T 0024/91 (Hornhaut) 05-05-1994
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1. Ein unter die Ausschlußvorschrift des Artikels 52 (4) Satz 1 EPÜ fallendes Verfahren zur Behandlung des menschlichen Körpers liegt in der Regel zumindest dann vor, wenn es angesichts der damit verbundenen gesundheitlichen Risiken von einem Arzt oder unter Aufsicht eines Arztes durchgeführt werden muß (s. Nr. 2.4 der Entscheidungsgründe).
2. Ein Verfahren zum Nachprofilieren der Krümmung auf der Vorderseite einer zur Korrektur des Sehvermögens auf die Hornhaut des menschlichen Auges aufgesetzten künstlichen Linse durch Abtragen (d. h. Entfernen) von Teilen der genannten Linse mittels Laser stellt ein Verfahren zur therapeutischen Behandlung des menschlichen Körpers dar und ist daher nach Artikel 52 (4) EPÜ von der Patentierung ausgeschlossen (s. Nr. 2.8 der Entscheidungsgründe).
I. Der Beschwerdeführer (Anmelder) legte gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, mit der die Anmeldung Nr. 89 103 409.2 zurückgewiesen wurde, Beschwerde ein.
Die Prüfungsabteilung vertrat die Auffassung, daß das Verfahren gemäß dem am 15. Februar 1990 eingereichten Anspruch 1 nach Artikel 52 (1) und (4) EPÜ nicht patentfähig sei, ließ aber die Vorrichtungsansprüche 2 bis 4 mit demselben Einreichungsdatum zu.
II. In einer Mitteilung vom 25. März 1994 erhob die Kammer nach Artikel 84, 123 (2) und 52 (4) EPÜ Einwände gegen den Verfahrensanspruch.
Am 5. Mai 1994 fand eine mündliche Verhandlung statt. In dieser Verhandlung legte der Beschwerdeführer einen Satz von Ansprüchen 1 bis 6 gemäß einem Hauptantrag sowie einen Satz von Ansprüchen 1 bis 3 zusammen mit einer geänderten Beschreibung gemäß einem Hilfsantrag vor.
III. Der Beschwerdeführer beantragte, daß die angefochtene Entscheidung aufgehoben und ein Patent auf der Grundlage folgender Unterlagen erteilt werde:
Hauptantrag:
Ansprüche 1 bis 6, in der mündlichen Verhandlung vorgelegt, Beschreibung Seiten 1 bis 21, mit Schreiben vom 2. Mai 1994 eingereicht,
Abbildungen 1 bis 11, wie ursprünglich eingereicht.
Hilfsantrag:
Ansprüche 1 bis 3, in der mündlichen Verhandlung vorgelegt, Beschreibung Seiten 1 bis 21, in der mündlichen Verhandlung vorgelegt,
Abbildungen 1 bis 11, wie ursprünglich eingereicht.
IV. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet wie folgt:
"Ein Verfahren zum justierbaren Nachprofilieren der Krümmung einer zur Korrektur des Sehvermögens auf die Hornhaut des menschlichen Auges aufgesetzten künstlichen Linse auf deren Vorderseite, wobei das gegebenenfalls über diese Linse gewachsene Hornhautepithel bereits vor dem hiermit beanspruchten Verfahren abgetragen wurde und diese Linse so ausgebildet ist, daß sie den für den Patienten typischen Brechungsfehler korrigiert, indem bestimmte Teile dieser Linse zur Nachbesserung der Brechkraft mittels Laser abgetragen werden."
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag lautet wie folgt:
"Eine Vorrichtung zum Aufsetzen einer entsprechend vorbereiteten künstlichen Linse (40) auf die Hornhaut eines menschlichen Auges zwecks Korrektur eines Brechungsfehlers, wobei zuvor in die Hornhaut des Patienten eine umlaufende Rinne eingeätzt und - durch Aufbringen eines geeigneten Klebers - zur Aufnahme des äußeren Randes (52) der genannten Linse (40) vorbereitet wurde, wobei die anspruchsgemäße Vorrichtung im einzelnen folgende Teile umfaßt: eine Kammer (69) sowie - an deren unterem Rand - einen Saugring (50) zur Fixierung der Kammer (69) im Limbusbereich (46) des Auges, wodurch größere Bewegungen des Auges in bezug auf diese Kammer (69) verhindert werden sollen; ein in der Kammer angeordnetes Mikromanipulationssystem mit einem horizontal verfahrbaren Wagen (62), einem vertikal verfahrbaren Wagen (64) und einem Drehgelenk (66), durch deren Zusammenwirken Rotations- und Translationsbewegungen um jede beliebige Achse bzw. entlang sämtlicher Achsen möglich sind; ein Motor (65) sowie eine Energieversorgung für den selektiven Antrieb des genannten Mikromanipulationssystems; ein mit dem genannten Drehgelenk (66) fest verbundener Saugring (60) zum Festhalten der genannten Linse (40) vor ihrem Aufsetzen sowie Steuerungseinrichtungen (68), die der Arzt zum Manipulieren der Linse betätigen kann."
