4.1. Verfahrensrechtliche Unabhängigkeit der Teilanmeldung
4.1.2 Keine Präklusionswirkung hinsichtlich identischer Anträge im anderen Verfahren
Die Folge der verfahrensrechtlichen Unabhängigkeit der Teilanmeldung wird im Fall T 1254/06 deutlich. In dieser Sache hatte die Prüfungsabteilung eine Teilanmeldung zurückgewiesen und der Anmelder hatte dagegen keine Beschwerde erhoben. Im Beschwerdeverfahren hinsichtlich der Stammanmeldung (hier hatte der Anmelder die gleichen Anträge gestellt wie in dem Verfahren bezüglich der Teilanmeldung) stellte sich die Frage, ob sich die Bestandskraft einer Zurückweisungsentscheidung hinsichtlich der Teilanmeldung auch auf das Verfahren der Stammanmeldung insofern auswirke, als es das EPA (einschließlich der Beschwerdekammern) hindern könne, sich mit identischen Anträgen sachlich zu befassen. Die Kammer führte aus, das Prinzip der Unabhängigkeit beider Verfahren spreche dagegen, einer Zurückweisungsentscheidung in einem der Verfahren eine Präklusionswirkung hinsichtlich identischer Anträge in dem anderen Verfahren beizumessen. Dies gelte insbesondere dann, wenn, wie hier, die Zurückweisungsentscheidung nicht von der Beschwerdekammer, sondern von der Prüfungsabteilung getroffen worden sei, da die erstinstanzliche Entscheidung einer Verwaltungsbehörde keine res judicata-Wirkung im eigentlichen Sinne zu entfalten vermöge.
In T 1266/19 verwies die Kammer auf die ständige Rechtsprechung, der zufolge Verfahren gegen die Stamm- und die Teilanmeldung getrennte, voneinander unabhängige Verfahren sind. Folglich sind die im Verfahren gegen die Teilanmeldung vorgebrachten oder eingereichten Tatsachen, Beweismittel und Ausführungen nicht Teil des Verfahrens gegen die Stammanmeldung und umgekehrt. Entscheidungen in anderen Verfahren oder das dortige Vorbringen können nicht als außergewöhnlicher Umstand im Sinne des Art. 13 (2) VOBK geltend gemacht werden. Ob ein Gegenstand, über den die Kammer für eine Stamm- oder Teilanmeldung endgültig entschieden hat, unter Berufung auf die res judicata-Wirkung in einer anderen Anmeldung oder einem anderen Patent weiterverfolgt werden kann, kann offen bleiben, denn der Sachverhalt war nicht derselbe.
Zu Entscheidungen, die die Frage einer "verfahrensübergreifenden" res judicata-Wirkung behandeln, s. Kapitel II.F.2.4.3.