ein Beteiligter durch Hinzuziehen einer derartigen Begleitperson Vorteile gegenüber den gegnerischen Beteiligten erhält, die über derartige Kenntnisse oder Erfahrungen nicht verfügen, daher in der mündlichen Verhandlung ad hoc nicht auf derartigen Vortrag adäquat reagieren können. Für Begleitpersonen ohne derartige Kenntnisse oder Erfahrungen wäre eine Ankündigung deren Teilnahme und des Themas, zu dem sie vortragen sollen, demnach nicht erforderlich. G 4/95 will also die Waffengleichheit vorsorglich sicherstellen, auch wenn diese in Einzelfällen ohne eine derartige Ankündigung gegeben wäre, da nicht beabsichtigt ist, dass der Vortrag der Begleitperson inhaltlich über den von einem zugelassen Vertreter zu erwartenden Vortrag hinausgeht.
Vorliegend hat die Antragstellerin keinerlei konkreten Ausführungen der Begleitperson, einer Patentanwaltskandidatin, angeführt, zu denen sie sich nicht während der mündlichen Verhandlung hätte adäquat äußern können. Sie hat m.a.W. keine konkrete "Überrumpelung" behauptet. Damit kann wegen des von ihr behaupteten lediglich "vagen" Hinweises in der Vorankündigung auf beabsichtigte Ausführungen zum Einspruchsgrund des Artikels 100c) EPÜ, zu dem die Begleitperson dann vollumfassend vorgetragen habe, kein Verstoß gegen das Recht auf rechtliches Gehör vorliegen. Die mangelnde Möglichkeit der Vorbereitung auf die Ausführungen der Begleitperson im Einzelnen ist damit - ebenso wie bei einem zugelassenen Vertreter - unbeachtlich. Gleiches gilt für das Vorbringen der Antragstellerin der mündliche Verhandlung, sie hätte bei Kenntnis des Inhalts des Vortrags diesbezüglich recherchiert. Auf die zweifelhafte Begründung hierfür, der Vortrag eines zugelassenen Vertreters habe "Hand und Fuß", bei Begleitpersonen aber müsse Alles hinterfragt werden, braucht daher nicht näher eingegangen zu werden.
Im Grunde beanstandet die Antragstellerin die abstrakte Verletzung der Voraussetzungen von G 4/95, die aber - soweit das Recht auf rechtliches Gehör nicht berührt ist - nicht Gegenstand des Überprüfungsverfahrens nach Artikel 112a (2) c) EPÜ ist: "Wo kommen wir hin, wenn Dritte [ausführlich] vortragen?" (so die Äußerung in der mündlichen Verhandlung). Eine etwaige Nichtbeachtung der Grundsätze von G 4/95 durch mangelnde Konkretheit des angekündigten Themas (Art. 100c) EPÜ), zu dem die Begleitperson vortragen wolle, und ihr späterer ausführlicher Vortrag in der mündlichen Verhandlung sind im Rahmen der vorliegenden Prüfung unbeachtlich.
3.2.3 Verstoß gegen Artikel 113 EPÜ infolge der überraschend kurzfristigen Umbesetzung der zuständigen Beschwerdekammer unmittelbar vor Verhandlung und die äußerst kurzfristige diesbezügliche Mitteilung an die Verfahrensbeteiligten ohne weitergehende Begründung und ohne Stellungnahmemöglichkeit seitens der Parteien (Nr. 4c) des Überprüfungsantrags)
[Es folgt ein Auszug aus der Mitteilung.]
Vorbringen der Antragstellerin zu Nr. 4c (d.h. zu Artikel 112a (2) c) EPÜ)
Erst am 8. Februar 2022, dem Tag der mündlichen Verhandlung, und informell per E-Mail am Vortag, sei der Hinweis ergangen, dass sich die ursprünglich mitgeteilte Besetzung der Kammer geändert habe. Gründe seien nicht angegeben worden, eine Möglichkeit der Äußerung bzw. Stellungnahme seitens der Verfahrensbeteiligten habe nicht bestanden. Eine Begründung sei auch in der mündlichen Verhandlung, der Entscheidung und im entsprechenden Protokoll nicht gegeben worden.
Dies stelle nicht nur einen schwerwiegenden Verfahrensmangel (im Sinne von Artikel 112a (2) d) EPÜ), sondern darüber hinaus auch einen Verstoß gegen Artikel 113 EPÜ dar. Die intransparente und insbesondere weder begründete noch zeitlich konkretisierte Umbesetzung der zuständigen Beschwerdekammer mit Ankündigung erst unmittelbar vor der mündlichen Verhandlung sei daher für die Patentinhaberin bzw. deren Vertreter vollkommen überraschend und nicht nachvollziehbar gewesen.
Vor allem habe in der Kürze der Zeit auch nicht geprüft werden können, ob ein möglicher Ausschließungs- oder Ablehnungsgrund im Sinne von Artikel 24 EPÜ vorliegen könnte. Bereits aus diesem Grund sei ein Verstoß gegen Artikel 113 EPÜ gegeben.
Ein weiterer Verstoß gegen Artikel 113 EPÜ liege im folgenden Aspekt:
Die Beschwerdekammer habe den Einwand der Vertreter der Patentinhaberin in der zu überprüfenden Entscheidung damit zurückgewiesen, dass aus dem Vortrag der Beschwerdeführerin nicht ersichtlich sein solle, weshalb eine angemessene Vorbereitung der mündlichen Verhandlung durch die Kammer in der neuen Besetzung nicht hätte möglich sein sollen; insbesondere solle der Zeitpunkt der Bekanntgabe der Umbesetzung (auf den die Beschwerdeführerin ihren Einwand gestützt habe) für die zur Verfügung stehende Vorbereitungszeit nicht entscheidend sein.
Wenn dies zutreffend sein sollte, hätte - aus Gründen der Nachvollziehbarkeit und Verfahrenstransparenz - den Verfahrensbeteiligten zumindest mitgeteilt werden müssen, seit wann die angekündigte Umbesetzung denn bekannt gewesen sei und stattgefunden habe. Allein schon die Tatsache, dass eine derartige Aufklärung nicht erfolgt sei, habe der Patentinhaberin jedwede Äußerungsmöglichkeit genommen. Auch infolgedessen liege ein Verstoß gegen Artikel 113 EPÜ vor.
Aus dem Vorbringen der Antragstellerin zu Nr. 3c (d.h. zu Artikel 112a (2) d) EPÜ)
Die kurzfristige Umbesetzung sei seitens der Vertreter der Patentinhaberin im Rahmen der mündlichen Verhandlung ausdrücklich im Sinne von Regel 106 EPÜ gerügt worden (vgl. Entscheidung, dort insbesondere Nr. XXI. auf Seite 13, zweiter Absatz, sowie Nr. 6.8 auf Seite 33), insbesondere im Hinblick darauf, dass in der neuen Besetzung keine ausreichende Vorbereitungszeit für die Verhandlung zur Verfügung gestanden haben könne, insbesondere angesichts des komplexen Sachverhalts und des Aktenumfangs im Hinblick auf das mehrjährige Verfahren.
