T 0116/85 (Schweine I) 14-10-1987
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1. Obwohl die therapeutische Behandlung von Tieren gemeinhin ein Aspekt der Landwirtschaft ist und landwirtschaftliche Verfahren im allgemeinen patentfähig sind, sind die in Artikel 52 (4) EPÜ definierten besonderen Verfahren zur Behandlung von Tieren bei richtiger Auslegung der Artikel 52 und 57 EPÜ aus dem Zusammenhang heraus dennoch von der Patentierbarkeit ausgeschlossen. Für diese Verfahren hat das Patentierungsverbot nach Artikel 52 (4) EPÜ Vorrang vor Artikel 57 EPÜ.
2. Wird bei einem beanspruchten Verfahren ein tierischer Körper therapeutisch behandelt, so fällt dieses Verfahren unter das Patentierungsverbot nach Artikel 52 (4) EPÜ. Es ist rechtlich unmöglich, zwischen der Anwendung des Verfahrens durch einen Züchter und der durch einen Tierarzt zu unterscheiden, ihr also im ersten Fall gewerblichen Charakter und damit Patentierbarkeit gemäss Artikel 57 EPÜ zuzuerkennen, ihr jedoch im zweiten Fall als therapeutischer Behandlung die Patentfähigkeit aufgrund von Artikel 52 (4) EPÜ abzusprechen. Ebensowenig ist eine rechtliche Unterscheidung zwischen der Anwendung des Verfahrens zur Behandlung von Ektoparasiten und der von Endoparasiten möglich.
Therapeutische Behandlung/ Behandl.von Ektoparasiten bei Schweinen
Ausschluss von der Patentierbarkeit/Behandl.von Ektoparasiten/Schwein
I. Die am 16. Oktober 1981 eingereichte und am 28. April 1982 unter der Nummer 0 050 335 veröffentlichte europäische Patentanmeldung Nummer 81 108 424.3, die die Priorität der südafrikanischen Anmeldung Nummer 806408 vom 17. Oktober 1980 in Anspruch nimmt, wurde mit Entscheidung der Prüfungsabteilung vom 29. November 1984 zurückgewiesen. Der Entscheidung lagen der am 6. September 1983 eingereichte Anspruch 1 sowie die ursprünglich eingereichten Ansprüche 2 bis 12 zugrunde; Anspruch 1, der einzige unabhängige Anspruch, lautet wie folgt:
"1. Verfahren zur Bekämpfung von Ektoparasiten-Befall bei Schweinen, bei dem auf eine begrenzte Oberfläche des Schweinekörpers ein Pestizid-Gemisch aufgebracht wird, das aus einem Pestizid besteht, dem ein aliphatisches Kohlenwasserstofföl beigemischt ist, um die systemische Wirkung des Pestizids weitgehend auszuschalten."
II. Die Zurückweisung der Anmeldung wurde von der Prüfungsabteilung damit begründet, daß sich der Gegenstand der Ansprüche auf ein Verfahren zur therapeutischen Behandlung des tierischen Körpers beziehe, das gemäß Artikel 52 (4) EPÜ nicht als gewerblich anwendbar gelte und deshalb nicht patentfähig sei (Art. 52 (1) EPÜ). In der Begründung der Entscheidung wird zwischen "temporären" und "stationären" Ektoparasiten unterschieden, wobei die letzteren mindestens einen Teil ihres Lebenszyklus auf dem Wirtstier verbringen und dieses infizieren. Des weiteren wird darin ausgeführt, daß es in dem Versuchsbericht in der Beschreibung der Patentanmeldung nur um von Krätzmilben befallene Schweine gehe, die Erfindung sich also hauptsächlich mit der Behandlung von stationären Ektoparasiten befasse. Milbenbefall bei Tieren werde "Räude" genannt und gelte als Krankheit. Einige Spezies dieser Ektoparasiten schädigten das befallene Wirtstier unmittelbar; die Bekämpfung oder Abtötung der stationären Ektoparasiten gelte daher als therapeutische Behandlung des tierischen Körpers.
III. Die Beschwerdeführerin legte am 28. Januar 1985 unter Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr gegen diese Entscheidung Beschwerde ein. Die Beschwerdebegründung wurde am 28. März 1985 nachgereicht.
