T 0339/01 24-04-2002
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Antriebsanordnung
I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat gegen die am 8. Februar 2001 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung über die Unzulässigkeit des Einspruchs gegen das europäische Patent Nr. 0 711 385 die am 19. März 2001 eingegangene Beschwerde eingelegt. Die Beschwerdegebühr wurde am 5. April 2001 entrichtet und die Beschwerdebegründung wurde am 2. Juni 2001 eingereicht.
II. Mit dem Einspruch war das Patent im gesamten Umfang im Hinblick auf Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit den Artikeln 52 (1), 54 (1) und 56 EPÜ angegriffen worden.
Es wurde eine offenkundige Vorbenutzung geltend gemacht und zum Beweis dafür folgende Druckschriften vorgelegt:
D1: Betriebsanleitung für den Schraubenkompressor Marathon,220/221/222/250/251/252/300/301/302/350/351/352/420/421 /420/421/422, BA 426 (5.92), Mannesmann Demag Drucklufttechnik;
D2: Prospekt "Die Dauerläufer - Schraubenkompressoren der Baureihe Marathon", K 268, 3. Aufl. 2/1.92/Hell., Mannesmann Demag Drucklufttechnik;
D3: Prospekt "Hart am Wind - Schraubenkompressoren der Baureihe Regatta", K 281 50/6.93/Dr., Mannesmann Demag Drucklufttechnik;
D4: Drucklufttechnik, 3-4/91, Seite 44, Artikel 248: "Schraubenkompressoren der Marathon-Baureihe";
D5: Verfahrenstechnik, 25 (1991) Nr. 11, Seite 24, Artikel 324: "Dauerläufer senkt Kosten der Drucklufterzeugung".
Die Einspruchsabteilung war aber der Auffassung, daß der Einspruch den Erfordernissen gemäß Artikel 99 (1) und Regel 55 EPÜ nicht entspreche und somit unzulässig sei. Diese Auffassung hat sie damit begründet, daß in der Einspruchsschrift die in Regel 55 c) EPÜ geforderte Angabe der zur Begründung vorgebrachten Tatsachen, Beweismittel und Argumente fehlen würde (siehe Entscheidungsgründe, Seite 4, Abschnitt 2.4).
III. Am 24. April 2002 wurde mündlich verhandelt.
Die Beschwerdeführerin hat beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben, den Einspruch zuzulassen und die Sache an die erste Instanz zurückzuverweisen.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) hat beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Außerdem hat auch sie die Zurückverweisung der Sache an die erste Instanz beantragt, falls der Einspruch als zulässig angesehen werden sollte.
IV. Anspruch 1 des angefochtenen Patents lautet wie folgt:
"Transportable Antriebsanordnung mit einem endlosen, umlaufenden Antriebselement (1), welches über ein Antriebsrad (2) eines Motors (3) und ein Abtriebsrad (4) einer Arbeitsmaschine (5) läuft, sowie mit einer Spanneinrichtung für das Antriebselement (1), wobei der Motor (3) auf einem Träger (6) angeordnet ist, welcher lageveränderbar an einem Gestell (7), welches die Arbeitsmaschine (5) trägt, gelagert und in Form einer um eine horizontale Achse (9) schwenkbaren Wippe ausgebildet ist, wobei die Spanneinrichtung sowohl durch die Gewichtskraft (G) des Motors (3) als auch durch eine Vorspannkraft (F) einer Feder vorgespannt ist, dadurch gekennzeichnet,
- daß der Träger (6) durch die Summe der Gewichtskraft (G) des Motors (3) und der Vorspannkraft (F) der Feder (10) vertikal nach unten vorgespannt ist,
- daß die Feder eine Druckfeder (10) ist, welche zwischen einem mit dem Träger (6) verbundenen Widerlager (11) und einem dem Gestell (7) zugeordneten Widerlager (21) angeordnet ist,
- wobei das mit dem Träger (6) verbundene Widerlager (11) zur Einstellung der Federkraft in der Betriebsstellung relativ zu dem Träger (6) verstellbar ist, und
- daß Mittel (12, 13) vorgesehen sind, um die Feder (10) zum Transport der Antriebsanordnung zu komprimieren."