Die zu überprüfende Entscheidung
Dort heißt es:
6.8 Auch der Wechsel in der Besetzung der Kammer (s.o. Punkt XIX.) konnte keine Vertagung rechtfertigen. Aus dem Vortrag der Beschwerdeführerin war nicht ersichtlich, weshalb eine angemessene Vorbereitung der mündlichen Verhandlung durch die Kammer in der neuen Besetzung nicht hätte möglich sein sollen. Insbesondere ist der Zeitpunkt der Bekanntgabe der Umbesetzung (auf den die Beschwerdeführerin ihren Einwand gestützt hat) für die zur Verfügung stehende Vorbereitungszeit nicht entscheidend.
Bewertung
Nach Verständnis der GBK beanstandet die Antragstellerin mit dem unter Nr. 4c geltend gemachten Verfahrensmangel, dass die kurzfristige Ersetzung des juristischen Mitglieds im vorliegenden Fall unter den folgenden Aspekten ihr Recht auf rechtliches Gehör verletze:
a) "vor allem" mangels Möglichkeit, das Vorliegen der Voraussetzungen von Artikel 24 EPÜ im Hinblick auf das neue Mitglied zu untersuchen,
b) wegen fehlender ausreichender Vorbereitungsmöglichkeit des umfangreichen Falles für das neue Mitglied,
c) wegen fehlender Möglichkeit der Stellungnahme der Antragstellerin zu dessen kurzfristiger Ersetzung vor der mündlichen Verhandlung.
Die Ersetzung von Mitgliedern ist in Artikel 2 VOBK geregelt. Dessen Absatz 1 bestimmt:
Ein Mitglied oder der Vorsitzende im jeweiligen Beschwerdeverfahren ist zu ersetzen, wenn dieses Mitglied oder der Vorsitzende an der Mitwirkung verhindert ist, insbesondere infolge von Krankheit, Arbeitsüberlastung oder unvermeidbaren Verpflichtungen.
Zu a) fehlende Überprüfungsmöglichkeit, ob ein Ausschließungs- oder Ablehnungsgrund im Sinne von Artikel 24 EPÜ vorliegen könnte
Zunächst stimmt die GBK der Antragstellerin zu, dass das Recht auf rechtliches Gehör auch das Recht auf Auskünfte zur Wahrung ihres Rechts, gegebenenfalls das neue Kammermitglied nach Artikel 24 EPÜ abzulehnen, umfassen kann. ...
Das Vorbringen der Antragstellerin, sie hätte das Vorliegen der Voraussetzungen Artikel 24 EPÜ wegen der Kürze der Zeit nicht überprüfen können, geht allerdings ins Leere. Denn diese Überprüfung hätte sie in der mündlichen Verhandlung [im Falle eines Anlasses hierzu] durch Fragen zu der Thematik an das betroffene Kammermitglied nachholen können. Dass das geschehen wäre, hat die Antragstellerin selbst nicht behauptet, und eine entsprechende Debatte findet weder im Protokoll noch in der Entscheidung Erwähnung.
Darüber hinaus hat die Antragstellerin auch in ihrem Überprüfungsantrag auf keinen denkbaren Verstoß gegen Artikel 24 EPÜ hingewiesen, so dass die GBK auch keinen derartigen Sachvortrag auf einen denkbaren Gehörsverstoß überprüfen kann.
Damit ist der Überprüfungsantrag in diesem Punkt a) offensichtlich unbegründet.
Die vorstehenden Ausführungen werfen im Übrigen die Frage auf, ob die nach Regel 106 EPÜ erhobene Rüge der Zurückweisung des Antrags auf Vertagung der mündlichen Verhandlung diesen Punkt umfasst und damit der geltend gemachte Verfahrensmangel insoweit zulässig ist. Diese Rüge wurde mit der Durchführung der Verhandlung als Videokonferenz sowie damit begründet, dass die Kammer kurzfristig umbesetzt worden sei, so dass in der neuen Besetzung keine ausreichende Vorbereitungszeit für die Verhandlung zur Verfügung gestanden habe. Ein Grund für den Antrag auf Vertagung, wonach "vor allem" in der Kürze der Zeit nicht habe geprüft werden können, ob ein möglicher Ausschließungs- oder Ablehnungsgrund im Sinne von Artikel 24 EPÜ vorliegen könnte, wurde lt. Entscheidung und Protokoll nicht vorgebracht.
Entsprechend dem oben unter Nr. 3.2.2 a.E. Gesagten gilt: Die Antragstellerin hat die Kammer nicht in die Lage versetzt, den Einwand mangelnder Überprüfungsmöglichkeit nach Artikel 24 EPÜ zu erkennen und in der mündlichen Verhandlung zu untersuchen. Die Rügepflicht nach Regel 106 EPÜ soll aber gerade sicherstellen, dass eine Kammer Fehler vor Ergehen einer endgültigen Entscheidung korrigieren kann (oben 2.4). Siehe hierzu R 10/11, 3.1 und 5. Die Zulässigkeit des Antrags betreffend diesen Aspekt des geltend gemachten Verfahrensmangels wurde vorliegend daher lediglich zugunsten der Antragstellerin unterstellt.
Zu b) fehlende ausreichende Vorbereitungsmöglichkeit für das neue Mitglied
Als weiteren Einwand betreffend den unter Nr. 3.2.3 geltend gemachten Verfahrensmangel bringt die Antragstellerin vor, es sei für das eingewechselte Mitglied eine angemessene Vorbereitung der mündlichen Verhandlung aufgrund der Kürze der Zeit nicht möglich gewesen.
Aus dem Recht auf rechtliches Gehör folgt aber kein Recht eines Beteiligten auf einen Nachweis, dass ein Kammermitglied ausreichend vorbereitet ist, weder im Falle einer kurzfristigen Einwechslung noch generell.
Denn die Ausübung eines solchen Rechts würde gegen die Unabhängigkeit des betroffenen Beschwerdekammermitglieds verstoßen:
- Zunächst ist aus rechtlicher Sicht die Dauer der Mitgliedschaft in einer Kammer in einem konkreten Fall irrelevant. Denn auch ein Mitglied der ursprünglichen Kammerbesetzung kann in einem konkreten Fall theoretisch in der mündlichen Verhandlung unvorbereitet sein, und das bei Fällen, die bei der Kammer - wie hier - mehrere Jahre anhängig waren.
- Das Mitglied muss seine Pflichten nach eigenem Gutdünken erledigen können. Die Entscheidung selbst und der Entscheidungsprozess müssen von Einwirkungen anderer Amtsträger, d.h. praktisch: vom Vorsitzenden oder Präsidenten der Beschwerdekammern, frei bleiben. Weisungen eines anderen Amtsträgers betreffend die Vorbereitung auf eine mündliche Verhandlung an ein Kammermitglied wären eine verbotene Einwirkung auf den Entscheidungsprozess und würden damit gegen die Unabhängigkeit des Mitglieds verstoßen. Mangels Weisungsrechts gibt es auch kein Recht zur Überprüfung und damit zusammenhängend kein Auskunftsrecht eines anderen Amtsträgers im Hinblick auf die Vorbereitung.
