9.9. Chemische Erfindungen
9.9.6 Synergieeffekt
Der Begriff "Synergie" wird normalerweise verwendet, um ein Zusammenwirken von zwei oder mehr technischen Maßnahmen zu bezeichnen, das eine Wirkung hervorruft, die größer ist als die Summe der von jeder dieser Maßnahmen bewirkten Einzelwirkungen (T 2773/17; s. auch z. B. T 141/87, T 650/10, T 601/22). Es ist nicht ausreichend, wenn die Merkmale dieselbe technische Aufgabe lösen oder gleichartige Wirkungen haben, die sich zu einer verstärkten, aber ansonsten unveränderten Wirkung summieren (T 1054/05).
In T 1814/11 bestand die zu lösende Aufgabe in der Bereitstellung einer alternativen synergistisch wirksamen fungiziden Zusammensetzung auf Basis von Prothioconazol. Die Kammer kam zu dem Schluss, dass synergistische Effekte nicht vorhersehbar sind, d. h. wenn, wie im Dokument 1, eine Kombination von zwei spezifischen Verbindungen synergistisch wirkt, bedeutet dies nicht, dass ein solcher Synergismus auch erwartet werden kann, wenn man eine der beiden strukturell modifiziert. Synergismus ist prinzipiell nicht vorhersehbar und kann daher nicht auf irgendeinen Wirkmechanismus und/oder irgendeine Struktur zurückgeführt werden. Im vorliegenden Fall wurde das Prinzip von Versuch und Irrtum verworfen.
In T 116/18 vom 28. Juli 2023 date: 2023-07-28 hielt die Kammer fest, dass eine erfinderische Tätigkeit häufig mit dem Hinweis auf das allgemeine Fachwissen anerkannt wird, dass Synergieeffekte selten und unvorhersehbar sind (s. auch T 1336/19). Sie erklärte, dass eine synergetische Wirkung keine Sonderstellung gegenüber anderen Wirkungen verdient, auf die sich Patentanmelder oder Inhaber regelmäßig für eine erfinderische Tätigkeit stützen. Um erfolgreich infrage zu stellen, ob ein Patentanmelder oder Inhaber sich auf eine bestimmte behauptete technische Wirkung stützen kann, muss es einen berechtigten Grund geben, an dieser Wirkung zu zweifeln, und das muss mehr sein als das bloße Argument, die Wirkung ist unerwartet. Die Kammer stimmte in T 1639/21 zu und führte weiter aus, dass wie bei jeder anderen Wirkung auch zu beweisen ist, ob die Erzielung einer synergistischen Wirkung angesichts des Standes der Technik naheliegend ist. Die Antwort darauf hängt von den Einzelheiten des Falles und dem Stand der Technik ab.
In T 696/19 befand die Kammer, dass für das Vorliegen einer synergetischen Wirkung nachgewiesen werden muss, dass die Summe der einzelnen Wirkungen geringer ist als die Wirkung der beiden Maßnahmen zusammen. Dies könne im vorliegenden Fall nicht nachgewiesen werden.
In T 1639/21 sah die Kammer die Feststellung im vorliegenden Fall, dass die synergetische Wirkung vernünftigerweise erwartet werden kann, als abhängig vom grundlegenden Verständnis der Fachperson für die mechanistische Beziehung zwischen dem mRNA‑Impfstoff und dem Antikörper, der auf einen Immun-Checkpoint abzielt – und nicht von irgendwelchen Strukturelementen der infrage kommenden Verbindungen.