V. Zur Stützung ihres Antrags hat die Beschwerdeführerin folgendes vorgetragen:
Das Erfordernis nach Regel 55 c) EPÜ, wonach die Einspruchsschrift Angaben der zur Begründung vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel enthalten müsse, solle gemäß der Entscheidung T 222/85 sicherstellen, daß der Standpunkt eines Einsprechenden so deutlich werde, daß der Patentinhaber und die Einspruchsabteilung wüßten, worum es bei dem Einspruch ginge.
Im vorliegenden Fall gehe aus der Einspruchsschrift hervor, daß die patentierte Antriebsanordnung, wie sie in den Ansprüchen definiert werde, nicht neu sei, weil sie die gleichen Merkmale aufweise wie die Antriebsanordnung, die in den vor dem Anmeldetag produzierten und ausgestellten Kompressoren der Baureihen "Marathon", "Regatta" und "Rallye" eingebaut gewesen sei. Insbesondere sei darauf hingewiesen worden, daß der seit 1990 produzierte Kompressortyp "Marathon" vielfach ausgestellt worden sei, z. B. auf der Industriemesse Hannover. Als Beweismittel für die offenkundige Vorbenutzung seien zwei Veröffentlichungen aus Fachzeitschriften von 1991 (D4, D5), zwei Prospekte mit Druckdatum 1992 und 1993 (D2, D3) sowie eine Betriebsanleitung der Baureihe "Marathon" aus dem Jahre 1992 (D1) vorgelegt worden. Da eine solche Betriebsanleitung entsprechend einer gesetzlichen Vorschrift zusammen mit den produzierten Kompressoren an die Käufer abgegeben werde, sei sie der Öffentlichkeit frei zugänglich gewesen. Alle vorangehend genannten Druckschriften bezögen sich auf eine einzige technische Lehre und nicht auf eine Gesamtschau verschiedener Lehren, so daß dazu keine weiteren Erläuterungen notwendig gewesen seien. Vielmehr sei die Identität der vorbenutzten Antriebsanordnung und der patentierten Antriebsanordnung für den Fachmann schon durch eine einfache Gegenüberstellung der Figur 20 der D1 und der Figuren 1 bzw. 3 des angefochtenen Patents ersichtlich. Folglich habe allein die Durchsicht der mit dem Einspruch eingereichten Druckschriften ausgereicht, um die Begründetheit des Einspruchs feststellen zu können. Eigene Ermittlungen seien dazu nicht nötig gewesen.
Wie aus der Entscheidung G 1/84 zu entnehmen sei, sollten die Bestimmungen des EPÜ sicherstellen, daß nur rechtsgültige europäische Patente erteilt und aufrechterhalten werden und daß die Öffentlichkeit außer bei offensichtlichen Verfahrensmißbräuchen ein überaus starkes Interesse habe, daß jeder Einspruch sachlich geprüft werde. Ein Verfahrensmißbrauch liege im vorliegenden Fall aber eindeutig nicht vor.
Nachdem der Einspruch form- und fristgerecht eingereicht worden sei und deutlich gemacht habe, worum es beim Einspruch ginge, nämlich mangelnde Neuheit des Patentgegenstands gegenüber der Antriebsanordnung der Kompressorenbaureihen "Marathon", "Regatta" und "Rallye", sei er zulässig. Ob er auch schlüssig sei, spiele im Hinblick auf die Zulässigkeit keine Rolle. Vielmehr sei diese Frage in der sachlichen Prüfung des Einspruchs abzuhandeln.
