G 0008/95 (Berichtigung des Erteilungsbeschlusses) 16-04-1996
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Zuständigkeit der Technischen Beschwerdekammern bzw. der Juristischen Beschwerdekammer
Zurückweisung einer Berichtigung des Erteilungsbeschlusses
I. Die europäische Patentanmeldung Nr. 89 311 913.1 mit Benennung Spaniens und Griechenlands wurde am 16. November 1989 eingereicht. Die Prüfungsabteilung teilte dem Anmelder am 30. Mai 1994 die Fassung mit, in der sie das Patent zu erteilen beabsichtigte. Mit Schreiben vom 7. September 1994 billigte der Anmelder die für die Erteilung vorgesehene Fassung. Nachdem die formellen Erfordernisse nach Regel 51 (6) EPÜ erfüllt waren, erging am 23. Februar 1995 der Erteilungsbeschluß.
II. Mit Telefax vom 10. März 1995 reichte der Anmelder zwei zusätzliche Seiten 4a und 4b der Beschreibung ein und beantragte ihre Aufnahme in die Patentschrift, bevor sie veröffentlicht werde. Am 17. März 1995 erging an den Anmelder die Mitteilung, daß die technischen Vorbereitungen für die Veröffentlichung der Patentschrift vor Eingang des Telefax vom 10. März 1995 abgeschlossen gewesen seien und daß ein Antrag auf Änderung des Erteilungsbeschlusses nach Erhalt der gedruckten Patentschrift gestellt werden könne. Mit Telefax vom 18. April 1995 beantragte der Anmelder die Neuveröffentlichung des Patents mit den fehlenden Seiten.
III. Am 8. Mai 1995 erließ die Prüfungsabteilung unter Verwendung des Vordrucks 2053 eine "Entscheidung über die Ablehnung eines Antrages auf Berichtigung von Fehlern in Entscheidungen (Regel 89 EPÜ)" mit folgender Begründung: "Die genannten Berichtigungen beziehen sich nicht auf Stellen der Patentschrift, für welche die Abteilung ihrer Entscheidung einen anderen Text zugrunde legen wollte (Richtlinien Teil E-X, 10)."
IV. Gegen diese Entscheidung legte der Patentinhaber Beschwerde ein. Der Beschwerdeführer hielt an seinem Berichtigungsantrag fest und machte geltend, die Seiten 4a und 4b seien bei der Einreichung einer vollständigen Ersatzpatentschrift am 25. März 1994 aufgrund des Versehens einer Bürokraft nicht beigefügt worden. Der Wortlaut habe identisch sein sollen mit dem zuvor in der korrespondierenden Euro-PCT-Anmeldung 90 901 172.8 eingereichten Text, in der zum damaligen Zeitpunkt die Benennung Spaniens und Griechenlands nicht möglich gewesen war. Auf diese Absicht sei bei der Einreichung der geänderten Patentschrift ausdrücklich hingewiesen worden. Die zusätzlichen Seiten enthielten Text, der die Ansprüche 6, 9, 10, 12 und 17 in der vom Prüfer befürworteten und akzeptierten Fassung stütze und diesen entspreche.
V. Gemäß dem Geschäftsverteilungsplan für die Technischen Beschwerdekammern legte die Prüfungsabteilung die Akte der Technischen Beschwerdekammer 3.3.2 vor.
VI. Die Technische Beschwerdekammer 3.3.2 legte der Großen Beschwerdekammer nach Artikel 112 (1) a) EPÜ die folgenden Rechtsfragen vor:
"Ist für Beschwerden gegen die Entscheidung einer Prüfungsabteilung, einen Antrag nach Regel 89 EPÜ auf Berichtigung des Erteilungsbeschlusses zurückzuweisen, eine Technische Beschwerdekammer (Art. 21 (3) a), b) EPÜ) oder die Juristische Beschwerdekammer (Art. 21 (3) c) EPÜ) zuständig?
Wer entscheidet über die Zuständigkeit, wenn die Antwort von den Umständen des Einzelfalles abhängt?"