Die Beschwerdeführerin bringt in ihrer Begründung im wesentlichen folgendes vor:
(1) Die Behandlung von Ektoparasiten sei keine medizinische Behandlung. Es müsse unterschieden werden zwischen der Einzelbehandlung von Tieren z. B. durch einen Tierarzt und der Behandlung, die in der Regel vom Landwirt routinemäßig durchgeführt werde. Eine landwirtschaftliche Tätigkeit gelte nicht als tierärztliche Behandlung, sondern sei gewerblich anwendbar.
(2) Wo der Ektoparasit sitze, sei unwichtig. Der Wirkstoff sei ein Pestizid, mit dem sowohl die Tiere selbst als auch der Schweinestall behandelt werden könnten.
(3) Räude sei keine Krankheit. Die von der Prüfungsabteilung vorgenommene Unterscheidung zwischen temporären und stationären Ektoparasiten sei künstlich und willkürlich. Die Behandlung von Ektoparasiten sei unabhängig von der Dauer ihres Aufenthalts auf dem Wirtskörper keine Heilung einer Krankheit. Zweckmäßiger sei es, zwischen Ekto- und Endoparasiten zu unterscheiden. Letztere stellten eine Krankheit dar, erstere jedoch nicht.
(4) Die Rechtsprechung sollte in allen Mitgliedstaaten des EPÜ einheitlich sein. Die Kammer sollte sich der Entscheidung des Patentgerichts des Vereinigten Königreichs in der Sache Stafford-Miller Ltd.'s Applications, 1984, FSR, Seite 258, anschließen.
Die Beschwerdeführerin reichte zusammen mit der Beschwerdebegründung zwei Hilfsanträge ein:
(i) Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags lautet wie folgt:
"1. Verwendung eines Pestizid-Gemisches, ein Pestizid enthaltend, dem zur weitgehenden Ausschaltung seiner systemischen Wirkung ein aliphatisches Kohlenwasserstofföl beigemischt ist, in einem Verfahren zur Bekämpfung von Ektoparasiten-Befall bei Schweinen, bei dem das Gemisch auf eine begrenzte Oberfläche des Schweinekörpers aufgebracht wird"
(ii) Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags lautet wie folgt:
"1. Verwendung eines Pestizids, dem zur weitgehenden Ausschaltung seiner systemischen Wirkung ein aliphatisches Kohlenwasserstofföl beigemischt ist, zur Herstellung eines Pestizid-Gemisches, das bei Schweinen zur Bekämpfung von Ektoparasiten-Befall auf eine begrenzte Körperfläche aufgebracht wird"
In beiden Anträgen entsprechen die Ansprüche 2 - 11 jeweils den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 2 - 11.
IV. In einem Bescheid nach Artikel 110 (2) EPÜ vom 3. Februar 1986 äußerte die Kammer vorab die Ansicht, die Bezugnahme auf Artikel 52 (1) und (4) EPÜ zeige, daß ein in einem Anspruch definiertes Verfahren, bei dem es sich um eine therapeutische Behandlung handele, aufgrund dieser Bestimmungen als nicht gewerblich anwendbar angesehen werden müsse, auch wenn es gewerblich genutzt werde. Somit gehe es im wesentlichen um die Beantwortung der Frage: Ist die Behandlung von Ektoparasiten beim Tier ein therapeutisches Verfahren? Die Kammer vertrat vorab die Auffassung, daß die Behandlung von Milben- und Läusebefall als medizinische Behandlung gelte.
V. In ihrer Erwiderung vom 3. Juni 1986 machte die Beschwerdeführerin geltend, daß Artikel 52 (4) EPÜ in besonderer Weise gesehen werden müsse, damit Artikel 57 voll zur Wirkung komme; ob das beanspruchte Verfahren eine therapeutische Behandlung darstelle, sei dabei nicht ausschlaggebend.
VI. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Erteilung eines Patents auf der Grundlage der Ansprüche des Hauptantrags, hilfsweise auf der Grundlage der Ansprüche des ersten bzw. zweiten Hilfsantrags.
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und Regel 64 EPÜ; sie ist somit zulässig.
2. Alle drei Anspruchssätze erfüllen die Anforderungen des Artikels 123 (2) EPÜ.
3. Bei der vorliegenden Beschwerde gilt es zunächst zu klären, wie die maßgebenden Artikel 52 (1) und (4) und 57 EPÜ richtig auszulegen sind.
