T 0247/98 (Zustellungsfiktion/CLARIANT) 17-06-1999
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Verfahren zur Herstellung von kristallinen Natriumsilikaten
Zustellung an Vertreter bis zur Niederlegung des Mandats
Zustellungsfiktion der R. 78 (3)
Auslegung des Tatbestandsmerkmals 'im Zweifel'
Darlegungslast
Bestreiten mit Nichtwissen
Fehlen von Rückschein und Empfangsbescheinigung
Grenzen der Amtsermittlungspflicht
Vertrauensschutz
I. Bei der Bestimmung der Bedeutung des Tatbestandsmerkmals "im Zweifel" in der deutschen Fassung der Regel 78 (3) EPÜ sind die französischen und englischen Fassungen dieser Regel zu beachten, die einen Streitfall voraussetzen ("en cas de contestation" bzw. "in the event of any dispute"). Ein Zweifel im Sinne dieser Vorschrift wird daher erst begründet, wenn geltend gemacht wird, ein Schriftstück sei tatsächlich später als zehn Tage nach dem Datum der Abgabe zur Post zugegangen. Das bloße Fehlen von Rückschein und Empfangsbescheinigung in der Akte begründet allein noch keinen Zweifel im Sinne dieser Regel (Punkt 2.1 und 2.6 der Gründe).
II. Tatsachen, die eigene Handlungen einer Partei betreffen oder die Gegenstand der eigenen Wahrnehmung einer Partei sind, können im Verfahren vor dem EPA von dieser Partei jedenfalls dann nicht mit "Nichtwissen" bestritten werden, wenn es an sich Sache dieser Partei ist, den Sachverhalt darzulegen (Punkt 2.3 der Gründe).
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 19. Dezember 1997, mit der das europäische Patent Nr. 436 835 mit dem Titel "Verfahren zur Herstellung von kristallinen Natriumsilikaten" in beschränktem Umfang aufrechterhalten wurde. Beschwerdeführerin ist die Einsprechende.
II. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung wurde an den zugelassenen Vertreter der Einsprechenden zugestellt. Mit Schreiben vom 17. Dezember 1997, das am 23. Dezember 1997 im Europäischen Patentamt einging, legte dieser sein Mandat nieder. Mit einer "Kurzmitteilung" vom 28. Januar 1998 sandte die Formalsachbearbeiterin der Einspruchsabteilung, darin bezugnehmend auf ein geführtes Telefongespräch, die Entscheidung vom 19. Dezember 1997 an die Einsprechende zu, mit der Bitte um Bestätigung des Erhalts. Die "Kurzmitteilung" enthält ferner die Bemerkung: "Diese Zwischenentscheidung läuft am 19. Februar 1998 ab". Per Fax vom 16. Februar 1998 an die Einsprechende bat die Formalsachbearbeiterin erneut um Empfangsbestätigung. Mit Schreiben vom 20. Februar 1998, das am 24. Februar 1998 im Europäischen Patentamt einging, sandte die Einsprechende die Empfangsbescheinigung zurück, in der der 2. Februar 1998 als Tag des Erhalts der Sendung bescheinigt wird.
III. Die durch einen anderen zugelassenen Vertreter eingelegte Beschwerde der Einsprechenden ging am 13. März 1998 im Europäischen Patentamt ein.
IV. In der Beschwerdeschrift erkannte die Beschwerdeführerin eingangs an, daß ihre Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 19. Dezember 1997 prima facie verspätet sei, da die Beschwerdefrist selbst unter Berücksichtigung der Zehn-Tages-Regel bereits vor vierzehn Tagen abgelaufen sei. Sie beantrage dennoch, die Beschwerde als rechtzeitig eingegangen anzusehen. Zur Begründung trug sie vor, daß die Beschwerdefrist nicht ab dem gemäß Regel 78 (3) EPÜ berechneten Datum der Zustellung der Entscheidung an den damaligen Vertreter der Beschwerdeführerin im Einspruchsverfahren, sondern frühestens ab dem Datum der Kurzmitteilung der Formalsachbearbeiterin der Einspruchsabteilung vom 28. Januar 1998 bzw. deren Zustellung an die Beschwerdeführerin zu laufen begonnen habe. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 19. Dezember 1997 habe dem damaligen Vertreter der Beschwerdeführerin nicht mehr zugestellt werden dürfen, da dieser schon seit Herbst 1997 nicht mehr befugt gewesen sei, die Beschwerdeführerin im Einspruchsverfahren zu vertreten.