- Das muss erst recht für ein entsprechendes Auskunftsrecht eines Beteiligten gelten. Das hierfür erforderliche Weisungsrecht gegenüber der Kammer kann einem Beteiligten ebenfalls erst recht nicht zustehen, denn es würde das Verhältnis von Kammer und Beteiligtem auf den Kopf stellen. Der Beteiligte ist der Rechtsprechung der Kammer und damit deren Anordnungen unterworfen, nicht umgekehrt.
Dieses Ergebnis könnte in einem Einzelfall unbefriedigend sein. Das ist aber hinzunehmen, da grundsätzlich, bis zum Nachweis des Gegenteils, von sachgerechtem Verhalten des Kammermitglieds auszugehen ist.
Die GBK in der vorliegenden Besetzung hält die folgende Passage aus R 5/19, Nr. II.4, für zutreffend:
... bis zum Beweis des Gegenteils in einem konkreten Fall [kann] davon ausgegangen werden ..., dass Mitglieder von Beschwerdekammern generell ihre Amtspflichten korrekt ausüben ... [Das wurde angenommen im Zusammenhang mit der Zurückverweisung einer Angelegenheit an die Kammer, deren Entscheidung aufgehoben wurde.]
Das bedeutet hier, dass grundsätzlich davon auszugehen ist, dass ein neu eingewechseltes Mitglied sich ausreichend mit dem Fall befassen wird, auch bei dem hier von der Antragstellerin geltend gemachten komplexen Sachverhalt und dem Aktenumfang eines mehrjährigen Verfahrens.
Weiter ist grundsätzlich anzunehmen, dass dieses Mitglied eine Vertagung oder den Wiedereintritt ins schriftliche Verfahren anregen wird, wenn es im Verlauf der Verhandlung Vorbereitungslücken erkennen sollte.
Im Übrigen kann das neue Mitglied - sofern es in der mündlichen Verhandlung der Meinung ist, nicht abschließend mitentscheiden zu können - darauf hinwirken, dass die Entscheidung nicht am Ende der Verhandlung verkündet wird. Sofern erforderlich, kann das neue Mitglied dann ebenfalls darauf hinwirken, dass die am Ende der mündlichen Verhandlung i.d.R. geschlossene Debatte wiedereröffnet und das Verfahren schriftlich fortgesetzt wird oder dass ggf. nochmals mündlich verhandelt wird.
Nach alledem waren die von der Antragstellerin beanstandeten Ausführungen der Kammer unter Nr. 6.8 der Entscheidung nicht erforderlich und ist deren Bewertung durch die GBK nicht veranlasst.
Damit ist der Überprüfungsantrag auch in diesem Punkt b) offensichtlich unbegründet.
Zu c) fehlende Möglichkeit zur Stellungnahme zur kurzfristigen Ersetzung vor der mündlichen Verhandlung
Die Ersetzungsmöglichkeit nach Artikel 2 (1) VOBK umfasst nach Auffassung der GBK auch die Möglichkeit einer kurzfristigen Ersetzung kurz vor der mündlichen Verhandlung, z.B. wegen Erkrankung. Andernfalls wäre eine Vertagung nötig, was zu einer dem öffentlichen Interesse widersprechenden Verfahrensverzögerung und des Weiteren zu Aufwand für die Beteiligten und die Kammer führen würde. Ebenfalls zur Vermeidung einer Verfahrensverzögerung besteht in einem solchen Fall keine Veranlassung zur Begründung der Ersetzung und zur Einräumung einer Möglichkeit zur Stellungnahme hierzu vor dem Termin der mündlichen Verhandlung.
Bedenken im Hinblick auf die Wahrung des Rechts auf rechtliches Gehör in einer solchen Situation bestehen nicht, da die Beteiligten eventuelle Einwände während der mündlichen Verhandlung vorbringen können. Das gilt vorliegend für die beiden unter (a) und (b) genannten Einwände, d.h. bezüglich Artikel 24 EPÜ und den Mangel ausreichender Vorbereitung, wobei letzterer generell gegenstandslos ist.
Der Überprüfungsantrag ist damit auch in diesem Punkt c) offensichtlich unbegründet.
[Ende des Auszugs aus der Mitteilung.]
Im Schreiben vom 17. November 2023 und in der mündlichen Verhandlung vor der GBK hat die Antragstellerin zu Punkten a) und b) oben (und knapp zu Punkt c)) ergänzende Ausführungen gemacht sowie - in der mündlichen Verhandlung vor der GBK - die kurzfristige Ersetzung des juristischen Mitglieds als Gehörsverstoß unter einem weiteren Gesichtspunkt, nämlich demjenigen eines Verstoßes gegen ein "Recht auf den gesetzlichen Richter" geltend gemacht. Dieses neue Vorbringen wird unten unmittelbar nach Punkt a) behandelt.
Die GBK hält ungeachtet dieser Ausführungen an ihrem vorläufig gefundenen Ergebnis zu dem vorliegenden Punkt der überraschend kurzfristigen Umbesetzung der Kammer fest, wonach die diesbezüglich geltend gemachten Verfahrensmängel allesamt offensichtlich unbegründet sind; das gilt auch für den neu geltend gemachten Verstoß gegen ein "Recht auf den gesetzlichen Richter".
Zu a) fehlende Überprüfungsmöglichkeit, ob ein Ausschließungs- oder Ablehnungsgrund im Sinne von Artikel 24 EPÜ vorliegen könnte.
Im Schreiben vom 17. November 2023 nimmt die Antragstellerin Bezug auf die Ausführungen der GBK in ihrer Mitteilung bezüglich der mangelnden Möglichkeit, das Vorliegen der Voraussetzung von Artikel 24 EPÜ im Hinblick auf das neue Mitglied zu untersuchen. Nach Auffassung der GBK hätte die Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung durch Fragen zu der Thematik an das betroffene Mitglied eine solche Überprüfung nachholen können.
Diese Auffassung der GBK ist nach Meinung der Antragstellerin in mehrfacher Hinsicht unzutreffend: Die GBK habe selbst (auf Seite 19 der Mitteilung, im oberen Teil) im Hinblick auf eine ausreichende Vorbereitungsmöglichkeit für das neue Mitglied ausgeführt, es gebe gerade kein Auskunftsrecht seitens eines Beteiligten gegenüber einem Kammermitglied. Wenn die GBK ihren eigenen Maßstab auch für die vorliegende Fragestellung anlege, hätte die Patentinhaberin und Antragstellerin überhaupt keine Berechtigung, dem betreffenden Beschwerdekammermitglied eine derartige Frage zu stellen. Insbesondere ergebe sich hieraus, dass keinerlei diesbezügliche Auskunftspflicht seitens des betreffenden Mitglieds bestanden habe.
Selbst aber, wenn - auf freiwilliger Basis - eine solche Auskunft erteilt worden wäre, wäre diese nicht objektiv nachprüfbar gewesen; hierzu hätte die Patentinhaberin eigene unabhängige Recherchen anstellen müssen, was jedoch in der Kürze der Zeit nicht möglich gewesen wäre.
