6.6. Nacharbeitbarkeit ohne unzumutbaren Aufwand
6.6.2 Routineauswahl
Die Ausführbarkeit ist nicht beeinträchtigt, wenn es sich bei der Auswahl der Werte für verschiedene Parameter um Routinemaßnahmen handelt und/oder wenn in der Beschreibung enthaltene Beispiele weitere Informationen liefern (T 107/91).
In T 764/14 gelangte die Kammer zu dem Schluss, dass die Fachperson aufgrund des allgemeinen Fachwissens und einer routinemäßigen Variation der experimentellen Bedingungen in der Lage sei, die in Paragraph [0031] des streitigen Patents enthaltenen Informationen zu ergänzen und somit (möglicherweise mit einer gewissen Ungewissheit, aber) ohne unzumutbaren Aufwand den Na-Referenzwert der Oberfläche für einen bestimmten Träger zu bestimmen.
In T 1170/20 bezüglich eines sogenannten Durchgriffsanspruchs argumentierte der Beschwerdegegner (Patentinhaber) unter anderem damit, dass es beispielsweise im Falle der Beanspruchung eines Metalls mit einer bestimmten Wärmekapazität oder einem bestimmten elektrischen Widerstand nicht erforderlich sei, eine Liste aller möglichen Metalle oder Legierungen mit diesem Parameter zu offenbaren. Die Kammer ließ dieses Argument nicht gelten und wies darauf hin, dass die Frage, ob der erforderliche Aufwand lediglich normale Kenntnisse und eine Routinepraxis umfasst oder als unzumutbar anzusehen ist, im Einzelfall beantwortet werden muss. Der Unterschied zwischen dem vom Beschwerdegegner vorgebrachten Beispiel und den beanspruchten Isoliergasen bestehe darin, dass sich erstere allein anhand der einer Fachperson normalerweise verfügbaren Kenntnisse und Fähigkeiten identifizieren ließen, was bei letzteren nicht der Fall sei.
In T 552/22 stellte die Kammer fest, dass die Überexpression von SetA in E. coli einen im Patent offenbarten Weg zur Ausführung der beanspruchten Erfindung darstellt. Anspruch 1 sei jedoch nicht auf die Überexpression von SetA beschränkt. Das Patent erwähne zwar SetB und SetC, enthalte aber weder Daten zu diesen beiden Proteinen noch Erklärungen, Begründungen oder technischen Grundlagen. Die Fachperson, die die beanspruchte Erfindung ausführen wolle, müsse die Mitglieder der Set-Familie einschließlich SetB und SetC testen, ohne darauf vertrauen zu können, dass eines der getesteten Proteine funktionieren würde. Angesichts der von der Kammer zusammengefassten Rechtsprechung stelle dies einen unzumutbaren Aufwand dar, auch wenn es sich um Routineversuche handelt.
Vgl. T 2164/21, wo weder die Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung noch das allgemeine Fachwissen der Fachperson Informationen lieferten, anhand derer sie zuverlässig zu den Aminosäuresubstitutionen gelangen würde, die zu einem den beanspruchten funktionellen Anforderungen entsprechenden Antikörper führten. Die Tatsache, dass Verfahren zur Herstellung eines Antikörpers mit einer bestimmten Mutation, Verfahren zur Beurteilung der Desamidierung und Verfahren zur Antigenbindungsaktivität in der Anmeldung beschrieben wurden, der Fachperson bekannt sind und am Prioritätstag der Anmeldung Routine waren, bedeute nicht, dass die Erfindung ohne unzumutbaren Aufwand ausführbar sei. Wenn die Fachperson nur durch Herumexperimentieren feststellen könne, ob sie einen Parameter (in diesem Fall die Aminosäure, die das Glycin ersetzt) so gewählt hat, dass sich ein befriedigendes Ergebnis einstellt (in diesem Fall ein Antikörper mit verringerter Deamidierungsanfälligkeit und einer Antigenbindungsaktivität von 70 % oder mehr gegenüber dem ursprünglichen Antikörper), ohne darauf vertrauen zu können, dass sich dieses Ergebnis überhaupt erzielen lässt, sei dies ein unzumutbarer Aufwand, selbst wenn es sich dabei um Routineversuche handle.
Siehe auch dieses Kapitel II.C.6.6.8. "Kalibrierung und ermittelbares Messverfahren".