9. Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit
9.8. Kombination von Dokumenten
Die Beschwerdekammer bestätigte in T 552/89, dass es bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht zulässig sei, die Lehren verschiedener Dokumente des Stands der Technik miteinander zu verbinden, um die mangelnde erfinderische Tätigkeit einer beanspruchten Erfindung zu beweisen, es sei denn, dies wäre am Anmeldetag für die Fachperson naheliegend gewesen. Bestehe die objektive Aufgabe, die anhand des in einem Primärdokument offenbarten nächstliegenden Stands der Technik ermittelt worden sei, aus einzelnen Teilaufgaben, so könne nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern von der Fachperson erwartet werden, dass sie die in verschiedenen Sekundärdokumenten desselben oder eines angrenzenden technischen Gebiets vorgeschlagenen Lösungen der Teilaufgaben mit heranziehe. Die Lehre der Sekundärdokumente könne also mit der Offenbarung des nächstliegenden Stands der Technik kombiniert werden, wenn die Sekundärliteratur vom nächstliegenden Stand der Technik ausgehende Lösungen für bestimmte zur objektiven Aufgabenstellung gehörende Einzelaufgaben enthalte, und zwar insbesondere dann, wenn diese Einzellösungen in der beanspruchten Erfindung lediglich aneinander gereiht seien (s. auch T 302/02, T 881/09).
Für eine Fachperson ist es nicht naheliegend, ein einzelnes sehr altes Dokument, das für die Entwicklung der Technik nicht bestimmend gewesen ist und dessen Lehre dem heutigen Trend zuwiderläuft, mit dem den nächstliegenden Stand der Technik wiedergebenden Dokument zu kombinieren. S. z. B. T 261/87 (Literatur aus dem Jahr 1907), T 366/89 (1927 eingereichtes Dokument), T 404/90 ("relativ altes", 1949 veröffentlichtes Dokument).
In T 745/92 wies die Kammer darauf hin, dass die Offenbarungen zweier Vorveröffentlichungen – auch wenn sie in dieselbe IPC-Klassifikation fielen – nur dann so kombiniert werden dürften, dass auf mangelnde erfinderische Tätigkeit erkannt wird, wenn eine solche Kombination für die Fachperson bei der Lösung der Aufgabe naheliegend gewesen wäre, die der beanspruchten Erfindung zugrunde lag (s. auch T 104/95, T 395/00).
In T 715/09 wies die Kammer darauf hin, dass die IPC-Klassifikation allein nicht dafür maßgeblich sein kann, ob zwei Dokumente aus dem Stand der Technik miteinander kombiniert werden können. Aus der bloßen Tatsache, dass zwei Dokumente die gleiche Klassifikation aufwiesen, könne nicht geschlossen werden, dass die Kombination ihrer Lehren naheliegend sei (T 745/92). Umgekehrt bedeute die bloße Tatsache, dass den Technologien unterschiedliche IPC-Klassen zugewiesen worden seien, nicht unbedingt, dass sie nicht miteinander kombiniert werden könnten.
In T 302/02 fügte die Kammer dem hinzu, dass, wenn sich eine Erfindung aus einer neuen Kombination von Merkmalen aus verschiedenen Gebieten der Technik zusammensetze, sich eine Erörterung der Frage, ob sie naheliegend sei, in der Regel auf mindestens ebenso viele Dokumente stütze, wie Gebiete der Technik abgedeckt werden. Die Kammer schloss sich dem in T 552/89 vertretenen Standpunkt an, wonach eine technische Aufgabe aus "einzelnen Teilaufgaben" bestehen könne. Die Zahl der einzelnen Teilaufgaben hänge selbstredend davon ab, wie detailliert der zu beurteilende Anspruch formuliert sei, und aus der angeführten Entscheidung lasse sich nicht ableiten, dass man ab einer bestimmten Zahl das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit voraussetzen könne. Es sei im Gegenteil davon auszugehen, dass versucht werde, die einzelnen Teilaufgaben zu lösen, sofern die entsprechenden Lösungen im Anspruch "lediglich aneinander gereiht" seien.
In T 278/14 wies die Kammer das Argument zurück, es liege erfinderische Tätigkeit vor, weil drei Dokumente des Stands der Technik kombiniert werden müssten, um zu dem beanspruchten Verfahren zu gelangen. Die Kammer befand, es gab keinen allgemeinen Grundsatz, wonach lediglich dann eine mangelnde erfinderische Tätigkeit festgestellt werden darf, wenn nur zwei Dokumente kombiniert werden.
In T 881/09 stellte die Kammer fest, dass zwischen den Lehren der beiden Dokumente eine grundlegende Diskrepanz bestand und dass eine Kombination dieser Dokumente angesichts ihrer Unvereinbarkeiten daher nicht naheliegend war (T 552/89), sondern künstlich und nur das Ergebnis einer Ex-post-facto-Analyse sein konnte.
In T 1641/18 stellte die Kammer fest, dass Voraussetzung für die Berücksichtigung einer Kombination von Dokumenten des Standes der Technik nicht der Grad der Risikotoleranz der Fachperson auf einem bestimmten Gebiet ist, sondern die tatsächliche Erfolgserwartung bei der Lösung der zugrunde liegenden technischen Aufgabe. Es gehöre zu den normalen Aufgaben der Fachperson (im Streben nach Verbesserung des Stands der Technik), ein Merkmal, das in dem engen Kontext des nächstliegenden Standes der Technik als wesentlich angesehen wird, durch andere Merkmale zu ersetzen, die unter Berücksichtigung der Lehren in den zitierten Dokumenten eine verbesserte oder alternative Möglichkeit bieten, dieselbe Funktion zu erfüllen.
In T 1190/17 war die Kammer nicht überzeugt von dem Argument, dass die Tatsache, dass die Kammer mehr als zwei Dokumente heranziehen musste, um den Mangel anerfinderischer Tätigkeit nachzuweisen, im Umkehrschluss beweise, dass sich der beanspruchte Gegenstand nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergebe. Im vorliegenden Fall definierten die in D2 identifizierten Unterscheidungsmerkmale (a), (b) und (c) drei verschiedene, voneinander unabhängige Probleme. Dies rechtfertigte es, die Frage der erfinderischen Tätigkeit für jedes Unterscheidungsmerkmal gesondert zu prüfen und insgesamt mehrere Dokumente heranzuziehen, um die fehlende erfinderische Tätigkeit des beanspruchten Gegenstands nachzuweisen.