T 0098/18 06-12-2021
Download und weitere Informationen:
Mehrkreis-Schutzventil für eine Luftaufbereitungsanlage
Knorr-Bremse
Systeme für Nutzfahrzeuge GmbH
I. Die Einsprechende (Beschwerdeführerin) hat gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der der Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 2 695 779 zurückgewiesen worden ist, Beschwerde eingelegt.
II. Der Einspruch wurde in Bezug auf Anspruch 1 gestützt auf eine behauptete offenkundige Vorbenutzung einer "Air Processing Unit (APU) ZB4418" auf der Grundlage der folgenden Beweismittel:
A2: Musterfotos eines Geräts ZB4418
A3: Rechnungskopie über die Lieferung von u. a.
246 Stück APU ZB4418 an HYUNDAI
A4: Technische Zeichnung APU ZB44..
A4a: Ausschnittsvergrößerung von A4
A5: Eidesstattliche Versicherung von
Herrn Julio Brocca Alvarado
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung erfolgte eine Zeugeneinvernahme des angebotenen Zeugen Herrn Julio Brocca Alvarado sowie eine Inaugenscheinnahme eines Muster einer im September 2010 hergestellten "APU ZB4418".
III. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass die Lieferung von 246 Stück des ZB4418 Geräts an die Firma HYUNDAI keine offenkundige Vorbenutzung darstelle.
IV. Am 6. Dezember 2021 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt.
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents. Hilfsweise beantragte sie eine Zurückverweisung an die erste Instanz, falls die Offenkundigkeit der Vorbenutzung anerkannt werden sollte.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde, hilfsweise die Aufrechterhaltung des europäischen Patents auf der Basis eines der mit Beschwerdeerwiderung vom 2. Juli 2018 eingereichten Hilfsanträge 1 bis 5.
V. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Die Beweisführung zur offenkundigen Vorbenutzung stütze sich auf die Vorbenutzung des Produkts "APU ZB4418" der Einsprechenden durch einen (zumindest einmaligen) vorbehaltlosen Verkauf an deren Kunden HYUNDAI. Erstinstanzlich sei eine korrekte Beweiswürdigung hinsichtlich der vorgelegten schriftlichen Beweismittel, einer Inaugenscheinnahme eines Musters sowie einer Zeugeneinvernehmung erfolgt (siehe Entscheidungsgründe, Punkte 4 bis 6). Dabei seien verschiedene Tatbestandsmerkmale geklärt worden:
- Verkauf und Lieferung von 246 Stück ZB4418 an die Firma HYUNDAI in 2009 sei bejaht worden,
- bei der großen Anzahl von Produkten habe es sich nicht lediglich um Muster gehandelt,
- das Vierkreisschutzventil der 2009 an HYUNDAI gelieferten Luftaufbereitungsanlagen habe mit dem in der mündlichen Verhandlung in Augenschein genommenen Muster übereingestimmt.
Die Zeichnungen (Datum 2010) seien aufgrund der höheren Beweiskraft des gegenständlichen, vorgelegten Musters nicht mehr relevant gewesen.
Die Zurückweisungsentscheidung der Einspruchsabteilung basiere allerdings auf einer rechtsfehlerhaften Beurteilung des Tatbestandsmerkmals der Offenkundigkeit (Entscheidungsgründe, Punkt 7: "HYUNDAI kann im vorliegenden Fall nicht als Mitglied der Öffentlichkeit betrachtet werden."), welches allein bereits durch den Verkauf von 246 Stück Serienteilen ZB4418 der Firma KNORR-BREMSE an die Firma HYUNDAI gegeben sei.
