T 1269/11 (Falsche Bezeichnung der Einsprechenden) 17-09-2014
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Anhängerkupplung für ein Fahrzeug
Zulässigkeit des Einspruchs - Einspruchsberechtigung (nein)
Berichtigung von Mängeln -sofort erkennbar, dass nichts anderes beabsichtigt sein konnte (nein)
I. Die am 6. Juni 2011 eingelegte und am 5. September 2011 begründete Beschwerde des Patentinhabers (im Folgenden: Beschwerdeführer) richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 28. April 2011, das europäische Patent EP 1 586 469 B1 ("Anhängerkupplung für ein Fahrzeug", Erteilungshinweis am 12. Dezember 2007 veröffentlicht) zu widerrufen.
II. Der dem Einspruchsverfahren zugrundeliegende Einspruch wurde am 10. September 2008 "namens und in Vollmacht der Rockinger GmbH, Siemensstraße 2, 63263 Neu Isenburg" eingelegt, obwohl diese bereits am 16. August 2007 auf die JOST-Werke GmbH verschmolzen worden war, die daraufhin am 26. August 2007 auf die JOST-World GmbH verschmolzen wurde (alle Gesellschaften hatten zur relevanten Zeit ihren Sitz in Neu-Isenburg). Nach Einlegung des Einspruchs änderte die JOST-World GmbH, in der die beiden anderen Gesellschaften durch Verschmelzung aufgegangen waren, am 2. Oktober 2008 ihren Namen in JOST-Werke GmbH.
III. Im Protokoll der vor der angefochtenen Entscheidung durchgeführten mündlichen Verhandlung vom 22. März 2011 wird die Einsprechende (im Folgenden: Beschwerdegegnerin) als Rockinger GmbH geführt. Ein Umtragungsantrag wurde in erster Instanz nicht gestellt.
IV. Der Beschwerdeführer wies in seiner Beschwerdebegründung vom 5. September 2011 (S. 3/4) auf die Tatsache hin, dass nach § 20 Abs. 1 Ziff. 2 des deutschen Umwandlungsgesetzes die Rockinger GmbH als übertragender Rechtsträger erloschen ist und als nicht existente Person nicht im Sinne von Artikel 99 Abs. 1 EPÜ ("jedermann") einspruchsberechtigt gewesen sei.
V. Sie beantragte, den Beschluss der Einspruchsabteilung vom 22. April 2011 [richtig: 28. April 2011] aufzuheben und den Einspruch als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise (als unbegründet) zurückzuweisen.
VI. Die Beschwerdegegnerin beantragte in der Beschwerdeerwiderung vom 18. Januar 2012 (S. 1/6), den "Einspruch als im Namen der 'Jost-World GmbH, Siemensstraße 2, 63263 Neu-Isenburg (DE)' eingelegt anzuerkennen" und "die Namensänderung der Einsprechenden von 'Jost-World GmbH' in 'Jost-Werke GmbH' zu berücksichtigen".
VII. Zur Begründung führte sie aus: Der Name "Rockinger" habe über die Verschmelzung und den Zeitpunkt des Einspruchs hinaus noch im Namen zweier Geschäftsbetriebe der Jost-Werke GmbH, nämlich "Rockinger Straßenbau" und "Rockinger Land- und Forstwirtschaft" fortbestanden, was dazu geführt habe, dass ein Mitarbeiter der Einsprechenden gegenüber dem von ihr eingeschalteten zugelassenen Vertreter die fehlerhafte Namensangabe gemacht habe. Von Anfang an sollte der Einspruch aber für die juristische Person eingelegt werden, die seinerzeit den Geschäftsbereich "Rockinger Straßenverkehr" führte, nämlich die Jost-World GmbH. Eine Korrektur sei daher wie im Fall T 219/86 zuzulassen, da ein echtes Versehen vorgelegen habe und alle Umstände darauf hindeuteten, dass die Einsprechende wirklich die Absicht hatte, ganz offen Einspruch in ihrem Namen einzulegen.
