T 1792/19 23-04-2021
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FLUSSMITTELFREIES LÖTEN VON ALUMINIUMVERBUNDWERKSTOFFEN
Aleris Rolled Products Germany GmbH
C-TEC CONSTELLIUM TECHNOLOGY CENTER /
CONSTELLIUM NEUF-BRISACH
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (nein)
Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag (ja)
Änderung des Vorbringens durch Streichung der Verfahrensansprüche
Änderung des Vorbringens - (nein)
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung über die Aufrechterhaltung des europäischen Patents Nr. 2844466 in geändertem Umfang, zur Post gegeben am 26. April 2019.
II. In ihrer Entscheidung ist die Einspruchsabteilung u.a. zu der Auffassung gelangt, dass sowohl das Verfahren des Anspruchs 1 als auch die Verwendung des Anspruchs 6 gemäß Hilfsantrag 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen.
Gegen diese Entscheidung haben die Einsprechende 1 und die Einsprechende 2 (Beschwerdeführerinnen) Beschwerde eingelegt.
III. In der angefochtenen Entscheidung wird unter anderem von folgenden Entgegenhaltungen ausgegangen, die auch der vorliegenden Entscheidung zugrunde liegen:
E2: ASM Specialty Handbook Aluminum and Aluminum Alloys, Seite 424
E3: ASM Specialty Handbook Aluminum and Aluminum Alloys, Seiten 460-462
E4: Aluminum Brazing Handbook, Seiten 34-39
E5: Principles of Brazing, Seiten 133-135
E6: G. Humpston et al., New filler metals and process for fluxless brazing of aluminium engineering alloys
E7: US 2009/0209444 A1
E9: ASM Specialty Handbook Aluminum and Aluminum Alloys, Seiten 420-422
E10: WO 2010/000666 A1
E11: Aluminum. Properties and Physical Metallurgy, Seiten 372-373
E12: TALAT Lecture 5301, "The surface treatment and coil coating of aluminium", published 1994.
E13: TALAT Lecture 5201, "Aluminium surface pretreatment", published 1994.
E14: Affidavit of Arne Schlegel, Juli 2019.
D1: US 2007/0204935
D7: 'The Finishing of Aluminium', W.L. Cotton, 1963, Seiten 32, 33, 40
D11: EP 1 067 213
D13: Affidavit, Mme Millot et Danielou
P1: Eidesstattliche Erklärung Fr. Dr. Katrin Eckhard
IV. Am 23. April 2021 fand eine als Videokonferenz durchgeführte mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts statt.
V. Die Beschwerdeführerinnen (Einsprechenden) beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde, hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang auf der Grundlage des Hilfsantrags 1, eingereicht mit Schreiben vom 22. März 2021, oder der Hilfsanträge 2 bis 7, eingereicht mit der Beschwerdebegründung.
VI. Der Hauptantrag umfasst einen unabhängigen Verfahrensanspruch 1 und einen unabhängigen Verwendungsanspruch 6 (Merkmalsgliederung wie von der Patentinhaberin eingeführt).
Anspruch 1:
1a) Verfahren zur Herstellung eines bandförmigen Aluminiumverbundwerkstoffs,
1b) bestehend aus mindestens einer Aluminiumkernlegierung
1c) und mindestens einer ein- oder beidseitig auf der Aluminiumkernlegierung vorgesehenen, äußeren Lotschicht
1d) bestehend aus einer Aluminiumlotlegierung,
le) bei welchem durch Walzplattieren oder simultanen [sic] Gießen und anschließendes Walzen ein bandförmiger Aluminiumverbundwerkstoff hergestellt wird und
1f) die Aluminiumlotschicht alkalisch gebeizt wird,
dadurch gekennzeichnet, dass
1g) der Aluminiumverbundwerkstoff vor dem Beizen oder während des Beizens mit einem Entfettungsmedium entfettet wird,
1h) die alkalische Beize Natronlauge mit einer Konzentration von 0,2 bis 10 Gew.-% oder 0,2 bis 5 Gew.-% aufweist und
1i) die Beize neben Natronlauge zusätzlich organische oder anorganische Komplexbildner enthält,
1j) wobei das Beizen in-line mit dem letzten Kaltwalzschritt oder durch Verwendung eines Coil-to-Coil-Fertigungsschrittes erfolgt.