Ein Gegenstand gelte als der Öffentlichkeit durch Benutzung dann zugänglich gemacht, wenn nicht zur Geheimhaltung verpflichtete Mitglieder der Öffentlichkeit von dem Gegenstand Kenntnis erhielten und diese frei verwerteten oder verbreiteten (siehe Richtlinien RiLi G-IV, 7.2.1), beispielsweise wenn eine Sache bedingungslos an ein Mitglied der Öffentlichkeit verkauft werde. Beim Verkauf handele es sich stets um ein Inverkehrbringen einer Sache. Es werde verwiesen auf die Entscheidungen T 462/91 (Punkt 2. der Gründe: Offenkundigkeit gegeben durch einzigen Verkauf ohne Geheimhaltung und reine Möglichkeit der Einsichtnahme beim Kunden) und T 1416/10 (Waschmaschine hergestellt und vertrieben), wonach es allein auf die Möglichkeit der Kenntnisnahme (und nicht auf den Nachweis, dass die Einsichtnahme tatsächlich erfolgt sei) und eine Beurteilung anhand der Lebenserfahrung ankomme. Dies gelte für sogenannte unbeschränkte Lieferungen in Folge von vorbehaltlosen Verkäufen von Waren, was laut ständiger Rechtsprechung hinreichend sei. Auch im gleichgelagerten Fall der T 1309/07 sei für eine Serienlieferung von Kfz-Teilen an einen Kfz-Hersteller (laut Abschnitt 3.2.2: bei vorbehaltlosem Verkauf von Kolben als Mitglied der Öffentlichkeit anzusehen) eine offenkundige Vorbenutzung bejaht und (ab Lieferung der Kolben für die Serienproduktion, Abschnitt 3.2.3 a)) auch keine stillschweigend vereinbarte Geheimhaltungspflicht unterstellt worden. Die Vorinstanz habe eine falsche Beurteilung aus der gelieferten Quantität gezogen, da es nur auf einen einzigen Verkauf ankomme. Auch wenn in T 1309/07 aus Lieferscheinen über einen Zeitraum von 2 Monaten auf eine Serienlieferung geschlossen worden sei (siehe Abschnitt 3.2.3 b)), reiche ein einziger Lieferschein als Beleg aus.
Ebenso sei laut "Schulte - Patentgesetz mit EPÜ" (§ 3, Rn 23, 24) die öffentliche Zugänglichkeit gegeben, wenn ein unbegrenzter Personenkreis die Möglichkeit des Zugangs bzw. der Kenntnisnahme gehabt habe. Es sei als Bewertungsmaßstab auf die Lebenserfahrung abzustellen, wonach die nicht zu entfernte Möglichkeit eröffnet worden sei, dass beliebige Dritte (nicht die breite Öffentlichkeit) eine zuverlässige, ausreichende Kenntnis von der neuheitsschädlichen Tatsache erhielten. Die Zugänglichkeit einer Benutzung sei bereits zu bejahen (Rn 62) durch einen einzigen Verkauf eines erfindungsgemäßen Erzeugnisses (siehe T 482/89, T 953/90, T 1464/05), die Lieferung eines Gegenstands an Dritte oder zur Weiterverarbeitung für Dritte (BGH, deutsche Rechtsprechung), oder bei Verkauf eines KFZ-Teils an KFZ-Hersteller trotz Anpassung bzgl. Dimensionen an Wünsche des Herstellers (T 1510/06).
