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T 0079/89 (Endgültigkeit einer Entscheidung) 09-07-1990
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1. Hat eine Beschwerdekammer in einer Entscheidung einen bestimmten beanspruchten Gegenstand als nicht gewährbar zurückgewiesen und die Sache zur weiteren Entscheidung auf der Grundlage eines Hilfsantrags zurückverwiesen, so besteht die Rechtswirkung des Artikels 111 EPÜ darin, daß die Prüfung der Gewährbarkeit des zurückgewiesenen Gegenstands anschließend weder von der Prüfungsabteilung bei der weiteren Behandlung der Sache noch von der Beschwerdekammer bei einem etwaigen späteren Beschwerdeverfahren wiederaufgenommen werden kann.
2. Hat eine Beschwerdekammer über bestimmte Streitpunkte entschieden, so ist sie nach Artikel 112 (1) a) EPÜ im selben Verfahren nicht befugt, der Großen Beschwerdekammer eine Rechtsfrage vorzulegen, die sich im Zusammenhang mit Streitpunkten gestellt hat, über die sie bereits entschieden hat; dies gilt auch dann, wenn andere Streitpunkte bei der Beschwerdekammer im selben Verfahren noch anhängig sind.
Zurückweisung eines bestimmten beanspruchten Gegenstands im Beschwerdeverfahren
Zurückverweisung an die Prüfungsabteilung zur weiteren Entscheidung auf der Grundlage eines Hilfsantrags
Nichteinverständnis mit der nach Regel 51(4) EPÜ mitgeteilten Fassung und Antrag auf weitere Prüfung des zurückgewiesenen Gegenstands
Antrag auf Befassung der Großen Beschwerdekammer zurückgewiesen
I. Die vorliegende europäische Patentanmeldung wurde mit Entscheidung der Prüfungsabteilung vom 4. Januar 1985 mit der Begründung zurückgewiesen, daß die vorgeschlagene Änderung der Ansprüche gegen Artikel 123 (2) EPÜ verstoße; die Änderung war auf den von der Prüfungsabteilung gegen den Anspruch 1 in der ursprünglich eingereichten Fassung erhobenen Einwand erfolgt, er werde von der Beschreibung nicht gestützt ("enthält nicht alle Merkmale, die zur Erzielung des gewünschten Ergebnisses erforderlich sind"). In der Entscheidung hieß es, daß Neuheit und erfinderische Tätigkeit nicht geprüft worden seien (obgleich es in einer früheren Mitteilung geheißen hatte, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 in der ursprünglich eingereichten Fassung neu und erfinderisch zu sein scheine).
Das anschließende Beschwerdeverfahren gegen die vorstehend genannte Entscheidung war Gegenstand der Entscheidung T 133/85 vom 25. August 1987 (ABl. EPA 1988, 441). Wie der Entscheidung T 133/85 entnommen werden kann, stellte die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer einen Haupt- und einen Hilfsantrag. Die Kammer hielt den Anspruch gemäß dem Hauptantrag wegen Verstoßes gegen Artikel 84 EPÜ für nicht gewährbar, und zwar aus demselben Grund, aus dem die Prüfungsabteilung den vorstehend genannten Einwand gegen die Ansprüche in der ursprünglich eingereichten Fassung erhoben hatte. Der Anspruch gemäß dem Hilfsantrag wurde für gewährbar erachtet; in der Entscheidungsformel heißt es daher wie folgt:
"Die Sache wird an die erste Instanz mit der Auflage zurückverwiesen, die Prüfung der Anmeldung auf der Grundlage des Anspruchs 1 des Hilfsantrags B fortzusetzen."