Aus Sicht der GBK ist dieser Vortrag nicht überzeugend:
Das von der GBK in der Mitteilung abgelehnte Auskunftsrecht eines Beteiligten bezog sich auf die Vorbereitung eines Mitglieds auf die mündliche Verhandlung in einem konkreten Fall, also auf seine Art des Arbeitens. Ein solches Auskunftsrecht wäre mit seiner Unabhängigkeit nicht vereinbar.
Für die Frage des Vorliegens eines Ausschließungs- oder Ablehnungsgrundes gilt: Zur Vermeidung der Verzögerung von Verfahren muss es möglich sein, auch kurzfristig eine Kammer im Einklang mit Artikel 2 VOBK umzubesetzen. Ein Recht, stets im Vorfeld Erkundigungen über ein Mitglied aus allgemein zugänglichen Quellen einholen zu können, kann daher nicht anerkannt werden. Es reicht aus, dass den Beteiligten die Möglichkeit der Ablehnung eines Mitglieds nach Artikel 24 (3) EPÜ wegen eines Ausschließungsgrundes oder wegen Besorgnis der Befangenheit zusteht. Bei Bestehen entsprechender Anhaltspunkte können die Beteiligten dann auch Auskunft über Umstände erhalten, die geeignet sein können, eine Ablehnung zu begründen. Ausschließlich in diesem Sinne sind die Ausführungen in der Mitteilung zu verstehen, wonach eine Überprüfung der Voraussetzungen von Artikel 24 EPÜ in der mündlichen Verhandlung durch Fragen zu der Thematik an das betroffene Kammermitglied nachgeholt werden könnten.
Die Antragstellerin hat in der mündlichen Verhandlung vor der Technischen Beschwerdekammer lediglich die fehlende ausreichende Vorbereitungsmöglichkeit des neuen Mitglieds (oben b)) sowie die fehlende Möglichkeit zur Stellungnahme zur kurzfristigen Ersetzung vor dieser mündlichen Verhandlung (oben c)) gerügt. Die GBK hat daher in der Mitteilung bereits die Zulässigkeit des erstmals im Überprüfungsverfahren geltend gemachten Verfahrensmangels betreffend Artikel 24 EPÜ in Zweifel gezogen (oben, unter Buchst. a) a.E.). Jedenfalls ist der Überprüfungsantrag nach den obigen Ausführungen offensichtlich unbegründet.
Neues Vorbringen: Verstoß gegen "das Recht auf den gesetzlichen Richter"
In der mündlichen Verhandlung vor der GBK hat die Antragstellerin erstmals eine Verletzung ihres "Rechts auf den gesetzlichen Richter" durch die kurzfristige Ersetzung des juristischen Mitglieds geltend gemacht.
Diesbezüglich stellt sich zunächst die Frage der Zulassung dieses Vorbringens als verspätet nach Artikel 12 (1) VOGBK. Des Weiteren wäre zu prüfen, ob das Vorbringen mangels Rüge analog zur fehlenden Rüge betreffend die Thematik von Artikel 24 EPÜ unzulässig ist (oben unter Buchst. a) a.E.) und ob der geltend gemachte Verfahrensmangel das Recht auf rechtliches Gehör, analog zu den obigen Erwägungen zu Artikel 24 EPÜ, betreffen kann. Diese Fragen können offen bleiben, da die GBK das neue Vorbringen jedenfalls für offensichtlich unbegründet hält.
Ein "Recht auf den gesetzlichen Richter" ist im EPÜ und den dieses ergänzenden Vorschriften, insbesondere diejenigen der VOBK, nicht geregelt. Allerdings ist das geforderte "Mindestmaß an unverfügbarer gerichtlicher Zuständigkeitsordnung" (wie vom deutschen Bundesverfassungsgericht verlangt, siehe den Beschluss des Zweiten Senats vom 8. November 2022, 2 BvR 2480/10, 2 BvR 421/13, 2 BvR 756/16, 2 BvR 786/15, 2 BvR 561/18 - EPA, Rnr. 135) für Verfahren vor den Beschwerdekammern des EPA sichergestellt. Denn die Besetzung einer Beschwerdekammer wird im Voraus durch einen jährlich aktualisierten Geschäftsverteilungsplan geregelt, und Verfahrensbestimmungen zur Kammerbesetzung im Einzelfall finden sich in Artikel 1 und 2 der VOBK.
Der - oben wiedergegebene - Artikel 2 VOBK regelt Ausnahmen vom Geschäftsverteilungsplan, nämlich die Ersetzung von Mitgliedern bei Verhinderung an der Mitwirkung, z.B. bei Erkrankung. Ähnlich wie im Fall des geltend gemachten Informationsrechts betreffend Artikel 24 EPÜ hat die Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer ein Recht auf den gesetzlichen Richter nicht geltend gemacht und daher die Kammer nicht veranlasst, hierzu Auskunft zu geben. Sie hat explizit lediglich die Kurzfristigkeit der Umbesetzung und die damit angeblich verbundene zu knappe Vorbereitungszeit für das neue Mitglied sowie das Fehlen einer Möglichkeit zur Stellungnahme zur Ersetzung vor der mündlichen Verhandlung beanstandet. (Dass die letztgenannte Beanstandung nicht durchgreift, ist oben unter Buchstabe c) erläutert.)
Das Nichtvorliegen einer Ausnahme nach Artikel 2 VOBK hat die Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung nicht geltend gemacht.
Daher ist dieser neue geltend gemachte Gehörsverstoß durch Verletzung eines Rechts auf den gesetzlichen Richter als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen.
Zu b) fehlende, ausreichende und angemessene Vorbereitungsmöglichkeit für das neue
Mitglied aufgrund des umfangreichen und komplexen Sachverhalts
In ihrem Schreiben vom 17. November 2023 bezog sich die Antragstellerin auf die Mitteilung der GBK, wonach bis zum Beweis des Gegenteils davon ausgegangen werden könne, dass Mitglieder von Beschwerdekammern generell ihre Amtspflichten korrekt ausübten. In der hierfür von der GBK angeführten Entscheidung R 5/19 sei das im Zusammenhang mit der Zurückverweisung einer Angelegenheit an die Kammer angenommen worden, deren Entscheidung aufgehoben worden sei.
Dieser pauschale Hinweis der GBK sei so allgemein, dass daraus folgen müsste, dass in den Verfahren vor dem EPA überhaupt keine Rechtsmittel erforderlich sein müssten, da sämtliche Entscheidungen durch die betreffenden Amtsträger stets in korrekter Weise erfolgten, da alle Amtsträger ihre Amtspflichten korrekt ausübten. Diese überspitzte wie gleichermaßen absurde Betrachtung zeige, dass ein solches "Totschlag-Argument" nicht ausreichend sei, um den Verstoß gegen Artikel 113 EPÜ im vorliegenden Fall auszuräumen.