Vorliegend habe auf Basis der Kunde-Lieferant-Beziehung zwischen den Firmen HYUNDAI als LKW-Hersteller und der Firma KNORR-BREMSE als Lieferant von Bremssystem-Komponenten der vorbehaltlose Verkauf der Bauteile ZB4418 stattgefunden, wie durch die vorgelegten Beweismittel belegt. Mit vollzogenem Verkauf hätten die Bauteile die Macht- und Einflusssphäre des Verkäufers KNORR-BREMSE verlassen, der anschließend willentlich keinen Einfluss mehr auf den Personenkreis gehabt habe, der hiervon Kenntnis erlangen konnte. Allein dieser Umstand sei hinreichend, um im rechtlichen Sinne Offenkundigkeit zu bejahen. Als Ausnahme könne nur eine Geheimhaltungsvereinbarung gelten, die hier aber auch nach Auffassung der Einspruchsabteilung nicht vorliege. Bei der geltend gemachten Konstellation eines zumindest einmaligen vorbehaltlosen Verkaufs sei die Annahme eines Geheimverkaufs nur als Ausnahmetatbestand einzustufen und vorliegend (laut Zeuge: Serienlieferung ohne Verpflichtung zur Geheimhaltung) nicht zu bejahen. Ab dem Ereignis des vorbehaltlosen Verkaufs habe daher zumindest die Möglichkeit bestanden, dass Dritte (Personen, die nicht durch eine arbeitsvertragliche Treuepflicht an eine Geheimhaltung gebunden seien und nicht zur Macht- und Einflusssphäre von KNORR-BREMSE gehörten) technische Kenntnisse über die Bauteile erhalten konnten (Wareneingangsprüfer und später die Monteure). Ein zumindest einmaliger "vorbehaltloser Verkauf" erfülle das Tatbestandsmerkmal der Offenkundigkeit, welche (bei sachgerecht und fair anzusetzendem Beweismaßstab) zu bejahen sei, wenn die Beweisführung keine Anhaltspunkte für berechtigte Zweifel biete. Vor diesem Hintergrund sei ein Nachweis entbehrlich, dass die gelieferten ZB4418 keiner Geheimhaltung unterlagen. Nur in der ersten Phase einer eventuell gemeinsamen Entwicklung könne üblicherweise per-se von Geheimhaltung ausgegangen werden, nicht aber beim nachfolgenden Stadium einer Serienlieferung.
Absprachen über Funktionen bzw. Anforderungen des Zulieferbauteils seien keine gemeinsame Entwicklungen, sondern produktgestaltende Maßnahmen bei der Herstellung, die keine Geheimhaltung bedingten, wenn der Gegenstand für eine unbeschränkte Öffentlichkeit vorgesehen sei, und zwar von dem Zeitpunkt an, wo dieser Gegenstand ohne weitere Beschränkung geliefert werde. Demzufolge sei lediglich von Bedeutung, dass die georderte hohe Stückzahl keine beschränkte Einzellieferung gewesen sei, sondern für den Serieneinbau eingesetzt worden sei.
Es sei somit entbehrlich nachzuweisen, in welchen Produkten von HYUNDAI die Bauteile ZB4418 eingebaut und an wen diese Endprodukte dann verkauft worden seien. Denn auf die Endkunden von Konsumprodukten komme es nicht an, sondern allein auf Personen ("Dritte"), die nicht zur Macht- und Einflusssphäre von KNORR-BREMSE (also deren Kunden) gehörten. Der Verkauf von Fahrzeugen von HYUNDAI sei vorliegend unerheblich.
Der Kernpunkt sei vorliegend, dass es sich nicht um eine Musterlieferung gehandelt habe, für die im Rahmen einer gemeinsamen Entwicklung der Lebenserfahrung nach von einer Geheimhaltung auszugehen sei. Eine Geheimhaltungsvereinbarung während der Entwicklungsphase werde nicht bestritten. Diese gelte aber nicht für die Phase, wenn die Entwicklung abgeschlossen sei und eine Serienlieferung erfolge. Der gehörte Zeuge selbst habe bestätigt, dass es sich um eine Serie und keine Muster gehandelt habe. Auch Anlage 3 lege eine normale Serienlieferung nahe. Da eine hohe Anzahl an Zulieferteilen (246 Stück APU ZB4418 im Kontext von insgesamt ca. 1.500 Teilen) geliefert worden sei, sei nicht mehr davon auszugehen, dass dies lediglich für Versuchszwecke im Rahmen eines geheimzuhaltenden gemeinsamen Entwicklungsprojekts erfolgt sei. Für Tests vorgesehene Teile wären im Rahmen eines Sonderpakets eine eigene Lieferung gewesen (siehe auch Anlage 5). Auch wenn nur eine Rechnung für eine Lieferung vorgelegt worden sei, habe es weitere Lieferungen gegeben. Seite 5 der Anlage 3 spreche zudem von normal "gelieferter Ware" gemäß den "Allgemeinen Verkaufs- und Lieferbedingungen (AGB) von Knorr-Bremse". Es fehle ein Hinweis wie "gemäß Entwicklungsvertrag" (der u. U. abweichend eine Geheimhaltung regele), und es gebe auch z. B. keine Anmerkung "Achtung Musterlieferung".