Anspruch 6
6a) Verwendung eines Aluminiumverbundwerkstoff [sic]
6b) bestehend aus mindestens einer Aluminiumkernlegierung und
6c) mindestens einer ein- oder beidseitig auf der Aluminiumkernlegierung vorgesehenen, äußeren Lotschicht
6d) bestehend aus einer Aluminiumlotlegierung,
6e) wobei die Aluminiumlotschicht eine alkalisch gebeizte Oberfläche aufweist und
6f) der Aluminiumverbundwerkstoff bandförmig ist und
6g) mit einem Verfahren nach Anspruch 1 bis 5 hergestellt ist,
dadurch gekennzeichnet, dass
6h) die gebeizte Oberfläche der Aluminiumlotschicht zumindest teilweise freiliegende oder freiliegende Siliziumpartikel aufweist und
6i) der Aluminiumverbundwerkstoff in einem flussmittelfreien, thermischen Fügeverfahren verwendet wird und
6j) das Fügeverfahren in Anwesenheit eines Schutzgases erfolgt.
VII. Hilfsantrag 1 wie am 22. März 2021 eingereicht umfasst basierend auf Anspruch 6 des Hauptantrags einen unabhängigen Verwendungsanspruch 1, in dem Merkmal 6g basierend auf den Merkmalen 1e bis 1j des Anspruchs 1 des Hauptantrags wie folgt ausformuliert wurde:
6g) mit einem Verfahren hergestellt ist, bei welchem durch Walzplattieren oder simultanen Gießen und anschließendes Walzen ein bandförmiger Aluminiumverbundwerkstoff hergestellt wird und die Aluminiumlotschicht alkalisch gebeizt wird, wobei der Aluminiumverbundwerkstoff vor dem Beizen oder während des Beizens mit einem Entfettungsmedium entfettet wird, die alkalische Beize Natronlauge mit einer Konzentration von 0,2 bis 10 Gew.-% oder 0,2 bis 5 Gew.-% aufweist und die Beize neben Natronlauge zusätzlich organische oder anorganische Komplexbildner enthält, wobei das Beizen in-line mit dem letzten Kaltwalzschritt oder durch Verwendung eines Coil-to-Coil-Fertigungsschrittes erfolgt,
VIII. Das Vorbringen der Beschwerdeführerinnen (Einsprechenden) lässt sich - soweit es für die Entscheidung wesentlich war - wie folgt zusammenfassen:
Das Verfahren nach Patentanspruch 1 beruhe ausgehend von D1 in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen (wie in E9, E10 und E11 niedergelegt bzgl. Merkmal 1e und E3, D7 bzgl. Merkmal 1i) und in Kombination mit D11 bzw. E7 bzgl. Merkmal 1j nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Merkmal 1e beziehe sich auf fachübliche Herstellungsverfahren wie aus E9 (Seite 421, rechte Spalte), E10 (Seite 2, Zeilen 1, 2) oder E11 (Seite 1, letzter Absatz) bekannt.
Weiterhin sei es ebenfalls fachüblich, Komplexbildner gemäß Merkmal 1i zur Verbesserung der Lebensdauer der Beize einzusetzen. Dies sei beispielsweise aus der E3, Seite 461, linke Spalte, und der D7, Seite 33, bekannt. Merkmal 1j gehe aus der unmittelbaren Zusammenschau mit der D11 (Absatz [0015]) hervor, von der die D1 (Absatz [0013]) ausgehe.
Alternativ lege auch die E7 das Merkmal 1j nahe, zumal darin das Beizen mit einer vergleichbaren Beize (Absatz [0007]) wie im Streitpatent erfolge (Absatz [0013]).
Zwar weise der Aluminiumverbundwerkstoff nach dem Verfahren der D1 am Ende eine Konversionsschicht auf, Anspruch 1 schließe jedoch weitere Verfahrensschritte, die auf Schritt 1j folgen, nicht aus. Insbesondere müsse eine "äußere" Lotschicht nicht die "äußerste" sein. Die Konversionsschicht sei gemäß der D11, Absatz [0006] ("providing a brazable conversion coating on an aluminium (meaning also aluminium alloy) surface") als weitere Schicht auf der Aluminiumlotlegierung ausgebildet, gestatte das flussmittelfreie Löten und sei somit gemäß Merkmal 1c ebenfalls eine Lotschicht.