Die Beschwerdeführerin selbst sei erst zu einem späteren Zeitpunkt auf die Entscheidung aufmerksam geworden. Der für Patentangelegenheiten verantwortliche Manager der Beschwerdeführerin habe irgendwann - nach dessen Überzeugung nicht vor Neujahr, wahrscheinlich aber später - die Patentakten des früheren Vertreters der Beschwerdeführerin erhalten. Die Abschrift der Entscheidung der Einspruchsabteilung in diesen Akten sei erst jetzt bemerkt worden. Damals seien diese Akten zur Seite gelegt worden, weil sie im Verhältnis zu den eigenen Akten als Doppel angesehen worden seien. Die Kurzmitteilung der Formalsachbearbeiterin vom 28. Januar 1998 sei am 2. Februar 1998 bei der Beschwerdeführerin eingegangen. Ihre Bedeutung sei dort jedoch anscheinend nicht verstanden worden. Dem für Patentangelegenheiten zuständigen Manager der Beschwerdeführerin sei sie erst vorgelegt worden, nachdem die Formalsachbearbeiterin der Einspruchsabteilung telefonisch nach der Rücksendung der Empfangsbescheinigung gefragt und eine weitere Abschrift der Kurzmitteilung und der Zwischenentscheidung gefaxt habe. Dieser Manager sei jedoch ebenfalls der deutschen Sprache nicht mächtig und habe die Bedeutung der Bemerkung "Die Zwischenentscheidung läuft am 19. Februar ab" nicht verstanden. Er sei davon ausgegangen, daß die Beschwerdefrist von zwei Monaten ab dem Datum der Zustellung der Kurzmitteilung laufe, die die erste der Beschwerdeführerin bewußte Zustellung der Entscheidung an diese dargestellt habe.
Soweit der jetzige Vertreter der Beschwerdeführerin dies im Zeitpunkt der Beschwerdeeinlegung angeben könne, habe der frühere Vertreter anscheinend keinen ernsthaften Versuch gemacht, die Beschwerdeführerin von der Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 19. Dezember 1997 zu unterrichten. Aus all diesen Gründen könne jede Inempfangnahme der schriftlichen Entscheidung durch den früheren Vertreter, falls es eine solche gegeben haben sollte, nicht als zu Recht im Namen der Beschwerdeführerin erfolgt angesehen werden.
V. In einem Bescheid wies die Kammer auf die Regeln 78 (3), 81, 82 und 101 (6) EPÜ, sowie die Entscheidungen T 703/92 und J 19/92 hin. Sie machte ferner darauf aufmerksam, daß sich Rückschein und Empfangsbescheinigung des im Zeitpunkt der Aufgabe der Entscheidung zur Post bestellten Vertreters der Beschwerdeführerin nicht in der Akte befänden und gab anheim, zur Frage der Rechtzeitigkeit der Beschwerdeeinlegung ergänzend vorzutragen.
VI. In Erwiderung teilte die Beschwerdeführerin mit, sie habe über die in der Beschwerdeschrift gemachten Angaben hinaus nichts weiter vorzutragen. Diese Angaben rechtfertigten ihren Antrag, entweder den 28. Januar 1998 oder den 2. Februar 1998 als wirksames Zustellungsdatum der Zwischenentscheidung vom 19. Dezember 1997 anzusehen.
VII. Die Beschwerdegegnerin führte aus, daß ihr die Entscheidung der Einspruchsabteilung am Montag, den 22. Dezember 1997 zugestellt worden sei. Es sei deshalb davon auszugehen, daß auch der Beschwerdeführerin die Entscheidung noch in derselben Woche zugestellt worden sei. Die Zustellung der Entscheidung sei ordnungsgemäß an den damaligen Vertreter der Beschwerdeführerin erfolgt.