Unter Betrachtung der Gesamtumstände sei mit hinreichender Überzeugung sowohl für KNORR-BREMSE als auch für HYUNDAI von einer Serienlieferung auszugehen, die einen beschränkten Personenkreis verlassen habe. Die Geheimhaltung sei spätestens gefallen mit dem exemplarischen vorbehaltlosen Verkauf gemäß Rechnung laut Anlage 3 unter den normal geltenden AGB. Damit sei der Eintritt in die Serienlieferung erfolgt. Die Beschwerdeführerin habe nach Treu und Glauben durch den Nachweis eines einmaligen vorbehaltlosen Verkaufs das Nötigste getan und müsse nicht weitere Lieferungen belegen. Der anzusetzende Beweismaßstab sei von der Rechtsprechung gesetzt.
VI. Die Beschwerdegegnerin entgegnete dem wie folgt:
Es liege bei der Einsprechenden lückenlos nachzuweisen, dass eine offenkundige Vorbenutzung stattgefunden habe (T 472/92), was nicht erfolgt sei. Zur Offenkundigkeit werde nur ein Verkauf der Firma KNORR-BREMSE an die Firma HYUNDAI geltend gemacht. Laut Zeugenaussage (Seite 36/37) habe es zwischen den Firmen eine Geheimhaltungsvereinbarung gegeben. Diese gelte laut Zeugenaussage (Seite 37/38) bis das Produkt in Serie sei, wenn also HYUNDAI das Produkt für seine Produktion benutze und dann an Kunden verkaufen könne. Es sei nicht erkennbar und auch nicht vorgebracht, dass die geringe Stückzahl von Mehrkreis-Schutzventilen (246 Stück) für den sofortigen Einsatz bzw. Serienstart vorgesehen gewesen oder als Charge in Serie gebracht worden seien. Ungeachtet des Hinweises auf die AGB auf Seite 5 der Anlage 3 (der auf jeder Rechnung stehe) sei diese Lieferung noch unter Geheimhaltung erfolgt und nicht offenkundig. Die Einsprechende hätte nachweisen müssen, dass weitere Teile geliefert worden seien. Ein Hersteller wie HYUNDAI habe kein Interesse an einer Veröffentlichung seiner Fahrzeuge bzw. deren Bestandteilen vor dem Serienstart.
Der in T 1309/07 dargelegte Fall sei nicht mit dem vorliegenden Fall vergleichbar, da Konstruktionszeichnungen sowie ein veröffentlichter Produktkatalog (öffentlich zugänglich, veröffentlicht vor dem Prioritätstag des Streitpatents) vorlagen, wobei der Produktkatalog einen wesentlichen Anteil zur Bejahung der offenkundigen Vorbenutzung beigetragen habe. Zudem war die Stückzahl (17.520 Kolben) der verkauften Produkte deutlich größer, was auf eine Serienlieferung zum normalen Einsatz in der Serienproduktion hindeute. Vorliegend sei die Stückzahl hingegen deutlich begrenzt und einzig auf Basis von Rechnungen und Zeugenaussagen eine offenkundige Vorbenutzung konstruiert worden, ohne dass Zeichnungen vorgelegen hätten. Es liege kein vorbehaltloser Verkauf vor. Auch wenn die gelieferten 246 Stück für die Serie "vorgesehen" seien, bedeute dies nicht, dass sie von HYUNDAI verbaut worden seien.
