T 2441/18 (Beschichten im Tauchbad mit einer Elektrolytlösung/Muhr&Bender) 20-04-2021
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VERFAHREN UND ANLAGE ZUM HERSTELLEN EINES GEHÄRTETEN FORMTEILS
Neuheit - implizite Offenbarung
Wesentlicher Verfahrensmangel - angefochtene Entscheidung ausreichend begründet (ja)
Allgemeine Grundsätze - Vertrauensschutz
I. Die Beschwerde der Patentanmelderin (Beschwerdeführerin) richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Prüfungsabteilung, dem Antrag nach Regel 64(2) EPÜ, drei zusätzlich entrichtete Recherchegebühren nach einem Einwand nach Art. 82 EPÜ zurückzuerstatten, nicht stattzugeben.
II. Die Patentanmeldung ist auf ein Galvanisierverfahren gerichtet.
Anspruch 1 lautet:
"Verfahren zum Herstellen eines gehärteten Formteils mit den Schritten:
Erzeugen einer Platine (16) aus härtbarem Bandmaterial
(11);
Erhitzen der Platine (16) auf Austenitisierungstemperatur;
Umformen und Härten der Platine zu einem gehärteten Formteil (16);
Reinigen des gehärteten Formteils (16);
Beschichten des gehärteten Formteils (16) mit einer metallischen Beschichtung in einem Tauchbad mit einer Elektrolytlösung (21) dadurch gekennzeichnet, dass zumindest ein Hilfselement (22, 22') benachbart zum Formteil (16) positioniert und während des Beschichtens in dem Tauchbad verwendet wird, derart, dass der Aufbau der Beschichtung auf dem gehärteten Formteil (16) in Abhängigkeit von der Position des Hilfselements (22, 22') lokal beeinflusst wird."
Die Verfahrensansprüche 2-11 sind von Verfahrensanspruch 1 abhängige Ansprüche.
Der Anspruch 12 lautet wie folgt:
"12. Anlage zum Herstellen eines gehärteten Formteils, umfassend:
eine Walzvorrichtung (13) zum Walzen von härtbarem Bandmaterial;
eine Schneidvorrichtung zum Erzeugen einer Platine (16) aus dem Bandmaterial;
eine Wärmebehandlungsvorrichtung zum Erhitzen der Platine auf Austenitisierungstemperatur;
eine Umform- und Härtevorrichtung (17) zum Umformen und Härten der Platine zu einem gehärteten Formteil;
eine Reinigungsvorrichtung (18) zum Reinigen des gehärteten Formteils;
eine Beschichtungsvorrichtung (20) zum Beschichten des gehärteten Formteils mit einer metallischen Beschichtung,
dadurch gekennzeichnet, dass die Beschichtungsvorrichtung (20) ein Tauchbad mit einer Elektrolytlösung (21) und zumindest ein Hilfselement (22, 22') in dem Tauchbad aufweist, welches derart gestaltet und von einer vom Formteil (16) beabstandeten in eine an das Formteil (16) angenäherte Position derart bewegbar ist, dass es den Aufbau der Beschichtung auf dem gehärteten Formteil (16) in der angenäherten Position lokal beeinflusst."
Die Vorrichtungsansprüche 13-16 sind vom Vorrichtungsanspruch 12 abhängige Ansprüche.
III. Im Prüfungsverfahren wurden u.a. die folgenden Entgegenhaltungen genannt:
D1 = EP 2 327 805 A1
D2 = DE 10 2013 010 025 A1
D3 = CA 2 879 540 A1
IV. Die Rechercheabteilung erhob einen Einwand wegen mangelnder Einheitlichkeit der Anmeldung (Artikel 82 EPÜ) und lud die Anmelderin ein, 5 weitere Recherchegebühren zu bezahlen.
Sie argumentierte, der Oberbegriff des Anspruchs 1 sei in der D1, Abs. [0029]-[0031] offenbart und der kennzeichnende Teil ginge implizit aus Abs. [0032] hervor. Damit wäre der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht neu. Die abhängigen Ansprüche würden 6 Gruppen bilden, die 6 potentielle Erfindungen repräsentierten. Die Vorrichtungsansprüche wurden analog zu den Verfahrensansprüchen aufgeteilt und den entsprechenden Gruppen zugeordnet.
V. Die Beschwerdeführerin bezahlte daraufhin unter Protest drei zusätzliche Recherchegebühren.
VI. Nach einem Antrag nach Regel 64(2) EPÜ, drei Recherchegebühren zu erstatten, bestätigte die Prüfungsabteilung die Auffassung der Rechercheabteilung und erließ die angefochtene Zwischenentscheidung.