VIII. Am 17. Juni 1999 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.
IX. In dieser trat für die Beschwerdeführerin wiederum ein anderer, allein für die mündliche Verhandlung bestellter zugelassener Vertreter auf.
Er räumte ein, daß die Entscheidung der Einspruchsabteilung zu Recht an den damaligen Vertreter der Beschwerdeführerin zugestellt worden sei. Er sei jedoch der Auffassung, daß sich allein aus der Tatsache, daß sich Rückschein und Empfangsbescheinigung des damaligen Vertreters der Beschwerdeführerin nicht in der Akte befänden, ergebe, daß im vorliegenden Fall Zweifel im Sinne von Regel 78 (3) EPÜ bestanden hätten, ob und wann die Entscheidung dem damaligen Vertreter der Beschwerdeführerin zugegangen sei. Dies werde dadurch bestätigt, daß die Einspruchsabteilung selbst ihre Entscheidung mit der Kurzmitteilung vom 28. Januar 1998 an die Beschwerdeführerin erneut zugestellt habe. Regel 78(3) EPÜ sei daher mit der Folge anzuwenden, daß die Beweislast dafür, daß die Entscheidung so rechtzeitig bei diesem eingegangen sei, daß die Beschwerdefrist von diesem Datum ausgehend nicht eingehalten sei, beim Europäischen Patentamt liege. Auch sei es, wenn eine Entscheidung ein bestimmtes Datum trage, keineswegs sicher, daß die Entscheidung tatsächlich auch an diesem Tag zur Post gegeben worden sei. Es sei doch eher unwahrscheinlich, daß eine Entscheidung noch an dem Tag zur Post gegeben werde, an dem sie erlassen worden sei. Darüber hinaus habe die Einspruchsabteilung mit der erneuten Zustellung der Entscheidung an die Beschwerdeführerin und dem Inhalt der Kurzmitteilung vom 28. Januar 1998 den Rechtsschein gesetzt, daß die Beschwerdefrist für die Beschwerdeführerin erst mit dieser Zustellung zu laufen begonnen habe.
Auf Befragen durch die Kammer, ob die Beschwerdeführerin behaupte, daß die Entscheidung der Einspruchsabteilung bei dem damaligen Vertreter der Beschwerdeführerin später als zehn Tage nach dem 19. Dezember 1997 eingegangen sei, erklärte der Vertreter, dies könne er nicht vortragen. Auf den Hinweis der Kammer, daß sich nach dem eigenen Vortrag der Beschwerdeführerin die an den damaligen Vertreter zugestellte Entscheidung in den von diesem nach Niederlegung des Mandats an die Beschwerdeführerin übergebenen Akten befunden habe, und es als eine unter Anwälten übliche Maßnahme erscheine, den Eingangstag von Schriftstücken zu dokumentieren, so daß sich aus den bei der Beschwerdeführerin vorhandenen Akten ein Anhalt für das Datum des Eingangs bei dem damaligen Vertreter der Beschwerdeführerin ergeben müsse, wiederholte der Vertreter der Beschwerdeführerin, er könne nicht vortragen, daß die Entscheidung bei diesem später als zehn Tage nach dem 19. Dezember 1997 eingegangen sei. Jedoch habe er selbst diese Akten nicht konsultiert. Er selbst könne daher den Eingang bei diesem Vertreter in dem genannten Zeitraum nur mit Nichtwissen bestreiten.
Auf den Vorhalt der Kammer, daß eine Partei den Inhalt ihrer eigenen Akten nicht mit Nichtwissen bestreiten könne, und die anschließende Frage der Kammer, ob ein Beweisantrag gestellt werde, erklärte der Vertreter der Beschwerdeführerin, dies sei nicht der Fall. Seine Argumentation zur Frage der Rechtzeitigkeit der Beschwerdeeinlegung gründe sich auf die vorgetragenen Auffassungen.
Die Beschwerdeführerin beantragte, die Beschwerde als rechtzeitig eingegangen anzusehen.
X. Die Beschwerdegegnerin erläuterte ihren schriftsätzlichen Vortrag und führte ergänzend aus, die Frage, ob der damalige Vertreter der Beschwerdeführerin die ihm zugestellte Entscheidung an die Beschwerdeführerin weitergegeben habe, sei für die Rechtzeitigkeit der Beschwerdeeinlegung ohne Belang.
Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde als unzulässig zurückzuweisen.
Die Beschwerde ist unzulässig. Sie wurde nicht innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der Entscheidung im Sinne von Artikel 108, Satz 1 EPÜ eingereicht.
1. Die am 13. März 1998 im Europäischen Patentamt eingegangene Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 19. Dezember 1997. Diese Entscheidung wurde dem damaligen Vertreter der Einsprechenden und jetzigen Beschwerdeführerin zugestellt.
Gemäß Regel 81 (1) EPÜ werden die Zustellungen an den Vertreter gerichtet, wenn ein solcher bestellt worden ist. Diese Zustellungsregel ist zwingend (siehe auch J 19/92 vom 11. Oktober 1993, Nr. 4 der Gründe, und T 703/92 vom 14. September 1995, Nr. 1.1.1 der Gründe, beide unveröffentlicht). Gemäß Regel 101 (6) EPÜ wird der Vertreter, dessen Vertretungsmacht erloschen ist, weiter als Vertreter angesehen, bis das Erlöschen der Vertretungsmacht dem Europäischen Patentamt angezeigt worden ist. Im vorliegenden Fall waren deshalb bis zum 23. Dezember 1997 Zustellungen weiter an den bestellten Vertreter der Beschwerdeführerin zu richten, auch wenn seine Bevollmächtigung durch die Beschwerdeführerin, sie zu vertreten, bereits vorher erloschen gewesen sein sollte.
Für die Frage, ob eine Zustellung gemäß Regel 81 (1) EPÜ an den Vertreter zu richten war, kommt es auf die Rechtslage im Zeitpunkt der Absendung des Schriftstücks und nicht auf die Rechtslage im Zeitpunkt des Zugangs des Schriftstückes an (siehe auch J 19/92, Nr. 4 und 5 der Gründe). Deshalb ist eine an den im Zeitpunkt der Absendung wirksam bestellten Vertreter gerichtete Zustellung ordnungsgemäß und braucht nicht wiederholt zu werden, selbst wenn der Vertreter sein Mandat in dem Zeitpunkt, in dem ihm die Entscheidung zugeht, bereits niedergelegt hatte. Die Information des Mandanten über die Zustellung ist in einem solchen Fall allein eine Sache des Innenverhältnisses zwischen Vertreter und Mandant, die den Pflichtenkreis des Amtes nicht berührt.
Für den Zugang des Schriftstücks und damit das Bewirken der Zustellung der Entscheidung ist genügend, daß die Entscheidung bei dem Vertreter eingeht. Eine "Inempfangnahme" - wie die Beschwerdeführerin in ihrem schriftlichen Vortrag geltend gemacht hat- durch den Vertreter in dem Sinne, daß dieser einwilligen müßte, das Schriftstück in Vertretung für seinen Mandanten entgegenzunehmen, ist nicht erforderlich.
2. Die Zustellungsfiktion der Regel 78 (3) EPÜ ist im vorliegenden Fall trotz des Nichtvorhandenseins von Rückschein und Empfangsbescheinigung der damaligen Vertreter der Beschwerdeführerin in der Einspruchsakte auf die Berechnung des Beginns der Beschwerdefrist ab dem 19. Dezember 1997 anzuwenden.
Gemäß Regel 78 (3) EPÜ gilt bei der Zustellung mittels eingeschriebenem Brief dieser mit dem zehnten Tag nach der Abgabe zur Post als zugestellt. Diese Zustellungsfiktion dient der Erleichterung der Fristberechnung und Fristüberwachung für das Amt und die Parteien und damit der Rechtssicherheit. Für die Parteien bedeutet sie im allgemeinen eine spürbare Verlängerung des für eine Antwort tatsächlich zur Verfügung stehenden Zeitraumes. Ihre Anwendung wäre allerdings dann ungerecht, wenn eine Partei das zugestellte Schriftstück erst später als zehn Tage nach der Abgabe zur Post erhalten hat. Deshalb gilt die Zustellungsfiktion in diesem Fall nicht. Darüber hinaus hat gemäß Regel 78 (3), 2. Halbsatz, EPÜ im Zweifel das Europäische Patentamt den Tag des Zugangs zu beweisen. Wie der Wortlaut der Vorschrift besagt, greift diese Beweislastverteilung, die die Anwendbarkeit der Zustellungsfiktion außer Kraft setzt, "im Zweifel" ein.