VII. In ihrer Vorlageentscheidung (T 850/95, ABl. EPA 1996, 455) machte die Technische Beschwerdekammer 3.3.2 auf die folgende bisherige Rechtsprechung aufmerksam:
i) In der Entscheidung J 30/94 vom 9. Oktober 1995 habe die Juristische Beschwerdekammer befunden, daß eine Entscheidung, mit der ein Antrag auf Berichtigung nach Regel 89 EPÜ zurückgewiesen wird, nicht die Erteilung des Patents betreffe und daß für die Prüfung der Beschwerde nach Artikel 21 (3) c) EPÜ die Juristische Beschwerdekammer zuständig sei. Die Tatsache, daß ein Berichtigungsantrag sich auf einen Erteilungsbeschluß bezieht, ändere nichts an der Prüfungszuständigkeit, denn angefochten werde ja die Entscheidung, den Berichtigungsantrag zurückzuweisen, nicht aber der Erteilungsbeschluß.
In zwei früheren Entscheidungen - J 12/85, ABl. EPA 1986, 155 und J 27/86 vom 3. Oktober 1987 (im ABl. EPA nicht veröffentlicht) - habe die Juristische Beschwerdekammer über Beschwerden gegen Entscheidungen befunden, mit denen Anträge nach Regel 89 EPÜ auf Berichtigung des Erteilungbeschlusses zurückgewiesen worden seien. In diesen Entscheidungen sei die Frage der Zuständigkeit nicht speziell angesprochen worden.
ii) Im Gegensatz dazu hätten zwei Technische Beschwerdekammern - in den (nicht im ABl. EPA veröffentlichten) Entscheidungen T 546/90 vom 12. September 1991 und T 946/91 vom 17. August 1993 - ihre Zuständigkeit nach Artikel 21 (3) a) EPÜ angenommen, über Beschwerden gegen Entscheidungen auf Zurückweisung eines Antrags auf Berichtigung nach Artikel 89 EPÜ zu befinden. In der Sache T 546/90 sei der Austausch von Zeichnungen und in der Sache T 946/91 die Berichtigung von Fehlern in der Definition bestimmter Verbindungen beantragt worden.
VIII. In Anbetracht dieser Uneinheitlichkeit in der Rechtsprechung prüfte die Beschwerdekammer 3.3.2, ob sich im EPÜ eine Antwort auf die Frage der Zuständigkeit finden lasse, die Aufschluß darüber geben würde, welcher der vorstehend genannten Entscheidungen man folgen solle. Die Kammer prüfte den Sinn und Zweck des Artikels 21 (3) EPÜ und seine Entstehungsgeschichte, gelangte jedoch nicht zu einem eindeutigen Schluß. Aus Gründen der Rechtssicherheit beschloß die Kammer, die Frage der Großen Beschwerdekammer vorzulegen.
IX. Auf eine Mitteilung der Großen Beschwerdekammer vom 10. Januar 1996 machte der Beschwerdeführer in der Sache T 850/95 geltend, daß Beschwerden gegen Entscheidungen im Rahmen der Regel 89 EPÜ unter den zweiten Halbsatz des Artikels 21 (3) b) EPÜ fielen, wonach sich eine Beschwerdekammer aus drei technisch vorgebildeten und zwei rechtskundigen Mitgliedern zusammensetzt, wenn die Kammer der Meinung ist, daß es die Art der Beschwerde erfordert.
1. Die Zuständigkeit der Technischen Beschwerdekammern und der Juristischen Beschwerdekammer in Erteilungsverfahren ist in Artikel 21 (3) EPÜ wie folgt geregelt:
"Bei Beschwerden gegen die Entscheidung einer Prüfungsabteilung setzt sich eine Beschwerdekammer zusammen aus:
a) zwei technisch vorgebildeten Mitgliedern und einem rechtskundigen Mitglied, wenn die Entscheidung die Zurückweisung einer europäischen Patentanmeldung oder die Erteilung eines europäischen Patents betrifft und von einer aus weniger als vier Mitgliedern bestehenden Prüfungsabteilung gefaßt worden ist;
b) drei technisch vorgebildeten Mitgliedern und zwei rechtskundigen Mitgliedern, wenn die Entscheidung von einer aus vier Mitgliedern bestehenden Prüfungsabteilung gefaßt worden ist oder die Beschwerdekammer der Meinung ist, daß es die Art der Beschwerde erfordert;
c) drei rechtskundigen Mitgliedern in allen anderen Fällen."