II. Das folgende Verfahren vor der Prüfungsabteilung ist in deren Zurückweisungsentscheidung vom 28. Juli 1988 dargelegt. Wie dieser Entscheidung entnommen werden kann, teilte die Prüfungsabteilung der Beschwerdeführerin in einer Mitteilung nach Regel 51 (4) EPÜ vom 10. Februar 1988 die Fassung mit, in der sie ein Patent zu erteilen beabsichtigte (nämlich mit dem Anspruch 1 des der Beschwerdekammer vorliegenden Hilfsantrags). Daraufhin erklärte die Beschwerdeführerin in einem an die Beschwerdekammern gerichteten Schreiben vom 19. Februar 1988, ihrer Auffassung nach sei die Anmeldung in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung zu Unrecht zurückgewiesen worden; sie beantragte die erneute Prüfung der ursprünglich eingereichten Ansprüche durch die Beschwerdekammer oder hilfsweise - angesichts der Bedeutung der auf Seite 2 ihres Schreibens dargelegten Rechtsfragen - die Befassung der Großen Beschwerdekammer.
Als Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung wurden von der Beschwerdeführerin die folgenden bezeichnet:
"i) Kann das EPA bei Anmeldungen, die in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung unabhängige Gattungsansprüche enthalten, die unbestreitbar so weit gefaßt sind, daß sie zwei Ausführungsformen einer Erfindung einschließen, nach Artikel 84 EPÜ verlangen, daß für eine der Ausführungsformen alle Ansprüche auf den Umfang lediglich abhängiger Ansprüche eingeschränkt werden, und zwar allein aufgrund von Angaben in der Beschreibung, die auf diese abhängige Ausführungsform gerichtet sind, obwohl gattungsbezogene Angaben über die Erfindung und ihre Merkmale auch in der ursprünglichen Beschreibung enthalten sind?
ii) Kann die Entscheidung der Kammer mit Rücksicht auf Artikel 113 EPÜ aufgehoben werden, wenn die Kammer in einer Beschwerdeentscheidung sua sponte erstmals einen neuen Zurückweisungsgrund genannt hat?" Ausführliche Argumente zur Stützung dieser Fragen wurden ebenfalls angeführt.
Mit Schreiben vom 9. März 1988 erklärte die Beschwerdeführerin, daß sie mit der nach Regel 51 (4) EPÜ mitgeteilten Fassung nicht einverstanden sei; sie beantragte die Wiederaufnahme der Prüfung der Anmeldung auf der Grundlage der Beschreibung und der Ansprüche in der ursprünglich eingereichten Fassung, allerdings mit der Änderung, daß neue Ansprüche gemäß einer Anlage 1 aufgenommen oder die ursprünglichen Ansprüche 1 und 10 durch diese beigefügten Ansprüche ersetzt würden. Die Begründung der Entscheidung der Prüfungsabteilung ist kurz und knapp und nachstehend in vollem Wortlaut wiedergegeben:
1. Die Anmelderin hat ihr Nichteinverständnis mit der nach Regel 51 (4) EPÜ mitgeteilten Fassung erklärt; diese ist identisch mit der Fassung, auf deren Grundlage die Prüfungsabteilung gemäß der Auflage der Beschwerdekammer die Prüfung der Anmeldung fortzusetzen hatte.
2. Der Antrag der Anmelderin auf Wiederaufnahme der Prüfung auf der Grundlage neu eingereichter Ansprüche, einschließlich eines unabhängigen Vorrichtungsanspruchs, geht eindeutig über die Auflage der Beschwerdekammer hinaus. Dieser Antrag stellt somit den Versuch dar, das Ergebnis des Verfahrens vor der Beschwerdekammer in Frage zu stellen. Die Prüfungsabteilung ist in diesem Verfahrensstadium zur Prüfung alternativer Ansprüche nicht berechtigt und hat daher den mit Schreiben vom 9. März eingereichten geänderten Ansprüchen ihre Zustimmung verweigert.
3. Liegt entgegen dem Erfordernis von Artikel 97 (2) a) EPÜ keine vom Anmelder gebilligte Fassung vor, so hat die Prüfungsabteilung keine andere Wahl, als die Anmeldung zurückzuweisen.