Kernpunkt des Vortrags der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung war deren Auffassung, allein die formale Tatsache des Fehlens von Rückschein und Empfangsbescheinigung in der Akte erfülle das Tatbestandsmerkmal "im Zweifel" und setze die Anwendbarkeit der Zustellungsfiktion außer Kraft, auch wenn die Beschwerdeführerin nicht geltend machen könne, daß sie die Entscheidung der Einspruchsabteilung tatsächlich später als zehn Tage nach dem 19. Dezember 1997 erhalten habe.
Die Kammer kann sich dieser Auffassung nicht anschließen. Sie widerspricht dem Wortlaut von Regel 78 (3) EPÜ zumindest in dessen englischen und französischen Fassungen und auch dem Sinn dieses Teils der Vorschrift, Ausnahmen von der Anwendbarkeit der Zustellungsfiktion dann zu ermöglichen, wenn deren Anwendung ungerecht sein könnte.
2.1. Bei der Bestimmung der Bedeutung des Tatbestandsmerkmals "im Zweifel" sind die französischen und englischen Fassungen von Regel 78 (3) EPÜ zu beachten. Die englische Fassung lautet "in the event of any dispute", die französische "en cas de contestation". Beide Fassungen setzen somit ihrem Wortlaut nach voraus, daß ein Streit oder ein Bestreiten durch die Partei vorliegt, daß diese also geltend gemacht haben muß, daß ihr das Schriftstück nicht in dem in Regel 78 (3) EPÜ genannten Zeitraum zugegangen ist. Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift belegt, daß dies die beabsichtigte Bedeutung der Vorschrift ist und demgemäß bei der Auslegung von den Formulierungen der übereinstimmenden englischen und französischen Texte auszugehen ist. Die ursprüngliche französische Fassung zum damaligen Artikel 161, Nummer 3 (Projet concernant le règlement d'exécution de la convention relative à un droit européen des brevets, Propositions relatives à l'application des articles 160 à 163 de la Convention, 2821/IV/63-F, vom 9. Mai 1963) verwendete nämlich entsprechend der deutschen Fassung des Arbeitsentwurfs (Arbeitsentwurf zu einer Ausführungsordnung zum Abkommen über ein europäisches Patentrecht vom 9. Mai 1963) die Formulierung "dans le doute". In der neunten Sitzung der Arbeitsgruppe "Patente" vom 1. - 12. Juli 1963 wurde vorgeschlagen, die Ausnahme von der Zustellungsfiktion, ganz zu streichen, weil sie zu kompliziert und überflüssig sei und nur die Zustellungsfiktion selbst beizubehalten. Eine solche Lösung wurde jedoch als ungerecht abgelehnt, weil sie dazu führen würde, daß eine Zustellung danach immer als bewirkt gelte, auch wenn der Empfänger die betreffenden Schriftstücke überhaupt nicht erhalten habe. Es wurde dann jedoch der Vorschlag angenommen, den Ausdruck "im Zweifel" durch die Formulierung "im Streitfall" zu ersetzen (7669/IV/63-D, Seite 67), was in den französischen und englischen Fassungen geschah, in der deutschen jedoch unterblieb.
Ein "Streitfall" liegt hier nicht vor. Die Beschwerdeführerin hat zu keinem Zeitpunkt konkret bestritten, daß die Abschrift für die Vertreter der Beschwerdeführerin wie die für die Patentinhaberin am 19. Dezember 1997 zur Post gegeben wurde. Sie hat auch zu keinem Zeitpunkt behauptet, die Entscheidung sei ihren Vertretern später als zehn Tage nach diesem Datum zugegangen. Auch auf den Hinweis der Kammer, daß sich Rückschein und Empfangsbescheinigung ihrer damaligen Vertreter nicht in den Akten befänden, hat sie dies nicht vorgetragen. Vielmehr hat sie sich im schriftlichen Verfahren ausschließlich darauf berufen, daß die Entscheidung diesen nicht mehr hätte zugestellt werden dürfen und die Beschwerdefrist erst ab dem Datum der Kurzmitteilung an die Beschwerdeführerin selbst zu laufen begonnen habe. Auch in der mündlichen Verhandlung hat sie keine konkreten Zweifel am Datum der Abgabe zur Post angemeldet. Sie hat darüberhinaus auch in der mündlichen Verhandlung noch ausdrücklich erklärt, sie könne nicht vortragen, daß die Entscheidung bei den damaligen Vertretern der Beschwerdeführerin später als zehn Tage nach dem 19. Dezember 1997 eingegangen sei.
