3.5. Erforderliche anhängige frühere Anmeldung
3.5.4 Anhängigkeit bei Erteilung des Patents auf die frühere Anmeldung, gegen die Beschwerde eingelegt wurde
Im Fall J 5/08 hatte die Juristische Beschwerdekammer zu entscheiden, ob die Stammanmeldung zum Zeitpunkt der Einreichung der Teilanmeldung anhängig war; die Einreichung der Teilanmeldung erfolgte nach Einlegung der Beschwerde zur Stammanmeldung, aber vor der Abhilfeentscheidung der Prüfungsabteilung, mit der die angefochtene Entscheidung (Erteilungsbeschluss in Bezug auf den unberichtigten Wortlaut des Anspruchs 1) revidiert wurde. Der Juristischen Kammer zufolge eröffnet die Abhilfe gemäß Art. 109 EPÜ 1973 die Möglichkeit, dass die Patentierbarkeit des Anspruchsgegenstands vollständig neu beurteilt wird, unabhängig davon, ob die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung ausdrücklich angeordnet wird oder die schriftlichen Entscheidungsgründe sich auf eine bestimmte Rechtsfrage beschränken. Im vorliegenden Fall war das Erteilungsverfahren, das mit der Zwischenentscheidung beendet wurde, bis zum Tag der Zwischenentscheidung noch anhängig. Wird über die Begründetheit einer Beschwerde entschieden, so ist eine Anmeldung im Allgemeinen mindestens bis zu dem Zeitpunkt anhängig im Sinne von R. 25 EPÜ 1973 (jetzt R. 36 (1) EPÜ), an dem die Entscheidung ergeht.
In J 5/08 stellte die Juristische Beschwerdekammer ferner fest, dass die Rechtsprechung in der Frage, ob die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde immer zur Folge hat, dass das Erteilungsverfahren während der Dauer des Beschwerdeverfahrens im Sinne von R. 25 EPÜ 1973 (R. 36 (1) EPÜ) anhängig bleibt, offenbar gespalten ist. In einer Reihe von Entscheidungen wird dies wohl bejaht (J 28/94 date: 1994-12-07, ABl. 1995, 742 und J 3/04). Eine andere Auffassung hat jedoch die Juristische Beschwerdekammer in ihrer Entscheidung J 28/03 vertreten, in der sie festgestellt hat, dass das Erteilungsverfahren während des Beschwerdeverfahrens nicht als anhängig anzusehen ist, wenn die Beschwerde als unzulässig verworfen werde; der Status einer Teilanmeldung, die eingereicht wird, während eine Beschwerde gegen die Entscheidung über die Erteilung eines Patents auf die Stammanmeldung anhängig ist, hängt vom Ausgang der Beschwerde ab.
In J 23/13 (die jedoch eine Beschwerde gegen die Zurückweisung der früheren Anmeldung betraf) verwies die Juristische Beschwerdekammer auf G 1/09 (ABl. 2011, 336) und befand, die Tatsache, dass die Beschwerde später als unzulässig verworfen worden sei, ändere nichts daran, dass zum Zeitpunkt der Einreichung der Teilanmeldung noch materielle Rechte bestanden hätten.
In J 1/24 erinnerte die Juristische Beschwerdekammer daran, dass die Anhängigkeit der europäischen Patentanmeldung laut dem obiter dictum in G 1/09 in der Regel am Tag vor der Bekanntmachung des Hinweises auf die Erteilung endet. Die Situation war eine andere als in J 28/03; dort war die frühere Patentanmeldung nicht mehr "anhängig", denn der Tag der Bekanntmachung des Erteilungshinweises war nicht gelöscht worden und die Erteilung des Patents somit wirksam geworden. Im vorliegenden Fall dagegen war der Tag der Bekanntmachung des Erteilungshinweises infolge der Beschwerde gelöscht worden und die Stammanmeldung weiterhin anhängig. Die Juristische Beschwerdekammer war nicht von dem in J 28/03 formulierten Grundsatz überzeugt, dass es vom Ergebnis der Beschwerde gegen die Erteilung eines Patents auf die Stammanmeldung abhänge, ob Letztere noch "anhängig" sei. Nach Art. 106 (1) Satz 2 EPÜ hat die Beschwerde aufschiebende Wirkung. Diese Vorschrift unterscheidet nicht zwischen einer Beschwerde gegen den Widerruf und einer gegen die Erteilung eines Patents. Ebenso hielt es die Kammer für inkonsistent, eine Beschwerde aus zwei unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten, wonach einerseits für die Löschung des Erteilungshinweises die Beschwerde lediglich zulässig sein muss und andererseits das Eintreten der aufschiebenden Wirkung vom Ausgang des Beschwerdeverfahrens abhängt. Da Beschwerden des Anmelders gegen die Erteilung eines Patents durch keine Vorschrift des EPÜ beschränkt werden, kann eine solche Beschwerde – anders als eine von einem Dritten eingelegte Beschwerde – nicht als von vornherein unzulässig angesehen werden.