D1 mit D11 lege ebenfalls das Verfahren nach Anspruch 6 nahe. D1, Absatz [0019] offenbare eine siliziumhaltige Aluminiumlotlegierung. Bei einem Verfahren gemäß 'Treatment 5' der D1 (Absätze [0033-0036]) seien nach Bildung der Konversionsschicht wie in Merkmal 6h beansprucht die Siliziumpartikel freigelegt. Gemäß D11, Absatz [0008], Zeilen 2-3, reagiere die wässrige Lösung zur Bildung der Konversionsschicht nach dem Beizen nur mit dem Aluminium, nicht mit den - zwangsweise mit 'Treatment 5' der D1 freigelegten - Siliziumpartikeln. Damit verhindere die Konversionsschicht auch die Präsenz der freiliegenden Siliziumpartikel nicht. Um dies nachzuweisen, wurde die bereits im Einspruchsverfahren eingereichte, jedoch nicht ins Verfahren zugelassene D13 erneut eingereicht. Das Ergebnis des Beizens sei somit das gleiche wie im Streitpatent.
Die Merkmale 6i und 6j seien in Absatz [0042] der D1 offenbart.
Auch ausgehend von der E5 seien die Ansprüche 1 und 6 des Hauptantrags in Verbindung mit dem allgemeinen Fachwissen (gemäß E9, E10 und E11 bzw. E3 und D7) und in Kombination mit E7 oder D11 nicht erfinderisch. Anspruch 1 unterscheide sich von E5 lediglich durch die Merkmale 1e, 1i und 1j, die sich wie zu D1 vorgetragen auf naheliegende Weise ergäben. Zur Untermauerung wurden bzgl. der Merkmale 1i und 1j mit der Beschwerdebegründung die Entgegenhaltungen E12 und E13 eingereicht.
Das in E5, Seite 134, linke Spalte, obere Hälfte beschriebene Verfahren sei nicht darauf beschränkt, dass das Löten unmittelbar auf das Beizen erfolgen müsse. Hinsichtlich des zum flussmittelfreien Löten zur Verfügung stehenden Zeitfensters wurde auf E4, Figur 4-5 verwiesen, woraus entnehmbar sei, dass mehrere Tage zwischen dem Beizen und dem Löten liegen könnten. E5, Seite 134, linke Spalte, ab Zeile 27, offenbare zwar auch ein Versiegeln der Oberfläche, um den Werkstoff mehrere Tage zu lagern, dies beziehe sich jedoch nur auf das alternative Reinigungsverfahren ("An alternative cleaning treatment [...]; followed by sealing of the cleaned surfaces [...]").
Hinsichtlich Anspruch 6 wurde auf E5, Seite 133, Absatz 3.4.3, verwiesen, woraus sich Merkmal 6h implizit ergebe. Das in E5 beschriebene Verfahren habe notgedrungen das Merkmal 6h zur Folge (E2, Seite 424, mittlere Spalte, E4, Seite 35, rechte Spalte, Absatz 6). Zum Nachweis wurde mit der Beschwerdebegründung E14 eingereicht.
Die Merkmale 6i und 6j seien in E5, Seite 133, Absatz 3.4.3 offenbart.
Anspruch 6 (und Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 entsprechend) werde in Merkmal 6g durch ein Product-by-Process definiert. Dieses Produkt unterscheide sich bzgl. der tatsächlichen Produktmerkmale jedoch nicht von dem, was der Fachmann nach Durchführung des in E5 beschriebenen Verfahrens erhält. Es mache am Produkt keinen Unterschied, ob das Beizen durch Verwendung eines Coil-to-Coil-Fertigungsschritts oder wie in der E5 an einem Einzelstück erfolgt. Daher werde in E5 auch die anspruchsgemäße Verwendung eines Aluminiumverbundwerkstoffs nahegelegt.
IX. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) lässt sich - soweit es für die Entscheidung wesentlich war - wie folgt zusammenfassen:
D1 sei nicht nächstliegender Stand der Technik, da sich die D1 auf Konversions-Oberflächen beziehe, die andere Eigenschaften als gebeizte Oberflächen haben. Die Merkmale 1a bis 1d definierten aufgrund des Wortlauts "bestehend aus" (Richtlinien Teil F-IV,4.20) einen Aluminiumverbundwerkstoff mit nur einer, ein- oder beidseitig vorgesehenen, äußeren Lotschicht bestehend aus einer Aluminiumlotlegierung. Das anspruchgemäße Verfahren müsse genau zu einem solchen Produkt führen. In der D1 führe das Verfahren zu einem anderen Produkt, da die äußerer Lotschicht zusätzlich eine Konversionsschicht trägt, d.h. sie bestehe nicht nur aus einer Aluminiumlotlegierung.
Merkmal 1i werde für das Beizen von Aluminiumverbundwerkstoffen nicht nahegelegt. Die E3 beziehe sich auf Verfahren mit einem hohen Werkstoffabtrag. Bei der D1/D11 seien die Abträge gering, so dass keine Komplexbildner in der Natronlauge nötig seien. Auch dienten die Komplexbildner nicht der Erhöhung der Lebensdauer der Beize, sondern hätten einen technischen Effekt auf das Beizergebnis. Um dies nachzuweisen, wurde mit der Beschwerdeerwiderung P1 eingereicht.
