3. Klarheit der Ansprüche
3.6. Charakterisierung einer Erfindung durch einen Parameter
Der Entscheidung T 94/82 (ABl. 1984, 75) zufolge ist das Erfordernis der Deutlichkeit bei einem Erzeugnisanspruch auch dann erfüllt, wenn die Eigenschaften des Erzeugnisses durch Parameter angegeben werden, die sich auf die physikalische Struktur des Erzeugnisses beziehen, sofern diese Parameter eindeutig und zuverlässig durch auf dem technischen Gebiet übliche objektive Verfahren bestimmt werden können (s. auch T 452/91, T 541/97, T 437/98, T 193/01). Der Anspruch selbst braucht keine Hinweise darauf zu enthalten, wie das Erzeugnis herzustellen ist (T 94/82).
In T 849/11 fasste die Kammer die Rechtsprechung zu den Erfordernissen des Art. 84 EPÜ in Bezug auf die Charakterisierung einer Erfindung durch Parameter zusammen. Dabei erklärte sie Folgendes: i) Die Ansprüche müssen für die Fachperson in sich deutlich sein, ii) das Verfahren zur Messung eines Parameters (oder zumindest ein Verweis darauf) muss vollständig im Anspruch selbst erwähnt sein (s. T 1156/01, T 412/02, T 908/04, T 555/05, T 1497/08), und iii) der Anmelder, der den Umfang des Anspruchs durch Parameter definieren möchte, sollte sicherstellen, dass eine Fachperson eindeutig und leicht feststellen kann, ob sie innerhalb oder außerhalb des beanspruchten Bereichs arbeitet. Die Kammer erläuterte weiter, dass die Erfordernisse des Art. 84 EPÜ auch dann erfüllt sind, wenn überzeugend dargelegt werden kann, dass i) das verwendete Verfahren zum allgemeinen Fachwissen der Fachperson gehört, oder ii) alle auf diesem Gebiet bekannten Verfahren zur Bestimmung dieses Parameters innerhalb angemessener Messgenauigkeitsgrenzen zu demselben Ergebnis führen (s. T 1156/01).
In T 412/02 befand die Kammer, dass die eindeutige Charakterisierung eines Erzeugnisses in einem Anspruch durch Parameter oder durch ein mathematisches Verhältnis zwischen Parametern unbedingt erfordert, dass jeder Parameter klar und zuverlässig bestimmt werden kann. Nach Auffassung der Kammer folgt daraus, dass die Kenntnis des Verfahrens und der Bedingungen zur Bestimmung des Parameters für die eindeutige Definition der Parameter und damit auch für die eindeutige Definition eines mathematischen Verhältnisses zwischen ihnen erforderlich ist. Damit der Gegenstand, für den um Schutz ersucht wird, definiert werden könne, müsse also aus dem Anspruch selbst, wenn er von der Fachperson gelesen wird, klar hervorgehen, wie die Parameter zu bestimmen sind. Dies würde generell bedeuten, dass das Bestimmungsverfahren und die Messbedingungen, die sich auf den Wert des Parameters auswirken könnten, explizit oder gegebenenfalls unter Bezugnahme auf die Beschreibung gemäß R. 29 (6) EPÜ 1973 im Anspruch anzugeben sind. Eine solche Angabe würde nur überflüssig, wenn nachgewiesen werden könnte, dass die Fachperson sofort wüsste, welches Verfahren und welche Bedingungen anzuwenden sind.
Jedoch hielt es die Kammer in T 992/02, trotz eines Hinweises auf den allgemeinen Grundsatz, dass die Ansprüche als solche deutlich sein müssen, angesichts des Erfordernisses der Knappheit für gerechtfertigt, das Verfahren zur Messung eines die beanspruchte Zusammensetzung charakterisierenden Parameters (Bildungsrate leichter Ionen) nicht in den Anspruch aufzunehmen. Im betreffenden Fall sei dies möglich, weil das Verfahren in der Beschreibung deutlich dargelegt sei und keinerlei Unklarheit bestehe.
In T 29/05 stellte die Kammer fest, dass zwar im betreffenden Fall unterschiedliche Versuchsprotokolle angewandt werden konnten, um die Hybridisierung unter stringenten Bedingungen zu beurteilen, diese Versuchsprotokolle jedoch auf dem betreffenden Gebiet der Technik üblich waren (im Anschluss an T 1084/00).
In T 307/06 enthielten die Ansprüche das hinzugefügte Merkmal "und eine Tg von weniger als 25 °C". Die Kammer stellte fest, dass es verschiedene Verfahren zur Bestimmung der Tg (Glasübergangstemperatur) gibt. Die bloße Tatsache, dass es mehrere Verfahren gebe, mache die Ansprüche allerdings nicht unklar, wenn zumindest eine der folgenden Bedingungen erfüllt sei: a) Die verschiedenen Verfahren ergeben im Wesentlichen dieselben Tg-Werte für dasselbe Material, oder b) die Fachperson hätte den in Anspruch 1 genannten Bereich von Tg-Werten mit nur einem standardmäßigen Messverfahren assoziiert. Weder die Bedingung a noch die Bedingung b war erfüllt. Daraus schloss die Kammer, dass unsicher ist, welcher Gegenstand unter Anspruch 1 fällt, was diesen Anspruch unklar macht (s. T 728/98, ABl. 2001, 319; T 306/13).