VII. Die in der Beschwerdebegründung von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Argumente können wie folgt zusammengefasst werden:
Der kennzeichnende Teil des Anspruchs 1 könne nicht implizit aus der D1 entnommen werden. Es gebe insbesondere in der D1 keinen Hinweis auf ein Hilfselement, das benachbart zum Formteil positioniert und während des Beschichtens im Tauchbad verwendet werde, derart, dass der Aufbau der Beschichtung auf dem gehärteten Formteil in Abhängigkeit von der Position des Hilfselements lokal beeinflusst werde. Dementsprechend sei der beanspruchte Gegenstand neu und es liege keine Uneinheitlichkeit vor.
VIII. Der Absatz 11(a) der angefochtenen Zwischenentscheidung sei eine wortwörtliche Wiederholung vorangegangener amtlicher Mitteilungen. Insbesondere wäre die Prüfungsabteilung nicht auf die zwischenzeitlich eingereichten Argumente der Beschwerdeführerin eingegangen, wonach dem Begriff "Hilfselement" ein Mindestmaß an Bedeutung zugemessen werden müsse, sondern hätte nur den Wortlaut einer früheren Mitteilung übernommen.
Es wäre jedoch grundsätzlich von einer Verletzung des rechtlichen Gehörs auszugehen, wenn sich die Begründung der Entscheidung in der Wiederholung der Gründe des vor der Bescheiderwiderung erlassenen Bescheids erschöpfe (T 1997/08, T 116/12).
IX. Die Prüfungsabteilung nehme im Widerspruch zu den vom EPA veröffentlichten Richtlinien (im Folgenden RL), Teil F, Kapitel V-5, Nr. 8 und G 1/89, Punkt 8.2, eine zu wörtliche Auslegung vor.
Weil die Beschwerdeführerin aber darauf vertrauen dürfe, dass die Prüfungsabteilung die RL und die Entscheidungen der Großen Beschwerdekammer korrekt anwende (siehe z.B. T 1607/08), sei der Vertrauensschutz verletzt, was eine Erstattung der Beschwerdegebühr rechtfertige und im Übrigen im Widerspruch zu den allgemein anerkannten Grundsätzen des Verfahrensrechts in den Mitgliedsstaaten stehe (Artikel 125 EPÜ).
Zudem habe die Beschwerdeführerin kein Vertrauen mehr, dass ihr ein faires Verfahren zuteil werde, was einen Verweis an eine andere Prüfungsabteilung rechtfertige.
X. Die Beschwerdeführerin beantragte:
a) die angefochtene Zwischenentscheidung aufzuheben und die drei zusätzlich entrichteten Recherchegebühren nach Regel 64(2) EPÜ zu erstatten
b) die Beschwerdegebühr nach Regel 103 EPÜ zu erstatten
c) den Fall an eine anders zu besetzende Prüfungsabteilung zurückzuverweisen
XI. Eine mündliche Verhandlung wurde von der Beschwerdekammer für den 9. April 2021 anberaumt. In einem Telefonat vom 26. März 2021 wurde der Vertreter der Anmelderin informiert, dass voraussichtlich dem Antrag gemäß a) stattgegeben, die Anträge gemäß b) und c) jedoch abgelehnt werden würden. Daraufhin erklärte der Vertreter der Anmelderin, dass für diesen Fall der Antrag auf mündliche Verhandlung zurückgenommen und eine Entscheidung nach Aktenlage beantragt werde. Daraufhin hob die Beschwerdekammer den Termin der mündlichen Verhandlung auf.
1. Erstattung der Recherchegebühren
1.1 Der Oberbegriff des Gegenstands des Anspruchs 1 ist in der D1 in den Abs. [0029] bis [0031] offenbart.
1.2 Eine implizite Offenbarung muss die klare und unzweideutige Konsequenz von dem sein, was explizit offenbart ist. Das trifft im vorliegenden Fall für die Merkmale der D1, Absatz [0032] im Hinblick auf den kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 nicht zu.
1.3 Die D1 betrifft ein Verfahren zum Herstellen eines elektrolytisch bzw. galvanisch beschichteten, vergüteten Stahlblechteils, wobei zum Vermeiden von Wasserstoffversprödung das Stahlblechteil wärmebehandelt wird (Abs. [0005]-[0009]). In Abs. [0031] wird erwähnt, dass das Stahlblechteil in einer Elektrolytlösung im Tauchbad verzinkt wird.
