T 1849/12 03-12-2012
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Laserstrahl-Schweissverfahren und daraus hergestellte Formteile
- Zuständigkeit der technischen Beschwerdekammer (ja)
- Angefochtene Mitteilung als Entscheidung zu werten und gesondert anfechtbar (ja)
- Anspruch auf Patenterteilung vor Ablauf der 18-Monatsfrist nach Artikel 93 (1) a) EPÜ (nein)
Wird ein zeitlich gebundener Antrag von der Prüfungsabteilung abgelehnt, ist darüber eine gesonderte Beschwerde zuzulassen, wenn nur so eine Beseitigung der Beschwer erreicht werden kann (siehe Punkt 2.2).
Die Entscheidung, ob die Erfordernisse des EPÜ erfüllt sind und die Patenterteilung erfolgen kann, liegt ausschließlich bei der zuständigen Prüfungsabteilung (siehe Punkt 3.1).
I. Die am 7. August 2012 eingelegte und mit Schreiben vom 16. Oktober 2012 weiter begründete Beschwerde richtet sich gegen die Mitteilung der Prüfungsabteilung vom 17. Juli 2012, in der sowohl der Hauptantrag der Anmelderin, durch eine unverzügliche Mitteilung nach Regel 71 (3) EPÜ die Patenterteilung schnellstens zu ermöglichen, als auch ihr Hilfsantrag, eine beschwerdefähige Entscheidung zu erlassen, falls die Prüfungsabteilung nicht bereit ist, die Patenterteilung unverzüglich vorzunehmen, abgelehnt worden sind.
II. Die Prüfungsabteilung hat in der angefochtenen Mitteilung die Auffassung vertreten, ein Anmelder habe keinen Anspruch auf Erlass einer Mitteilung nach Regel 71 (3) EPÜ, solange die Prüfung der Anmeldung noch nicht abgeschlossen sei. Mangels einer rechtlichen Grundlage könne auch keine beschwerdefähige Entscheidung über die Ablehnung des Antrags der Anmelderin ergehen.
III. In der Anlage zur Ladung für die mündliche Verhandlung vom 6. November 2012 hat die Beschwerdekammer unter anderem mitgeteilt, dass sie es im Hinblick auf die besondere Fallgestaltung für erforderlich halte, über die Beschwerde in einer Zusammensetzung mit fünf Mitgliedern nach Artikel 21 (3) b) EPÜ zu entscheiden.
IV. Am 3. Dezember 2012 hat die Beschwerdekammer in dieser Zusammensetzung mündlich verhandelt, nachdem die Beschwerdeführerin (Anmelderin) ihr Einverständnis mit einer Verkürzung der Ladungsfrist nach Regel 115 (1) EPÜ erklärt hatte.
V. Die Beschwerdeführerin hat beantragt, die Mitteilung der Prüfungsabteilung vom 17. Juli 2012 aufzuheben und die Prüfungsabteilung anzuweisen, die Mitteilung nach Regel 71 (3) EPÜ unverzüglich zu erlassen - auch und insbesondere vor Ablauf von 18 Monaten nach dem Prioritätsdatum - und das europäische Patent damit so schnell wie möglich zu erteilen.
VI. Zur Begründung ihres Antrags hat sie im Wesentlichen wie folgt vorgetragen:
Die angefochtene Mitteilung sei von der Prüfungsabteilung erlassen worden. Deshalb sei nach Artikel 21 (3) EPÜ eine technische Beschwerdekammer für die Entscheidung über die vorliegende Beschwerde zuständig.
Die Beschwerde sei zulässig, da das als Mitteilung der Prüfungsabteilung bezeichnete Schriftstück seinem Wesen nach eine Entscheidung sei. Für die Frage, ob ein Dokument eine Entscheidung oder eine Mitteilung darstelle, komme es nicht auf dessen Bezeichnung, sondern auf dessen Inhalt an. In der angefochtenen Mitteilung sei der Antrag der Anmelderin auf eine unverzügliche Mitteilung nach Regel 71 (3) EPÜ von der Prüfungsabteilung abschließend behandelt und erstinstanzlich endgültig abgelehnt worden.