2.2. Auch aus allgemeinen Grundsätzen über die Darlegungslast der Parteien folgt, daß eine Partei, die sich auf die Anwendung einer für sie günstigen gesetzlichen Regelung berufen will, einen diese Anwendung rechtfertigenden Sachverhalt darzulegen hat, selbst wenn sie für diesen Sachverhalt letztlich nicht die Beweislast trägt.
Eine Entscheidung ist aufgrund der Beweislastverteilung zu treffen, wenn eine entscheidungserhebliche Tatsache nicht bewiesen ist. Dies setzt voraus, daß eine entsprechende Tatsachenbehauptung aufgestellt wurde, die die Frage nach der Beweislastverteilung auslöst. Die Beweislast ist jedoch von der Darlegungslast zu unterscheiden und geht mit ihr nicht zwangsläufig konform. Nach allgemeinen Verfahrensgrundsätzen hat jede Partei die für sie günstigen Tatsachen darzulegen. Folglich ist es, auch wenn die Beweislast für den Tag des Zugangs gemäß Regel 78 (3) EPÜ letztlich beim Amt liegt, sehr wohl Sache der Partei, die sich darauf berufen will, daß das zugestellte Schriftstück bei ihr erst später eingegangen sei, dies vorzutragen. Nur dann liegt eine entscheidungserhebliche Tatsachenbehauptung vor, die nach Beweislastregeln zugunsten der Partei entschieden werden kann.
2.3. In der mündlichen Verhandlung hat der für diese Verhandlung bestellte Vertreter der Beschwerdeführerin erklärt, er bestreite den Eingang bei den damaligen Vertretern innerhalb von zehn Tagen mit Nichtwissen. Ein Bestreiten mit Nichtwissen kann nach Überzeugung der Kammer zulässig sein, wenn es Tatsachen betrifft, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind. Andernfalls ist der Partei dagegen eine substantiierte Einlassung zum Sachverhalt zumutbar. Ein Bestreiten mit Nichtwissen kann daher bei Vorgängen, die in der eigenen Sphäre der Partei liegen, in Verfahren vor dem Europäischen Patentamt jedenfalls dann nicht zugelassen werden, wenn es an sich Sache dieser Partei ist, den Sachverhalt darzulegen.
So liegt der Fall hier. Die Beschwerdeführerin ist nach ihrem eigenen Vortrag im Besitz des Exemplars der Entscheidung, das den damaligen Vertretern der Beschwerdeführerin zugestellt wurde, sowie im Besitz der Anwaltsakte dazu. Es entspricht üblichen und notwendigen organisatorischen Vorkehrungen von Anwälten, z. B. Schriftstücke mit Eingangsstempeln zu versehen, oder andere Maßnahmen zu ergreifen, die das Datum des Eingangs eines Schriftstückes dokumentieren. Die Kammer geht daher davon aus, daß es der Beschwerdeführerin hätte möglich sein müssen, dazu etwas vorzutragen und irgendein Beweismittel vorzulegen, wenn sich aus ihren Akten Anhaltspunkte für einen verspäteten Eingang der Entscheidung bei den Vertretern ergeben hätten.
2.4. Die Tatsache, daß das Europäische Patentamt in einem Zweifel im Sinne von Regel 78 (3) EPÜ, d. h. im Streitfall, die Beweislast für den Tag des Zugangs trägt, bedeutet darüber hinaus nach Auffasung der Kammer nicht, daß eine Partei, die sich auf den verspäteten Eingang eines Schriftstückes des Amtes bei ihr selbst berufen will, keinerlei Verpflichtung hätte, zur Aufklärung von Umständen beizutragen, die in ihrer eigenen Sphäre liegen, sondern sie sich gewissermaßen zurücklehnen und abwarten könnte, ob es dem Europäischen Patentamt wohl gelingt herauszufinden, wann das Schriftstück bei ihr eingegangen ist.