III. Am 20. August 1988 legte die Beschwerdeführerin Beschwerde ein und entrichtete die Beschwerdegebühr ordnungsgemäß. In ihrer am 30. November 1988 eingereichten Beschwerdebegründung beantragte sie erneut, daß auf die Anmeldung ein Patent auf der Grundlage der ursprünglich eingereichten Fassung erteilt werde, und zwar vorzugsweise mit den Ansprüchen und der Beschreibung in der gemäß der Anlage 1 bzw. 2 geänderten Fassung. Die Entscheidung der Beschwerdekammer vom 25. August 1987 sei ihres Erachtens unangemessen, da sie nicht in Einklang mit den Richtlinien stehe und auf einem Fehler bei der Auslegung der ursprünglich eingereichten Beschreibung (insbesondere des Teils der Beschreibung, in dem auf ein US-Patent hingewiesen werde) beruhe. Die Entscheidung der Prüfungsabteilung vom 28. Juli 1988 sei auch deshalb unangemessen, weil die derzeit beantragten Ansprüche nicht mit denen identisch seien, die der Beschwerdekammer vorgelegen hätten, sondern auf neue Einwände hin eingereicht worden seien, die von der Beschwerdekammer erstmals in ihrer Entscheidung erhoben worden seien, so daß die Beschwerdeführerin keine Gelegenheit zur Erwiderung gehabt habe. In Fällen dieser Art bestehe vor dem Patentamt der Vereinigten Staaten ein Rechtsanspruch auf nochmalige Prüfung des Falles. Dieser Grundsatz gelte analog auch für das EPA. Die Aufgabe einer Beschwerdekammer bestehe naturgemäß darin, Beschwerden zu untersuchen, d. h. als Berufungsinstanz von einem Prüfer getroffene Entscheidungen zu überprüfen und somit dafür zu sorgen, daß die Beteiligten rechtliches Gehör sowie ein zweites Votum seitens einer anderen Instanz erhielten. Werde eine Beschwerdekammer als erste Prüfungsinstanz tätig, so müßte aufgrund elementarer Rechtsgrundsätze die Gelegenheit zu Stellungnahmen (einschließlich Änderungsvorschlägen) und zu einer weiteren, unabhängigen Nachprüfung gegeben werden. Die früheren Schreiben der Beschwerdeführerin vom 19. Februar und 9. März 1988 waren der Beschwerdebegründung beigefügt und in diese miteinbezogen. Mit Schreiben vom 27. Juli 1989 verwies die Beschwerdeführerin zur Stützung der in ihrem Schreiben vom 19. Februar 1988 gestellten Anträge auf die Entscheidungen T 6/84 vom 21. Februar 1985 und T 292/85 (ABl. EPA 1989, 275).
IV. In einer Mitteilung der Kammer vom 22. März 1990 wurde der Sachverhalt zusammengefaßt und die Auffassung der Kammer wiedergegeben, daß es in der Beschwerde im wesentlichen um die folgenden drei Fragen gehe:
1) Liegt es in einem Fall wie diesem (wo eine Beschwerdekammer über eine Beschwerde zu einer Patentanmeldung entschieden und die Sache an die Prüfungsabteilung mit der Auflage zurückverwiesen hat, die Prüfung der Anmeldung auf der Grundlage eines bestimmten "Antrags" der Anmelderin fortzusetzen) im Ermessen der Prüfungsabteilung, die Prüfung auf der Grundlage neu eingereichter Ansprüche wiederaufzunehmen?
2) Wenn ja, hat die Prüfungsabteilung ihr Ermessen unter den gegebenen Umständen korrekt ausgeübt?
3) Stellt sich im vorliegenden Fall eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, mit der die Große Beschwerdekammer befaßt werden sollte?
Zu jeder dieser Fragen wurde eine vorläufige Stellungnahme abgegeben.
V. In ihrer Erwiderung vom 28. Juni 1990 erklärte die Beschwerdeführerin in Zusammenhang mit der vorstehend genannten Frage 3, daß die Große Beschwerdekammer mit folgenden Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung befaßt werden sollte:
"Zu Artikel 112 (1) a) EPÜ:
i) Hier stellt sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung: Kann die Beschwerdekammer sua sponte eine Frage aufwerfen und über diese entscheiden, ohne daß dem Anmelder rechtliches Gehör gegeben wird? Wir behaupten, daß ihr dies durch Artikel 113 (1) EPÜ verwehrt wird.
ii) Es liegt eine uneinheitliche Rechtsanwendung vor, und zwar zwischen der Entscheidung der Beschwerdekammer im vorliegenden Fall und den Richtlinien für die Prüfung im Europäischen Patentamt.