Merkmal 1j werde in Kombination mit der D11 nicht nahegelegt, da in D11, Absatz [0015] ("at any of a number of stages") eine Vielzahl von Möglichkeiten für Prozessschritte genannt würden, wann das Beizen erfolgen kann. D11 offenbare lediglich einen beliebigen Zeitpunkt vor dem Löten.
Anspruch 6 definiere, dass die Aluminiumlotschicht des Aluminiumverbundwerkstoffs, der zum Fügen verwendet wird, eine alkalisch gebeizte Oberfläche aufweise. Dies sei in der D1 wegen der Konversionsschicht gerade nicht der Fall.
Auch ausgehend von der E5 würden Anspruch 1 und Anspruch 6 nicht nahegelegt. E5 lege bereits kein Verfahren nach Anspruch 1, Merkmal 1j, nahe, da das Beizen an einem einzelnen Werkstück erfolge und nicht in einen Herstellungsprozess integriert werde. Der E5, Seite 134, linke Spalte, Zeilen 1 bis 5, sei zu entnehmen, dass die im weiteren beschriebene Oberflächenbehandlung Teil des Lötprozesses sei ("The special procedure is an integral part of the fluxless process."). Das Löten erfolge somit unmittelbar im Anschluss an das Beizen. Anderenfalls lehre die E5 eine alternative Reinigung und ein Versiegeln der Oberfläche. Daran ändere auch die E4 nichts. Die relevante Grafik sei Figur 4-2 auf Seite 36. Die Grafik der Figur 4-5 bilde die für eine lötbare Oxidschicht relevanten Dicken, die im Nanometerbereich lägen, nicht ab. Folglich könne das Beizen wie in E5, Seite 134, linke Spalte, Zeilen 1-22 nicht in den Herstellungsprozess des bandförmigen Aluminiumverbundwerkstoffs vorverlagert werden. Die E5 lege daher weder Merkmal 1a noch Merkmal 1j nahe.
Auch habe der Fachmann keine Motivation, die D1 oder die E5 mit der E7 zu kombinieren. E7 beschäftige sich nicht mit der Oberflächenvorbereitung zum Löten sondern mit Oberflächen für lithographische Druckplatten.
Die mit den Beschwerdebegründungen eingereichten Entgegenhaltungen E12 bis E14 seien verspätet eingebracht und nicht prima facie relevant. Daher seien sie nicht ins Verfahren zuzulassen. Die D13 sei bereits erstinstanzlich nicht zugelassen worden. Da die Einspruchsabteilung ihr Ermessen korrekt ausgeübt habe, sei die D13 auch im Beschwerverfahren nicht zuzulassen.
1. Hauptantrag - Anspruch 1 - Artikel 56 EPÜ
1.1 Das Verfahren des Anspruchs 1 beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ.
1.2 D1 stellt den nächstliegenden Stand der Technik dar.
1.2.1 Der Kern der Erfindung liegt darin, dass nach dem alkalischen Beizen das erneute Bilden einer Oxidschicht nicht verhindert wird (Streitpatent, Absatz [0009] "Es bildet sich danach eine neue natürliche Oxidschicht aus, welche deutlich dünner ist, als die beim Fertigungsprozess des Aluminiumverbundwerkstoffs gebildete Oxidschicht"). Die später zum Löten verwendete Oberfläche ist die gebeizte Oberfläche (Streitpatent, Absatz [0029] "wobei die Aluminiumlotschicht eine gebeizte Oberfläche aufweist und der Aluminiumverbundwerkstoff in einem flussmittelfreien, thermischen Fügeverfahren gefügt wird.").
Im Streitpatent ist die sich erneut gebildete Oxidschicht gering genug, um ein späteres flussmittelfreies Löten zu ermöglichen, wodurch der Beizprozess ohne zusätzliche Oberflächenbeschichtung in das Herstellungsverfahren integriert werden kann und ein Löten ohne erneute Oberflächenbehandlung möglich ist.
1.2.2 D1 bezieht sich auf das in D11 offenbarte Verfahren und integriert bereits einen Beizprozess in ein Herstellungsverfahren. Die zu lötende Oberfläche wird im Laufe seiner Herstellung gebeizt, trägt jedoch eine Konversionsschicht. Die Konversionsschicht soll ein flussmittelfreies Löten ermöglichen und das Oxidieren des Aluminiums bis zum Löten verhindern (D1, Absätze [0007, 0008, 0045] sowie D11, Absätze [0001, 0003]). Entgegen der Ansicht der Patentinhaberin steht die D1/D11 daher dem Bereitstellen einer lötbaren (D11, Absatz [0006] "brazeable conversion coating") Oberfläche für ein flussmittelfreies Löten nicht entgegen.