1.3.1 Für ein galvanisches Tauchbad ist zumindest eine Anode damit zwar implizit offenbart, aber sie ist kein Hilfselement, da es ihr Fehlen unmöglich macht, den Galvanisierungsprozess durchführen zu können. Auch andere Elemente des Galvanisierungsprozesses, die zwingend vorhanden sein müssen, sind prozesswesentlich und entsprechend keine Hilfselemente. Umgekehrt sind Elemente, die für einen erfolgreich durchgeführten Galvanisierungsprozesses nicht unabdingbar sind, als Hilfselemente anzusehen. Wenn daher Hilfselemente in der D1 weder explizit offenbart sind, noch eine zwingende Konsequenz der explizit offenbarten Merkmale sind, kann nicht zweifelsfrei und eindeutig auf ihr Vorhandensein geschlossen werden.
Somit sind Hilfselemente im Sinne des Gegenstands des Anspruchs 1 nicht als in der D1 offenbart anzusehen.
1.3.2 Dass der Satz auf Seite 7, Zeile 5 der Beschreibung der vorliegenden Anmeldung, wie von der Prüfungsabteilung argumentiert, elektrisch leitende Hilfselemente als Alternative zu allen im Prozess vorhandenen Anoden darstellt, ist nicht ersichtlich. Somit ist auch im Hinblick auf die Seite 7, Zeile 5 der Beschreibung eine Anode kein Hilfselement.
1.3.3 Die oben genannten Gründe treffen in analoger Weise auch zu, insoweit der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einen stromlosen Beschichtungsprozess im Tauchbad mit einer Elektrolytlösung gerichtet ist und deshalb, prinzipbedingt, Elektroden fehlen.
1.3.4 Auf den Vorrichtungsanspruch treffen die oben genannten Gründe entsprechend zu.
1.4 Aus analogen Gründen ist der Gegenstand des Anspruchs 1 auch in der D3, insbesondere aus den im ESOP benannten Abs. [0044]-[0046] sowie [0054]-[0056] und Abb. 5 nicht offenbart oder aus ihr ableitbar.
1.5 Die D2 ist eine nationale Patentanmeldung desselben Anmelders. Sie wurde zwischen dem Prioritätstag und dem Anmeldetag der vorliegenden Anmeldung veröffentlicht. Die D2 beschreibt das elektrolytische Beschichten (Abs. [0028]) von Blechformteilen, wobei ein Hilfssystem (Fig.2A und 2B; Abs. [0054]), wie z.B. ein Kettenförderer (Abs. [0028]), die Blechformteile durch das Tauchbad relativ zu Düsen für ausströmende Elektrolytlösung für einen gleichmäßigen Schichtaufbau bewegt (Abs. [0054]).
1.5.1 Es gibt keinen Anhaltspunkt, dass die Priorität nicht gültig in Anspruch genommen worden wäre. Daher gilt die D2 als nachveröffentlicht.
1.6 Somit kann die einzige allgemeine erfinderische Idee, die der Anmeldung zugrunde liegt, nicht als durch den zitierten Stand der Technik vorweggenommen angesehen werden und die Einheitlichkeit (Artikel 82 EPÜ) des beanspruchten Gegenstands liegt vor.
2. Erstattung der Beschwerdegebühr
Die volle Erstattung der Beschwerdegebühr kommt gemäß Regel 103(1)(a) EPÜ in Frage, wenn der Beschwerde abgeholfen oder ihr durch die Beschwerdekammer stattgegeben wird und die Rückzahlung wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels der Billigkeit entspricht.
Es reicht daher nicht, dass der Beschwerde stattgegeben wird, sondern es muss ein wesentlicher Verfahrenmangel vorliegen.
3. Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass ihre Argumente zur Auffassung der Prüfungsabteilung in Bezug auf das Merkmal "Hilfselement", nicht ausreichend berücksichtigt wurden und deshalb die Prüfungsabteilung ihrer Begründungspflicht nicht nachkam (Regel 111(2) EPÜ) wodurch ihr Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt wurde (Artikel 113(1) EPC). Insbesondere seien die von der Prüfungsabteilung gegebenen Begründungen bereits in der der angefochtenen Zwischenentscheidung vorangegangene Mitteilung enthalten gewesen, weshalb auf die neuerlichen Kommentare der jetzigen Beschwerdeführerin nicht gebührend eingegangen worden sei.
Dem kann nicht zugestimmt werden.
In der angefochtenen Entscheidung wurde von der Prüfungsabteilung klar dargestellt, welcher Logik zufolge sie letztendlich zu ihrem Schluss gelangte. Sie stellte zuerst fest, welche Bedeutung sie dem Präfix "hilfs-" zumesse, dass es breit ausgelegt werden müsse und wie sie zum Schluss gelange, dass auch eine Anode unter den Begriff "Hilfselement" falle.