Zu Artikel 112 (1) b) EPÜ:
iii) Es liegt eine uneinheitliche Rechtsanwendung insofern vor, als die mit dem vorliegenden Fall befaßte Beschwerdekammer und andere Beschwerdekammern über dieselbe Rechtsfrage voneinander abweichende Entscheidungen getroffen haben. Wir beantragen daher, daß der Präsident des EPA diese Rechtsfrage der Großen Beschwerdekammer vorlegt."
Zu i: Bei der von der Beschwerdekammer "sua sponte" aufgeworfenen Frage handele es sich um die Auslegung der Kammer zu einer Textstelle in der ursprünglich eingereichten Beschreibung, in der auf ein älteres US-Patent hingewiesen werde.
Zu ii: Es werde auf das Schreiben vom 19. Februar 1988 verwiesen.
Zu iii: Es werde auf die unter Nummer III genannten Entscheidungen verwiesen. In bezug auf Artikel 112 (1) a) EPÜ wurde vorgebracht, eine Beschwerdekammer, "bei der ein Verfahren anhängig ist", könne der Großen Beschwerdekammer Rechtsfragen vorlegen. Im vorliegenden Fall, so die Beschwerdeführerin, sei das Verfahren noch anhängig, da ihr Einverständnis mit der nach Regel 51 (4) EPÜ mitgeteilten Fassung immer noch ausstehe.
Was Artikel 112 (1) b) EPÜ anbelange, so gebe es keine Beschränkung hinsichtlich des Zeitpunkts, zu dem der Präsident der Großen Beschwerdekammer eine Rechtsfrage vorlege. Anträge auf Befassung der Großen Beschwerdekammer seien erstmals mit Schreiben vom 19. Februar 1988, das unbeantwortet geblieben sei, gestellt worden.
VI. Die Beschwerdeführerin stellte ferner einen Hilfsantrag auf Erteilung des Patents in der nach Regel 51 (4) EPÜ mitgeteilten Fassung.
Am 9. Juli 1990 fand eine mündliche Verhandlung statt, in der die Beschwerdeführerin ihre früheren Anträge wiederholte und bestätigte, daß ihr Hauptantrag auf die Erteilung eines Patents in der ursprünglich eingereichten Fassung mit den mit den Anlagen 1 und 2 ihres Schreibens vom 9. März 1988 eingereichten Änderungen gerichtet sei; ihr Hilfsantrag gehe aus ihrem Schreiben vom 28. Juni 1990 hervor (s. Nr. V). Auf die Erklärung der Kammer hin, daß eine Befassung der Großen Beschwerdekammer durch den Präsidenten nach Artikel 112 (1) b) EPÜ ihre Entscheidung über die hier vorliegende Patentanmeldung nicht berühre, nahm die Beschwerdeführerin ihren Antrag auf Befassung der Großen Beschwerdekammer mit der unter Nummer V genannten Frage iii zurück, hielt aber ihren Antrag auf Befassung der Kammer mit den Fragen i und ii aufrecht. Am Ende der mündlichen Verhandlung erging die Entscheidung der Kammer, daß der Hauptantrag zusammen mit dem Antrag auf Befassung der Großen Beschwerdekammer mit den Fragen i und ii zurückgewiesen wird. Die Sache wurde an die Prüfungsabteilung mit der Auflage zurückverwiesen, das Patent in der Fassung gemäß dem Hilfsantrag zu erteilen.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Früheres Verfahren vor der Beschwerdekammer