In T 1819/07 urteilte die Kammer, dass der Parameter "durchschnittliche Partikelgröße" den Anspruch unklar machte, da in den Ansprüchen weder die Art des Durchschnitts (Volumen, Fläche, Anzahl) noch ein Verfahren zu seiner Bestimmung angegeben war. S. auch T 967/08 und T 45/10.
In T 2086/11 stand der Parameter "mittleres Querschnittsverhältnis" für den Durchschnitt der einzelnen Querschnittsverhältnisse und wurde als Verhältnis zwischen der Hauptachse und der Dicke von 50 Aluminiumflockenpartikeln definiert, deren Hauptachsen nicht größer als 10 μm sind. Nach Auffassung der Kammer lässt sich auf der Grundlage dieses Parameters nicht unterscheiden, welcher Gegenstand unter die Ansprüche fällt und welcher nicht. Nach dem in der Beschreibung erläuterten Messverfahren umfasste die untersuchte Probe Tausende von Partikeln mit einer Hauptachse von weniger als 10 μm, und dem in der Anmeldung beschriebenen Verfahren war keine genaue Angabe zu entnehmen, wie die 50 Partikel auszuwählen sind. Ein Benutzer, der eine Gruppe von 50 Partikeln zufällig auswählte, konnte einen innerhalb des Anspruchs liegenden Wert für das mittlere Querschnittsverhältnis finden; ein anderer, der eine andere Gruppe von 50 Partikeln auswählte, konnte einen außerhalb des Anspruchs liegenden Wert finden. Somit war der Parameter "mittleres Querschnittsverhältnis" für sich genommen unzureichend, um das beanspruchte Erzeugnis zuverlässig zu kennzeichnen, und genügte nicht Art. 84 EPÜ 1973.
In T 2676/16 widersprach die Kammer der Prüfungsabteilung, die den Parameter "an outcome of a pseudo-random hopping" ("Ergebnis eines pseudozufälligen Springens") des Verfahrens in Anspruch 1 für nicht klar erachtet hatte, weil die Fachperson auf dem Gebiet der Telekommunikation ihn auf viele verschiedene Weisen auslegen könne. Im vorliegenden Kontext hatte der Begriff "outcome" dieselbe Bedeutung wie "result". Es war klar, dass durch die Operation des "pseudozufälligen Springens" eine skalare Zahl erzeugt werden sollte. Auch die Bedeutung von "pseudozufällig" sei für die Fachperson klar. Die Tatsache, dass ein Merkmal auf unterschiedliche Weise implementiert werden kann, macht dieses Merkmal nicht zwangsläufig unklar.
In T 999/20 enthielt die Anmeldung in der eingereichten Fassung keine Angaben darüber, wie der im Anspruch genannte Parameter "zahlenmittleres Molekulargewicht" (Mn) zu bestimmen ist. Die Kammer ist jedoch zur Überzeugung gelangt, dass die in den eidesstattlichen Versicherungen A1 und A2 gemachten Angaben zeigten, dass die Fachperson wisse, wie Mn mit der auf dem Gebiet üblichen Standardmethode (Größenausschlusschromatographie) eindeutig zu bestimmen sei. Das Merkmal Mn führe daher nicht zu mangelnder Klarheit im Sinne von Art. 84 EPÜ.
In T 1420/21 befand die Kammer, dass das Merkmal "Dichte der Strukturen auf der strukturierten Oberfläche, die zwischen 15 % und 80 % der Oberfläche variiert" zweideutig war, weil nicht angegeben wurde, auf welche der drei im Anspruch genannten Oberflächen sich "die Oberfläche", die als Nenner für den Parameter "Dichte" diente, bezog. Der Anspruch nahm auf die folgenden drei Oberflächen Bezug: die Oberflächen der ersten oder zweiten Funktionszone, die freiliegende Oberfläche und die strukturierte Oberfläche.
In T 1726/22 betraf der beanspruchte Gegenstand ein acetyliertes Holz als solches, war allerdings durch Schrumpfverhältnisse in Bezug auf das Holz vor der Acetylierung definiert. Die Anmeldung enthielt keinen Hinweis darauf, wie die Schrumpfverhältnisse vor der Acetylierung anhand des acetylierten Holzes ermittelt werden konnten. Laut Kammer reichte es zur Erfüllung des Klarheitserfordernisses nicht aus, dass der Parameter bei der Herstellung des Holzes gemessen werden konnte, weil das Herstellungsverfahren im Anspruch nicht spezifiziert war. Für die Fachperson, die mit dem acetylierten Holz konfrontiert war, war eine Rückkehr zum Herstellungsprozess, bei dem die Schrumpfung vor der Acetylierung hätte gemessen werden können, oder zum unacetylierten Holz nicht möglich. Auch wenn man – wie vom Beschwerdeführer argumentiert – davon ausgehe, dass die Fachperson die Idee hatte, ein Referenzholz zu verwenden, so fände die Fachperson keine Anleitung zur Auswahl eines geeigneten Referenzholzes. Da die Wahl des Referenzholzes und die Wahl des Messverfahrens allgemein in keiner Weise begrenzt waren, konnte nicht gefolgert werden, dass man auf dieser Grundlage wiederholbare und zuverlässige Ergebnisse für die Schrumpfverhältnisse erhalten würde, ganz unabhängig von der Frage, ob ein solches Referenzholz zuverlässig identifiziert werden könnte und ob ein solches Referenzholz für das betreffende (acetylierte) Holz überhaupt repräsentativ war. Die Erfordernisse des Art. 84 EPÜ waren damit nicht erfüllt.