Die GBK hält die hier allein relevante Annahme, die sie als vom Vorbringen der Antragstellerin umfasst ansieht, wonach eine grundsätzlich unterstellte korrekte Ausübung der Amtspflichten durch die Mitglieder der Beschwerdekammern bedeute, dass kein Rechtsbehelf nach Artikel 112a EPÜ gegen Entscheidungen der Kammern nötig wäre, nicht für überzeugend. Das zeigt gerade die von der Antragstellerin zitierte Entscheidung R 5/19, in der diese Annahme (unter Nr. II.4) ausgesprochen wurde, und in der - wie die Antragstellerin selber vorträgt - die GBK die Entscheidung der Kammer aufgehoben hat. Die Annahme wurde gemacht im Zusammenhang mit dem Antrag, bei Aufhebung der Entscheidung die Angelegenheit an eine andere Beschwerdekammer zurückverweisen. Dieser Antrag wurde u.a. mit der vorgenannten Begründung abgelehnt.
Das bedeutet für die von der GBK angenommene korrekte Ausübung der Amtspflichten, dass sich die Mitglieder einer Beschwerdekammer darum bemühen, Entscheidungen auf ausreichend geklärter tatsächlicher Grundlage rechtlich zutreffend zu treffen. Die GBK mag im Einzelfall der Auffassung sein, dass dennoch ein Verstoß gegen Artikel 112a EPÜ vorliegt, insbesondere gegen dessen Absatz 2c) i.V.m. Artikel 113 (1) EPÜ, und die betreffende Entscheidung daher aufzuheben ist. Ein derartiger Rechtsfehler wird aber erfahrungsgemäß überwiegend nicht mit einer inkorrekten Ausübung der Amtspflichten gleichzusetzen sein, sondern Folge einer abweichenden Bewertung von Tatsachen oder Auslegung von Rechtsvorschriften sein. Die korrekte Ausübung der Amtspflichten bedeutet nicht, stets richtige Entscheidungen zu treffen, sondern lediglich, sich darum nach Kräften zu bemühen.
Die GBK bekräftigt daher ihre vorläufige Auffassung, wonach bis zum Beweis des Gegenteils anzunehmen ist, dass ein kurz vor der mündlichen Verhandlung neu bestimmtes Kammermitglied seine Amtspflichten korrekt ausübt; siehe hierzu die Erwägungen oben (unter Buchstabe b) aus der Mitteilung) zu den Möglichkeiten eines solchen Mitglieds, dieser Situation gerecht zu werden. Ergänzend sei ausgeführt, dass die Angemessenheit der Vorbereitungszeit - hier für das juristische Mitglied - selbst bei umfangreichen und komplexen technischen Sachverhalten - deren Vorliegen hier geltend gemacht wurde - von vielen Faktoren abhängt, insbesondere auch von der konkreten, auf Vorbildung und Erfahrung des Mitglieds beruhenden Sachkunde. Eine Pflicht für das Mitglied, hierzu den Beteiligten gegenüber Auskunft zu geben, würde seiner Unabhängigkeit zuwiderlaufen.
3.2.4 Verstoß gegen Artikel 113 EPÜ infolge der Nichtzulassung von Hilfsantrag XIII (Nr. 4d) des Überprüfungsantrags)
[Es folgt ein Auszug aus der Mitteilung.]
Vorbringen der Antragstellerin
Durch die Nichtzulassung von Hilfsantrag XIII (eingereicht nach Ergehen der Mitteilung der Kammer gemäß Artikel 15 (1) VOBK) sei der Patentinhaberin die Möglichkeit genommen worden, auf die erstmals mit vorläufiger Stellungnahme durch die zuständige Beschwerdekammer vom 8. Oktober 2021 geäußerten Bedenken in adäquater Weise zu reagieren, zumal bezüglich der
Bewertung von Hilfsantrag XII (Hilfsantrag II im Verfahren vor der Einspruchsabteilung) eine diametral entgegengesetzte vorläufige Auffassung der Beschwerdekammer zur erstinstanzlichen Beurteilung vorlag (d. h. also mit anderen Worten Einwände, welche bislang nicht Teil der angefochtenen Entscheidung der Einspruchsabteilung gewesen waren) und zumal die diesbezüglichen Erwägungen der Beschwerdekammer in dieser konkreten Weise bislang auch noch nicht von der Einsprechenden vorgebracht gewesen seien.
Die Patentinhaberin habe mit Schriftsatz vom 12. November 2021 eingehend und im Detail begründen können, dass der neue Hilfsantrag XIII prima facie zulässig sei, insbesondere die Erfordernisse von Artikel 12 Absatz 4 VOBK erfülle und zum frühestmöglichen Verfahrenszeitpunkt in unmittelbarer Reaktion auf die Beschwerdekammermitteilung vom 8. Oktober 2021
eingereicht worden sei.
Im Zusammenhang mit dem - als solchen unzulässigen Verfahrensmangel nach Art. 112a (2) d) EPÜ - hat die Antragstellerin die Argumentation im Schriftsatz vom 12. November 2021 zusammengefasst. Dabei hat sie u.a. vorgetragen, die diesbezüglichen Änderungen seien insgesamt nicht komplex, da sie auf ein konkretes Ausführungsbeispiel konkretisiert seien und auf dieser Basis auch keine neuen Tatsachen bzw. keine neuen Sachverhalte vorlägen und auch keine neuen Fragen aufgeworfen würden. Insbesondere beziehe sich Hilfsantrag XIII auf eine konkrete Ausführungsform, welche unmittelbarer Bestandteil des streitpatentgemäßen Gegenstands sei. Hilfsantrag XIII besitze auch die erforderliche Eignung zur Lösung der aufgeworfenen Fragen und biete keinen Anlass zu neuen Einwänden. Seine Zulassung sei der Verfahrensökonomie nicht abträglich. Folglich lägen stichhaltige Gründe und außergewöhnliche Umstände vor, welche die Einreichung zum damaligen Zeitpunkt gerechtfertigt hätten.
Als Schlussfolgerung vertrat die Antragstellerin die Auffassung, die Beschwerdekammer hätte keinen Ermessensspielraum gehabt, die Zulassung von Hilfsantrag XIII abzulehnen, bzw. habe zumindest ihr diesbezügliches Ermessen in grob verfahrensfehlerhafter Weise ausgeübt.
Die zu überprüfende Entscheidung
Dort heißt es wörtlich:
5.4 Laut der Beschwerdeführerin war der Inhalt dieser Mitteilung [der Kammer nach Artikel 15 (1) VOBK] für sie überraschend. Daher sei, aufgrund von außergewöhnlichen Umständen, Hilfsantrag XIII als legitime Reaktion auf die vorläufige Auffassung der Kammer zuzulassen. Andernfalls sei das rechtliche Gehör für die Beschwerdeführerin nicht gewährleistet.
5.5 Dieser Sichtweise kann sich die Kammer aus den folgenden Gründen nicht anschließen:
5.5.1 Der Einwand, dass insbesondere auch der Gegenstand von Hilfsantrag XII (identisch mit Hilfsantrag II im Verfahren vor der Einspruchsabteilung) mangels einer spezifischen Offenbarung über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe, war längst im Verfahren bekannt, da die Beschwerdegegnerin sowohl in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung als auch in ihrer Beschwerdeerwiderung konsequent so argumentiert hatte ...