VI. Die Beschwerdegegnerin hat diesen Ausführungen widersprochen und hat folgendes vorgebracht:
Nach den Richtlinien und der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern sei das Erfordernis der Regel 55 c) EPÜ, wonach die Einspruchsschrift Angaben der zur Begründung vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel enthalten müsse, so auszulegen, daß es die Einspruchsbegründung dem Patentinhaber und der Einspruchsabteilung ermögliche, den behaupteten Widerrufsgrund abschließend und ohne eigene Ermittlungen prüfen zu können.
In der vorliegenden Einspruchsschrift werde aber lediglich lapidar behauptet, daß der im angefochtenen Patent beanspruchte Gegenstand durch eine angebliche offenkundige Vorbenutzung neuheitsschädlich vorweggenommen sei, die durch die Druckschriften D1 bis D5 belegt sei. Nachdem im Hinblick auf diese Druckschriften keine Angabe gemacht worden sei, welche Merkmale der patentierten Antriebsanordnung in welcher Entgegenhaltung und an welcher Stelle dieser Entgegenhaltung offenbart seien, wären eigene Ermittlungen nötig, um das Vorbringen der Einsprechenden nachvollziehen zu können. Dies gelte umso mehr, als die vorgelegten Druckschriften keine Patentschriften seien, sondern eine Bedienungsanleitung (D1), Prospekte (D2, D3) und Auszüge aus Zeitschriften (D4, D5), die bis zu 50. Seiten mit zahlreichen Abbildungen umfaßten, und aus denen teilweise (D1, D2, D3) nicht hervorgehe, ob und wann sie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden seien. Lediglich die Entgegenhaltungen D4 und D5 seien erkennbar vor dem Prioritätstag des angefochtenen Patents veröffentlicht worden. Diese Druckschriften hätten aber keinerlei Bezug zum Patentgegenstand.
Hinsichtlich der Notwendigkeit bei umfangreicheren Entgegenhaltungen genau die Textstellen anzugeben, die für die Begründung des Einspruchs relevant seien, sei aus der Entscheidung T 861/93, die den gleichen Sachverhalt betreffe wie der vorliegende Fall, zu entnehmen, daß bereits bei einer neunseitige Druckschrift genau angegeben werden müsse, welche der darin enthaltenen Angaben dem angefochtenen Patent entgegenstünden.
Ferner sei es zur ausreichenden Substantiierung einer offenkundigen Vorbenutzung nach T 522/94 notwendig, daß innerhalb der Einspruchsfrist konkret angegeben werde, "was", "wann", von "wem" unter welchen Umständen vorbenutzt wurde. Solche Angaben seien im vorliegenden Fall aber weder in ausreichender Weise gemacht worden, noch seien dafür Beweismittel vorgelegt oder angeboten worden. Daher sei der Gegenstand der angeblichen Vorbenutzung nicht so detailliert beschrieben worden, daß ihn ein Fachmann mit dem Patentgegenstand hätte vergleichen können. Insbesondere sei nicht auf die erfindungswesentlichen Merkmale eingegangen worden, wonach die patentgemäße Antriebsanordnung transportabel sei und Mittel umfasse, um die Feder der Spanneinrichtung zum Transport der Antriebsanordnung zu komprimieren. Weiter reiche die allgemeine Angabe, daß der Gegenstand der Vorbenutzung z. B. auf der Industriemesse Hannover gezeigt wurde, nicht aus, um nachzuweisen "wo", "wann" und unter welchen Umständen die geltend gemachte Vorbenutzung erfolgt sei.