3.1. Artikel 52 EPÜ ist mit "Patentfähige Erfindungen" überschrieben und sieht unter anderem folgendes vor:
"(1) Europäische Patente werden für Erfindungen erteilt, die neu sind, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind.
(4) Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers und Diagnostizierverfahren, die am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen werden, gelten nicht als gewerblich anwendbare Erfindungen im Sinn des Absatzes 1." Artikel 57 EPÜ sieht folgendes vor: "Eine Erfindung gilt als gewerblich anwendbar, wenn ihr Gegenstand auf irgendeinem gewerblichen Gebiet einschließlich der Landwirtschaft hergestellt oder benutzt werden kann."
3.2. Nach Auffassung der Kammer müssen die Artikel 52 bis 57 EPÜ, soweit zutreffend, wie folgt ausgelegt werden:
3.3. Artikel 52 enthält Bestimmungen, die die Gegenstände definieren, auf welche ein europäisches Patent erteilt werden kann. Der Artikel ist nach folgendem Schema aufgebaut: Absatz 1 enthält die wesentlichen Bedingungen, die eine Erfindung erfüllen muß, um patentierbar zu sein, nämlich:
(i) sie muß gewerblich anwendbar sein,
(ii) sie muß neu sein,
und
(iii) sie muß auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen.
In den Absätzen 2 bis 4 sind bestimmte Gegenstände definiert, die auch dann von der Patentierbarkeit ausdrücklich ausgeschlossen sind, wenn sie die oben genannten drei Bedingungen erfüllen. So sieht Absatz 2 vor, daß die unter Buchstaben a bis d definierten Gegenstände nicht als Erfindungen im Sinne des Absatzes 1 angesehen werden. Ferner sieht Absatz 4 vor, daß die dort definierten Verfahren "nicht als gewerblich anwendbare Erfindungen im Sinn des Absatzes 1" gelten. Es ist festzustellen, daß sich die Absätze 2 und 4 im Wortlaut geringfügig unterscheiden. Beide haben jedoch eindeutig die gleiche Wirkung: Die definierten Gegenstände sollen selbst dann vom europäischen Patentschutz ausgeschlossen sein, wenn sie Absatz 1, d. h. die Bedingungen i bis iii, erfüllen.
Der Unterschied im Wortlaut der Absätze 2 und 4 ergibt sich aus der Art der Gegenstände, die von der Patentierbarkeit ausgeschlossen werden sollen. Die Gegenstände in Absatz 2 werden hauptsächlich deshalb vom Patentschutz ausgeschlossen, weil sie im nationalen Patentrecht seit jeher mehr als Ideen denn als gewerbliche Erzeugnisse betrachtet werden. Die in Absatz 4 genannten Verfahren hingegen werden aus grundsätzlichen Erwägungen vom Patentschutz ausgeschlossen, obwohl sie gewerblich angewandt werden können. Somit läßt die Formulierung des Absatzes 4 zwar implizit erkennen, daß solche Verfahren tatsächlich gewerblich anwendbar sind, stellt jedoch gleichzeitig vermittels einer Rechtsfiktion fest, daß sie nicht als gewerblich anwendbare Erfindungen gelten. 3.4. Artikel 53 EPÜ enthält noch einige andere Ausnahmen von der Patentierbarkeit, die aber hier nicht näher berücksichtigt zu werden brauchen. Die Artikel 54 und 55 EPÜ definieren und erläutern das in Artikel 52 (1) EPÜ genannte Patentierungserfordernis, wonach der Gegenstand "neu" sein muß. Artikel 56 EPÜ definiert und erläutert die Anforderung des Artikels 52 (1) EPÜ, daß der Gegenstand "auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen" muß. 3.5. Artikel 57 EPÜ wiederum definiert und erläutert die Anforderung in Artikel 52 (1) EPÜ, daß der Gegenstand "gewerblich anwendbar" sein muß. Er macht insbesondere deutlich, daß die Landwirtschaft nach dem EPÜ ein Gewerbe ist; landwirtschaftliche Verfahren gelten deshalb im allgemeinen als gewerblich anwendbar.
Das den Artikeln 52 bis 57 zugrunde liegende Schema macht jedoch deutlich, daß die in Artikel 52 (4) EPÜ definierten besonderen Verfahren vom Patentschutz ausgeschlossen sind, obwohl landwirtschaftliche Verfahren generell patentfähig sind. Mit anderen Worten, bei den speziellen Verfahren nach Artikel 52 (4) EPÜ hat dieser Artikel Vorrang vor Artikel 57 EPÜ.
