4.3. Lösung der technischen Aufgabe
4.3.1 Ausreichende Beweise für angebliche Vorteile
Nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern können angebliche Vorteile, auf die sich der Patentinhaber/Anmelder gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik beruft, die aber nicht hinreichend belegt sind, bei der Ermittlung der der Erfindung zugrunde liegenden Aufgabe und damit für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht in Betracht gezogen werden (s. z. B. T 20/81, ABl. 1982, 217; T 181/82, ABl. 1984, 401; T 1051/97, T 632/03, T 1211/07, T 736/12, T 2400/12, T 1764/16, T 225/18, T 825/18, T 2210/19). In T 1027/08 fügte die Kammer hinzu, dass es keinen Grund für eine Abweichung von dieser Rechtsprechung gibt, die auf dem nachvollziehbaren Grundsatz beruht, dass eine als nicht naheliegend beanspruchte Lösung nur dann die Patenterteilung rechtfertigen kann, wenn sie auch erzielt wird.
Behauptet der Patentinhaber (Anmelder), dass die beanspruchte Erfindung eine technische Wirkung verbessert, so ist er hierfür beweispflichtig (T 355/97, T 1213/03, T 1097/09, T 2418/10, T 1487/16). Angesichts des Fehlens jeglicher Daten, die die angebliche Verbesserung bestätigten, konnte diese Wirkung bei der Formulierung der technischen Aufgabe nicht berücksichtigt werden (T 2044/09). In T 1616/22 argumentierte der Beschwerdegegner (Patentinhaber), es sei am Beschwerdeführer, zu beweisen, dass die Wirkung nicht im gesamten beanspruchten Bereich erzielt werde. Die Kammer war der Auffassung, dass es zwar üblicherweise an der einsprechenden Partei ist, Beweise für ihr Vorbringen anzuführen, dass die Beweislast für eine behauptete Verbesserung der technischen Wirkung durch die beanspruchte Erfindung jedoch dem Patentinhaber obliegt. Der Beschwerdeführer hatte außerdem unter anderem ein Dokument zum allgemeinen Fachwissen vorgelegt, um ernsthafte Zweifel daran zu säen, dass die Wirkung im gesamten beanspruchten Bereich erzielt werden kann. Es war somit am Beschwerdegegner, diese Zweifel zu zerstreuen.
In T 524/17 hielt es die Kammer nicht für glaubhaft, dass die Aufgabe im gesamten beanspruchten Bereich gelöst wurde. Sie befand Folgendes: Wenn der nächstliegende Stand der Technik für bestimmte Eigenschaften, die laut Patent verbessert werden, bereits verbesserte Werte gezeigt hat, dann muss der Patentinhaber mit geeigneten Mitteln nachweisen, dass tatsächlich eine solche Verbesserung vorliegt. Werden keine entsprechenden Nachweise eingereicht, so ist zu schließen, dass es keine solche Verbesserung gab und damit die Aufgabe nicht gelöst wurde. In T 1346/16 schloss die Kammer, es könne plausibel davon ausgegangen werden, dass der beanspruchte Gegenstand die technische Aufgabe gelöst hat ("technisch plausibel").
In T 946/16 wies die Kammer die vom Patentinhaber gewählte Formulierung der Aufgabe zurück, da sie die Qualität der mit dem beanspruchten Verfahren erzeugten Copolymere rein absolut ("von hoher Qualität") definierte. Stattdessen musste bestimmt werden, ob die Qualität der mit dem beanspruchten Verfahren erzeugten Copolymere gegenüber der in D2 erzielten Qualität besser, vergleichbar oder sogar schlechter ist, damit die im Vergleich mit dem nächstliegenden Stand der Technik tatsächlich gelöste Aufgabe objektiv definiert werden konnte. Im vorliegenden Fall stellte die Kammer fest, dass die gegenüber dem Verfahren aus dem nächstliegenden Stand der Technik vom Patentinhaber angeführte Verbesserung der Qualität der erzeugten Copolymere angesichts der technischen Vorbringen und angeführten Beweismittel nicht glaubhaft gemacht wurde.
In T 2514/16 war die Kammer der Auffassung, dass der Beschwerdegegner mit D16 gezeigt hat, dass ein Effekt mindestens für einen Teil des geltenden Anspruchs vorhanden ist. Demzufolge lag die Beweislast dafür, dass der von dem Beschwerdegegner nachgewiesene Effekt nicht auf der gesamten Breite des Anspruchs vorhanden ist, beim Beschwerdeführer 1. Der Beschwerdeführer 1 brachte vor, dass laut der Entscheidung T 1188/00 die Beweislast beim Patentinhaber liege. Die Kammer war jedoch der Ansicht, dass diese Schlussfolgerung in T 1188/00 gezogen wurde, weil der vom Patentinhaber beanspruchte Effekt (Verbesserung) nicht glaubhaft war. Die Sachlage war somit mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar. Der Einwand des Beschwerdeführers konnte ohne einschlägige Vergleichsversuche nicht überzeugen
In T 575/17 entschied die Kammer, dass wenn es in den gesamten Anmeldeunterlagen keine direkte oder plausible Offenbarung gibt, wie die erwünschte Wirkung der Erfindung erzielt wird und warum durch die beanspruchten Merkmale die Aufgabe gelöst wird, die Wirkweise auch durch die Lehre von anderen (vorveröffentlichten) Dokumenten abgeleitet werden kann. Im vorliegenden Fall erklärte die Kammer unter Hinweis auf E1-E3, E5, dass der Einsatz von vorgefertigten Implantaten zur besseren Wärmeabfuhr seit langem und im Detail bekannt war. Die Lehre dieser Dokumente würde die Fachperson ohne technische Schwierigkeiten auf die sich später durchgesetzte IMS-Technologie anwenden. Es sei unerheblich, dass diese Dokumente eine "alte Technologie" dokumentieren; sie enthalten die allgemeine technische Lehre, dass ein in das Metall(substrat) eingepasster Körper zur besseren Abführung der Wärme eines elektrischen Bauteils benutzt werden kann.