Bei den beiden Entscheidungen T 462/91 und T 1416/10 sei es um den vorbehaltlosen Verkauf eines fertigen Produkts an einen Endkunden gegangen. Der in T 1416/10 beschriebene Verkauf einer Waschmaschine von einem Hersteller an einen Händler (üblicherweise ohne Geheimhaltung) sei nicht vergleichbar mit einer Lieferung von Bauteilen für die Erstellung eines Fahrzeugs an einen Kunden. Wie vom Zeugen bestätigt, sei ein Bauteil (Vierkreisschutzventil), welches in Zusammenarbeit zwischen der Einsprechenden und dem Kunden entwickelt worden sei, zur Herstellung eines Endprodukts (Nutzfahrzeug) ausgeliefert worden, wobei eine solche Zusammenarbeit üblicherweise unter Geheimhaltung erfolge. Der Kunde (HYUNDAI) prüfe und teste das mit ihm zusammen entwickelte Produkt unter einer Geheimhaltungsvereinbarung und baue es später ggf. in Fahrzeuge ein, welche über Händler an Endkunden weiterverkauft würden. Erst Herstellung und Vertrieb des gesamten Fahrzeugs sei eine offenkundige Vorbenutzung, die aber nicht substantiiert worden sei. Verkauf und Lieferung von Fahrzeugen durch HYUNDAI stelle eine andere Handlung dar als die erstinstanzlich geltend gemachte Lieferung von Luftaufbereitungsanlagen von KNORR-BREMSE an den Kunden HYUNDAI.
Die von der Beschwerdeführerin mit dem Schriftsatz vom 8. November 2021 vorgebrachten Argumente seien als verspätet zurückzuweisen.
1. Öffentliche Zugänglichkeit der behaupteten Vorbenutzung
1.1 Die Beschwerde richtet sich ausschließlich gegen die Beurteilung des Tatbestandsmerkmals der Offenkundigkeit hinsichtlich des Verkaufs von 246 Stück "APU ZB4418" durch die Firma KNORR-BREMSE als Beschwerdeführerin an die Firma HYUNDAI und die diesbezügliche Feststellung unter Punkt 7 der angefochtenen Entscheidung:
"HYUNDAI kann im vorliegenden Fall nicht als Mitglied der Öffentlichkeit betrachtet werden."
Der Nachweis einer möglicherweise erfolgten Montage der "APU ZB4418" in Nutzfahrzeuge von HYUNDAI und deren Verkauf durch HYUNDAI an ihre Endkunden sei laut Beschwerdeführerin unerheblich und damit entbehrlich. Eine möglicherweise dadurch erfolgte öffentliche Zugänglichmachung der "APU ZB4418" ist somit weder behauptet noch substantiiert worden und somit nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens (siehe auch Punkt 8 der angefochtenen Entscheidung).
Vorliegend ist damit nur zu entscheiden gewesen, ob eine öffentliche Zugänglichkeit der von der Beschwerdeführerin verkauften und an die Firma HYUNDAI gelieferten 246 Stück "APU ZB4418" (unstrittig nachgewiesen insbesondere durch die Anlage 3 und die Zeugeneinvernahme), die von KNORR-BREMSE gemäß den Anforderungen von HYUNDAI entwickelt wurden, als erwiesen betrachtet werden kann.
1.2 Nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern genügt ein einziger Verkauf, um der Öffentlichkeit den verkauften Gegenstand im Sinne von Art. 54 (2) EPÜ zugänglich zu machen, sofern der Käufer nicht zur Geheimhaltung verpflichtet wurde. Es braucht nicht nachgewiesen werden, dass andere tatsächlich Kenntnis von diesem Gegenstand hatten, d. h es genügt allein die Möglichkeit der Kenntnisnahme zum Nachweis der Offenkundigkeit (siehe T 482/89, ABl. 1992, 646; auch z. B. T 462/91). Das eigene Personal einer Firma ist normalerweise nicht als Öffentlichkeit im Sinne des Art. 54 (2) EPÜ anzusehen (siehe z. B. T 1085/92).
1.3 Allerdings ist davon auszugehen, dass in Situationen, in denen der Empfänger von Zulieferteilen seinerseits an der Entwicklung eines Produktes arbeitet, ein vitales Interesse an der Geheimhaltung seiner eigenen Pläne für eine Serienfertigung besteht. Insofern entspricht es nach Auffassung der Kammer den branchenüblichen Gepflogenheiten, dass Zulieferer, die Teile für ein in der Entwicklung befindliches (End-)Produkt eines Kunden liefern, zur Geheimhaltung verpflichtet sind.