Der Entscheidungscharakter dieser Ablehnung folge im Wesentlichen daraus, dass sie sämtliche der in der Entscheidung T 1181/04 (ABl. EPA 2005, 312) genannten Merkmale einer beschwerdefähigen Entscheidung aufweise:
- alle in erster Instanz anhängigen Fragen seien gelöst,
- das Schriftstück sei für die Beschwerdeführerin und die Prüfungsabteilung bindend,
- es sei eine begründete Wahl zwischen rechtlich zulässigen Alternativen getroffen worden und
- die Sachprüfung sei in dieser Phase abgeschlossen, das Verfahren ausschließlich von der Entscheidung der Beschwerdeführerin abhängig.
Da die Frage, ob die Sachprüfung abgeschlossen sei, auch für die Begründetheit der Beschwerde von Bedeutung sei, solle das letztgenannte Kriterium im Sinne der Berücksichtigung doppelrelevanter Tatsachen in Zivilverfahren nicht für die Beurteilung der Zulässigkeit der Beschwerde herangezogen werden.
Wegen des Entscheidungscharakters der angefochtenen Mitteilung und weil nur die eingelegte gesonderte Beschwerde eine rechtzeitige Überprüfung der nach ihrer Auffassung ungerechtfertigten Praxis des EPA ermögliche, hätte die gesonderte Beschwerde zugelassen werden müssen.
Die somit zulässige Beschwerde sei auch begründet. Denn Artikel 93 (2) EPÜ sehe explizit die Möglichkeit vor, noch vor dem Ablauf von 18 Monaten ab Anmelde- bzw. Prioritätstag ein Patent zu erteilen (siehe auch die Prüfungsrichtlinien des Europäischen Patentamts, Kapitel A-VI, 1.1 und die Entscheidung T 276/99, Punkt 2 der Entscheidungsgründe). In den "Travaux Préparatoires" werde dies zwar nicht erörtert, jedoch habe der Gesetzgeber diese Möglichkeit bewusst geschaffen. Es sei daher contra legem, wenn das EPA den Anmeldern die in Artikel 93 (2) EPÜ ausdrücklich vorgesehene Erteilung vor Ablauf der 18-Monatsfrist bis auf wenige, nicht nachvollziehbare Ausnahmefälle verweigere. Diese Praxis stehe in Widerspruch zu dem der Prüfungsabteilung in Artikel 97 (1) EPÜ eingeräumten Ermessensspielraum bei der Entscheidung über die Erteilung eines Patents.
Eine Vervollständigung der Recherche durch die sogenannte "Top-up Search" werde im Kapitel C-IV, 7.1 der Prüfungsrichtlinien nicht zwingend vorgeschrieben. Dort heiße es: "Der Prüfer sollte eine Recherche hinsichtlich etwaiger weiterer kollidierender europäischer Patentanmeldungen vornehmen, die unter Art. 54 (3) fallen, sofern dies noch nicht im Rahmen des Recherchenberichts geschehen ist." Überdies sei die Notwendigkeit einer "Top-up Search" nicht erkennbar. Denn abgesehen davon, dass sie in der Regel keine weiteren Dokumente zum Vorschein bringe, blieben im Erteilungsverfahren wiederholt relevante Dokumente unentdeckt und tauchten erst im Einspruchsverfahren auf. Es solle deshalb der Anmelderin überlassen bleiben, ob sie das (überschaubare) Risiko des Bestehens nicht überprüfter älterer europäischer Rechte eingehen wolle oder nicht. Auch im Hinblick auf die Praxis bei der Erteilung von deutschen Patenten durch das Deutsche Patent- und Markenamt sei es nicht angemessen, einer Anmelderin, die bereit sei, dieses Risiko zu tragen, die nach Artikel 93 (2) EPÜ mögliche, schnelle Erteilung eines europäischen Patents grundsätzlich zu versagen.