1.3 Anspruch 1 unterscheidet sich von dem in D1 offenbarten Verfahren durch die Merkmale 1e, 1i und 1j.
1.4 Die Aufgabe kann darin gesehen werden, ein weniger aufwendiges und wirtschaftliches Herstellungsverfahren für Aluminiumverbundwerkstoffe für das flussmittelfreie Löten bereitzustellen.
1.5 Die Verfahrensschritte 1e, 1i und 1j werden vom Stand der Technik nahegelegt.
1.5.1 Die Merkmale 1e und 1j werden in D11 offenbart. Da die Offenbarung der D1 auf dem D11-Verfahren beruht (Absatz [0013]), wird der Fachmann unmittelbar auf die D11 verwiesen. Darin geht es um ein Herstellungsverfahren von bandförmigen Aluminiumverbundwerkstoffen, das die Merkmale 1e und 1j offenbart (D11, Absätze [0010, 0015]).
Das Argument der Patentinhaberin, dass die D11 keinen konkreten Hinweis darauf enthalte, in welchem Verfahrensschritt das Beizen erfolgen solle, ist nicht überzeugend. Wird das Beizen und das Aufbringen der Konversionsschicht in den Herstellungsprozess integriert, offenbart die D11 in Absatz [0015] lediglich die Möglichkeit vor oder nach dem letzten Kaltwalzschritt ("the conversion coating can be applied to a substrate during a cold rolling operation to provide a brazeable layer either before [...] or after a final rolling operation"), d.h. in-line mit dem letzten Kaltwalzschritt wie in Merkmal 1j gefordert. Bezüglich der von der Patentinhaberin genannten Textstelle in Absatz [0015] "at any of a number of stages before brazing" ist dem Absatz [0015] zu entnehmen, dass hier nicht verschiedene Möglichkeiten im Herstellungsprozess gemeint sind, sondern das Beizen z.B. im Herstellungsprozess, in einem folgenden Verarbeitungsschritt ("applied to an aluminium braze sheet either before or after a stamping operation") oder am Einzelstück ("it can be applied to the assembled or unassembled article like a heat exchanger at the manufacturing facility") erfolgen kann.
1.5.2 Weiterhin ist dem Fachmann bekannt, Komplexbildner (Merkmal 1i) zur Vermeidung von Ausflockungen und Steinbildung im Beizbad vorzusehen, wenn die Lebensdauer des Beizbades relevant ist (siehe D7, S. 33 (Mitte), oder E3, S. 461, linke Spalte, "Sequestrants, such as gluconic acid, sodium gluconate, the glucamines, and sorbitol, are added to alkaline solutions to prevent the formation of hydrated alumina." und "Sequestrants increase the life of the bath by preventing the formation of scale and by reducing the accumulation of sludge in the tank.").
In einem Herstellungsverfahren ist der Fachmann aus wirtschaftlichen Gründen bestrebt, die Lebensdauer der Natronlauge zu erhöhen, so dass er auf naheliegende Weise veranlasst wird, Komplexbildner vorzusehen.
Die Erwiderung der Patentinhaberin, dass Komplexbildner beim Beizen gemäß der D1 aufgrund des geringen Materialabtrags nicht erforderlich seien und im Streitpatent die Komplexbildner zur Beeinflussung des Beizergebnisses eingesetzt würden, ist aufgrund der allgemeinen Formulierung des Merkmals 1i nicht überzeugend. Auch erwähnt die Streitschrift die Komplexbildner lediglich nebensächlich im letzten Satz des Absatzes [0020].
1.6 Die Patentinhaberin bestritt zusätzlich, dass D1 die Merkmale 1c mit 1d offenbare, da die äußere Lotschicht aufgrund der Konversionsschicht nicht aus einer Aluminiumlotlegierung bestehe, sondern eine solche lediglich umfasse.
1.6.1 Der Vortrag der Patentinhaberin ist nicht überzeugend. Das D1/D11-Verfahren umfasst zwar immer zusätzlich die Ausbildung der Konversionsschicht, dies wird jedoch durch den Wortlaut des Anspruchs 1 nicht ausgeschlossen.