2. Im Geschäftsverteilungsplan gemäß Regel 10 (1) EPÜ heißen die Kammern in der Zusammensetzung nach Artikel 21 (3) Buchstaben a und b Technische Beschwerdekammern; die Kammer in der Zusammensetzung nach Buchstabe c hingegen heißt Juristische Beschwerdekammer. Die Juristische Beschwerdekammer ist in allen Fällen mit Ausnahme der in den Buchstaben a und b genannten zuständig. Der in Buchstabe b geregelte Fall in Ex-parte-Verfahren ist klar, weil die Technischen Beschwerdekammern - unabhängig vom Inhalt der Entscheidung - in dieser Zusammensetzung in allen Fällen zuständig sind, in denen die angefochtene Entscheidung von einer durch ein rechtskundiges Mitglied ergänzten Prüfungsabteilung gefaßt worden ist.
Buchstabe a dagegen bezieht sich auf Entscheidungen, die von einer aus weniger als vier Mitgliedern bestehenden Prüfungsabteilung gefaßt worden sind; betrifft die Entscheidung die Zurückweisung der Anmeldung oder die Erteilung des Patents, so haben die Technischen Beschwerdekammern über die Beschwerde zu befinden; andernfalls liegt die Zuständigkeit bei der Juristischen Beschwerdekammer. Wie in der Entscheidung J 30/94 (s. o.) und in der Vorlageentscheidung zu Recht festgestellt wurde, lautet deshalb die entscheidende Frage, ob die Entscheidung über einen Antrag auf Berichtigung des Erteilungbeschlusses den Erteilungsbeschluß "betrifft". Der Grundgedanke in der Entscheidung J 30/94 (s. o.) besteht darin, daß nur eine Beschwerde gegen den Erteilungsbeschluß diesen betrifft, während in der Vorlageentscheidung der Schluß gezogen wird, der Wortlaut des Artikels 21 (3) a) EPÜ lasse die Auslegung zu, daß jede mit dem Erteilungsbeschluß zusammenhängende Entscheidung unter diese Bestimmung falle.
3. Zur richtigen Auslegung des Artikels 21 (3) a) EPÜ erscheint es angebracht, zunächst zu untersuchen, was mit einer Beschwerde gegen einen Erteilungsbeschluß bzw. mit einem Antrag zu seiner Berichtigung jeweils bezweckt wird.
3.1 Ein Beteiligter, der gegen den Erteilungsbeschluß Beschwerde einlegt, zielt auf dessen Änderung ab mit der Behauptung, der Beschluß sei rechtswidrig, denn er stimme nicht mit dem überein, was er beantragt habe (vgl. Art. 113 (2) EPÜ). Andernfalls wäre der Beteiligte durch den angefochtenen Beschluß nicht beschwert im Sinne des Artikels 107 Satz 1 EPÜ (J 12/85, ABl. EPA 1986, 155, Entscheidungsgründe, Nrn. 4 bis 6). Die Beschwerde zielt auf die Beseitigung dieser "Beschwer" ab (G 9/92, ABl. EPA 1994, 875, Entscheidungsgründe, Nr. 9).
3.2 Ein Beteiligter, der eine Berichtigung nach Regel 89 EPÜ beantragt, zielt ebenfalls auf die "Änderung" der Entscheidung ab. Ein solcher Antrag ist allerdings nicht mit der Behauptung, die Erteilung stimme nicht mit dem überein, was der Beteiligte beantragt habe, sondern damit begründet, daß ein sprachlicher Fehler, ein Schreibfehler oder eine ähnliche offenbare Unrichtigkeit vorliege. Diese Möglichkeit zur Berichtigung ist ein Grundsatz, den viele Rechtssysteme kennen (s. beispielsweise Art. 66 der Verfahrensordnung des Europäischen Gerichtshofs); drückt ein Beschluß nicht die offenkundige Absicht des Spruchkörpers aus, so kann ein offensichtliches Versehen in dem Beschluß berichtigt werden.
3.3 Der Unterschied zwischen einer Beschwerde und einem Antrag auf Berichtigung einer Entscheidung kann somit in dem Umstand gesehen werden, daß sich der Rechtsbehelf im ersten Fall gegen den Inhalt und im zweiten Fall gegen die Form der Entscheidung richtet. Unbeschadet dieses Unterschieds richtet sich der Rechtsbehelf in beiden Fällen gegen die Entscheidung selbst. Ein Antrag auf Berichtigung des Erteilungsbeschlusses betrifft also die Erteilung des Patents.