Außerdem lägen noch nicht veröffentlichte ältere Rechte nach Artikel 54 (3) EPÜ dem EPA bereits vor Ablauf der 18-Monatsfrist weitgehend vor. Für PCT-Anmeldungen stehe aber selbst 18 Monate nach dem Anmelde- bzw. Prioritätstag noch nicht fest, ob sie schließlich 31 Monate nach Anmelde- bzw. Prioritätstag in die europäische Phase eintreten und somit überhaupt als Stand der Technik gelten würden. Erst zu diesem späteren Zeitpunkt läge auch eine Übersetzung vor, ohne die der Inhalt einer PCT-Anmeldung beispielsweise japanischen oder chinesischen Ursprungs und damit ihre Relevanz für die Neuheitsprüfung nicht erfasst werden könne. Insofern sei die Praxis des EPA weder schlüssig noch angemessen.
Dem gegenüber liege das Rechtsschutzinteresse der Patentanmelderin an einer möglichst schnellen Erteilung noch vor Ablauf von 18 Monaten auf der Hand, da sich in den meisten europäischen Ländern nur erteilte Patente durchsetzen ließen.
1. Zuständigkeit und Besetzung der Beschwerdekammer
1.1 Vorab ist zu prüfen, welcher Beschwerdekammer das EPÜ den vorliegenden Fall zur Entscheidung zuweist.
1.2 Die angefochtene Mitteilung befasst sich sowohl mit dem Hauptantrag der Anmelderin, durch eine unverzügliche Mitteilung nach Regel 71 (3) EPÜ die Patenterteilung schnellstens zu ermöglichen, als auch mit dem Hilfsantrag, eine beschwerdefähige Entscheidung zu erlassen, falls die Prüfungsabteilung nicht bereit ist, die Patenterteilung unverzüglich vorzunehmen (vgl. Eingabe der Anmelderin vom 28. Juni 2012, Abschnitt "Anträge", Seite 3 unten bis Seite 4, zweiter Absatz). Daher berührt die Mitteilung unmittelbar den Zeitpunkt, zu dem die Prüfungsabteilung die Erteilung des europäischen Patents beschließt, also den Erteilungsbeschluss (vgl. Entscheidung G 8/95, ABl. EPA 1996, 481; Punkte 4 und 5 der Entscheidungsgründe). Die Kammer ist deshalb der Auffassung, dass die angefochtene Mitteilung der Prüfungsabteilung die Erteilung eines europäischen Patents im Sinne des Artikel 21 (3) a) EPÜ betrifft und in der vorliegenden Beschwerdesache die Zuständigkeit der technischen Beschwerdekammer in ihrer Besetzung nach Artikel 21 (3) a) EPÜ gegeben ist.
1.3 Im Hinblick auf die besondere Fallgestaltung hat es die Kammer in der genannten Zusammensetzung für erforderlich gehalten, über die Beschwerde in einer Zusammensetzung nach Artikel 21 (3) b) EPÜ zu entscheiden (Artikel 9 der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK)).
2. Zulässigkeit der Beschwerde
2.1 Entscheidungscharakter der angefochtenen Mitteilung
2.1.1 Nach Artikel 106 (1) EPÜ sind Entscheidungen der dort genannten Organe mit der Beschwerde anfechtbar. Im vorliegenden Fall richtet sich die Beschwerde allerdings nicht gegen eine formelle Entscheidung, sondern gegen eine von der Prüfungsabteilung so bezeichnete Mitteilung. Da der Begriff der Entscheidung im EPÜ nicht definiert ist, stellt sich die Frage, ob der angegriffenen Mitteilung trotz ihrer Bezeichnung der Charakter einer beschwerdefähigen Entscheidung zukommt. Es ist in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern anerkannt, dass dies nicht primär von der Form oder Überschrift des Schriftstücks abhängt, sondern grundsätzlich von seinem im verfahrensrechtlichen Zusammenhang zu würdigenden Inhalt. Insbesondere stellt ein Schriftstück, wie die angegriffene Mitteilung im vorliegenden Fall, eine Entscheidung dar, wenn der behandelte Sachverhalt gegenüber einer Beteiligten abschließend geregelt wird.