1.6.2 Durch die Kombination des Wortlauts "bestehend aus" mit "mindestens" wird hier die nach ständiger Rechtsprechung beschränkende Wirkung des "bestehend aus" aufgeweicht. Da somit das durch das Verfahren herzustellende Produkt nicht auf nur 'eine äußere Lotschicht bestehend aus einer Aluminiumlotlegierung' beschränkt ist, sondern auch weitere, in Bezug auf den Kern äußere Lotschichten erlaubt, lässt auch das Verfahren weitere Schritte wie z.B. das Aufbringen einer Konversionsschicht, offen.
In der D1 ist 'mindestens eine, in Bezug auf den Kern äußere Lotschicht bestehend aus einer Aluminiumlotlegierung' (Absatz [0019]) offenbart. Zusätzlich wird eine, nicht aus einer Aluminiumlotlegierung bestehende, zweite (in Bezug auf den Kern) äußere Lotschicht in Form der Konversionsschicht offenbart (Absatz [0006]:"brazeable conversion coating consisting essentially of at least K3AlF6 and, optionally, aus KAlF4 on the treated surface"). Die Offenbarung der D1 fällt daher in die Merkmalsdefinition 1c mit 1d.
1.7 Die Einspruchsabteilung war der Ansicht (Entscheidung, Punkt 16.2), dass D1 das Merkmal 1f nicht offenbare. Die alkalische Behandlung der D1 nach Absatz [0010] diene lediglich dem Reinigen und nicht dem Beizen. Dem wird nicht zugestimmt.
Das Reinigen in Natronlauge wird als anspruchsgemäßes Beizen gemäß Merkmal 1f angesehen. Das in D1 offenbarte Eintauchen in das alkalische Bad (Absätze [0010, 0018, 0034]) führt neben dem Reinigen automatisch zu einem Beizprozess (vgl. Streitpatent Absatz [0025]: 2-5s ermöglichen "ausreichenden Angriff auf die Oberfläche", oder Anspruch 3 "Verweildauer in der Beize 1-20s"). In der D1, Absatz [0034], wird eine Verweildauer von 20s offenbart, wobei die Konzentration der Natronlauge dem Merkmal 1h entspricht. Die Kammer sieht daher keinen Grund, warum in D1 die Oberfläche nicht auch gebeizt und somit die Oxidschicht entfernt werden sollte.
2. Hilfsantrag 1 - Zulassung
2.1 Die Zulassung des schriftlich mit Schreiben vom 22. März 2021 eingereichten Hilfsantrags 1 wurde von den Beschwerdeführerinnen nicht in Frage gestellt.
2.2 Die Kammer sieht analog zur T 1480/16 auch keinen Grund, in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 13(1) VOBK 2020 den Hilfsantrag 1 nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen. Die Streichung der Verfahrensansprüche in Hilfsantrag 1 gegenüber dem Hauptantrag wird nicht als Änderung des Beschwerdevorbringens gesehen, da sich dadurch keine geänderte Sachlage ergibt. Es ist insbesondere keine neue Diskussion hinsichtlich erfinderischer Tätigkeit zu führen.
Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 basiert auf dem Verwendungsanspruch 6 des Hauptantrags, in dem der Rückbezug auf Anspruch 1 im Merkmal 6g durch Einfügen der Merkmale 1e bis 1j ausformuliert wurde. Auch die von den Beschwerdeführerinnen vorgebrachten Einwände zum Verwendungsanspruch wurden bereits schriftlich behandelt, so dass darin kein geändertes Vorbringen zu sehen ist.
2.3 Da die Kammer vorliegend keine Änderung des Vorbringens erkennen kann, sind die Voraussetzungen des Artikels 13(1) und (2) VOBK 2020 nicht gegeben.
3. Hilfsantrag 1 - Artikel 56 EPÜ
3.1 Anspruch 1 beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ.
3.2 Gemäß Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 soll ein Aluminiumverbundwerkstoff, der nach dem oben in Verbindung mit dem Hauptantrag diskutierten Verfahren hergestellt wurde, in einem flussmittelfreien, thermischen Fügeverfahren (Merkmal 6i) in Anwesenheit eines Schutzgases (Merkmal 6j) verwendet werden. Dabei soll die Aluminiumlotschicht eine alkalisch gebeizte Oberfläche aufweisen (Merkmal 6e). Auch soll die gebeizte Oberfläche freiliegende oder zumindest teilweise freiliegende Siliziumpartikel aufweisen (Merkmal 6h).