2.1 Im Verfahren zu einer europäischen Patentanmeldung vor der Prüfungsabteilung darf der Anmelder nach Erhalt des ersten Prüfungsbescheids die Beschreibung, die Patentansprüche und die Zeichnungen einmal ändern; weitere Änderungen können nur mit Zustimmung der Prüfungsabteilung vorgenommen werden (R. 86 (3) EPÜ). Soweit nach Lage des Einzelfalls erforderlich, wird der Anmelder aufgefordert, Änderungen einzureichen (Art. 96 (2) und R. 51 (2) EPÜ). Im Beschwerdeverfahren vor einer Beschwerdekammer gelten dieselben Grundsätze (Art. 110 (2) und R. 66 (1) EPÜ). Ein Hilfsantrag ist ein Antrag auf Änderung, für den die vorstehend genannten Grundsätze gelten. Hierzu hieß es in der Entscheidung T 153/85 (ABl. EPA 1988, 1) wie folgt: "Ein Hilfsantrag ist ein Antrag auf Änderung, der erst dann zum Tragen kommt, wenn der Hauptantrag (... oder vorangegangene Hilfansträge...) für nicht gewährbar erklärt wird." Im vorliegenden Fall stellte die Beschwerdeführerin im Verfahren vor der Prüfungsabteilung nur einen Antrag, nämlich den auf Erteilung des Patents mit geänderten Ansprüchen. Die ursprünglich eingereichten Ansprüche wurden auf einen Einwand hin geändert, ein Antrag auf Erteilung des Patents in der ursprünglich eingereichten Fassung wurde jedoch bei der Prüfungsabteilung nicht gestellt.
Im Verfahren vor der Beschwerdekammer, das zu der Entscheidung T 133/85 führte, focht die Beschwerdeführerin zunächst die Entscheidung der Prüfungsabteilung über die ihr vorliegenden Ansprüche an; ferner stellte sie einen Hilfsantrag mit geänderten Ansprüchen, deren Gewährbarkeit die Prüfungsabteilung angedeutet hatte. Die Beschwerdeführerin nahm später in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer ihren Antrag mit den Ansprüchen in der von der Prüfungsabteilung zurückgewiesenen Fassung zurück und legte statt dessen als Hauptantrag einen Satz mit Ansprüchen vor, deren Gegenstände den ursprünglich eingereichten Ansprüchen entsprachen; ihren Hilfsantrag hielt sie aufrecht.
Nach Artikel 113 (2) EPÜ konnte die Beschwerdekammer nur die Patentanmeldung in der dem Hauptantrag oder dem Hilfsantrag entsprechenden Fassung prüfen und darüber entscheiden.
2.2 Was den Hauptantrag anbelangt, so hat die Beschwerdeführerin behauptet, daß die Beschwerdekammer hier als erste Prüfungsinstanz tätig werde und daß demnach ein Anspruch auf eine weitere, unabhängige Nachprüfung in zweiter Instanz sowie ein Anspruch auf Einreichung weiterer Änderungen bestehe. Diese Beschwerdekammer kann dies aus den folgenden Gründen nicht gelten lassen:
a) Nach Artikel 111 (1) EPÜ wird eine Beschwerdekammer in einem bei ihr anhängigen Beschwerdeverfahren nach ihrem Ermessen "entweder im Rahmen der Zuständigkeit des Organs tätig, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat (hier die Prüfungsabteilung), oder (sie) verweist die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an dieses Organ zurück". Somit ist die Beschwerdekammer auch dann, wenn ihr ein Antrag vorgelegt wird, dessen Gegenstand keinem der in erster Instanz gestellten und entschiedenen Anträge entspricht, befugt als erste und einzige Instanz über diesen Antrag zu entscheiden, und zwar ohne daß eine Nachprüfung durch eine weitere Instanz möglich wäre. In diesem Zusammenhang ist der von der Beschwerdeführerin angestellte Vergleich mit dem Verfahren in den Vereinigten Staaten nicht relevant. Für das Verfahren vor dem EPA sind die Bestimmungen des EPÜ maßgebend.