Folglich sei der vorliegende Einspruch nicht vollständig substantiiert, wie es die Regel 55 c) im Sinne der Rechtsprechung erfordere, und der vorliegende Einspruch sei nicht zulässig.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Regel 55 c) EPÜ
2.1. Im Hinblick auf die Frage der Zulässigkeit des Einspruchs spielt im vorliegenden Fall lediglich der letzte Satzteil von Regel 55 c) EPÜ eine Rolle, da alle weiteren Erfordernisse des Artikels 99 (1) sowie der Regeln 1 (1) und 55 EPÜ offensichtlich und unbestritten erfüllt sind. Nach diesem Satzteil muß die Einspruchsschrift die Angabe der zur Begründung des Einspruchs vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel enthalten. Diese Angabe wird auch häufig als "Substantiierung" bezeichnet.
Die englische Fassung dieses Satzteils weicht von der deutschen und der damit im wesentlichen identischen französischen Fassung dadurch ab, daß zusätzlich die Angabe der Argumente zur Begründung des Einspruchs verlangt wird (the notice of opposition shall contain ... an indication of the facts, evidence and arguments presented in support of the grounds on which the opposition is based).
2.2. Regel 55 c) EPÜ verlangt lediglich, daß die zur Begründung des Einspruchs vorgebrachten Tatsachen, Beweismittel und (unter Berücksichtigung der englischen Fassung) Argumente angegeben werden. Eine Vorschrift in welcher Art und Weise oder in welchem Umfang diese Angabe zu erfolgen hat, damit der Einspruch zulässig ist, ist im EPÜ nicht enthalten.
Erst mit der Interpretation dieser Anforderung durch die Rechtsprechung der Beschwerdekammern wurde versucht hierfür gewisse Mindeststandards festzulegen.
2.3. Die Rechtsprechung zu Regel 55 c) EPÜ
2.3.1. Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist das angesprochene Erfordernis der Regel 55 c) EPÜ schon dann erfüllt, wenn die Einspruchsschrift vom Inhalt her geeignet ist, das Vorbringen des Einsprechenden objektiv verständlich zu machen, so daß der Patentinhaber und die Einspruchsabteilung wissen worum es bei dem Einspruch geht (siehe T 222/85; ABl. EPA 1988, 128). Dabei müssen die zur Begründung eines Einspruchs vorgebrachten Tatsachen so ausreichend angegeben sein, daß das EPA und der Patentinhaber das Vorbringen ohne weitere Ermittlungen verstehen können (siehe T 2/89; ABl. EPA 1991, 51). Allerdings kann von ihnen hierzu durchaus ein gewisser Interpretationsaufwand verlangt werden (siehe T 199/92).
2.3.2. Weiter ist zu beachten, daß die Angabe der zur Begründung vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel nicht so vollständig zu sein braucht, daß schon allein auf der Basis dieser Angaben eine abschließende Prüfung möglich ist (siehe T 1069/96). Es wird auch nicht verlangt, daß das Einspruchsvorbringen stichhaltig (siehe T 222/85) oder in sich schlüssig sein muß (siehe T 234/86; ABL. EPA 1989, 79).
2.3.3. Im Falle einer behaupteten offenkundige Vorbenutzung gilt der Einspruch dann als ausreichend substantiiert, wenn sich aus der Einspruchsbegründung ohne weiteres ergibt, wie diese Vorbenutzung stattgefunden hat (siehe T 328/87; ABl. EPA 1992, 701), d. h. wenn daraus hervorgeht "was" "wann", unter welchen Umständen - insbesondere "wem" zugänglich gemacht wurde (siehe T 522/94; ABl. EPA 1998, 421). Ob die geltend gemachte Vorbenutzung tatsächlich der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, ist für die Frage der Zulässigkeit aber ohne Belang (siehe T 1022/99).
2.3.4. In jedem Fall läßt sich die Frage, ob eine Einspruchsschrift die sachlichen Mindestanforderungen der Regel 55 c) EPÜ (und auch des Artikels 99 (1) EPÜ) erfüllt, nur aus dem Gesamtzusammenhang des betreffenden Falls heraus entscheiden (siehe T 222/85).