2.1.2 Die Beschwerdeführerin sieht die Mitteilung der Prüfungsabteilung vom 17. Juli 2012 dem Inhalt nach als beschwerdefähige Entscheidung an, da sie sämtliche, der Entscheidung T 1181/04 (supra), Entscheidungsgründe Punkt 2.4, entnommenen Charakteristika einer beschwerdefähigen Entscheidung erfülle (siehe Punkt VI. oben).
Dieser Auffassung vermag sich die Kammer nicht anzuschließen. Denn zumindest zwei der vier dort genannten Kriterien sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt: So war in erster Instanz die Neuheitsprüfung im Hinblick auf den Stand der Technik nach Artikel 54 (3) EPÜ ausdrücklich noch nicht abgeschlossen und damit die Sachprüfung zum Zeitpunkt der angefochtenen Mitteilung noch nicht beendet, so dass das weitere Verfahren nicht ausschließlich von der Entscheidung der Anmelderin abhing.
Abgesehen davon unterscheidet sich der Sachverhalt der Entscheidung T 1181/04 von der vorliegenden Fallgestaltung insofern wesentlich, als dort die Prüfungsabteilung bereits eine Mitteilung nach Regel 51 (4) EPÜ 1973 (heute: Regel 71 (3) EPÜ) erlassen hatte, die unter den damaligen Umständen und wegen der oben genannten Gründe ihrem Inhalt nach als Entscheidung zu werten war. Dem gegenüber hat in dem zu entscheidenden Fall die Prüfungsabteilung den (unverzüglichen) Erlass einer Mitteilung nach Regel 71 (3) EPÜ abgelehnt. Aus diesem Grund kann dahingestellt bleiben, ob, und wenn ja, welche der zitierten Kriterien im Sinne der Berücksichtigung von doppelrelevanten Tatsachen in Zivilverfahren für die Beurteilung der Zulässigkeit der Beschwerde herangezogen werden können.
2.1.3 Die Kammer teilt allerdings die Ansicht der Beschwerdeführerin, dass ihr auf die unverzügliche Übersendung einer Mitteilung nach Regel 71 (3) EPÜ gerichteter Antrag in der angefochtenen Mitteilung abschließend behandelt und von der Prüfungsabteilung endgültig abgelehnt worden ist. Denn damit hat die Prüfungsabteilung im Rahmen des Prüfungsverfahrens eine endgültige und rechtlich bindende Feststellung über den Antrag der Beschwerdeführerin getroffen, der inhaltlich der Charakter einer Entscheidung im Sinne von Artikel 106 (1) EPÜ zukommt.
Da mit dieser Entscheidung der Antrag der Beschwerdeführerin, durch unverzügliche Übersendung einer Mitteilung nach Regel 71 (3) EPÜ eine zeitnahe Patenterteilung und die damit verbundene Verleihung der Rechte nach Artikel 64 EPÜ zu ermöglichen, abgelehnt worden ist, liegt auch eine Beschwer vor.
2.2 Zulassung der gesonderten Beschwerde
2.2.1 Nach Artikel 106 (2) EPÜ ist eine Entscheidung, die ein Verfahren gegenüber einem Beteiligten nicht abschließt, nur zusammen mit der Endentscheidung anfechtbar, sofern nicht in der Entscheidung die gesonderte Beschwerde zugelassen worden ist.
Das EPÜ kennt keine ausdrückliche Vorschrift, in welchen Fällen die gesonderte Beschwerde gegen sogenannte Zwischenentscheidungen zuzulassen ist. Vielmehr hat der Gesetzgeber dies ausdrücklich in das pflichtgemäße Ermessen des entscheidenden Organs gestellt ("Travaux Préparatoires" zum EPÜ 1973, Bericht über die zweite Sitzung des Koordinierungsausschusses vom 15. bis 19. Mai 1972, Dok. BR/209/72, Punkt 67).