Im vorliegenden Fall machte die Beschwerdekammer, wie oben dargelegt, in dem früheren Verfahren von diesem Ermessen in der Weise Gebrauch, daß sie den Hauptantrag zurückwies, was ja im Rahmen der Zuständigkeit der Prüfungsabteilung liegt. Damit hat sie das ihr nach Artikel 111 (1) EPÜ zustehende Ermessen in angemessener Weise ausgeübt, zumal sie den ihr vorliegenden Hauptantrag mit derselben Begründung zurückgewiesen hat, die auch die Prüfungsabteilung bei der Beanstandung der ursprünglich eingereichten Fassung der Ansprüche angeführt hatte. b) Der Umstand, daß eine Beschwerdekammer in Ausübung der Befugnis einer Prüfungsabteilung einen Antrag zurückweist, berechtigt den Anmelder nicht dazu, weitere Anträge zu stellen. Ob der Anmelder die Möglichkeit erhält, weitere Änderungsanträge zu stellen, bleibt nach Regel 86 (3) EPÜ Ermessenssache.
2.3 Die Beschwerdeführerin hat auch geltend gemacht, daß die Zurückweisung des Hauptantrags durch die Beschwerdekammer insofern gegen Artikel 113 (1) EPÜ verstoßen habe, als sie keine Gelegenheit erhalten habe, sich zu der von der Kammer vertretenen Auslegung einer Textstelle in der Beschreibung der ursprünglich eingereichten Anmeldung zu äußern, in der auf das US-Patent Adamek hingewiesen werde, obwohl diese Auslegung die Grundlage für die Zurückweisung des Hauptantrags gebildet habe. Die Kammer läßt dieses Vorbringen aus den folgenden Gründen nicht gelten:
a) Der Hinweis auf das US-Patent Adamek in der Beschreibung war nur eine Textstelle von vielen, aufgrund deren die Kammer in ihrer früheren Entscheidung zu der Auffassung gelangte, daß die Beschreibung der Erfindung in der eingereichten Fassung eingegrenzt sei; siehe Seite 7 der Entscheidung.
b) Der eingegrenzte Umfang der Beschreibung in der ursprünglich eingereichten Fassung war auch der Grund für den Einwand der Prüfungsabteilung gegen die Ansprüche in der ursprünglich eingereichten Fassung; siehe den Bescheid vom 8. Juli 1982.
c) Die Beschwerdeführerin hatte in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer, als sie anstelle des früheren Hauptantrags einen neuen Hauptantrag stellte, ausreichend Gelegenheit, sich zur Auslegung der Beschreibung in der ursprünglich eingereichten Fassung zu äußern.
3. Rechtswirkung der früheren Entscheidung der Beschwerdekammer Im vorliegenden Fall hat die Kammer den Hauptantrag der Beschwerdeführerin zurückgewiesen und die Sache an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung auf der Grundlage des Hilfsantrags zurückverwiesen. Unter diesen Umständen kommt Artikel 111 (2) EPÜ zur Anwendung; danach ist das erstinstanzliche Organ "durch die rechtliche Beurteilung der Beschwerdekammer, die der Entscheidung zugrunde gelegt ist, gebunden, soweit der Tatbestand derselbe ist". Die Beschwerdekammer war in ihrer früheren Entscheidung zu der Beurteilung gelangt, daß der Gegenstand des Hauptantrags nicht gewährbar sei, daß aber die Erteilung eines Patents entsprechend dem Hilfsantrag - vorbehaltlich der Prüfung seiner Patentierbarkeit durch die Prüfungsabteilung - möglich erscheine.