VIII. Dem trat der Beschwerdeführer in seiner Replik vom 4. Dezember 2012 (S. 1/20) entgegen: T 219/86 sei nicht einschlägig, da dort eine englische Gesellschaft unter ihrem Handelsnamen ("trading name") Einspruch eingelegt hatte, während vorliegend eine nicht mehr existente Person gehandelt habe. "Rockinger" sei auch kein eindeutig zuordenbarer Name, da früher auch eine erst am 17. Oktober 2005 aufgelöste und am 24. Januar 2007 gelöschte "Rockinger Vertriebs GmbH" existiert habe. Bei Einlegung des Einspruchs habe es neben der Jost-World GmbH im selben Konzernverbund ferner eine "Rockinger Agriculture GmbH" mit Sitz in Günthersleben-Wechmar gegeben, deren Name bis zum 30. April 2008 "Rockinger Anhängerkupplungen GmbH" gelautet habe. Diese werde vor dem EPA in anderer Sache (EP 1 710 100 B1) vom selben zugelassenen Vertreter vertreten. Auch biete diese nach wie vor gleich auf Seite 1 ihrer Homepage unter anderem Anhängerkupplungen für Traktoren, also Ackerschlepper an, um die es im vorliegenden Patent gehe. Es sei entgegen der Ansicht der Einsprechenden also keinesfalls "objektiv und zweifelsfrei erkennbar", dass die hinter "Rockinger Straßenverkehr" stehende juristische Person gemeint gewesen sei. Eine Berichtigung scheide daher aus, ebenso ein Parteiwechsel durch Übertragung der Einsprechendenstellung, der offenbar in Wahrheit vorgenommen werden solle, da diese nicht zurückwirke
(T 25/85, T 19/97 und T 428/08) und die Voraussetzungen einer Universalsukzession nicht vorlägen; denn die handelnde Person sei zur Zeit der Einlegung des Einspruchs gar nicht existent gewesen (T 1744/09 und T 425/05).
IX. In ihrer Duplik vom 27. März 2013 (Seite 1) ging die Beschwerdegegnerin auf diese Argumente nicht mehr ein, sondern verwies auf ihre Ausführungen in der Erwiderung zur Beschwerdebegründung.
X. Die Kammer wartete zunächst die Entscheidung der Großen Beschwerdekammer in der Sache G 0001/12 ab und wies die Parteien sodann mit Bescheid vom 12. Juni 2014 darauf hin, dass es nach dem oben geschilderten Vortrag der Parteien offen geblieben sei, warum mit der Einsprechenden "Rockinger GmbH" nicht auch die damals "Rockinger Agriculture GmbH" firmierende Konzerngesellschaft gemeint gewesen sein könnte, deren Existenz und Einbindung in den Konzernverbund unbestritten geblieben ist. Die Kammer regte vor diesem Hintergrund an, die Anträge auf mündliche Verhandlung zurück zu nehmen, da voraussichtlich nur noch über die Zulässigkeit des Einspruchs zu entscheiden sei. Die Parteien folgten dieser Anregung mit Schreiben vom 16. bzw. 30. Juni 2014.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Sowohl die Rechtsbehelfe der Regel 77 EPÜ als auch die der Regel 139 EPÜ stehen zur Berichtigung irrtümlicher Falschangaben bei der Bezeichnung der Beschwerdegegnerin im Einspruchsschriftsatz grundsätzlich zur Verfügung, vgl. G 1/12.
3. Für die Frage, ob eine Berichtigung nach Regel 77(2) EPÜ vorgenommen werden kann, kommt es in entsprechender Anwendung der von der Großen Beschwerdekammer in der genannten Entscheidung (Gründe 28 und 29) bestätigten Grundsätze darauf an, ob die Kammer den wahren Willen der Beschwerdegegnerin auf Grundlage der Information in der Einspruchsschrift oder sonst in der Akte mit ausreichender Sicherheit feststellen kann, d.h. ob sie ermitteln kann, welche Gesellschaft aller Wahrscheinlichkeit nach als die Person anzusehen ist, die den Einspruch eingelegt hat.
3.1 Insoweit sind folgende Umstände zu berücksichtigen:
- Der angegebene Name und die angegebene Anschrift deuten auf die durch zweimalige Verschmelzung in der Jost-World GmbH aufgegangene Vorgängergesellschaft "Rockinger GmbH" hin.
- Diese war allerdings zum Zeitpunkt der Einspruchseinlegung nicht mehr existent.
- Die Gesellschaft "Rockinger Agriculture GmbH" existierte dagegen.
- Sie beschäftigte sich auch mit Anhängerkupplungen für Ackerschlepper, die den Gegenstand des Patents bilden, gegen das Einspruch eingelegt wurde.
- Die angegebene Anschrift stimmt nicht mit derjenigen der "Rockinger Agriculture GmbH" überein. Allerdings handelt es sich bei der angegebenen Adresse um die der Konzernmutter. Insoweit führt die Beschwerdegegnerin aus, dass dort trotz der Falschangabe des Namens die korrekte Postzustellung stets gewährleistet gewesen sei (Seite 6 der Beschwerdeerwiderung vom 18. Januar 2012). Vor diesem Hintergrund kann aber auch davon ausgegangen werden, dass Schreiben an die "Rockinger Agriculture GmbH" an der Adresse der Konzernmutter in Empfang genommen und intern weitergeleitet worden wären.