Diese Sichtweise der Kammer ist im Einklang mit der gängigen Rechtsprechung: Allein der Auftraggeber des Entwicklungsprojekts als Kunde des Zulieferers, an den Teile geliefert werden, entscheidet darüber, ob, wann und wie er die unter Geheimhaltung entwickelten Teile Dritten zugänglich machen möchte (siehe dazu auch T 1847/12, Gründe 3.2). Ein vorbehaltloser Verkauf liegt erst vor, wenn der Käufer als Mitglied der Öffentlichkeit anzusehen ist (siehe z. B. T 1168/09, Gründe 4.2.2).
1.4 Eine Geheimhaltungsvereinbarung während der Entwicklungsphase zwischen KNORR-BREMSE und HYUNDAI wurde nicht bestritten und wird durch die Aussage des einvernommenen Zeugen bestätigt (siehe Seiten 36/37 der Niederschrift über die Beweisaufnahme).
1.5 Die Beschwerdeführerin behauptet, es läge ein vorbehaltloser Verkauf vor, denn die Geräte wären bedingungslos an die Firma HYUNDAI als ein Mitglied der Öffentlichkeit verkauft worden und hätten die Macht- und Einflusssphäre der KNORR-BREMSE verlassen. So beweise die Anlage 3 eine normale Serienlieferung, da eine hohe Anzahl an Zulieferteilen (246 Stück "APU ZB4418" im Kontext von insgesamt ca. 1.500 Teilen) geliefert worden sei. Für Versuchszwecke vorgesehene Teile im Rahmen eines geheimzuhaltenden Entwicklungsprojekts wären (auch laut Anlage 5) gesondert geliefert worden. Zudem habe der Zeuge bestätigt, dass es sich nicht um Muster, sondern um eine Serienlieferung ohne Verpflichtung zur Geheimhaltung gehandelt habe. Dafür spreche auch der Verweis auf "normal gelieferte" Ware gemäß den "Allgemeinen Verkaufs- und Lieferbedingungen (AGB)" ohne weitere, auf eine Geheimhaltung hindeutende Hinweise auf Seite 5 der Anlage 3.
1.6 Hierzu stellt die Kammer zunächst fest, dass ein Unterschied besteht zwischen einer Serienlieferung von KNORR-BREMSE an HYUNDAI und einem Einbau der gelieferten Teile in eine Serie beim Empfänger HYUNDAI.
Die Kammer sieht es als erwiesen an, dass es sich bei der Lieferung von 246 Stück "APU ZB4418" um eine Serienlieferung gehandelt hat. Dies bedeutet, dass die 246 Stück APU ZB4418 (maschinell) mit Serienwerkzeugen auf Serienproduktionsanlagen und mit einem auf eine größere Stückzahl ausgelegten Logistik-, Produktions- und Qualitätssicherungsprozess - und eben nicht als Muster in kleiner Stückzahl - hergestellt wurden. Der Zeuge hat damit die Qualität der Teile oder Geräte auf Seiten des Herstellers KNORR-BREMSE charakterisiert.
Offen bleibt, ob der Empfänger HYUNDAI diese Teile ebenfalls in eine Serie eingebaut und diese verkauft hat.
Eine Verwendung durch den Kunden für dessen Serienproduktion - z. B. im vorliegenden Fall bestimmte Fahrzeuge - erfolgt typischerweise erst dann, wenn durch Tests beim Kunden nachgewiesen ist, dass die gelieferten Teile "in Serienqualität" auch für die Verwendung in einem Serienprodukt auf Kundenseite geeignet sind (sogenannte Serienfreigabe).