3.6. Vom Patentschutz ausgeschlossen sind:
(i) Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers
(ii) am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommene diagnostische Verfahren
3.7. Mit dem Ausschluß dieser Verfahren von der Patentierbarkeit hat das EPÜ nichts Neues eingeführt. Schon vor seinem Inkrafttreten waren diese Verfahren nach dem nationalen Recht vieler europäischer Länder vom Patentschutz ausgeschlossen. Diesem Ausschluß liegt eindeutig die grundsätzliche Überlegung zugrunde, daß diejenigen, die diese Verfahren als Teil der medizinischen Behandlung von Menschen oder Tieren anwenden, darin nicht durch Patente behindert werden sollen.
3.8. Die Kammer hat sich mit den einschlägigen Materialien zum EPÜ befaßt. Die oben genannte Auslegung der Artikel 52 und 57 EPÜ steht mit diesen durchaus im Einklang; Zweck des Artikels 52 (4) EPÜ war nämlich, die Patentierbarkeit von Behandlungen auszuschließen, "die als Maßnahmen zur Heilung von Tieren oder zur Linderung ihrer Leiden verstanden werden" (s. insbesondere Konferenzberichte, BR/219/72, Nr. 27).
4. Das Vorbringen in der Beschwerdebegründung soll nun im Hinblick auf die numerierten Unterabschnitte von Nummer III erörtert werden.
4.1. In Fällen wie diesem liegt das besondere Problem darin, daß das in den Ansprüchen definierte Verfahren sowohl bei einzelnen Tieren als auch bei ganzen Herden angewandt werden kann. Wird es bei einzelnen Tieren angewandt, so kommt es einer tierärztlichen Behandlung gleich; wird es hingegen bei ganzen Herden angewandt, hat es auch den Charakter einer gewerblichen Tätigkeit. Zweifellos gehört die Viehzucht, z. B. die Schweinezucht, zu den Tätigkeiten eines Landwirts, ist also im weiteren Sinne Teil der Landwirtschaft und damit wiederum eine gewerbliche Tätigkeit im Sinne des EPÜ. Hier fällt es leicht, die von der Beschwerdeführerin vorgeschlagene Unterscheidung zwischen individueller tierärztlicher Behandlung einerseits und der vom Landwirt durchgeführten Massenbehandlung andererseits vorzunehmen. Wenn jedoch das in den Ansprüchen definierte Verfahren beide Tätigkeitsformen umfaßt, nützt diese Unterscheidung nichts mehr. Wie unter Nummer 2.2 bis 2.5 dargelegt, sind nach Artikel 52 (4) EPÜ die darin aufgeführten Verfahren vom Patentschutz ausgeschlossen.
Schließlich kann jede therapeutische Behandlung eines Nutztieres auch als gewerbliche Tätigkeit betrachtet werden, da die Landwirtschaft zweifellos zu den gewerblichen Tätigkeiten gehört; mit der medizinischen Behandlung von Krankheiten sowohl beim einzelnen Nutztier als auch bei ganzen Herden soll ja die Effizienz dieser gewerblichen Tätigkeit gesteigert werden. Wenn eine medizinische Behandlung bewirkt, daß ein Hausschwein an einer Krankheit nicht eingeht oder von ihr geheilt wird, und wenn damit der Fleischertrag gesteigert wird, so liegt in beiden Fällen sowohl eine gewerbliche Tätigkeit als auch eine therapeutische Behandlung vor. Somit stellt die therapeutische Behandlung von Tieren ganz allgemein einen Aspekt der Landwirtschaft dar.
4.2. Daß der Wirkstoff auch auf unbelebte Sachen wie z. B. Schweineställe angewandt werden kann, ist hier unerheblich, weil in den Ansprüchen die Anwendung am Schweinekörper beansprucht wird.
4.3. Die Kammer stimmt mit der Beschwerdeführerin darin überein, daß der von der Prüfungsabteilung in ihrer Entscheidung vorgenommenen Unterscheidung zwischen der Behandlung von temporären und stationären Ektoparasiten und der Feststellung, daß nur die Behandlung von stationären Ektoparasiten (z. B. von Krätzmilben bei Schweinen) als therapeutische Behandlung eines kranken tierischen Körpers gelte, die rechtliche Grundlage fehlt.