V. Der Beschwerdeführer machte vor allem geltend, daß Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag nicht auf ein Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen Körpers gerichtet sei, sondern vielmehr auf ein Verfahren zur mechanischen Bearbeitung einer auf die Hornhaut des menschlichen Auges aufgesetzten künstlichen Linse. Ein solches Verfahren falle nicht unter Artikel 52 (4) EPÜ, der nach seiner Auffassung eng ausgelegt werden sollte.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Hauptantrag - Artikel 52 (4) EPÜ
2.1 Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag stützt sich im wesentlichen auf Anspruch 15 in der ursprünglich eingereichten Fassung. Er bezieht sich auf ein Verfahren für das justierbare Nachprofilieren der vorderseitigen Krümmung einer künstlichen Linse, die so ausgebildet ist, daß sie den für den Patienten typischen Brechungsfehler korrigiert, und die zur Korrektur des Sehvermögens auf die Hornhaut des menschlichen Auges aufgesetzt worden ist. Das justierbare Nachprofilieren erfolgt durch das Abtragen vorher bestimmter Teile der genannten Linse mit Hilfe eines Lasers zur Nachbesserung der Brechkraft der Linse. In Anspruch 1 wird außerdem festgestellt, daß das über die Linse gewachsene Epithel noch vor dem beanspruchten Verfahren entfernt worden ist.
2.2 Durch den gewählten Wortlaut des Anspruchs 1 und die Verwendung eines von ihm selbst so bezeichneten Disclaimers bringt der Beschwerdeführer somit zum Ausdruck, daß die beanspruchte Lehre sich nicht auf die Schritte des Aufsetzens der künstlichen Linse auf die Hornhaut des menschlichen Auges und des Entfernens des über die künstliche Linse gewachsenen Epithels erstreckt, bei denen es sich, wie der Beschwerdeführer selbst eingeräumt hatte, um chirurgische Maßnahmen handle, die zwangsläufig vor dem Nachprofilieren der aufgesetzten Linse durchgeführt werden müßten.
Ob ein solcher Disclaimer die Entscheidung über Ausschlußvorschriften nach Artikel 52 (4) Satz 1 EPÜ beeinflußt, mag im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben angesichts der in den folgenden Punkten dargelegten Feststellung, wonach das beanspruchte Verfahren unter die Ausschlußvorschrift dieses Artikels fällt.
2.3 Bei der zu beantwortenden Frage geht es darum, ob es sich bei dem beanspruchten Verfahren, das im Abtragen bestimmter Teile der Oberfläche einer auf die Hornhaut des menschlichen Auges aufgesetzten künstlichen Linse auf ihrer Vorderseite mittels Laser besteht, um ein Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen Körpers im Sinne des Artikels 52 (4) Satz 1 EPÜ handele. Ein solches Verfahren ist nicht als gewerblich anwendbar zu betrachten und daher von der Patentierung ausgeschlossen.
2.4 Es ist allgemein anerkannt, daß die Ausschlußvorschrift des Artikels 52 (4) EPÜ auf sozialethischen Überlegungen und Erwägungen im Zusammenhang mit der öffentlichen Gesundheit beruht. Mit diesem Artikel soll nämlich sichergestellt werden, daß niemand, der die in diesem Artikel aufgeführten Verfahren als Teil der medizinischen Behandlung von Menschen oder Tieren anwenden will, durch das Bestehen eines Patentschutzes daran gehindert wird.
Bei einer solchen medizinischen Behandlung spielt es keine Rolle, ob sie von einem Arzt oder Nichtarzt vorgenommen wird (vgl. Nr. 2.2 der Entscheidung T 182/90, ABl. EPA 1994, 641). Ist ein beanspruchtes Behandlungsverfahren jedoch angesichts der damit verbundenen Gesundheitsrisiken von einem Arzt oder unter der Aufsicht eines Arztes durchzuführen, so fällt es in der Regel unter das Verbot nach Artikel 52 (4) Satz 1 EPÜ.
2.5 Im vorliegenden Fall kann sich die Kammer dem Argument des Beschwerdeführers, wonach das beanspruchte Verfahren nicht von einem Arzt durchgeführt werde, sondern von einem Techniker, der nicht über medizinische Kenntnisse verfüge, nicht anschließen. Es ist allgemein bekannt, daß der Augenchirurg stets selbst den für die photorefraktive Keratektomie verwendeten Excimerlaser steuert, wobei sich die Keratektomie von dem beanspruchten Verfahren nur dadurch unterscheidet, daß in ihrem Fall Gewebe unmittelbar von der Hornhaut entfernt wird, während bei dem beanspruchten Verfahren Teile der künstlichen Linse abgetragen werden. Bei beiden Verfahren kann derselbe Laser verwendet werden. Es sollte aber berücksichtigt werden, daß die Linse fest mit der Hornhaut verbunden ist und nach dem Überwachsen mit Epithelgewebe ein echtes, in die organische Struktur des Auges integriertes Implantat bildet. Wenn der Laserstrahl auf die Linse gerichtet wird, besteht die ernste Gefahr, daß das umgebende Gewebe des Auges verletzt wird. Da der Arzt verpflichtet ist, sowohl während der medizinischen Behandlung als auch während des Einsatzes medizintechnischer Geräte äußerste Sorgfalt walten zu lassen und darüber hinaus für die Überwachung seines medizinischen und nichtmedizinischen Personals verantwortlich ist, muß das beanspruchte Verfahren nach Überzeugung der Kammer vom Augenarzt oder Augenchirurgen selbst oder zumindest unter seiner Aufsicht durchgeführt werden. Diese Tatsache weist deutlich darauf hin, daß das beanspruchte Verfahren unter die Ausschlußvorschrift des Artikels 52 (4) EPÜ fällt.