3. Erfüllung der Erfordernisse des letzten Satzteils der Regel 55 c) EPÜ im vorliegenden Fall
3.1. Die vorliegende, am 16. Juli 1999 eingegangene Einspruchsschrift ist zwar knapp gefaßt, sie enthält aber die Angaben,
a) daß die in den Ansprüchen 1 - 4 des angefochtenen Patents beanspruchte Antriebsanordnung gegenüber der von der Beschwerdeführerin genutzten und in den Kompressorenbaureihen "Marathon", "Regatta" und "Rallye" eingebauten Antriebsanordnung nicht neu sein soll (siehe Schreiben vom 15.07.99: Tatsachenvorbringung und Begründung, Seite 1, Absätze 1, 2, 4 und 5),
b) daß zum Nachweis der fehlenden Neuheit des Patentgegenstands gegenüber der von der Beschwerdeführerin genutzten Antriebsanordnung die Druckschriften D1 - D5 dienen sollen (siehe Schreiben vom 15.07.99: Tatsachenvorbringung und Begründung, Seite 1, letzter Absatz), und
c) daß die bekannte Antriebsanordnung die gleichen Merkmale haben soll, wie die im angefochtenen Patent beanspruchte Antriebsanordnung, wobei speziell auf die darin enthaltene Spanneinrichtung eingegangen wird (siehe Schreiben vom 15.07.99: Tatsachenvorbringung und Begründung, Seite 1, Absätze 2 und 3).
Somit ist in der Einspruchsschrift, entsprechend den Anforderungen nach Regel 55 c) EPÜ, eine zur Begründung des Einspruchs vorgebrachte Tatsache (Angabe a) angegeben, sowie dazugehörige Beweismittel (Angabe b) und Argumente (Angabe c).
3.2. Es bleibt daher zu prüfen, ob diese Angaben im vorliegenden Fall den im Abschnitt 2.2 weiter oben genannten Mindeststandards nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern am EPA genügen.
3.2.1. Zunächst ist festzustellen, daß die vorangehend genannten Angaben das Vorbringen der Einsprechenden derart verständlich machen, daß der Patentinhaber und die Einspruchsabteilung erkennen konnten, worum es bei dem Einspruch geht, nämlich um die fehlende Neuheit des Patentgegenstands gegenüber einer angeblichen offenkundigen Vorbenutzung der Antriebsanordnung der Kompressorenbaureihen "Marathon", "Regatta" und "Rallye".
3.2.2. Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin sind hierzu keine eigenen Ermittlungen notwendig. Es ist zwar richtig, daß in der Einspruchsschrift kein Hinweis enthalten ist, welche Merkmale der patentierten Antriebsanordnung an welcher Stelle von welcher der entgegengehaltenen Druckschriften offenbart ist. Dies ist im vorliegenden Fall aber auch nicht nötig, da sämtliche Druckschriften auf einen Schraubenkompressor mit einer darin enthaltenen Antriebsanordnung gerichtet sind. Vier der vorgelegten Druckschriften (D1, D2, D4, D5) betreffen sogar den gleichen Gegenstand, nämlich einen Schraubenkompressor der Baureihe "Marathon". Außerdem ist in den Druckschriften D1, D3, D4 und D5 die gleiche automatische Keilriemen-Spann-Vorrichtung angesprochen, welche auch in D2 gezeigt wird.
Im Hinblick auf die Ausführung in der Einspruchsschrift, daß der Schraubenkompressortyp "Marathon" eine Antriebsanordnung mit einer Spanneinrichtung für das Antriebselement umfaßt, wie sie im angefochtenen Patent beansprucht ist, wird der Fachmann in diesen Druckschriften gezielt nach dieser Antriebsanordnung suchen. Dabei kann er aus den im wesentlichen identischen Abbildungen des "Marathon-Schraubenkompressors" in den relativ kurzen und übersichtlichen Druckschriften D2 und D5 sowie aus dem Bild 1 in den einleitenden Seiten 4/5 der D1 entnehmen, daß die Antriebsanordnung ein Antriebselement in Form eines Keilriemens umfaßt. Aus dem Inhaltsverzeichnis der D1 (die nur ein Drittel der Seite 1 umfaßt) kann er weiter direkt entnehmen, daß dieser Keilriemen auf den Seiten 24 und 25 behandelt wird. Beim Nachsehen auf diesen Seiten wird ihm dann das Bild 20 ins Auge fallen, das den Keilriemen in einer Antriebsanordnung zeigt, die der des angefochtenen Patents prima facie äußerst ähnlich ist.
