4.1.2 Technische Wirkung von der technischen Lehre der Anmeldungsunterlagen umfasst und tatsächlich nachgewiesen/erzielt
In T 116/18 vom 28. Juli 2023 date: 2023-07-28 stellte die Kammer fest, dass bei der Entscheidung, ob eine behauptete technische Wirkung für die erfinderische Tätigkeit herangezogen werden kann, die von der Großen Beschwerdekammer in Nr. 2 der Entscheidungsformel von G 2/21 definierten Erfordernisse anzuwenden seien, und nicht einfach beliebige, in der bisherigen Plausibilitätsrechtsprechung entwickelte Grundsätze. Unter Auslegung der in G 2/21 dargelegten Rechtsgrundsätze kam die Kammer zu dem Schluss, dass Nr. 2 der Entscheidungsformel zwei gesonderte Erfordernisse enthalte, die beide erfüllt sein müssten, damit eine technische Wirkung geltend gemacht werden könne: die Wirkung müsse i) "von der technischen Lehre umfasst" und ii) "von derselben ursprünglich offenbarten Erfindung verkörpert" werden (s. auch T 1989/19). Zur Erfüllung des Erfordernisses i), so die Kammer, "müsse die behauptete technische Wirkung zusammen mit dem beanspruchten Gegenstand nur konzeptuell von der breitesten technischen Lehre der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung umfasst sein". Erfordernis ii) sei erfüllt, "es sei denn, die Fachperson, ausgehend vom allgemeinen Fachwissen am Anmeldetag und auf der Grundlage der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung, hätte berechtigte Gründe zu bezweifeln, dass sich die behauptete technische Wirkung mit dem beanspruchten Gegenstand erzielen lässt." Die Kammer kam zu dem Schluss, dass zur Erfüllung des Erfordernisses ii) ein experimenteller Nachweis der behaupteten technischen Wirkung oder eine positive verbale Erklärung in der Anmeldung in der eingereichten Fassung nicht unbedingt notwendig sei.
Die Kammer in T 314/20 wies darauf hin, dass die Kammer in T 116/18 vom 28. Juli 2023 date: 2023-07-28 zwar festgestellt hat, dass die neuen Erfordernisse wie von der Großen Beschwerdekammer in G 2/21 definiert anzuwenden sind und nicht etwaige andere Entscheidungslinien aus der vorherigen Plausibilitätsrechtsprechung, dieselbe Kammer sich aber bei ihrer Auslegung des Erfordernisses ii) von Nr. 2 der Entscheidungsformel das zu eigen gemacht hat, was sie in der Vorlagefrage als der Standard der "Ab-initio-Implausibilität" definiert hatte. In G 2/21 findet sich keine Feststellung der Großen Beschwerdekammer, wonach das Erfordernis ii) erfüllt ist, wenn nicht die Fachperson berechtigte Gründen gehabt hätte zu bezweifeln, dass sich die behauptete technische Wirkung am Anmeldetag erzielen ließ. Die Kammer im vorliegenden Fall hob eine zweite Schlussfolgerung aus T 116/18 date: 2023-07-28 hervor, wonach es für die Erfüllung der Erfordernisse i) und ii) von Nr. 2 der Entscheidungsformel von G 2/21 nicht erforderlich ist, dass die technische Wirkung, die durch den Patentinhaber oder den Patentanmelder in der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung geltend gemacht wurde, in einer verbalen Erklärung bejaht wird. Eine solche Erklärung war aber auch in G 2/21 nicht zu finden. In Bezug auf die Begründung dieser letzteren Schlussfolgerung in T 116/18 date: 2023-07-28 war die Kammer in der vorliegenden Sache der Ansicht, dass es nicht möglich ist, vom Wort "ableiten" in Nr. 2 der Entscheidungsformel von G 2/21 auf eine spezifische Bedeutung der Begriffe "verkörpert" oder "umfasst" zu schließen. Es war auch für die Kammer