Andererseits jedoch kann die Kammer der Beschwerdeführerin darin nicht zustimmen, daß es für eine Unterscheidung zwischen Ekto- und Endoparasiten für die Zwecke des Artikels 52 (4) EPÜ eine Rechtsgrundlage gibt. Es geht hier nicht um die Frage, ob Endo- oder Ektoparasiten behandelt werden, sondern darum, ob das anspruchsgemäße Verfahren eine Behandlung des tierischen Körpers im Sinne des Artikels 52 (4) EPÜ darstellt.
Wenn also, kurz gesagt, ein beanspruchtes Verfahren die therapeutische Behandlung eines tierischen Körpers erforderlich macht, so fällt es nach Artikel 52 (4) EPÜ unter den Ausschluß von der Patentierbarkeit. Es ist rechtlich unmöglich, zwischen der Anwendung des Verfahrens durch einen Züchter und der durch einen Tierarzt zu unterscheiden, ihr also im ersten Fall gewerblichen Charakter und damit Patentierbarkeit gemäß Artikel 57 EPÜ zuzuerkennen, ihr jedoch im zweiten Fall als therapeutischer Behandlung die Patentfähigkeit aufgrund von Artikel 52 (4) EPÜ abzusprechen. Ebensowenig ist eine rechtliche Unterscheidung zwischen der Anwendung des Verfahrens zur Behandlung von Ektoparasiten und der von Endoparasiten möglich.
4.4. Ferner muß in der vorliegenden Beschwerde geklärt werden, ob die Behandlung der Schweineräude tatsächlich die Behandlung einer Krankheit ist. Die Beschwerdeführerin hat geltend gemacht, daß Räude keine Krankheit sei.
Nach Auffassung der Kammer steht jedoch fest, daß Räude entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerin eine Hautkrankheit ist, die durch Parasiten hervorgerufen wird. So definiert das Shorter Oxford English Dictionary Räude als "Hautkrankheit, die bei vielen ... Tieren vorkommt und durch spinnenartige Parasiten hervorgerufen wird". Außerdem kann diese Krankheit nur durch eine Behandlung des infizierten Körpers wirksam bekämpft werden, bei der die Ektoparasiten, die sie hervorrufen, abgetötet werden. Bei allen Beispielen in der Beschreibung der vorliegenden Anmeldung geht es um die Behandlung von Schweinen, die von der Schweineräude (Sarcoptes scabiei) befallen sind. Es ist festzuhalten, daß in dem von der Beschwerdeführerin genannten Nachschlagewerk Monnig's "Veterinary Helminthiology and Entomology", London 1982, auf Seite 516 angegeben ist, daß "Sarcoptesräude in den meisten Ländern als meldepflichtige Krankheit geführt wird".
Die Kammer ist deshalb der Meinung, daß es sich bei allen Beispielen in der vorliegenden Anmeldung um die Anwendung eines Verfahrens zur Behandlung erkrankter Schweine handelt und daß dieses Verfahren ein Verfahren zur therapeutischen Behandlung des tierischen Körpers ist.
5. Dementsprechend ist die Kammer im Hinblick auf die richtige Auslegung des Artikels 52 (4) EPÜ der Auffassung, daß die beanspruchte Erfindung nicht als "gewerblich anwendbare Erfindung im Sinne des Artikels 52 (1) EPÜ" betrachtet werden kann und somit nicht patentfähig ist.
6. Die Beschwerdeführerin stützt sich in zweierlei Hinsicht auf eine Entscheidung des Patentgerichts des Vereinigten Königreichs in der Sache Stafford-Miller Ltd.'s Applications, 1984, Fleet Street Reports, S. 258.
6.1. (i) Zum einen beruft sie sich auf die Feststellung des Gerichts, daß Läusebefall "füglich nicht als körperliche Erkrankung, gesundheitliche Störung oder chronische Krankheit bezeichnet" werden könne. Diese Feststellung bezog sich in erster Linie auf Verfahren zur Bekämpfung von Läusen beim Menschen und stützte sich auf Beweismaterial, das die damalige Anmelderin dem Gericht vorgelegt hatte. Die Beschwerdeführerin macht ferner geltend, daß in diesem Zusammenhang kein Unterschied zwischen Läusen und Krätzmilben gemacht werden sollte.