3.3 D1 mit D11 und Fachwissen
3.3.1 D1 wird, wie bereits zum Hauptantrag erläutert, als nächstliegender Stand der Technik angesehen. D1 offenbart zusätzlich in Absatz [0042] die Verwendung eines Aluminiumverbundwerkstoffs in einen flussmittelfreien, thermischen Fügeverfahren in Anwesenheit eines Schutzgases (Merkmale 6i, 6j). Auch ist nicht auszuschließen, dass die Oberfläche der siliziumhaltigen Aluminiumlotlegierung der D1 (Absatz [0019]) nach dem Beizen gemäß Absatz [0034] freiliegende oder teilweise freiliegende Siliziumpartikel aufweist (Merkmal 6h).
3.3.2 Ausgehend von D1 in Kombination mit D11 und Fachwissen wird jedoch nicht nahegelegt, dass die Aluminiumlotschicht zum Zeitpunkt der Verwendung des Aluminiumverbundwerkstoffs noch eine alkalisch gebeizte Oberfläche aufweist (Merkmal 6e).
3.3.3 Sowohl die D1 als auch die D11 lehren, dass die Oberfläche der Aluminiumlotschicht am Ende des Herstellungsverfahrens eine Konversionsschicht trägt. Aus dem Stand der Technik ist weiter bekannt, dass nur ohne bzw. mit einer nur geringen Oxidschicht gelötet werden kann (z.B. D11, Absatz [0003], E4, S. 35, linke Spalte, Absatz 2). Nach dem Beizen zum Entfernen der Oxidschicht bildet sich an der Oberfläche in Reaktion mit Sauerstoff immer eine neue Oxidschicht (z.B. E4, S. 35, rechte Spalte, Absätze 4-6 mit Fig. 4-2 inkl. Figurenbeschreibung, E6, S. 1163, rechte Spalte, Absatz 2), wenn dies nicht z.B. durch eine Konversionsschicht (D1, D11) verhindert wird.
3.3.4 Weder der D1, noch der D11 oder dem weiteren Stand der Technik ist daher ein Hinweis zu entnehmen, dass auf die Beschichtung verzichtet werden kann. Selbst wenn die Oberfläche der Aluminiumlotschicht, wie von den Beschwerdeführerinnen vorgetragen, trotz der Konversionsschicht weiterhin die durch das Beizen freigelegten Siliziumpartikel aufweist, weist sie doch zum Zeitpunkt der Verwendung keine gebeizte Oberfläche auf wie in Merkmal 6e definiert.
3.4 E5 mit E7 oder D11 und Fachwissen
3.4.1 Entgegen der Entscheidung der Einspruchsabteilung ist die Kammer der Ansicht, dass E5 als nächstliegender Stand der Technik weniger geeignet ist als die D1, da sich E5 nicht mit einem Herstellungsverfahren für bandförmige Aluminiumverbundwerkstoffe im Sinne der Streitschrift befasst, sondern lediglich mit den Grundsätzen des Lötens (Titel: "Principles of Brazing"). Ein Unterkapitel darin ist flussmittelfreies Löten von Aluminium (vgl. E5, Seite V, 3.4.3 "Fluxless Brazing of Aluminium").
3.4.2 Sollte der Fachmann dennoch von der E5 ausgehen, wird ihm eine Oberflächenvorbereitung am Einzelstück offenbart (S. 133, Punkt 3.4.3 mit S. 134 "Surface preparation"), bei der entweder das Beizen in den Lötprozess integriert ist (S. 134, linke Spalte, Zeilen 4-5 "This special procedure [surface treatment] is an integral part of the fluxless process.") oder bei der auf das Beizen ein Versiegeln der Oberfläche folgt, um das Einzelstück vor dem Löten mehrere Tage lagern zu können (E5, Alternative auf S. 134, linke Spalte, ab Zeile 27).
3.4.3 Anspruch 1 unterscheidet sich unbestritten von der E5 zumindest durch die in Merkmal 6g integrierten Merkmale 1e, 1i und 1j.
3.4.4 Die objektive technische Aufgabe kann darin gesehen werden, einen in einem vereinfachten, wirtschaftlichen Verfahren hergestellten Aluminiumverbundwerkstoff in einem flussmittelfreien, thermischen Fügeverfahren zu verwenden.
3.4.5 Die Beschwerdeführerinnen argumentierten, dass sich die Merkmale 1e, 1i und 1j, analog wie zu D1 vorgetragen auf naheliegende Weise ergäben. Merkmal 6g definiere ein Product-by-Process, allerdings mit einem Produkt, das mit einem gemäß Verfahren der E5 hergestellten Produkt identisch sei.
Dem wird nicht zugestimmt.
3.4.6 Insbesondere wird Merkmal 1j in Kombination mit Merkmal 6e aus dem Stand der Technik nicht nahegelegt. Die Begründung entspricht weitestgehend derjenigen, die oben zu D1 mit D11 und Fachwissen gegeben wurde.