im vorliegenden Fall nicht unmittelbar klar, wie man zu der Schlussfolgerung gelangen kann, dass für die Erfüllung des Erfordernisses i) in Nr. 2 der Entscheidungsformel die behauptete technische Wirkung zusammen mit dem beanspruchten Gegenstand nur von der breitesten technischen Lehre "konzeptuell umfasst" sein muss und dies wiederum bedeutet, dass "die besagte Wirkung darin nicht mittels einer positiven verbalen Erklärung wörtlich offenbart sein muss". Die Kammer im vorliegenden Fall war der Ansicht, dass die in T 116/18 date: 2023-07-28 angeführten Passagen aus G 2/21 dementsprechend nicht zur Schlussfolgerung führten, dass der für Art. 87 EPÜ (Konzept "dieselbe Erfindung"), Art. 123 (2) EPÜ oder Art. 54 (1) EPÜ geltende Offenbarungsstandard bei der Anwendung der Erfordernisse gemäß Nr. 2 der Entscheidungsformel von G 2/21 ausgeschlossen ist. Sie beschied, dass der Zweck der beiden Erfordernisse gemäß Nr. 2 der Entscheidungsformel von G 2/21 darin besteht, zu verhindern, dass Patente für Erfindungen erteilt werden, die am Anmeldetag nicht vollständig ausgearbeitet sind (spekulative Anmeldungen).
Der Antrag des Beschwerdegegners auf Vorlage an die Große Beschwerdekammer, in dem dieser um Klarstellung der Begriffe in Nr. 2 der Entscheidungsformel von G 2/21 ersuchte und das Vorliegen von Divergenzen in der Rechtsprechung geltend machte, wurde von der Kammer abgelehnt. Die Kammer befand, die Große Beschwerdekammer habe die vorgenannten Erfordernisse bewusst nicht definiert und es sei somit ungewiss, ob die Große Beschwerdekammer auf ein Ersuchen um zusätzliche Hilfestellung weitere Begriffsbestimmungen vornehmen werde. Zudem stellte die Kammer fest, es gebe keine offenkundig divergierenden Rechtsprechungslinien und äußerte die Auffassung, dass jegliche haltbare Auslegung der in G 2/21 eingeführten Erfordernisse zu der im vorliegenden Fall gezogenen Schlussfolgerung geführt hätte.
In T 1203/19 war zwischen den Beteiligten strittig, ob die mit den Unterscheidungsmerkmalen nach Anspruch 13 (onkolytisches Adenovirus) verbundene technische Wirkung der ursprünglich eingereichten Anmeldung zu entnehmen war. Die Kammer befand, dass die von Dokument (6) ausgehende zu lösende technische Aufgabe die Bereitstellung eines onkolytischen Adenovirus mit verbesserter antitumoraler Wirksamkeit ist. Wie das nachveröffentlichte Dokument (21) zeigt, weist ein Adenovirus mit Merkmalen des Anspruchs 13 (VCN-01) eine verbesserte antitumorale Aktivität gegenüber dem in Dokument (6) beschriebenen Adenovirus auf. Folglich wird die Aufgabe durch das onkolytische Adenovirus des Anspruchs 13 gelöst.
In T 2465/19 erklärte die Kammer mit Verweis auf den Leitsatz II der G 2/21, dass die technische Wirkung einer Erfindung gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik in der Anmeldung nicht ausdrücklich genannt werden muss, solange sie aus der ursprünglichen Anmeldung herleitbar ist, insbesondere weil der nächstliegende Stand der Technik dem Anmelder bei der Abfassung vielleicht noch gar nicht bekannt war (s. auch die frühere Rechtsprechung, u. a. T 861/08, T 716/08).
In T 681/21 unterschied sich die Formulierung der technischen Wirkung von der im Patent angegebenen. Die Kammer kam zu dem Schluss, dass die behauptete synergistische Wirkung von der Fachperson nicht als von der technischen Lehre der Anmeldung in der eingereichten Fassung umfasst angesehen worden wäre und unberücksichtigt bleiben müsse.
