3.8. Weitere Kriterien zur Bestimmung des nächstliegenden Stands der Technik
3.8.5 Verbesserung eines Herstellungsverfahrens für ein bekanntes Produkt
Betrifft die Erfindung die Verbesserung eines Herstellungsverfahrens für eine bekannte chemische Verbindung, so sind bei der Ermittlung des nächstliegenden Stands der Technik nur solche Dokumente zu berücksichtigen, die diese Verbindung und deren Herstellung beschreiben. Allein ein Vergleich mit diesen erlaubt es festzustellen, ob eine Verbesserung bei der Herstellung der Zielverbindung erreicht wird und daher bei der Formulierung der erfindungsgemäß zu lösenden Aufgabe berücksichtigt werden kann (T 641/89, T 961/96, T 713/97, T 948/01, T 833/02, T 339/03). Im Falle von Erfindungen, die ein spezielles Verfahren zur Anwendung auf einen bestimmten chemischen Stoff mit notwendigerweise spezifischen Charakteristika betreffen, sind bei der Ermittlung des nächstliegenden Stands der Technik in erster Linie nur solche Druckschriften zu berücksichtigen, die ein gattungsgemäßes Anwendungsverfahren eben dieses bestimmten chemischen Stoffs mit seinen spezifischen Charakteristika beschreiben (T 1285/01, T 354/03, T 1652/08). Dies spiegelt zutreffend und in objektiver Weise die tatsächliche Situation wider, in der sich die Fachperson am Prioritätstag des Streitpatents befindet (T 793/97).
In T 325/97 sah die Kammer keinen Grund, warum die oben genannten Überlegungen hinsichtlich des nächstliegenden Stands der Technik nicht auch für Herstellungsverfahren eines anderen Gegenstands als einer chemischen Verbindung gelten sollten, und identifizierte im vorliegenden Fall die zu lösende Aufgabe als Bereitstellung eines verbesserten Verfahrens zur Herstellung eines Pflasters zur kontrollierten transdermalen Abgabe von Nicotin. Auch in T 373/94, in der es um eine Verbesserung des Herstellungsverfahrens für vorgefüllte Plastikspritzen ging, folgte die Kammer den in T 641/89 dargelegten Grundsätzen und Schlussfolgerungen.
In T 2210/19 definierte die Kammer die Aufgabe als Bereitstellung eines weiteren Verfahrens zur Herstellung eines chromkatalysierten Ethylencopolymerpulvers. Sie führte aus, dass die Fachperson, die nach einem weiteren Verfahren sucht, bereits bekannte Variationen des Verfahrens aus dem nächstliegenden Stand der Technik in Erwägung ziehen würde, wobei sie das allgemeine Fachwissen auf dem Gebiet und das im Stand der Technik verfügbare Wissen berücksichtigen würde. Dazu gehören Variationen beliebiger Parameter des Verfahrens, die geeignet sein könnten, alternative Verfahren auszuführen, ohne dass eine erfinderische Tätigkeit erforderlich ist. Da die Aufgabe einfach nur in der Bereitstellung eines weiteren Verfahrens bestand, bedurfte die Fachperson keiner weiteren Motivation, um das geänderte Verfahren durchzuführen.
Die Kammer in der Sache T 442/22 befand, dass die vorstehende Rechtsprechung und insbesondere die vom Beschwerdeführer herangezogenen T 641/89 und T 713/97 insofern nicht anwendbar waren, als die Erfindung nicht die Herstellung einer bekannten chemischen Verbindung, sondern die Herstellung einer Zusammensetzung betraf.