Ab diesem Zeitpunkt sind die Teile für die Serienproduktion auf Kundenseite bestimmt, und es kann nach Auffassung der Kammer nach allgemeiner Lebenserfahrung kein gemeinsames Interesse an einer Geheimhaltung mehr angenommen werden (siehe auch T 1512/06, Gründe 4.2.5.a). Die Geheimhaltung erlischt also mit der Lieferung für eine Serienproduktion, "weil ab diesem Zeitpunkt die Teile dazu bestimmt sind, in Fahrzeuge für den Verkauf eingebaut zu werden und damit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht zu werden" (siehe T 1168/09, Gründe 4.2.3). Ab dann kann davon ausgegangen werden, dass die Teile den Bereich der gemeinsamen Entwicklungssphäre verlassen haben und die Möglichkeit der Einsichtnahme für Dritte im Sinne der von der Beschwerdeführerin angeführten Rechtsprechung bestand.
Somit stellt sich hier die Frage, ob die von der Beschwerdeführerin angeführten Beweismittel einen Serieneinsatz bei HYUNDAI nachzuweisen in der Lage sind.
1.7 Für die Kammer kann die Behauptung der Beschwerdeführerin, der Zeuge habe ausgesagt, dass es sich bei der Lieferung von KNORR-BREMSE an HYUNDAI um eine Serie und keine Muster gehandelt habe, nicht überzeugen, da der Zeugenaussage unzweifelhaft zu entnehmen ist (Seite 37/38 der Niederschrift), dass die Geheimhaltungsvereinbarung gelte, bis das Produkt in Serie sei und es von HYUNDAI für seine Produktion benutzt werde. Damit hat in Übereinstimmung mit der Auffassung der Kammer (siehe oben, 1.6) der Zeuge damit allenfalls den Wegfall der Geheimhaltungspflicht bekundet, sobald ein Einsatz der Teile in der Serienproduktion des Kunden erfolgte. Eine Aussage zum Einsatz in einer Serie bei HYUNDAI hat der Zeuge jedenfalls nicht gemacht.
Auch der Kontext der Lieferung kann nicht nahelegen, dass es sich bei den 246 Stück "APU ZB4418" um Teile für eine Serie bzw. den Serieneinbau bei Hyundai gehandelt haben muss, wie es die Beschwerdeführerin behauptet.
Wie Anlage 3 zeigt, finden sich in den gelieferten Positionen neben 246 Stück "APU ZB4418" (Position 120) auch Produkte, die in kleinsten Mengen geliefert wurden, z. B. 5 Stück "SENSOR_SPEED" (Position 4) oder auch 1 Stück "Air Disc Brake" (Position 30), die keinen Beleg für einen Einsatz in der Serienproduktion bei HYUNDAI darstellen. Die eidesstattliche Versicherung gemäß Anlage 5 liefert dazu auch keine weitere Erkenntnis und bestätigt lediglich die Herstellung und Lieferung von 246 Stück APU ZB4418 gemäß der Rechnung nach Anlage 3.
Schließlich können auch die Anmerkungen auf Seite 5 der Anlage 3 ("Knorr-Bremse behält sich das Eigentum an gelieferter Ware bis zur vollständigen Bezahlung vor"; "Es gelten die Allgemeinen Verkaufs- und Lieferbedingungen (AGB) von Knorr-Bremse") im Gegensatz zu der Behauptung der Beschwerdeführerin nicht belegen, dass für die gelieferte Ware in jedem Fall eine Geheimhaltung auszuschließen ist. Der Inhalt der AGB wurde in diesem Verfahren nicht kundgetan, auch weitere Absprachen zwischen den Parteien (z. B. die in der Anlage 3 erwähnte "Email by Ms JEONG") sind nicht bekannt.