3.4.7 Ausgehend von der E5 alleine erhält der Fachmann keinerlei Hinweis oder Anregung, auf die Versiegelung zu verzichten, wenn das Beizen nicht unmittelbar vor dem Löten erfolgt. Die E5 beschreibt auf Seite 134, Zeilen 1 bis 26 ein Beizen, das vorbereitend zum sofort darauf folgenden Lötvorgang erfolgt. Im Folgenden beschreibt die E5 eine Oberflächenbehandlung, bei der nicht sofort anschließend gelötet werden muss. Stellt sich der Fachmann die Aufgabe, einen wirtschaftlich hergestellten Aluminiumverbundwerkstoff zu verwenden, bei dem das Beizen gemäß Merkmal 1j erfolgt ist, würde der Fachmann wie von der Patentinhaberin vorgetragen die Alternative der E5, Seite 134, linke Spalte, ab Zeile 27, heranziehen, bei der zusätzlich die Versiegelung vorgesehen ist.
3.4.8 Damit unterscheidet sich zum Zeitpunkt seiner Verwendung das nach einem Verfahren gemäß der E5 hergestellte Produkt jedoch durchaus von dem in Merkmal 6e definierten Produkt. Entweder die Aluminiumlotschicht weist zum Verwendungszeitpunkt eine versiegelte Oberfläche auf oder hat eine Oberfläche, die noch nicht gebeizt ist und erst zum Verwendungszeitpunkt noch gebeizt werden muss, um gelötet zu werden.
3.4.9 Auch die Kombination der E5 mit der D11 legt lediglich die Ausbildung einer Konversionsschicht nahe, wenn Merkmal 1j realisiert wird.
3.4.10 Eine Kombination mit der E7 wird nicht als naheliegend angesehen, da sich die E7 nicht mit Löten, sondern mit der Oberflächenaufbereitung von lithografischen Druckplatten befasst. Ein Fachmann würde die E7 daher zur Lösung der Aufgabe nicht berücksichtigen.
3.4.11 Folglich beruht Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit.
4. Zulassung von E12-E14, D13, P1
Zu den von den Parteien aufgeworfenen Fragen hinsichtlich der Zulassung dieser Dokumente ist folgendes anzumerken:
4.1 D13 - Entscheidung der Einspruchsabteilung
Die Entscheidung über die Zulassung von D13 stellt eine Ermessentscheidung der Einspruchsabteilung dar. Die Einspruchsabteilung begründete ihre Entscheidung, die verspätet eingereichte Entgegenhaltung D13 nicht zuzulassen, damit, dass D13 "nicht relevanter ist als der schon zitierte Stand der Technik"(Entscheidung, Punkt 11).
Ermessensentscheidungen der ersten Instanz sind von der Kammer nur dann erneut zu prüfen, wenn die falschen Kriterien angewandt wurden oder das Ermessen in willkürlicher Weise ausgeübt worden ist, vgl. Rechtsprechung des Beschwerdekammern (2019, IV.C.4.5.2). Das ist erkennbar nicht der Fall. Die Kammer sieht daher keinen Grund, die Entscheidung der Einspruchsabteilung in Frage zu stellen.
4.2 E12 bis E14, D13, P1 - Artikel 12(4) VOBK 2007
Die Frage der Zulässigkeit nach Artikel 12(4) VOBK 2007 dieser Dokumente kann unbeantwortet bleiben, da keines der Dokumente entscheidungsrelevant ist.
E12 bis E14 wurden mit der Beschwerdebegründung der Einsprechenden 1 eingereicht. D13 wurde mit der Beschwerdebegründung der Einsprechenden 2 erneut eingereicht. P1 wurde mit der Beschwerdeerwiderung der Patentinhaberin eingereicht.
Keines der Dokumente sollte dem Nachweis dienen, dass der gemäß Anspruch 1 des Hilfsantrags verwendete bandförmige Aluminiumverbundwerkstoff bereits in seiner Herstellung mit einer alkalisch gebeizten Aluminiumlotlegierung versehen wurde, die zum Zeitpunkt der Verwendung noch eine alkalisch gebeizte Oberfläche aufweist.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent in geändertem Umfang auf der Grundlage der folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten:
- Ansprüche 1-5 gemäß Hilfsantrag 1, eingereicht mit Schreiben vom 22. März 2021,
- Beschreibung Seiten 1 bis 6 wie eingereicht während der mündlichen Verhandlung um 14.26 Uhr,
- Figuren 1 bis 7 wie erteilt.