(ii) Sie ersucht die Beschwerdekammer ferner, sich im Interesse einer einheitlichen Rechtsprechung in den Mitgliedstaaten des EPÜ dieser Entscheidung anzuschließen.
6.2. Was das Vorbringen unter Ziffer i angeht, so hat die Kammer ihre Feststellung (s. Nr. 4.4), daß die Behandlung der Schweineräude eine therapeutische Behandlung einer Krankheit sei, aufgrund der ihr vorliegenden Beweismittel getroffen. Die Feststellung des Patentgerichts des Vereinigten Königreichs, daß Läusebefall beim Menschen keine Krankheit sei, ist aufgrund anderer Beweismittel getroffen worden und deshalb für die Kammer nicht maßgebend.
Was Ziffer ii anbetrifft, so unterscheidet sich die Rechtslage in der Sache Stafford-Miller aus folgenden Gründen von der im vorliegenden Fall:
Die Sache Stafford-Miller ist nicht nach dem Patentgesetz (UK) von 1977 entschieden worden, dessen einschlägige materiellrechtliche Bestimmungen auf die Artikel 52 bis 57 EPÜ zurückgehen und dieselbe Wirkung wie diese haben sollen. Sie ist vielmehr nach dem Patentgesetz (UK) von 1949 entschieden worden, das Ansprüche auf eine medizinische Behandlung von Menschen oder Tieren noch nicht ausdrücklich von der Patentierbarkeit ausschloß.
Nach der Rechtsprechung, die sich im Vereinigten Königreich aufgrund des Patentgesetzes von 1949 und von dessen Vorgängern in den patentamtlichen Entscheidungen und den damit zusammenhängenden Beschwerdeentscheidungen herausgebildet hatte, waren Verfahren zur medizinischen Behandlung von Menschen und Tieren keine "neuen Herstellungsverfahren" im Sinne des Monopolgesetzes und fielen deshalb nicht unter den Begriff "Erfindung" nach 101 PatG (UK) von 1949. Jedoch war weder das Patentamt noch das Patentgericht bei der Verhandlung von Beschwerden gegen Entscheidungen des Patentamts befugt, diese Frage der Patentierbarkeit endgültig zu entscheiden. Diese eingeschränkte Funktion der Entscheidungen des Patentamts und des Patentgerichts wird in der Entscheidung zu Swift's Application, 1962 RPC, 37, deutlich, wo es im Leitsatz wie folgt heißt:
"Das Gericht hat nicht entschieden, ob das Verfahren ein Herstellungsverfahren ist, sondern hat vorab die Auffassung vertreten, daß es Aufgabe des Comptroller und des Patentgerichts ist, nur solche Anmeldungen nicht zur Erteilung zuzulassen, von denen beim besten Willen nicht gesagt werden kann, daß sie unter das Patentgesetz fallen, und die somit jeglicher Grundlage entbehren."
So hatte das Patentgericht in der Sache Stafford-Miller nicht zu entscheiden, ob die beanspruchte Erfindung tatsächlich patentierbar war, sondern nur, ob sie es möglicherweise sein konnte. Die Feststellung des Gerichts im vorletzten Satz auf Seite 261 spiegelt dies wider: "... bin ich nicht so fest davon überzeugt, daß diese Ansprüche bereits jenseits der Trennungslinie liegen, als daß ich in diesem Stadium behaupten könnte, daß diese Anmeldungen keine gute Grundlage für einen tragfähigen Anspruch darstellen". Das Gericht hat hier also im Zweifelsfall zugunsten des Anmelders entschieden. Anders als das Patentgericht in der Sache Stafford-Miller hat die Kammer im vorliegenden Fall jedoch darüber zu befinden, ob die Ansprüche im Hinblick auf Artikel 52 (4) EPÜ tatsächlich patentfähig sind.
Die Entscheidung im vorliegenden Fall würde also die Einheitlichkeit der Rechtsprechung in den Vertragsstaaten des EPÜ keineswegs gefährden.