5.5.2 Die Beschwerdeführerin konnte sich daher schon seit Beginn des Beschwerdeverfahrens zu dem ihr bekannten Einwand äußern (Artikel 113(1) EPÜ).
5.5.3 Dass sich die Beschwerdekammer einem Einwand der Gegenpartei anschließen könnte, und das auch abweichend von der Auffassung der Einspruchsabteilung, ist eine grundsätzlich immer denkbare Entwicklung im Einspruchs-beschwerdeverfahren, die mithin nicht als überraschend angesehen werden kann.
5.5.4 War ein weiterer Hilfsantrag als Rückfallposition für einen solchen Fall vorgesehen, hätte die Beschwerdeführerin einen solchen Antrag bereits früher im Beschwerdeverfahren vorlegen müssen, da der fragliche Einwand ihr bereits bekannt war, anstatt nach Erhalt der Beschwerdeerwiderung noch weitere zwei Jahre abzuwarten.
5.5.5 Das Argument der Beschwerdeführerin, die Kammer habe in Einzelheiten anders als die Einspruchsabteilung oder jedenfalls detaillierter als die Beschwerdegegnerin argumentiert, ist nicht stichhaltig. Im Kern war die Aussage der Kammer dieselbe wie die der Beschwerdegegnerin, nämlich dass die im fraglichen Anspruch definierte Merkmalskombination nicht unmittelbar und eindeutig in der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung offenbart sei und dass dies das ausschlaggebende Kriterium für die Beurteilung der Änderungen unter Artikel 123(2) EPÜ sei.
5.6 Da die Beschwerdeführerin somit keine stichhaltigen Gründe dafür aufgezeigt hat, dass außergewöhnliche Umstände vorlagen, die den späten Zeitpunkt der Vorlage von Hilfsantrag XIII hätten rechtfertigen können, hat der besagte Hilfsantrag XIII gemäß Artikel 13(2) VOBK unberücksichtigt zu bleiben.
5.7 Dementsprechend wurde der Einwand der Beschwerdeführerin gemäß Regel 106 EPÜ gegen die Nichtzulassung von Hilfsantrag XIII ... in der mündlichen Verhandlung zurückgewiesen.
Bewertung
Unter der Überschrift "[V.B.] 3.4.3 Keine aufschiebende Wirkung - Überprüfung des materiellen Rechts ausgeschlossen" heißt es in der "Rechtsprechung" im Zusammenhang mit dem Grundsatz, dass der Überprüfungsantrag nicht dazu dienen kann, die Anwendung des materiellen Rechts überprüfen zu lassen (siehe zu diesem Grundsatz oben Nr. 2.1):
Folgende Punkte können nicht Gegenstand des Überprüfungsverfahrens sein:
- die Frage, ob ein neuer Antrag (R 10/11, R 11/11, R 13/11, R 4/13) oder ein neues Dokument nach Art. 12 VOBK 2007 (R 10/09, R 17/11) oder nach Art. 13 (1) VOBK 2007 (R 1/13, R 4/14, R 6/17) zuzulassen ist
Diese Entscheidungen sehen bei Fragen der Zulassung neuer Anträge oder Dokumente das rechtliche Gehör im allgemeinen als gewahrt an, wenn der betroffene Beteiligte Gelegenheit hatte, sich zur Ausübung des Ermessens bei der Abwägung der Zulassungskriterien ausreichend zu äußern, da eine Überprüfung der Ermessensausübung der im Rahmen des Verfahrens nach Artikel 112a EPÜ eine Überprüfung der Entscheidung in der Sache bedeuten würde, zu welcher die GBK nicht befugt ist (siehe erneut oben Nr. 2.1).
R 10/11 und R 6/17 halten demgegenüber eine Überprüfung in der Sache insoweit für notwendig, als die Ausübung des Ermessens nicht willkürlich oder offensichtlich rechtswidrig gewesen sein dürfe (R 10/11, Nr. 5.2; ähnlich R 6/17, Nr. 3.5).
In R 10/11 heißt es, insbesondere unter Nr. 5.2 (im Rahmen der Prüfung, ob eine Rüge nach Regel 106 EPÜ erhoben wurde; deutsche Übersetzung der GBK des französischen Originaltextes):
5. ... Die Frage der Zulässigkeit des dritten und vierten Hilfsantrags war Gegenstand erheblicher Debatten (siehe Seiten 8 und 9 des Antrags vom 12. Juli 2011 und Punkt 5 der Entscheidungsgründe vom 17. März 2011, Seiten 26 und 27).
5.1 Das rechtliche Gehör bezüglich dieser Zulässigkeit, die naturgemäß im Ermessen der Kammer liegt, ist damit gewährleistet.
5.2 Tatsächlich zielt der Antrag unter dem Vorwand eines Verstoßes gegen Artikel 113 (1) EPÜ lediglich darauf ab, die Ermessensausübung der Kammer in Frage zu stellen. Diesbezüglich kann die Große Kammer nur daran erinnern, dass das von einer Beschwerdekammer ausgeübte Ermessen, verspätete Anträge entgegenzunehmen oder nicht, im Wesentlichen nicht einer Überprüfung der Zweckmäßigkeit seiner Ausübung unterliegt, es sei denn, diese erfolgte willkürlich oder offensichtlich rechtswidrig, was hier nicht der Fall ist. Tatsächlich entschied die Kammer souverän, dass die als unzulässig erachteten Anträge die Einwände gegen die Aufrechterhaltung des Patents prima facie nicht ausräumten.
In R 6/17 heißt es (deutsche Übersetzung der GBK des englischen Originaltextes):
3.5 ... Aufgabe der Großen Beschwerdekammer ist es zu prüfen, ob die Kammer ihr Ermessen nicht in willkürlicher oder offensichtlich rechtswidriger Weise missbraucht und dabei die Rechte des Antragstellers nach Artikel 113 (1) EPÜ geachtet hat.
Die GBK stellt hierzu fest, dass die Antragstellerin nicht beanstandet, dass sie zur Frage der Zulassung nicht gehört worden sei. Vielmehr hat sie im Überprüfungsantrag das von ihr im Rahmen des Beschwerdeverfahrens eingereichte Schreiben vom 12. November 2021 selbst zusammengefasst, in dem sie die Gründe, die nach ihrer Meinung für eine Zulassung sprachen, ausführlich dargelegt hat. In der Entscheidung hat die Kammer ihr Vorbringen zur Zulassung von Hilfsantrag XIII (unter Nr. XXI, letzter Absatz) zusammengefasst. Ein Gehörsverstoß unter diesem, nach ... [einem Teil der ] Rechtsprechung einzig denkbaren Gesichtspunkt kommt daher nicht in Betracht. Abgesehen davon ist auch nicht zu erkennen, dass die Nichtzulassung offensichtlich rechtswidrig gewesen wäre. Denn die Kammer hat (unter Nr. 5.5.1) zutreffend ausgeführt, dass der Einwand, der die späte Vorlage von Hilfsantrag XIII rechtfertigen sollte, im Verfahren bekannt war.