Es ist unbestritten, dass einem erstinstanzlichen Organ, das nach dem EPÜ Ermessensentscheidungen zu treffen hat, ein Ermessensspielraum zusteht, den die Beschwerdekammer zu respektieren hat. Deshalb darf sie sich nur dann über die Art und Weise der Ermessensausübung des erstinstanzlichen Organs hinwegsetzen, wenn sie der Auffassung ist, dass die erste Instanz ihr Ermessen nicht nach Maßgabe der richtigen Kriterien oder in unangemessener Weise ausgeübt und damit den ihr eingeräumten Ermessensspielraum überschritten hat (vgl. auch Entscheidung G 7/93, ABl. EPA 1994, 775; Punkte 2.5 und 2.6 der Entscheidungsgründe).
2.2.2 Die angefochtene und als Entscheidung zu wertende Mitteilung der Prüfungsabteilung schließt das Prüfungsverfahren gegenüber der Beschwerdeführerin nicht ab. Die Prüfungsabteilung hat den Hilfsantrag der Beschwerdeführerin auf Erlass einer beschwerdefähigen Entscheidung ausdrücklich abgelehnt und dies mit dem Fehlen einer entsprechenden Rechtsgrundlage begründet.
Dabei hat sie offenbar nicht ausreichend gewürdigt, dass dem abgelehnten Begehren der Beschwerdeführerin, durch unverzügliche Übersendung einer Mitteilung nach Regel 71 (3) EPÜ eine zeitnahe Patenterteilung zu ermöglichen, im Falle einer erfolgreichen Beschwerde nach Erlass der Endentscheidung über die Erteilung nicht mehr hätte sinnvoll entsprochen werden können. Damit aber hat sie mit der angefochtenen Mitteilung eine Beschwer geschaffen, die durch eine Beschwerde nach der Endentscheidung nicht mehr entfallen kann.
2.2.3 Der Beschwerdeführerin stand auch kein anderer der im EPÜ vorgesehenen Rechtsbehelfe gegen die angefochtene Mitteilung zur Verfügung. Unter diesen Umständen hätte die Prüfungsabteilung eine gesonderte Anfechtung zulassen müssen, da der Beschwerdeführerin nur so der Weg zu einer Beseitigung ihrer Beschwer im Rahmen einer gerichtlichen Überprüfung der Ablehnung ihres Antrags eröffnet ist. Dies gilt umso mehr, als das EPÜ keine Beschwerde wegen Untätigkeit des EPA kennt (vgl. auch in diesem Sinne J 26/87, ABl. EPA 1989, 329).
2.2.4 Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass die Prüfungsabteilung bei der Ablehnung des Antrags auf Erlass einer beschwerdefähigen Entscheidung einen wesentlichen Gesichtspunkt bei ihren Überlegungen nicht ausreichend berücksichtigt und ihr Ermessen in fehlerhafter Weise ausgeübt hat. Aus diesem Grund ist die als Entscheidung zu wertende Mitteilung der Prüfungsabteilung als gesondert beschwerdefähig anzusehen.
2.3 Da die Beschwerde im Übrigen sämtlichen Anforderungen der Artikel 106 bis 108 EPÜ und Regeln 97 und 99 EPÜ entspricht, ist sie zulässig.
3. Begründetheit der Beschwerde
3.1 Die Erteilung eines europäischen Patents ist in Artikel 97 (1) EPÜ wie folgt geregelt:
"Ist die Prüfungsabteilung der Auffassung, dass die europäische Patentanmeldung und die Erfindung, die sie zum Gegenstand hat, den Erfordernissen dieses Übereinkommens genügen, so beschließt sie die Erteilung des europäischen Patents [...]."
Demnach setzt die Patenterteilung voraus, dass die Prüfungsabteilung zu der Auffassung gelangt ist, dass die Erfordernisse des EPÜ erfüllt sind. Im vorliegenden Fall ist die Prüfungsabteilung allerdings ausweislich der angefochtenen Mitteilung vom 17. Juli 2012, Punkt 1, noch nicht der Auffassung, dass die zu prüfende Anmeldung sämtlichen Erfordernissen des EPÜ einschließlich jenem der Neuheit gegenüber dem Stand der Technik nach Artikel 54 (3) EPÜ genügt. Sie konnte und durfte deshalb noch keine Patenterteilung durch Erlass einer Mitteilung nach Regel 71 (3) EPÜ in Aussicht stellen. Im Gegensatz zur Auffassung der Beschwerdeführerin steht der Prüfungsabteilung insoweit kein Ermessensspielraum zu.