In T 2524/19 wies die Kammer die auf den Entscheidungen T 716/08 und T 578/06 basierenden Argumente des Beschwerdegegners zurück, dass es für eine technische Wirkung in einem Patent keinen absoluten Nachweis geben müsse. In T 716/08 ging es darum, ob die beanspruchte Lösung die technische Aufgabe tatsächlich löst, nicht aber darum, ob die technischen Unterschiede zwischen dem beanspruchten Gegenstand und dem nächstliegenden Stand der Technik eine technische Wirkung erzeugen. In T 578/06 wurde hervorgehoben, dass die Angabe experimenteller Daten nicht immer erforderlich ist, um nachzuweisen, dass der beanspruchte Gegenstand die objektive technische Aufgabe löst. In keiner der beiden Entscheidungen ist das Argument des Beschwerdegegners unterstützt worden, dass den Unterscheidungsmerkmalen zwischen dem beanspruchten Gegenstand und dem nächstliegenden Stand der Technik keine technische Wirkung zugeschrieben werden muss. Darüber hinaus war die Kammer nicht der Ansicht, dass es Aufgabe des Beschwerdeführers ist, zu beweisen, dass der technische Unterschied im vorliegenden Fall keine verbesserte Proteinausbeute erzielen würde. Vielmehr ist dies die Aufgabe des Beschwerdegegners, der sich auf diese im Patent erwähnte Wirkung stützen wollte, um zu zeigen, dass das beanspruchte Verfahren im Vergleich zum nächstliegenden Stand der Technik zu dieser vorteilhaften Wirkung führen würde.
In T 1289/22 erklärte die Kammer, dass die Schlussfolgerung in T 578/06, wonach gemäß dem EPÜ keine Versuchsdaten bzw. -ergebnisse erforderlich seien, um zu belegen, dass der beanspruchte Gegenstand die objektive technische Aufgabe löst, indessen nicht bedeutet, dass eine technische Wirkung, die den Unterscheidungsmerkmalen gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik zugeschrieben wird, nicht mithilfe von Vergleichsbeispielen oder auf andere Weise "plausibel" gemacht werden muss.
- T 0449/23
In T 449/23, regarding claim 1 of auxiliary request 1 (claims 1 and 2 being identical to claims 2 and 3 of the main request, after claim 1 of the main request was deleted following a finding of lack of inventive step over D5), the board came to the conclusion that the alleged effects of the distinguishing features were not credible, contrary to the arguments of the patent proprietor. Hence, any alleged effects arising from this comparison could not be taken into account in the formulation of the objective technical problem. The patent proprietor also argued that the burden of proof lay with the opponent to demonstrate that the alleged technical effects were not present. The board disagreed, stating:
(a) that the legal burden of proof was the duty of a party to persuade the deciding body of allegations of facts on which the party’s case rested. In principle, a party must prove alleged facts (assertions) from which it infers a legal consequence, i.e. which establish the basis for the party's legal claims. Thus, the allocation of the burden of proof depends on a party’s substantive case.
(b) that to discharge its legal duty of persuasion, a party must prove the alleged facts by appropriate evidence to the required standard of proof. The party with whom the legal burden of proof lies therefore bears the risk that the alleged facts remain unproven, and thus that the deciding body will decide against that party and reject its legal claims. Thus, the legal burden of proof requires the production of appropriate evidence to persuade the deciding body to the required standard.
(c) that in principle the legal burden of proof does not shift. References in the case law to a shift of burden of proof relate to the so-called evidentiary/evidential burden of proof (see for this distinction T 741/91), the notion of which relates to the state of the evidence produced in the course of proceedings. Once the party bearing the legal burden of proof has adduced sufficient evidence to support its allegations of facts to the required standard of proof, the onus is on the adverse party to rebut the asserted facts with appropriate evidence. Otherwise, the adverse party risks that the deciding body is persuaded of the existence of the facts and allows the claims. Thus, if the party having the legal burden of proof has made a "strong case" by filing convincing evidence, the onus of producing counter-evidence shifts to the adverse party. However, this does not mean that the legal burden of proof is on the adverse party to prove the non-existence or the contrary of asserted factual allegations. It is sufficient that the adverse party raises substantiated doubts that prevent the deciding body from being persuaded of the existence of the alleged facts.
(d) that in opposition and opposition-appeal proceedings, each of the parties carries the legal burden of proof for the asserted allegations of facts on which their respective substantive case rests. As regards an alleged lack of inventive step, the burden is on the opponent to adduce appropriate prior art which – when following the established substantive test, i.e. the problem-solution approach – persuades the opposition division or the board of the obviousness of the solution provided by the subject-matter claimed. On the other hand, if the patent proprietor asserts that, in comparison to the prior art, there is an advantage or effect giving rise to a more ambitious formulation of the objective technical problem than that presented by the opponent and hence to an inventive step, the burden of proving this advantage or effect to the required standard of proof is on the patent proprietor. The mere assertion in the patent specification of an advantage or effect cannot be regarded as evidence of such an assertion.
The board listed a number of decisions (T 97/00, T 355/97, T 1097/09, T 1392/04), in which the underlying circumstances were comparable, confirming these principles. The board also observed that T 1797/09 submitted by the patent proprietor remained a singular decision not followed. The subject-matter of claim 1 of auxiliary request 1 lacked inventive step.