Nach Auffassung der Kammer war die Prüfungsabteilung hier nach Ergehen der früheren Entscheidung der Beschwerdekammer eindeutig nicht befugt, die Prüfung auf der Grundlage der von der Beschwerdeführerin beantragten Ansprüche (deren Gegenstände dem zuvor zurückgewiesenen Hauptantrag entsprachen) wiederaufzunehmen. Nachdem die Prüfungsabteilung den Gegenstand des Hilfsantrags auf seine Patentierbarkeit hin geprüft und keine Einwände dagegen erhoben hatte, mußte sie der Beschwerdeführerin nach Regel 51 (4) EPÜ die auf dem Hilfsantrag beruhende Fassung mitteilen (was sie am 10. Februar 1988 auch tat). Ohne das Einverständnis der Beschwerdeführerin mit dieser Fassung konnte die Prüfungsabteilung nach Auffassung der Kammer nicht umhin, die Anmeldung aus den in ihrer Entscheidung vom 28. Juli 1988 genannten Gründen (s. Nr. II) zurückzuweisen. Da die Prüfungsabteilung nicht befugt war, die Prüfung für die von der Beschwerdeführerin beantragten Ansprüche wiederaufzunehmen, ist auch die Beschwerdekammer im Rahmen dieser Beschwerde hierzu nicht befugt, denn sie kann nur im Rahmen der Zuständigkeit der Prüfungsabteilung tätig werden (Art. 111 (1) EPÜ). Der Hauptantrag der Beschwerdeführerin muß somit zurückgewiesen werden.
4. Befassung der Großen Beschwerdekammer
4.1 Die Beschwerdeführerin beantragte die Befassung der Großen Beschwerdekammer mit bestimmten Fragen erstmals in ihrem Schreiben vom 19. Februar 1988, d. h., nachdem die Beschwerdekammer ihre frühere Entscheidung (T 133/85) vom 25. August 1987 getroffen hatte. Die Form der Anträge wurde in der mündlichen Verhandlung am 9. Juli 1990 endgültig festgelegt. Die frühere Entscheidung war eine Endentscheidung in bezug auf die am 25. August 1987 entschiedenen Fragen, nämlich die Zurückweisung des Hauptantrags und die Zulässigkeit des Hilfsantrags vorbehaltlich der weiteren Prüfung der Patentierbarkeit durch die Prüfungsabteilung. Die Entscheidung der Kammer zu diesen Fragen konnte anschließend nicht mehr geändert werden. Nach Ergehen der Entscheidung am 25. August 1987 wurde die Sache ordnungsgemäß an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen.
Ab dem 19. Februar 1988 war daher die Beschwerdekammer (an die das Schreiben dieses Datums gerichtet war) nicht befugt, der Großen Beschwerdekammer Rechtsfragen im Zusammenhang mit Streitpunkten vorzulegen, über die sie bereits entschieden hatte. Artikel 112 (1) a) EPÜ ist in seinem Zusammenhang so auszulegen, daß eine Beschwerdekammer der Großen Beschwerdekammer Rechtsfragen nur dann vorlegen kann, wenn bei ihr "ein Verfahren anhängig ist" und bevor sie über die Streitpunkte in der Beschwerde entscheidet, in deren Zusammenhang sich diese Rechtsfragen stellen. Dies geht aus Artikel 112 (1) a) EPÜ selbst klar hervor, der vorschreibt, daß die Zurückweisung von Anträgen auf Befassung der Großen Beschwerdekammer in der "Endentscheidung" der Beschwerdekammer zu begründen ist. Dies wäre im vorliegenden Fall nicht möglich gewesen, da die Kammer, wie vorstehend erläutert, ihre "Endentscheidung" über die in der Beschwerde anstehenden Fragen bereits erlassen hatte, als ein Antrag der Beschwerdeführerin auf Befassung der Großen Beschwerdekammer bei ihr einging. Außerdem wird für den Fall, daß eine Kammer die Große Beschwerdekammer befaßt, in Artikel 112 (2) EPÜ darauf hingewiesen, daß die Beteiligten auch am Verfahren vor der Großen Beschwerdekammer beteiligt sind, und in Artikel 112 (3) EPÜ vorgeschrieben, daß die Entscheidung der Großen Beschwerdekammer für die Entscheidung der Beschwerdekammer bindend ist; diese Bestimmung hat nur dann einen Sinn, wenn der Großen Beschwerdekammer Fragen vorgelegt werden, bevor eine Beschwerdekammer über die Streitpunkte in der Beschwerde, in deren Zusammenhang sich die Rechtsfragen stellen, entscheidet. Die Beschwerdeführerin behauptete, eine solche Auslegung des Artikels 112 EPÜ führe zu einem Verfahren, das eigentlich auf den Kopf gestellt sei und den üblichen nationalen Beschwerdesystemen widerspreche, denn diese böten die Möglichkeit, gegen die Entscheidung einer niedrigeren Instanz bei der nächsthöheren Beschwerde einzulegen. Die Beschwerdekammern müssen jedoch Artikel 112 (1) a) EPÜ so auslegen und anwenden, wie er ist, nämlich in der oben dargelegten Weise. Die Große Beschwerdekammer ist keine dritte Instanz innerhalb des EPA, sondern Teil der von den Beschwerdekammern gebildeten zweiten Instanz.