- Zum Beleg der Tatsache, dass es innerhalb der Konzernmutter Jost-Werke GmbH (in die kurz nach Einspruchseinlegung die Jost-World GmbH umbenannt wurde) auch zwei unselbständige Geschäftsbereiche "Rockinger Straßenverkehr" und "Rockinger Land- und Forstwirtschaft" gegeben hat und weiter gibt, legte die Beschwerdegegnerin als Anlage HG-5 einen Screenshot der Website www.jost-world.com vor, der unter diesen Überschriften jeweils Produktkataloge und technische Anleitungen zum Anklicken und Herunterladen bereit hält. Auch wird in diesem Screenshot auf eine Website www.rockinger-agriculture.de verwiesen. Bei dieser handelt es sich jedoch nach dem Vortrag des Beschwerdeführers in seiner Replik vom 4. Dezember 2012 nicht um eine Website der Konzernmutter, sondern um eine solche der o.a. Konzerntochter "Rockinger Agriculture GmbH" in Günthersleben-Wechmar (vgl. Impressum der Website, vorgelegt als Anlage Replik 9).
- Ob neben dieser in den Konzern eingebundenen Gesellschaft noch weitere unselbständige Geschäftsbetriebe der Konzernmutter mit ähnlichem Namen ("Rockinger Straßenverkehr" und "Rockinger Land- und Forstwirtschaft") bestanden, welche Produkte diese ggfs. anboten, und ob sie als wahrscheinliche Einsprechende in Betracht kommen, ist somit offen und kann jedenfalls mit den vorgelegten Dokumenten nicht als nachgewiesen angesehen werden.
- Der Name des Mitarbeiters, der seinerzeit gegenüber dem zugelassenen Vertreter die irreführende Namensangabe gemacht haben soll, ist nicht angegeben. Zu seinem behaupteten wahren Willen liegt auch kein Beweisangebot vor. Angesichts der oben geschilderten objektiven Umstände, die eher für eine Zugehörigkeit des vorliegenden Einspruchs zum Geschäftsfeld der "Rockinger Agriculture GmbH" als zu einem der "Jost-World GmbH" sprechen, und angesichts der von der Rechtsprechung aufgestellten hohen Anforderungen an die Identifizierbarkeit der wahren Person der Einsprechenden, kommt es auf diesen Punkt jedoch nicht mehr entscheidend an.
3.2 Im Ergebnis kann auf Grundlage der Information in der Einspruchsschrift oder sonst in der Akte vorliegend nicht mit ausreichender Sicherheit festgestellt werden, dass die "Jost-World GmbH", nunmehr "Jost-Werke GmbH", aller Wahrscheinlichkeit nach als die Person anzusehen ist, die unter der unzutreffenden Namensangabe "Rockinger GmbH, Siemensstraße 2, 63263 Neu Isenburg" den Einspruch eingelegt hat. Ein alternativer Sachverhalt erscheint als ebenso wahrscheinlich oder sogar wahrscheinlicher.
3.3 Auf die Frage, ob eine Berichtigung nach Regel 77(2) EPÜ auch nach Beendigung des Einspruchsverfahrens noch vorgenommen werden kann, wenn die Sache bereits in der Beschwerdeinstanz anhängig ist (T 219/86 betraf einen noch vor der Einspruchsabteilung gestellten Änderungsantrag), kommt es demnach nicht mehr an.
4. Eine Berichtigung nach Regel 139 EPÜ setzt voraus, dass es von Anfang an der wahre Wille der Beschwerdegegnerin war, für die Jost-World GmbH zu handeln. Da dies keinesfalls offenbar ist (siehe oben), war der entsprechende Wille vorzutragen und zu beweisen, wobei die Beweisanforderungen hoch sind, wie die Große Kammer in der oben zitierten Entscheidung G 1/12 nochmals betont (Gründe 37(b)). Angesichts der oben geschilderten objektiven Umstände kann der Beweis nicht als geführt angesehen werden.
5. Da eine Gesellschaft des in der Einspruchsschrift angegebenen Namens nicht existierte und keine der potentiell in Frage kommenden existenten Gesellschaften als die in Wahrheit gemeinte festgestellt werden kann, erweist sich im Ergebnis der Einspruch mangels Parteifähigkeit der "Rockinger GmbH" als unzulässig, so dass die Beschwerde bereits aus diesem Grund begründet ist.
6. Eine Prüfung der Frage, ob die Einspruchsabteilung in der Sache richtig entschieden hat, erübrigt sich damit.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Der Einspruch gegen das Patent EP 1 586 469 B1 wird als unzulässig verworfen.