Folglich sind für die Patentinhaberin und die Einspruchsabteilung nur einfache, naheliegende Schritte notwendig gewesen, um die für das Verständnis des Einspruchs relevanten Stellen aufzufinden, obwohl die entgegengehaltenen Druckschriften keine Patentschriften sind und die D1 eine relativ umfangreiche Druckschrift mit zahlreichen Abbildungen ist. Diese Schritte können aber keinesfalls als eigene Ermittlungen aufgefaßt werden, wie es die Beschwerdegegnerin vorgebracht hat, insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, daß von der Patentinhaberin und der Einspruchsabteilung ein gewisser Interpretationsaufwand für das Verständnis des Einspruchsvorbringens verlangt werden kann. Dies gilt umso mehr, als die beanspruchte Erfindung und die entgegengehaltene Antriebsanordnung - jeweils für sich betrachtet - relativ einfache Vorrichtungen betreffen, wobei deren Verständnis und deren Vergleich vom nicht völlig ahnungslosen Fachmann keinerlei Interpretationsgeschick oder Suchaufwand nach Einzelkomponenten zur Zusammenstellung dieser Vorrichtungen verlangt.
Auch der Verweis der Beschwerdegegnerin auf die Entscheidung T 861/93, wonach bereits bei einer neunseitigen Entgegenhaltung genau anzugeben ist, welche darin enthaltenen Angaben einem Patent engegenstehen, kann die Auffassung der Beschwerdekammer im vorliegenden konkreten Fall nicht in Frage stellen. Diese Entscheidung betrifft nämlich einen Fall, der sich vom vorliegenden wesentlich unterscheidet und damit nicht verglichen werden kann. Dort wurden sieben unterschiedliche Gegenstände betreffende Entgegenhaltungen vorgelegt und hierzu pauschal angegeben, daß der diesen Entgegenhaltungen sowohl einzeln als auch insgesamt zu entnehmende Stand der Technik deutlich mache, daß der Patentgegenstand weder neu sei, noch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Daher war nicht einmal klar, um was es bei diesem Einspruch ging, geschweige denn welche Stellen der Entgegenhaltungen in welcher Weise gegen das angefochtene Patent herangezogen werden sollten. Im vorliegenden Fall betreffen dagegen nicht nur zumindest vier der fünf vorgelegten Druckschriften einen einzigen Gegenstand (Schraubenkompressor "Marathon"), sondern zeigen oder erwähnen auch alle fünf Druckschriften eine Antriebsanordnung mit einer automatischen Keilriemen-Spann-Einrichtung, die dem Patentgegenstand neuheitsschädlich entgegenstehen soll, und die ohne weiteres aus jeder dieser Druckschriften entnommen werden kann. Dies gilt (nochmals) umso mehr, als die mit dem angefochtenen Patent beanspruchte Antriebsanordnung nicht so kompliziert ist, daß der Fachmann Schwierigkeiten hätte, sie mit der angeblich vorbenutzten Antriebsanordnung zu vergleichen.