Darüber hinaus ist dem beanspruchten Verfahren naturgemäß auch der Verfahrensschritt zuzuordnen, bei dem das Auge des Patienten im Limbusbereich über einen Saugring an einer Kammer fixiert wird (vgl. S. 14 und 18 der ursprünglich eingereichten Beschreibung). Auch dieser Schritt wird durch einen Augenarzt oder durch eine Person vorgenommen, die über die erforderlichen medizinischen Kenntnisse verfügt.
2.6 Der Beschwerdeführer machte ferner geltend, daß das beanspruchte Verfahren weder eine chirurgische Maßnahme noch eine therapeutische Behandlung des menschlichen Körpers darstelle, sondern lediglich die mechanische Bearbeitung einer künstlichen Linse, d. h. eines besonderen Prothesentyps, zum Gegenstand habe. Wie bereits unter Nr. 2.5 ausgeführt, handelt es sich bei der auf die Hornhaut des Auges aufgesetzten künstlichen Linse - anders als beispielsweise im Falle einer Arm- oder Beinprothese - um ein echtes Implantat. Die Linse wird an derselben Stelle aufgesetzt und hat dieselbe Funktion wie die aus einer Spendercornea bestehende Linse, wie sie im Falle der Epikeratophakie in die Hornhaut eingesetzt wird (vgl. S. 3 der eingereichten Beschreibung). Sowohl diese Art von Linse als auch die künstliche Linse bilden mit der Hornhaut des Patienten eine Einheit und dienen zur Korrektur eines konkreten Brechungsfehlers.
Das Abtragen von Teilen der künstlichen Linse gemäß Anspruch 1 führt daher auf direktem Wege zu einer Änderung der Brechkraft des Auges des Patienten. Aufgrund der unmittelbaren Wirkung, die das beanspruchte Verfahren beim Patienten auf die Brechkraft des Auges und sein Sehvermögen hat, ist das Verfahren als Behandlung des menschlichen Körpers zu betrachten. Der Sachverhalt ist daher nicht vergleichbar mit der im Falle T 245/87, ABl. EPA 1989, 171, geprüften Situation, wo kein funktioneller Zusammenhang und somit keine physikalische Kausalität zwischen den an einem implantierten Therapiegerät vorgenommenen Maßnahmen und der vom Therapiegerät auf den Körper ausgeübten therapeutischen Wirkung bestand (Nr. 3.2.3); vgl. auch Nr. 3.2, Absatz 2 der Entscheidung T 426/89, ABl. EPA 1992, 172.
2.7 Darüber hinaus vertritt die Kammer die Auffassung, daß das beanspruchte Verfahren eine therapeutische Behandlung darstellt. Die Kammer kann sich das Argument des Beschwerdeführers nicht zu eigen machen, wonach das beanspruchte Verfahren insofern keine therapeutische Behandlung sei, als es keinen Einfluß auf die dem Brechungsfehler des Auges zugrunde liegende Krankheit habe. Der Begriff "therapeutische Behandlung" ist nämlich von seiner Bedeutung her nicht auf die Heilung von Krankheiten und die Beseitigung ihrer Ursachen beschränkt. Er umfaßt vielmehr jede Behandlung, die dazu dient, die Symptome einer Funktionsstörung oder Funktionsschwäche des menschlichen oder tierischen Körpers zu heilen, zu lindern, zu beseitigen oder abzuschwächen, oder die dazu geeignet ist, dem Risiko ihres Erwerbs vorzubeugen oder dieses zu verringern.
Ziel des beanspruchten Verfahrens ist es, durch eine Behandlung am Auge des Patienten die Symptome von Myopie, Hyperopie und und Astigmatismus zu beseitigen; somit handelt es sich um eine therapeutische Behandlung.
2.8 Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, daß das Verfahren gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags ein Verfahren zur therapeutischen Behandlung des menschlichen Körpers im Sinne von Artikel 52 (4) Satz 1 EPÜ darstellt. Es ist daher von der Patentierbarkeit ausgeschlossen. Infolgedessen kann dem Hauptantrag nicht stattgegeben werden.
3. Hilfsantrag
Die Vorrichtungsansprüche 1 bis 3 gemäß dem Hilfsantrag entsprechen den Ansprüchen 2 bis 4 vom 15. Februar 1990, die von der Prüfungsabteilung für zulässig erachtet wurden. Diese Beurteilung wurde während des Beschwerdeverfahrens nicht angefochten.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent in der Fassung gemäß dem unter Nummer III dargelegten Hilfsantrag zu erteilen.