3.4 Für die Berichtigung von Fehlern in einer Entscheidung nach Regel 89 EPÜ ist die Stelle zuständig, die die Entscheidung gefaßt hat. Mithin hat im Prüfungsverfahren die Prüfungsabteilung über einen Antrag auf Berichtigung von Fehlern im Erteilungsbeschluß zu befinden. Wenn also, wie vorstehend ausgeführt, der Antrag auf Berichtigung des Erteilungsbeschlusses die Erteilung des Patents betrifft, dann muß die Entscheidung über die Berichtigung ebenfalls die Erteilung des Patents betreffen, denn der Streitgegenstand bestimmt sich nach dem Antrag des Beteiligten.
4. Die Große Beschwerdekammer stimmt der Aussage in der Entscheidung J 30/94 (s. o.) zu, daß sich die Beschwerde gegen die Entscheidung richtet, mit der der Berichtigungsantrag zurückgewiesen wird. Dies ändert jedoch nichts am Streitgegenstand in der zweiten Instanz. Das entscheidende Kriterium in Artikel 21 (3) a) EPÜ ist nicht, daß die angefochtene Entscheidung der Erteilungsbeschluß selbst ist. Es reicht aus, wenn die Entscheidung die Erteilung "betrifft", und dies muß zwangsläufig der Fall sein, wenn der Gegenstand der Entscheidung die Fassung ist, in der das Patent erteilt werden soll oder erteilt worden ist, denn sie ist das Ergebnis der Sachprüfung und bestimmt die Rechte aus dem Patent.
5. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die Entscheidung, mit der ein Berichtigungsantrag nach Regel 89 EPÜ zurückgewiesen wird, von anderen Entscheidungen, die die Prüfungsabteilung im Lauf des Prüfungsverfahrens fassen kann und die den Erteilungsbeschluß nicht unmittelbar berühren. Solche dem Erteilungsbeschluß vorausgehenden Entscheidungen können das Ergebnis des Erteilungsverfahrens beeinflussen. Beispielsweise beschränkt eine Entscheidung einer Prüfungsabteilung, mit der ein Antrag auf Berichtigung in bezug auf eine Benennung nach Regel 88 Satz 1 EPÜ zurückgewiesen und eine gesonderte Beschwerde nach Artikel 106 (3) EPÜ zugelassen wird, den territorialen Bereich, für den das Patent später erteilt werden kann. Im Gegensatz zu einer Endentscheidung über die Zurückweisung bzw. die Erteilung nach Artikel 97 (1) EPÜ schließt eine solche Zwischenentscheidung definitionsgemäß das Verfahren nicht ab. Sie betrifft deshalb nicht die Erteilung des Patents im Sinne des Artikels 21 (3) a) EPÜ, so daß für eine Beschwerde die Juristische Beschwerdekammer nach Artikel 21 (3) c) EPÜ zuständig wäre (vgl. die nicht im ABl. EPA veröffentlichte Entscheidung J 8/89 vom 4. Juli 1989), sofern die Entscheidung nicht von einer aus vier Mitgliedern bestehenden Prüfungsabteilung gefaßt worden ist.
6. Aus den vorstehend genannten Gründen ist die Große Beschwerdekammer zu dem Schluß gelangt, daß die Entscheidung, mit der ein Antrag auf Berichtigung des Erteilungsbeschlusses zurückgewiesen wird, die Erteilung des Patents im Sinne des Artikels 21 (3) a) EPÜ betrifft.
Daher haben die Technischen Beschwerdekammern gemäß Artikel 21 (3) a) und b) EPÜ über die Beschwerden zu entscheiden, die Gegenstand der Vorlageentscheidung sind. Dies gilt unabhängig von den Umständen des Einzelfalls. Mithin erübrigt sich die Beantwortung der zweiten vorgelegten Rechtsfrage.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Für eine Beschwerde gegen die Entscheidung einer Prüfungsabteilung, einen Antrag nach Regel 89 EPÜ auf Berichtigung des Erteilungsbeschlusses zurückzuweisen, ist eine Technische Beschwerdekammer zuständig.