So waren es in den der Rechtsprechung der Juristischen Beschwerdekammer zur Beweislast des Amtes bei Zustellungen gemäß Regel 78 (2) und (3) EPÜ zugrundeliegenden Fällen (siehe dazu z. B. die Entscheidungen J 38/92 vom 16. März 1995, Nr. 1.3 der Gründe, und J 13/93 vom 5. Juli 1995, Nr. VI, 3 und 4 der Gründe, zu Regel 78 (3) EPÜ und J 27/97 vom 26. Oktober 1998, Nr. V und 3 der Gründe, sowie J 9/96 vom 27. November 1997, Nr. II und 4 ff. der Gründe, zu Regel 78 (2) EPÜ, alle unveröffentlicht) die von den Parteien zunächst einmal selbst vorgetragenen Umstände und auch die vorgelegten Beweismittel dafür, daß die Schriftstücke bei Ihnen nicht eingegangen waren, die die Kammer veranlaßten anzunehmen, daß die Beweislastverteilung zugunsten der Parteien wirke.
2.5. Die in der mündlichen Verhandlung vorgetragene Ansicht der Beschwerdeführerin, allein die Tatsache, daß die Entscheidung, wie ihr aufgedrucktes Datum ausweise, erst am 19. Dezember 1997 fertiggestellt gewesen sei, lasse es als unsicher erscheinen, ob sie auch noch an diesem Tag zur Post gegangen sei, beruht auf unzutreffenden tatsächlichen Annahmen.
Die Entscheidung G 12/91 der Großen Beschwerdekammer vom 17. Dezember 1993 (ABl. EPA 1994, 285) beschreibt die Praxis der Einspruchsabteilungen bei der Ausfertigung und Absendung von Entscheidungen. Danach - und wie auch der Kammer bekannt ist - handelt es sich bei dem jeweils oben auf den einzelnen Seiten einer Entscheidung angebrachten Datum nicht um das Datum des Erlasses der Entscheidung durch die Einspruchsabteilung, sondern um das Datum von deren Abgabe zur Post. Es wird vom Formalprüfer vor Abgabe der Entscheidung zur internen Poststelle des Amtes als das Datum vordatiert, an dem die interne Poststelle des Amtes die Entscheidung zur Post gibt. Kann die Entscheidung an dem vorgesehenen Datum der Post nicht übergeben werden, so gibt die interne Poststelle sie zur entsprechenden Änderung des Datums an den Formalprüfer zurück.
Der vorliegende Fall bietet keinerlei Anhalt für einen von diesem typischen Ablauf abweichenden Geschehensablauf und ein solcher wurde von der Beschwerdeführerin auch nicht behauptet. Die in der Einspruchsakte befindlichen Deckblätter (Form 2327) der Entscheidung (Blatt 101 und 102 der Einspruchsakte) tragen sowohl hinsichtlich der Zustellung an die Beschwerdegegnerin als auch an die Beschwerdeführerin die Vermerke "Einschreiben mit Rückschein" und "zur Poststelle am 15/12/97". Aus Rückschein und Empfangsbescheinigung der Beschwerdegegnerin geht hervor, daß die Einlieferung bei der Post der für sie bestimmten Sendung am Freitag, den 19. Dezember 1997, und die Auslieferung an sie am Montag, den 22. Dezember 1997, erfolgte. Dies stimmt mit dem auf den Seiten der Entscheidung oben angegebenen Datum "19. Dezember 1997" überein.