Demnach liegt der von der Antragstellerin geltend gemachte Gehörsverstoß durch Nichtzulassung von Hilfsantrag XIII offensichtlich nicht vor.
[Ende des Auszugs aus der Mitteilung]
Im Schreiben vom 17. November 2023 wiederholte die Antragstellerin ihre Auffassung, dass die Beschwerdekammer keinen Ermessensspielraum gehabt habe, die Zulassung von Hilfsantrag XIII abzulehnen bzw. zumindest ihr diesbezügliches Ermessen in grob verfahrensfehlerhafter und somit rechtswidriger Weise ausgeübt habe, was wiederum der Überprüfung gemäß Artikel 112a EPÜ zugänglich sei.
In ihrer vorläufigen Auffassung verweise die GBK pauschal nur darauf, dass bei Fragen der Zulassung neuer Anträge oder Dokumente das rechtliche Gehör im Allgemeinen als gewahrt angesehen werde, wenn der betroffene Beteiligte Gelegenheit gehabt habe, sich zur Ausübung des Ermessens bei der Erwägung der Zulassungskriterien ausreichend zu äußern. Nach Auffassung der GBK solle sie selbst nicht befugt sein, eine Überprüfung der Ermessensausübung im Rahmen des Verfahrens nach Artikel 112a EPÜ vorzunehmen.
Dem könne nicht gefolgt werden: Denn bei der Überprüfung der Ausübung eines Ermessens gehe es um eine rein rechtliche Frage, insbesondere dahingehend auszuschließen, dass die Ausübung des Ermessens nicht willkürlich oder offensichtlich rechtswidrig sein dürfe.
Hierauf ist zu antworten, dass die GBK in ihrer Mitteilung beide Positionen, die in Entscheidungen der GBK nach Art. 112a EPÜ vertreten wurden, dargelegt und angewendet hat:
Nach einem Teil der Rechtsprechung ist derjenige, der neues Vorbringen macht, zu dessen Zulassung (lediglich) ausreichend zu hören, nach einem anderen Teil der Rechtsprechung ist darüber hinaus die Ausübung des Ermessens im Rahmen der Zulassung nicht nur auf Willkür, sondern darüber hinaus auch auf offensichtliche Unrichtigkeit zu überprüfen; im Einzelnen siehe nun ausführlich R 6/20, Nr. 3.1.2.
Die GBK hat auch dargelegt, warum die Ausübung des Ermessens nicht offensichtlich unrichtig war: Der Einwand, der die späte Vorlage von Hilfsantrag XIII rechtfertigen sollte, war im Verfahren bekannt. Im Übrigen hat die Kammer in Nr. 5.5 ausführlich die Gründe für die Nicht-Zulassung nach Artikel 13 (2) VOBK, nicht Artikel 12 (4) VOBK, wie von der Antragstellerin angeführt, erläutert.
Die GBK bekräftigt daher ihre vorläufige Auffassung, dass der Überprüfungsantrag auch im Hinblick auf diesen geltend gemachten Verfahrensmangel offensichtlich unbegründet ist.
3.2.5 Verstoß gegen Artikel 113 EPÜ betreffend die Beurteilung der Erfordernisse von Artikel 123 (2) EPÜ i.V.m. Artikel 100c) EPÜ (Nr. 4e) des Überprüfungsantrags)
[Es folgt ein Auszug aus der Mitteilung.]
Vorbringen der Antragstellerin
Ein weiterer Verstoß gegen Artikel 113 EPÜ sei in dem zu Artikel 112a (2) d) (unter Nr. III. 3. e) des Überprüfungsantrags) geschilderten Sachverhalt begründet, d. h. infolge einer fehlerhaften und widersprüchlichen Beurteilung des streitpatentgemäßen Gegenstands nach Artikel 123 (2) EPÜ i.V.m. Artikel 100c) EPÜ. Im Gegensatz zur Einspruchsabteilung habe die Kammer in Anspruch 1 von Hilfsantrag XII eine Mehrfachauswahl von bevorzugten Ausführungsformen verschiedener, voneinander unabhängiger technischer Merkmale sehen wollen.
Bewertung
Aus Sicht der GBK muss ein Gehörsverstoß verneint werden.
Auf Seiten 26 bis zur Mitte von Seite 28 des Überprüfungsantrags weist die Antragstellerin auf zwei ihrer Meinung nach grundlegend falsche und mit der Rechtsprechung der Kammern unvereinbare Prämissen hin, von welcher die Kammer ausgegangen sei. Darüber hinaus widersprächen diese beiden Prämissen einander bei Anwendung der Rechtsprechung, was sie ausführlich erläutert. Die Antragstellerin folgert, dass die Kammer gegen die Grundsätze der Beurteilungsvoraussetzungen von Artikel 123 (2) i.V.m. Art. 100c) EPÜ der Rechtsprechung verstoßen habe, ohne dass die Kammer das begründet habe.
Diese Ausführungen der Antragstellerin legen den Schluss nahe, dass die Beschwerdekammer das Vorbringen der Antragstellerin zu dieser Thematik berücksichtigt hat, also dass sie es zur Kenntnis genommen und erwogen (d.h. auf Relevanz und ggf. Richtigkeit geprüft) hat (siehe oben, Nr. 2.3). Dieser Schluss wird durch den Inhalt der Entscheidung bestätigt:
- Zur Kenntnisnahme: Unter Nr. XXI und 3.3.7 (römische Zahlen beziehen sich Sachverhalt und Anträge, arabische auf die Entscheidungsgründe) wird der diesbezügliche Vortrag der Beschwerdeführerin (Antragstellerin) wiedergegeben. Die Antragstellerin selbst führt im Überprüfungsantrag aus, dass "die zutreffende Argumentation der Patentinhaberin ... auf Seite 14 der Entscheidung [dort findet sich Nr. XXI] ... zutreffend wiedergegeben" ist (siehe Seite 26, 3. voller Absatz des Überprüfungsantrags).
- Zur Erwägung: Unter Nr. 3.3.8 a) bis e) erläutert die Kammer ausführlich die Gründe, aus welchen sie zu ihrem (abweichenden) Ergebnis gelangt.
Die Kammer hat, indem sie eine Mehrfachauswahl bejaht hat, eine andere Beurteilung des Vorbringens der Antragstellerin vorgenommen. Ob diese Beurteilung zutrifft und wie ein etwaiges geltend gemachtes Abweichen von einer gefestigten Rechtsprechung der Kammern zu beurteilen wäre, kann im Rahmen des Überprüfungsverfahrens nach Artikel 112a EPÜ nicht untersucht werden (siehe oben, Nr. 2.1).