3.2.3. Auch die grundlegenden Voraussetzungen für eine ausreichende Substantiierung einer offenkundigen Vorbenutzung sind im vorliegenden Fall erfüllt. Es wurde deutlich gemacht, "was" vorbenutzt wurde, nämlich die in den Schraubenkompressoren der Baureihen "Marathon", "Regatta" und "Rallye" genutzte Antriebsanordnung, wobei mit den Druckschriften D1, D2, D4 und D5 zumindest im Hinblick auf die Baureihe "Marathon" gezeigt wurde, daß diese auf den ersten Blick relevant zu sein scheint. Aus den Tatsachen, daß die der Öffentlichkeit eindeutig zugänglichen Druckschriften D4 und D5 bereits 1991 veröffentlicht wurden, und daß jede der D1 (siehe Titelseite) und der D2 (siehe letzte Seite) einen Vermerk enthält (D1: 5.92; D2: 2/1.92), der darauf hindeutet, daß diese Druckschriften 1992 gedruckt wurden, läßt sich schließen, daß die Gesamtheit dieser Druckschriften durchaus relevant für die Angabe der Beschwerdeführerin in ihrer Einspruchsschrift ist, wonach zumindest Kompressoren der Baureihe "Marathon" seit 1990, also weit vor dem Prioritätstag des angefochtenen Patents (18. April 1994) genutzt wurden und auf vielen Ausstellungen, wie z. B. der Industriemesse Hannover, gezeigt wurden.
Daran kann auch das Vorbringen der Beschwerdegegnerin nichts ändern, wonach aus D1 und D2 nicht zu entnehmen sei, ob und wann diese Druckschriften der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Die Vermerke auf diesen Druckschriften lassen nämlich zumindest vermuten, daß sie der Öffentlichkeit vor dem Prioritätstag des angefochtenen Patents zugänglich waren. Ob dies tatsächlich so war, spielt für die Frage der Zulässigkeit keine Rolle, sondern ist als Beweislastfrage erst im Rahmen der Sachprüfung zu ermitteln.
Die Beschwerdekammer kann sich daher nicht der Auffassung der Beschwerdegegnerin anschließen, daß nicht in ausreichender Weise dargelegt wurde, "was", wann" von "wem" unter welchen Umständen vorbenutzt wurde. Es mag zwar sein, daß der Gegenstand der angeblichen Vorbenutzung in der Beschwerdeschrift nicht so detailliert beschrieben worden ist, daß ihn ein Fachmann mit dem Patentgegenstand bis ins letzte Detail vergleichen könnte, und daß nicht auf die Merkmale eingegangen wurde, wonach die patentgemäße Antriebsanordnung transportabel ist und Mittel umfaßt, mit denen die Feder der Spanneinrichtung zum Transport der Antriebsanordnung komprimiert werden kann. Dies ist aber auch gar nicht nötig, da die Prüfung der angegebenen Tatsachen nicht zur Zulässigkeitsfrage gehört, sondern unter die Sachprüfung fällt. Wenn nämlich hinreichend verständlich ist, warum einem relativ unkomplizierten Gegenstand die Patentfähigkeit abgesprochen wird, brauchen dessen Merkmale nicht einmal dann, wenn die erfinderische Tätigkeit in Frage gestellt wird, einzeln abgehandelt werden (siehe T 3/95). Nachdem im vorliegenden Fall sogar nur die Neuheit eines relativ einfachen Gegenstands bestritten wird, wozu weitaus weniger Erläuterungen nötig sind als im Falle der erfinderischen Tätigkeit, ist es hier erst recht nicht notwendig auf alle Merkmale des Patentgegenstands einzugehen. Dies gilt auch für die Merkmale, die die Transportabilität und die Komprimierbarkeit der Spannfeder betreffen. Die Zulässigkeit erfordert nämlich lediglich, daß die Einspruchsabteilung und der Patentinhaber verstehen können, auf welche Gründe und Tatsachen der Einspruch gestützt wird. Im Gegensatz zur Ansicht der Beschwerdegegnerin, wonach gerade diejenigen, auf die Transportabilität und die Komprimierbarkeit der Spannfeder gerichteten Merkmale die erfindungswesentlichen Merkmale des Patentgegenstands sein sollen, kann die Beschwerdekammer überdies schon prima facie nicht erkennen, daß diese Merkmale erfindungswesentlicher sein könnten als die übrigen Merkmale von Anspruch 1, geschweige denn als die übrigen Merkmale vom kennzeichnenden Teil von Anspruch 1 des angefochtenen Patents.