2.6. Nach alledem reicht im vorliegenden Fall die Tatsache allein, daß Rückschein und Empfangsbescheinigung des damaligen Vertreters der Beschwerdeführerin sich nicht in der Akte befinden, nicht aus, um im Sinne von "dispute" bzw. "contestation" gemäß Regel 78 (3) EPÜ einen Zweifel daran zu begründen, daß die Entscheidung innerhalb von zehn Tagen nach ihrer Aufgabe zur Post am 19. Dezember 1997 bei dem damaligen Vertreter der Beschwerdeführerin einlangte. Es ist bekannt, daß sowohl Rückscheine als auch Empfangsbescheinigungen nicht in allen Fällen an das Amt zurück geschickt werden, so daß ihr Nichtvorhandensein in der Akte nicht per se bedeutet, daß ein Zustellungsfehler vorliegt.
2.7. Unter den dargestellten Umständen hat die Kammer keine Verpflichtung zu weiterer Beweiserhebung von Amts wegen gesehen. Nach Auffassung der Kammer kann die Verpflichtung zur Amtsermittlung auch im Hinblick auf Fragen, die die Zulässigkeit der Beschwerde betreffen, nicht so weit gehen, daß die Kammer verpflichtet wäre, von sich aus nach dem Vorliegen von für die Beschwerdeführerin günstigen Umständen zu forschen, wenn die Beschwerdeführerin selbst solche Umstände nicht einmal vorgetragen, geschweige denn irgendwelche Beweise vorgelegt hat, die in ihren Unterlagen vorhanden sein müßten, wenn sie denn für die Beschwerdeführerin günstige Erkenntnisse vermittelten.
3. Der Vortrag der Beschwerdeführerin dazu, warum die Einhaltung der Beschwerdefrist von der Beschwerdeführerin versäumt wurde, könnte im Rahmen eines Wiedereinsetzungsantrages von Bedeutung sein. Jedoch ist der Einsprechende von der Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist ausgeschlossen (G 1/86, ABl. EPA 1987, 447) und die Beschwerdeführerin hat einen solchen Antrag auch nicht gestellt.
4. Die Beschwerdeführerin hat sich, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auch darauf berufen, daß die Einspruchsabteilung mit der erneuten Zustellung der Entscheidung durch die Kurzmitteilung vom 28. Januar 1998 an die Beschwerdeführerin sowie durch deren Formulierung den Rechtsschein gesetzt habe, daß die Beschwerdefrist für die Beschwerdeführerin erst von dem Datum der Zustellung der Kurzmitteilung an zu laufen beginne. Die Kammer vermag jedoch das Vorliegen von Vertrauensschutz gebietenden Umständen nicht zu erkennen. Schon die Bezeichnung des Anschreibens als "Kurzmitteilung", also als Mitteilung, wirkt der Annahme entgegen, daß es sich bei dem Schreiben um die nochmalige förmliche, eine Rechtsmittelfrist in Gang setzende Zustellung einer Entscheidung handeln sollte. Die Kurzmitteilung enthält den ausdrücklichen Hinweis, daß die Entscheidung vom 19. Dezember 1997 sei und ursprünglich an den ehemaligen Vertreter gesandt wurde. Zudem wird in dem Anschreiben auch noch darauf hingewiesen, daß die "Entscheidung am 19. Februar 1998 ablaufe". Dieser Hinweis war zwar sprachlich und inhaltlich mißglückt. Er konnte aber keinesfalls in die Richtung verstanden werden, daß für die Einlegung der Beschwerde noch zwei Monate ab dem Datum der Zustellung der Kurzmitteilung zur Verfügung standen. Im Gegenteil geht aus ihm, auch wenn fälschlich von der Entscheidung statt von der Beschwerdefrist die Rede ist, doch klar hervor, daß der 19. Februar 1998 als ein Endtermin mitgeteilt wird, daß also für die Beschwerdeführerin Veranlassung bestand, bis zu diesem Termin tätig zu werden.
5. Die Kammer ist daher zu dem Ergebnis gelangt, daß die Beschwerdefrist im vorliegenden Fall mit der gemäß Regel 78 (3) EPÜ ab dem 19. Dezember 1997 zu berechnenden Zustellung der Entscheidung an die damaligen Vertreter der Beschwerdeführerin zu laufen begann und die Einlegung der Beschwerde am 13. März 1998 verspätet war. Die Beschwerde war deshalb gemäß Artikel 108, Satz 1 EPÜ, Regel 65 (1) EPÜ als unzulässig zu verwerfen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird als unzulässig verworfen.