Dabei spielt es keine Rolle, ob die Beschwerdeführerin auf die Prüfung der Neuheit gegenüber dem Stand der Technik nach Artikel 54 (3) EPÜ verzichtet und bereit ist, ein daraus resultierendes Risiko eines nicht rechtsbeständigen Patents auf sich zu nehmen. Denn dies würde bedeuten, dass der Anmelder ein Recht hätte auszuwählen, ob, und wenn ja, auf welche Erfordernisse hin seine Anmeldung vor der Erteilung geprüft werden soll. Dafür findet sich im EPÜ jedoch keine Stütze. Das Übereinkommen sieht als Voraussetzung einer Patenterteilung vielmehr eine zwingende Prüfung sämtlicher Erfordernisse des EPÜ vor. Erst wenn nach Auffassung der Prüfungsabteilung alle zu prüfenden Erfordernisse erfüllt sind, darf eine Patenterteilung veranlasst werden. Dabei ist zu beachten, dass das EPA die Interessen der Anmelder ebenso wie die der Öffentlichkeit wahren muss und dass sich die Öffentlichkeit darauf verlassen können muss, dass dies geschieht. An dieser Verpflichtung der Prüfungsabteilung ändert nichts, dass im Einspruchsverfahren wiederholt Stand der Technik genannt wird, der im Prüfungsverfahren aus verschiedenen Gründen unberücksichtigt geblieben ist. Gerade die jedermann gewährte Möglichkeit des Einspruchs gegen ein erteiltes Patent betont die Interessen der Öffentlichkeit an der Aufrechterhaltung nur tragfähiger Schutzrechte und verdeutlicht, dass der Anmelder nicht darüber verfügen kann, auf welche Erfordernisse des EPÜ hin seine Anmeldung geprüft werden soll.
Hinzu kommt, dass das Erfordernis der Neuheit gegenüber dem Stand der Technik nach Artikel 54 (3) EPÜ kein nachrangiges ist, wie die Beschwerdeführerin zu meinen scheint. Vielmehr stellt die mangelnde Neuheit gegenüber dem Stand der Technik nach Artikel 54 (3) EPÜ sowohl einen Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) EPÜ, als auch einen Nichtigkeitsgrund nach Artikel 138 (1) a) EPÜ dar.
3.2 Auch soweit die Beschwerdeführerin ihre Argumentation auf Artikel 93 (2) EPÜ stützt, der ausdrücklich bestimmt, dass die europäische Patentanmeldung gleichzeitig mit der europäischen Patentschrift veröffentlicht wird, wenn die Entscheidung über die Erteilung des Patents vor Ablauf von 18 Monaten nach dem Anmeldetag wirksam geworden ist, kann dies ihrer Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen.
Denn Artikel 93 (2) EPÜ regelt lediglich die Möglichkeit einer Patenterteilung vor Ablauf der 18 Monate. Ihm lässt sich auch unter Berücksichtigung der einschlägigen "Travaux Préparatoires", der von der Beschwerdeführerin zitierten Entscheidung T 276/99 vom 26. September 2001 oder der Prüfungsrichtlinien A-VI, 1.1 nicht entnehmen, dass der Anmelder ein Anrecht auf eine Patenterteilung zu einem von ihm gewählten Zeitpunkt und unter von ihm gewählten Bedingungen hätte. Deshalb ist eine Patenterteilung vor Ablauf der genannten Frist nicht ausgeschlossen, vorausgesetzt die Prüfungsabteilung ist bereits zu der Auffassung gelangt, dass die Anmeldung sämtliche Erfordernisse des EPÜ erfüllt. Da dies vorliegend jedoch noch nicht der Fall gewesen ist, kommt die in Artikel 93 (2) EPÜ genannte Möglichkeit einer Patenterteilung vor Ablauf der Frist von 18 Monaten nicht in Betracht. Die Kammer sieht dabei keinen Widerspruch zwischen den Bestimmungen der Artikel 93 (2) und 97 (1) EPÜ.