Auch das Vorbringen der Beschwerdegegnerin, daß der Verweis auf die Ausstellung des angeblich vorbenutzten Gegenstands auf der Industriemesse nicht ausreiche, um nachzuweisen, "wo", "wann" und unter welchen Umständen die geltend gemachte Vorbenutzung erfolgt sei, ist nicht überzeugend. In der Einspruchsschrift wurde nämlich nicht nur darauf hingewiesen, daß die Kompressoren der Baureihen "Marathon", "Regatta" und "Rallye" auf vielen Ausstellungen, wie z. B. der Industriemesse Hannover, gezeigt wurden, sondern auch darauf, daß die patentgemäße Antriebsanordnung seit 1990 in diesen Kompressorbaureihen genutzt wurde. Aus den zum Beweis für diese Aussage vorgelegten Druckschriften D1, D2, D4 und D5 läßt sich schließen, daß damit ausgedrückt werden sollte, daß diese Antriebsanordnung zumindest in der Kompressorbaureihe "Marathon" der Öffentlichkeit zugänglich war. Es ist daher anzunehmen, daß die Einsprechende zumindest implizit behauptet, daß die Vorbenutzung öffentlich stattgefunden hat.
Nachdem es für die Frage der Zulässigkeit unerheblich ist, ob eine geltend gemachte offenkundige Vorbenutzung tatsächlich der Öffentlichkeit zugänglich war (siehe T 1022/99), und nachdem ein Einspruchsgrund zudem nicht so substantiiert zu sein braucht, daß er abschließend geprüft werden kann (siehe T 1069/96), wie es die Beschwerdegegnerin vorgetragen hat, sind damit für die Zulässigkeitsprüfung ausreichend Daten vorhanden, damit der Einspruch sachlich überprüft werden kann.
3.2.4. Abschließend möchte die Beschwerdekammer darauf hinweisen, daß es vermieden werden sollte, die Zulässigkeitsprüfung mit der Sachprüfung zu vermischen. Wie aus der einschlägigen Rechtsprechung hervorgeht (siehe Abschnitt 2.2 weiter oben) kommt es bei der Zulässigkeitsprüfung nicht auf eine stichhaltige Substantiierung des Einspruchs an, sondern es ist lediglich festzustellen, ob die vorgebrachte Begründung nachvollziehbar und verständlich ist. Die Feststellung, ob das Einspruchsvorbringen tatsächlich zutrifft, bleibt dagegen der Sachprüfung vorbehalten.
Wie vorangehend dargestellt wurde, sind die Ausführungen in der Einspruchsschrift im vorliegenden Fall nachvollziehbar und verständlich. Der Einspruch ist daher zulässig. Ob tatsächlich eine Übereinstimmung zwischen der patentgemäßen Antriebsanordnung und dem angeblich vorbenutzten Gegenstand besteht und ob dieser tatsächlich der Öffentlichkeit zugänglich war, wird in der Sachprüfung zu ermitteln sein.
3.2.5. Im Hinblick auf die von der Beschwerdeführerin zitierte Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 1/84 bleibt noch festzustellen, daß im vorliegenden Fall offensichtlich kein Verfahrensmißbrauch vorliegt, der eine Unzulässigkeit des Einspruchs begründen könnte. Dies wurde auch von der Beschwerdegegnerin nicht in Frage gestellt.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Der Einspruch ist zulässig.
3. Die Sache wird zur sachlichen Prüfung des Einspruchs an die erste Instanz zurückverwiesen.