Es ist daher aus der angefochtenen Zwischenentscheidung ersichtlich, dass die Prüfungsabteilung dem Begriff "Hilfselement" ein Mindestmaß an Bedeutung zumaß und daher das Argument der jetzigen Beschwerdeführerin berücksichtigte. Es ist auch offensichtlich, dass die Prüfungsabteilung den Begriff "Hilfselement" trotzdem wesentlich breiter auslegte, als die Beschwerdeführerin und dass sie deren Argumente nicht überzeugten.
Die Prüfungsabteilung erörtert in der angefochtenen Zwischenentscheidung nicht erneut umfassend das Vorbringen der Beschwerdeführerin, sondern nimmt nur Bezug auf das vorgebrachte Argument und verweist auf ihre diesbezügliche frühere Position.
Die angefochtene Zwischenentscheidung erschöpft sich daher nicht in der wörtlichen Widergabe der früheren Mitteilungen. Insofern handelt es sich nicht nur um das Kopieren des Texts eines vorangegangenen Bescheids (T 1997/08) oder die völlige Nicht-Berücksichtigung der Argumentation der Beschwerdeführerin (T 116/12).
Eine Verletzung der Begründungspflicht (Regel 111(2) EPÜ) oder des rechtlichen Gehörs (Artikel 113(1) EPÜ) durch die Prüfungsabteilung ist daher hinsichtlich des Merkmals "Hilfselement" nicht ersichtlich.
Analoges gilt für die anderen von der Prüfungsabteilung als implizit angesehenen Merkmale.
Auch wenn die Kammer zu einer unterschiedlichen Schlussfolgerung hinsichtlich der als implizit anzusehenden Merkmale und somit der Einheitlichkeit der beanspruchten Erfindung kommt, so betrifft dies nur eine unterschiedliche Bewertung eines technischen Sachverhalts, was auch dem Sinn und Zweck einer Beschwerde entspricht.
Vorliegend handelt es sich nicht um ein durch die Prüfungsabteilung verschuldetes und/oder beabsichtigtes Abweichen vom Grundsatz der gerechten Behandlung (G 1/89, Gründe 8.2), oder gar eine Verletzung des allgemeinem Verfahrensgrundsatzes des Vertrauensschutzes (Artikel 125 EPÜ; siehe auch T 1607/08). Auf die Heranziehung allgemeiner Grundsätze in diesem Sinne kommt es im vorliegenden Fall nicht an.
Die Anmelderin wurde bezüglich der angefochtenen Entscheidung nicht mit einer anderen Begründung überrascht, noch wurden wider Erwarten ihre Argumente als nicht überzeugend von der Prüfungsabteilung abgelehnt.
Eine fehlerhafte Beurteilung von Sachfragen stellt jedoch keinen Verfahrensmangel dar. Selbst wenn man zugunsten der Beschwerdeführerin von der behaupteten fehlerhaften Rechtsanwendung ausgehen würde, könnte ein solcher Fehler die Annahme eines wesentlichen Verfahrensfehlers im Sinne von Artikel 103 EPÜ nicht rechtfertigen (J 12/16 Punkt 3.2 der Gründe, J 8/13 Punkt 2.4 der Gründe m.w.N.).
Somit kann kein wesentlicher Verfahrensfehler erkannt werden, der eine Erstattung der Beschwerdegebühr rechtfertigt.
4. Zurückverweisung des Falles an eine andere Prüfungsabteilung
Wie zuvor ausgeführt, liegt im gegenständlichen Fall kein schwerwiegender Verfahrensfehler und keine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor. Darin unterscheidet sich der vorliegende Fall auch vom von der Beschwerdeführerin zitierten Fall, der der T 611/01 zugrunde liegt.
Daher sieht die Kammer keinen Grund zu der Annahme, dass dieselbe Zusammensetzung der Prüfungsabteilung durch ihre vorherige Entscheidung so beeinflusst sein wird, dass sie gegen die Beschwerdeführerin bei Zurückverweisung der Angelegenheit zur weiteren Prüfung parteiisch wäre.
Insofern ist eine Zurückverweisung an eine unterschiedlich besetzte Prüfungsabteilung, unabhängig von der Frage der rechtlichen Grundlage eines solchen Begehrens, die noch zu beantworten wäre, nicht in Betracht zu ziehen und dem diesbezüglichen Antrag wird nicht stattgegeben.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
- Die Zwischenentscheidung wird aufgehoben.
- Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zur weiteren Prüfung zurückverwiesen.
- Die drei zusätzlich bezahlten Recherchegebühren sind rückzuerstatten.