Die von Mitte der Seite 28 bis Mitte 29 des Überprüfungsantrags geltend gemachten schwerwiegenden Widersprüche könnten - sofern sich dieses Vorbringen als zutreffend erweisen würde - einen Begründungsmangel der Entscheidung darstellen. Wie in R 8/15 (siehe oben, Nr. 2.3) entschieden, würde ein Verstoß gegen die Begründungspflicht der Entscheidung aber nicht unter den Überprüfungsgrund eines Verstoßes gegen das Recht auf rechtliches Gehör fallen. Denn die diesbezügliche Norm des Artikel 113 (1) EPÜ ist enger auszulegen als Regel 102 g) EPÜ, die bestimmt, dass Entscheidungen der Beschwerdekammern zu begründen sind. Entscheidend für das Recht auf rechtliche Gehör ist, dass die Kammer das Vorbringen der Antragstellerin berücksichtigt (d.h. zur Kenntnis genommen und erwogen) hat, was vorstehend bejaht wurde.
Der Überprüfungsantrag ist nach alledem hinsichtlich dieses geltend gemachten Verfahrensmangel offensichtlich unbegründet.
[Ende des Auszugs aus der Mitteilung]
In ihrem Schreiben vom 17. November 2023 und in der mV vor der GBK ergänzte die Antragstellerin ihren Vortrag zu diesem geltend gemachten Verfahrensmangel wie folgt:
Die Berücksichtigung des Vorbringens der Antragstellerin, d. h. dessen Kenntnisnahme und Erwägung seien noch nicht ausreichend, wenn sich die Kammer dann in offensichtlich rechtswidriger Weise in Widerspruch zur einschlägigen Rechtsprechung setze und zudem auf in sich widersprüchliche Prämissen zurückgreife, d. h. auf eine unlogische Verkettung von Voraussetzungen, um ihre Entscheidung zu begründen.
Dies führe letztendlich zu einer Überraschungsentscheidung im Sinne der Entscheidung R 3/15. Denn die Beschwerdekammer habe - in zuvor noch nicht diskutierter Art und Weise - Zusammenhänge unlogisch und widersprüchlich miteinander verknüpft, um die Entscheidung zu begründen. Das sei für die Patentinhaberin und Antragstellerin völlig überraschend gewesen, auch wenn einzelne Argumente und Aspekte des Vorbringens - zumindest teilweise - berücksichtigt worden seien.
Die GBK hält an ihrer vorläufigen, oben wiedergegebenen Einschätzung fest, d.h. dass es für das Recht auf rechtliches Gehör ausreicht, dass das Vorbringen eines Beteiligten - im oben (unter II.2.B zum Umfang der Begründungspflicht) definierten Sinne - berücksichtigt wird und dass das vorliegend erfolgt ist. Eine Überraschungsentscheidung, wie im Fall R 3/15 angenommen, liegt nicht vor. In diesem Fall sei, so die GBK, die Aufgabe in einer Weise umformuliert worden, die niemals im Verfahren gewesen sei. Das bedeute, dass sich die Beteiligten zu einem entscheidungserheblichen Punkt nicht hätten äußern können, was einen Verstoß gegen Artikel 113 (1) begründe.
Demgegenüber wurde das Vorbringen der Antragstellerin vorliegend berücksichtigt, was die diese jedenfalls teilweise auch einräumt. Sie stützt sich vielmehr hauptsächlich darauf, dass die Analyse des Verfahrensstoffes in den Entscheidungsgründen unlogisch und in sich widersprüchlich sei.
Ein solcher geltend gemachter Begründungsmangel könnte keinen Verstoß gegen das Recht auf rechtliches Gehör begründen:
- Eine falsche Begründung würde eine falsche Anwendung des Rechts bedeuten, die von vornherein nicht überprüft werden kann.
- Eine widersprüchliche Begründung könnte nach den vorstehenden Grundsätzen (oben, II.2.B zum Umfang der Begründungspflicht) nur dann beanstandet werden, wenn die Widersprüche gleichbedeutend damit wären, dass die Kammer das Vorbringen in den Entscheidungsgründen nicht behandelt hätte und dieses objektiv betrachtet entscheidend für den Ausgang des Falles gewesen wäre. Ebenso wie die objektiv entscheidende Bedeutung für den Ausgang des Falles sich aufdrängen muss, muss sich auch aufdrängen, dass die widersprüchliche Begründung gleichbedeutend ist mit einer Nicht-Begründung, indem sie beispielsweise völlig konfus ist. Dann könnte anzunehmen sein, dass die Kammer das Vorbringen nicht erwogen, d.h. in der Sache (ernsthaft) auf seine Relevanz und ggf. Richtigkeit geprüft hätte. Dass ein solches Maß an Widersprüchlichkeit vorliegt, hat die Antragstellerin selber nicht behauptet, da sie eine - wenn auch stark fehlerhafte - Erwägung eingeräumt hat: Das Recht auf rechtliches Gehör könne nicht auf eine "Minimalforderung" heruntergebrochen werden, wonach es zur Wahrung des rechtlichen Gehörs genügen solle, dass die Kammer das Vorbringen der Antragstellerin berücksichtigt habe (siehe Schreiben vom 17. November 2023, Seite 24, zweiter Absatz. Dem ist nach dem oben Gesagten zu widersprechen: Die Berücksichtigung des Vorbringens (Kenntnisnahme und Erwägung) ist bei der Prüfung der Begründung einer Entscheidung notwendige und hinreichende Bedingung.
Die wesentlichen Erwägungen der Entscheidung der Kammer mussten im Übrigen nicht vorab bekanntgegeben werden, um den betroffenen Beteiligten die Möglichkeit einzuräumen, diese zu kommentieren (siehe Rechtsprechung, Abschnitt V.B.4.3.5), was der Vortrag der Antragstellerin suggeriert. Ausreichend ist, wenn die Beteiligten - wie hier - die Gelegenheit hatten, zu allen tatsächlichen und rechtlichen Aspekten Stellung zu nehmen, wie das Artikel 113 (1) verlangt.
3.2.6 Ergebnis betreffend die geltend gemachten Verfahrensmängel
Nach alledem erweist sich der Überprüfungsantrag
- gemäß Artikel 112a (2) d) EPÜ, "insbesondere auch in Verbindung mit Regel 104 b) EPÜ)", und
- gemäß Artikel 112a (2) c) EPÜ wegen Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör (Artikel 113 EPÜ)
als offensichtlich unbegründet.
III. Gesamtergebnis
Aufgrund der Ergebnisse der vorstehenden Untersuchung ist der Überprüfungsantrag gemäß Regel 109 (2) a) EPÜ als offensichtlich unbegründet zu verwerfen. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens vor den Beschwerdekammern gemäß Artikel 112a (5) Satz 2 und Regel 108 (3), Satz 1, EPÜ kommt nicht in Betracht, da sie nur im Falle eines begründeten Überprüfungsantrags vorgesehen ist. Mangels Wiederaufnahme des Verfahrens ist auch eine Anordnung, dass Mitglieder der Beschwerdekammer, die an der aufgehobenen Entscheidung mitgewirkt haben, zu ersetzen sind, nicht möglich. Schließlich kann die Erstattung der Antragsgebühr nach Regel 110 EPÜ nicht angeordnet werden, da das Verfahren vor den Beschwerdekammern nicht wiedereröffnet wird.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Der Antrag auf Überprüfung wird einstimmig als offensichtlich unbegründet verworfen.