3.3 Schließlich macht die Beschwerdeführerin geltend, dass die noch nicht veröffentlichten älteren Rechte nach Artikel 54 (3) EPÜ dem EPA bereits vor dem Ablauf der 18-Monatsfrist weitgehend vorlägen. Für PCT-Anmeldungen stehe aber 18 Monate nach dem Anmelde- bzw. Prioritätsdatum noch nicht fest, ob sie 31 Monate nach dem Anmelde- bzw. Prioritätstag in die europäische Phase eintreten und somit überhaupt als Stand der Technik gelten würden. Erst zu diesem späteren Zeitpunkt läge auch eine Übersetzung vor, ohne die der Inhalt einer PCT-Anmeldung beispielsweise japanischen oder chinesischen Ursprungs und damit ihre Relevanz für die Neuheitsprüfung nicht erfasst werden könne.
Dem vermag die Kammer nicht zu folgen. Internationale Anmeldungen nach dem PCT bilden nach Artikel 153 (5) EPÜ in Verbindung mit Regel 165 EPÜ potentiellen Stand der Technik nach Artikel 54 (3) EPÜ. Wenn mit deren Bearbeitung in der internationalen Phase nicht das EPA beauftragt ist, sind sie diesem nach Artikel 30 (1) PCT erst nach deren Veröffentlichung zugänglich, da das EPA als Bestimmungsamt von der Möglichkeit einer systematischen vorzeitigen Übermittlung nach Artikel 13 (1) PCT in Verbindung mit Regel 31.1 a) PCT keinen Gebrauch macht. Folglich kann sich die Prüfungsabteilung erst 18 Monate nach dem Anmelde- bzw. Prioritätstag der zu prüfenden Patentanmeldung ein vollständiges Bild über die potentiellen älteren Rechte machen. Falls sie unter diesen Umständen bereits zu der Auffassung kommt, dass der Gegenstand der zu prüfenden Ansprüche neu ist, kann sie eine Mitteilung nach Regel 71 (3) EPÜ erlassen, ohne das Vorliegen einer vollständigen Übersetzung oder eines wirksamen Eintritts der älteren internationalen Anmeldungen in die europäische Phase abzuwarten. Insofern beruht die Herangehensweise der Prüfungsabteilungen des EPA, in der Regel frühestens nach 18 Monaten ab Anmelde- bzw. Prioritätstag eine Patenterteilung in Aussicht zu stellen, unter den genannten Umständen auf nachvollziehbaren Gründen.
4. Darüber hinaus weist die Kammer darauf hin, dass nach Artikel 99 (1) EPÜ mit der Bekanntmachung des Hinweises auf die Erteilung des europäischen Patents im europäischen Patentblatt die neunmonatige Einspruchsfrist zu laufen beginnt. Läge dieser Zeitpunkt deutlich vor dem Ende der 18-Monatsfrist nach Artikel 93 (1) EPÜ, wäre der für das erteilte Patent relevante Stand der Technik nach Artikel 54 (3) EPÜ zum Zeitpunkt der Erteilung noch nicht vollständig öffentlich zugänglich. Potentiell neuheitsschädlicher Stand der Technik würde, obwohl möglicherweise von Bedeutung hinsichtlich des Einspruchsgrundes nach Artikel 100 a) EPÜ, im Laufe der Einspruchsfrist erst allmählich bekannt, was für Dritte die Einschätzung der Rechtsbeständigkeit des Patents und damit die Entscheidung, dagegen Einspruch einzulegen, deutlich erschweren würde. Im ungünstigsten Fall könnte die Einspruchsfrist ablaufen, bevor alle älteren Rechte nach Artikel 54 (3) EPÜ offengelegt sind, was für die Öffentlichkeit einen erheblichen systematischen Nachteil darstellen und nach Ansicht der Kammer den unter Punkt 3.1 genannten Absichten des Gesetzgebers bei der Aufnahme des Einspruchsverfahrens in das EPÜ zuwider laufen würde.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.