1.8 Die Beschwerdeführerin hat zur Stützung ihrer Argumente frühere Entscheidungen der Beschwerdekammern angeführt:
Der Fall in T 1309/07 ist nach Auffassung der Kammer nicht gleichgelagert, wie von der Beschwerdeführerin behauptet. Dort wurde (Gründe 3.1.3) eine Lieferung von 17.520 Stück Kolben an den Kfz-Hersteller Renault festgestellt. Die mit diesem Fall befasste Kammer hatte auch die Frage zu klären (Gründe 3.2), ob keine Pflicht zur Geheimhaltung bestand, da bei einem vorbehaltlosen Verkauf der Kolben der Kfz-Hersteller Renault als Mitglied der Öffentlichkeit anzusehen sei. Dies wurde bejaht, da eine deutlich höhere Stückzahl von mehr als 17.000 Kolben geliefert wurde und zudem Kolben dieser Art in einem vorveröffentlichten Ersatzteilkatalog angeboten waren. Damit lag auf jeden Fall ein weiteres Beweismittel vor, um letzte Zweifel über die öffentliche Zugänglichkeit auf Seiten des Kunden auszuräumen. Vorliegend wurden abgesehen von der Rechnung (Anlage 3) über die Lieferung von 246 Stück "APU ZB4418" keine weiteren Beweismittel angeführt, die eine vergleichbare Schlussfolgerung zulassen; wie oben ausgeführt, hat sich der Zeuge zu einem Serieneinsatz bei HYUNDAI nicht geäußert. Weder wurden weitere Bestellungen oder Abrufe von Serienlieferungen nachgewiesen, die auf eine Serienproduktion von Fahrzeugen hindeuten könnten, noch wurde eine öffentliche Zugänglichkeit des Gerätes "APU ZB4418" z. B. anhand eines Katalogs oder von Angeboten an weitere Kunden plausibel gemacht.
In T 1416/10 ging es um eine Waschmaschine, wobei angenommen wurde, dass praktisch mit absoluter Gewissheit darauf geschlossen werden konnte, dass entsprechende Waschmaschinen bei Händlern zum Verkauf angeboten und damit öffentlich zugänglich waren. Dies entspricht allenfalls dem - vorliegend allerdings nicht geltend gemachten - Verkauf von Nutzfahrzeugen der Firma HYUNDAI (über Händler) an seine Endkunden. Auch in T 462/91 ging die Kammer lediglich von einem nicht zur Geheimhaltung verpflichteten Käufer aus, ebenso in den von der Beschwerdeführerin zitierten T 482/89, T 953/90 und T 1464/05.
Auch der Fall in T 1510/06 ist anders gelagert, da es dort keinerlei Hinweise auf eine technische Zusammenarbeit zwischen Zulieferer und Kfz-Hersteller gab. Das entwickelte Produkt lag allein in der Entwicklungshoheit des Zulieferers und wurde zudem an mehrere Kfz-Hersteller geliefert.
1.9 Die Beweisführung der Beschwerdeführerin kann damit die Zweifel der Kammer an einem vorbehaltlosen Verkauf der 246 Stück "APU ZB4418" durch die Firma KNORR-BREMSE an die Firma HYUNDAI nicht ausräumen.
Im Ergebnis sieht die Kammer damit die Feststellung der Einspruchsabteilung unter Punkt 7 der angefochtenen Entscheidung nicht als rechtsfehlerhaft an.
Die Kammer kann in der angefochtenen Entscheidung keinen Beleg für die Aussage der Beschwerdeführerin finden, dass "eine Geheimhaltungsvereinbarung nach Auffassung der Einspruchsabteilung nicht vorliege". Denn unter Punkt 7 der angefochtenen Entscheidung findet sich die Schlussfolgerung, dass die Geräte durch die Lieferung an HYUNDAI "in einer rein privaten Sphäre" blieben, "zu der die Öffentlichkeit keinen Zugang hatte". Damit hat die Einspruchsabteilung nach Auffassung der Kammer den Wegfall einer Verpflichtung zur Geheimhaltung gerade nicht ausschließen wollen.
2. Da der Vortrag der Beschwerdeführerin nicht zum Erfolg führt, kann dahingestellt bleiben, ob - wie von der Beschwerdegegnerin vorgebracht - Argumente der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 8. November 2021 (die von der Kammer berücksichtigt wurden) verspätet vorgebracht und nicht zuzulassen sind.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.