In T 1446/21 stellte die Kammer fest, dass eine Fachperson nicht zu dem Schluss gelangen würde, dass die angeblich verbesserten Schäumeigenschaften von der technischen Lehre umfasst und von derselben ursprünglich offenbarten Erfindung verkörpert würden. Somit könne sich der Beschwerdegegner im vorliegenden Fall nicht auf verbesserte Schäumeigenschaften stützen, wobei es sich ohnehin lediglich um eine unbegründete Behauptung handle, die durch keinerlei Beweismittel gestützt sei.
In T 1602/21 merkte die Kammer an, dass die Voraussetzung gemäß G 2/21, wonach "der Fachmann ... auf der Grundlage der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung schlussfolgern würde, dass diese Wirkung von der technischen Lehre umfasst wird" (Hervorhebung durch die Kammer), nicht der "Goldstandard"-Offenbarung gleichkommt, wie sie in der Regel für Art. 123 (2) EPÜ erforderlich ist. Es genügt, dass die Fachperson davon überzeugt ist, dass die vorteilhafte technische Wirkung tatsächlich durch die beanspruchte Lösung auf der Grundlage der Lehre der Anmeldung erzielt wird, und sobald die technische Wirkung zu ihrer Kenntnis gebracht wurde, möglicherweise durch eine andere Quelle als die Anmeldung. Es ist nicht erforderlich, dass die geltend gemachte technische Wirkung so ausdrücklich und eindeutig offenbart ist, dass die Fachperson sie nur auf der Grundlage der Anmeldung und ohne Kenntnis späterer Beweise erkennen würde.
In T 1698/21 definierte der Beschwerdegegner die Aufgabe als die Bereitstellung einer alternativen synergistischen Kombination mit einer verbesserten Aktivität bzw. Wirksamkeit auf das Integraseenzym. Die Kammer vertrat die Auffassung, dass diese angebliche technische Wirkung auf Daten zur Verwendung von Dolutegravir als Monotherapie basierte, wohingegen sich die beanspruchte Erfindung gemäß der Offenbarung in der ursprünglichen Anmeldung und im erteilten Patent auf eine Kombination aus Verbindungen bezog. Diese Wirkung war somit für die beanspruchte Doppelkombination nicht relevant. Darüber hinaus war sie auch nicht in der Lehre der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung im Sinne von G 2/21 umfasst. Folglich konnte die verbesserte Wirkung auf das Integraseenzym für die Definition der technischen Aufgabe nicht berücksichtigt werden.
Viele der Entscheidungen, die die Frage der Stützung auf eine behauptete technische Wirkung bei der Beurteilung, ob der beanspruchte Gegenstand eine erfinderische Tätigkeit aufweist, behandeln, befassen sich auch mit der Frage, ob die technische Aufgabe glaubhaft/tatsächlich gelöst wurde und welche Rolle nachveröffentlichte Beweismittel dabei spielen könnten. Der Großteil der Rechtsprechung betreffend die Stützung auf eine technische Wirkung zum Nachweis erfinderischer Tätigkeit ist in Kapitel I.D.4.3.3. "Nachveröffentlichte Beweismittel und Stützung auf eine behauptete technische Wirkung zum Nachweis erfinderischer Tätigkeit ("Plausibilität")" dargelegt.
- T 1272/22
In T 1272/22 the appellant (opponent) and respondents (patent proprietors) disputed whether there was a synergistic effect between the distinguishing features, even if it were considered they served the same purpose. The board, applying Headnote II of G 2/21, could not see that the skilled person would have derived the synergistic technical effect referred to by the respondents when considering the application as originally filed. There was no explicit mention of any relationship between the two features and the position of the critical section for the efficiency of the connection, which the respondents had also relied on in its arguments in support of there being synergy, was not defined in the contested patent. The alleged synergy did not appear to the board to be derivable by the skilled person from the application as originally filed and it therefore held the partial problem approach was thus justified in the case in hand.