4.2 Selbst wenn die Beschwerdeführerin vor Erlaß der früheren Entscheidung der Beschwerdekammer beantragt hätte, die Große Beschwerdekammer mit den von ihr gestellten Fragen zu befassen, hätte die Kammer diese Anträge mit den unter Nummer V genannten Fragen aus den folgenden Gründen zurückgewiesen:
i) Es dürfte auf der Hand liegen, daß eine Kammer von Rechts wegen nicht gegen Artikel 113 (1) EPÜ verstoßen darf; über nichts anderes hätte die Große Beschwerdekammer in dieser Beziehung zu entscheiden gehabt. Wie unter Nummer 2.3 erläutert, ist es aber nach Auffassung der Kammer in dem früheren Verfahren vor der Kammer zu keinem Verstoß gegen Artikel 113 (1) EPÜ gekommen.
ii) Die Beschwerdekammern sind nicht an die Richtlinien gebunden. Die Kammer kann nicht feststellen, daß zwischen ihrer früheren Entscheidung und den Richtlinien irgendein Widerspruch bestünde; sie ist aber ohnehin der Auffassung, daß es keinen hinreichenden Grund gegeben hätte, die Große Beschwerdekammer mit dieser Angelegenheit zu befassen. Was die von der Beschwerdeführerin genannten früheren Entscheidungen anbelangt, so ist die Kammer außerdem nicht der Ansicht, daß eine Abweichung gegenüber diesen Entscheidungen vorliegt, die es gerechtfertigt hätte, der Großen Beschwerdekammer eine Rechtsfrage zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung vorzulegen.
5. Der Hilfsantrag
Die Beschwerdeführerin hat bei der Beschwerdekammer hilfsweise die Erteilung eines Patents in der Fassung gemäß der Mitteilung nach Regel 51 (4) EPÜ beantragt. Dieser Hilfsantrag wurde in einem späten Stadium des Verfahrens gestellt; außerdem hatte die Beschwerdeführerin zuvor der Prüfungsabteilung ihr Nichteinverständnis mit eben dieser Fassung mitgeteilt. Dennoch war die Beschwerdeführerin nach Auffassung der Kammer bei der hier gegebenen besonderen Sachlage zu dieser Handlungsweise vor der Prüfungsabteilung berechtigt, um die Behandlung und Entscheidung der hier vorliegenden Beschwerdepunkte herbeizuführen.
Somit läßt die Kammer diesen Hilfsantrag in Ausübung ihres Ermessens nach Regel 86 (3) EPÜ zu; im Hinblick auf die frühere Mitteilung nach Regel 51 (4) EPÜ ist der Antrag dann automatisch gewährbar. Allerdings sollten nach Auffassung der Kammer weitere Änderungen des Wortlauts in diesem Fall nicht zugelassen werden; das Patent sollte vielmehr nur in der Fassung gemäß dem Hilfsantrag erteilt werden.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Entscheidung der Prüfungsabteilung wird aufgehoben.
2. Der Hauptantrag wird zurückgewiesen.
3. Der Antrag auf Befassung der Großen Beschwerdekammer wird zurückgewiesen.
4. Die Sache wird an die Prüfungsabteilung mit der Auflage zurückverwiesen, ein Patent in der Fassung gemäß der Mitteilung nach Regel 51 (4) EPÜ vom 10. Februar 1988 zu erteilen.