7. Sollte die Kammer entscheiden, daß es sich bei dem anmeldungsgemäßen Verfahren um eine therapeutische Behandlung des tierischen Körpers handelt, so müsse - wie die Beschwerdeführerin ferner geltend macht - Artikel 52 (4) EPÜ "in besonderer Weise" gesehen werden, damit Artikel 57 EPÜ voll zur Wirkung komme. Die Rechtfertigung für diese besondere Betrachtungsweise lasse sich aus der Entscheidung Gr 05/83 der Großen Beschwerdekammer "Second Medical Indication)", (Für die gleichlautende deutsche Fassung dieser Entscheidung s. Gr 01/83, ABl. EPA 1985, 60 - "zweite medizinische Indikation/BAYER") Nummer 22 (ABl. EPA 1985, 64) analog ableiten. Damals habe es die Kammer für notwendig gehalten, den in Artikel 54 (2) EPÜ definierten Begriff des "Stands der Technik" in besonderer Weise zu sehen, um die darin aufgeworfene "Frage der Neuheit der Erfindung" in Verbindung mit der Gewährbarkeit von Ansprüchen zu lösen, die auf die Verwendung eines Stoffes oder Stoffgemisches zur Herstellung eines Arzneimittels für eine bestimmte neue therapeutische Anwendung gerichtet seien.
Nach Auffassung der Kammer rechtfertigt die Sache "zweite medizinische Indikation" keinesfalls die von der Beschwerdeführerin geforderte besondere Betrachtungsweise des Artikels 52 (4) EPÜ, die Ansprüche gewährbar machen soll, die auf ein "Verfahren zur therapeutischen Behandlung des tierischen Körpers" gerichtet sind; diese Ansprüche sind nämlich, wie oben dargelegt, durch Artikel 52 (4) EPÜ ausdrücklich von der Patentierbarkeit ausgenommen.
Die Beschwerdeführerin zielt mit ihrem Vorbringen in Wirklichkeit darauf ab, daß Artikel 57 EPÜ Vorrang vor der ausdrücklichen Bestimmung in Artikel 52 (4) EPÜ gegeben wird, falls es zwischen den beiden Bestimmungen zu einer Kollision kommt. Nach Auffassung der Kammer ist diese Auslegung des EPÜ jedoch nicht richtig, wie bereits unter den Nummern 3.2 bis 3.5 dargelegt worden ist.
8. Die Beschwerdeführerin hat ferner unter Bezugnahme auf Benkard, Patentgesetz, 7. Auflage, 1981, Seite 265, geltend gemacht, daß Verfahren zur Schädlingsbekämpfung nach deutscher Rechtsprechung gewerblich anwendbar seien. Die Kammer hat jedoch, wie bereits dargelegt, entschieden, daß das Verfahren nach Anspruch 1 als Verfahren zur medizinischen Behandlung und nicht als Verfahren zur Schädlingsbekämpfung anzusehen ist.
9. Erster Hilfsantrag
In der Entscheidung Gr 05/83 (Second medical Indication*)) hat die Große Beschwerdekammer festgestellt (s. Nr. 11 - 13), daß "ein Patentanspruch, der auf die 'Verwendung eines Stoffes oder Stoffgemisches zur therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers' gerichtet ist, seinem eigentlichen Inhalt nach in keiner Weise verschieden [ist] von einem Anspruch auf ein 'Verfahren zur ... therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers' mit dem Stoff oder Stoffgemisch. Der Unterschied beider Ansprüche besteht im Grunde nur in der Fassung; die zweite Fassung des Anspruchs widerspricht aber offensichtlich dem Artikel 52 (4) EPÜ. Aus diesem Grund kann kein europäisches Patent mit Ansprüchen weder auf ein solches Verfahren noch auf eine solche Verwendung erteilt werden (Art. 97 (1) EPÜ)."
Daraus folgt, daß sich die Ansprüche nach dem ersten Hilfsantrag ihrem eigentlichen Inhalt nach nicht von den Ansprüchen nach dem Hauptantrag unterscheiden; sie sind deshalb aus denselben Gründen nicht patentfähig.
10. Zweiter Hilfsantrag
Die Ansprüche nach dem zweiten Hilfsantrag entsprechen den in der Entscheidung "zweite medizinische Indikation" als gewährbar zugelassenen. Die Verwendung von Insektiziden zur Behandlung von Ektoparasiten ist jedoch unstreitig bekannt (s. Beschreibung, S. 1, Abs. 2). Außerdem liegt auch dann keine Offenbarung einer neuen medizinischen Indikation vor, wenn die Ansprüche auf eine bestimmte Formulierung des Pestizids gerichtet sind, die bei einem bestimmten Tier auf eine bestimmte Weise angewendet wird. Aus diesen Gründen sieht die Kammer auch hier keine Grundlage dafür, dem Antrag stattzugeben.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.