T 0001/12 10-02-2017
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Verfahren zur Herstellung eines analytischen Hilfsmittels mit Lanzette und Testelement
Roche Diagnostics GmbH
F. Hoffmann-La Roche AG
Zulässigkeit des Einspruchs - (ja)
Vorlagen an die Große Beschwerdekammer - (nein)
I. Die Einsprechende hat gegen die am 31. Oktober 2011 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das europäische Patent N. 1 466 558 als unzulässig zu verwerfen, Beschwerde eingelegt.
II. Die Bekanntmachung des Hinweises auf die Erteilung des Patents im Europäischen Patentblatt datiert vom 3. September 2008.
III. Am 3. Juni 2009 wurde ein Einspruch eingelegt. Es sind insbesondere ein als "NOTICE OF OPPOSITION" bezeichnetes Schriftstück (im Folgenden "die Einspruchschrift") und mehrere zum Stand der Technik gehörende Dokumente beim Europäischen Patentamt eingegangen.
IV. Nach einer Anfrage der Beschwerdeführerin beim EPA aufgrund der Nicht-Erscheinung der EPA Formblätter 1010 und 2300 in der elektronischen Akte, reichte die Beschwerdeführerin am 16. Juni 2009 eine Kopie der ersten zwei Seiten der Einspruchsschrift mit Eingangsstempel des EPA vom 3. Juni 2009, eine Kopie eines ausgefüllten EPA Formblattes 1010 mit Eingangsstempel des EPA vom 3. Juni 2009 und eine Kopie eines ausgefüllten EPA Formblattes 2300 ohne Eingangsstempel ein.
V. Die Einspruchsabteilung verwarf den Einspruch als unzulässig, da der Einspruch die Person, die Einspruch eingelegt hatte, am Ende der Einspruchsfrist nicht zweifelsfrei erkennen liesse.
VI. Die Beschwerdeschrift ist am 19. Dezember 2011 eingegangen. Die Beschwerdegebühr wurde am gleichen Tag erhalten. Die Beschwerdebegründung wurde am 28. Februar 2012 empfangen.
VII. Die Beschwerdegegnerin reichte die Beschwerdeerwiderung mit Schreiben vom 26. Juni 2012 ein.
VIII. Mit Schreiben vom 31. Oktober 2016 lud die Kammer die Parteien zu einer mündlichen Verhandlung und teilte ihre vorläufige Meinung mit.
IX. Mit Schreiben vom 19. Januar 2017 kündigte die Beschwerdeführerin an, dass sie an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen würde.
X. Die mündliche Verhandlung fand am 10. Februar 2017 in Abwesenheit der Beschwerdeführerin statt.
Die Beschwerdeführerin hatte beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und den Einspruch als zulässig zu erklären.
Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.
XI. Die entscheidungsrelevanten Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Am 3. Juni 2009 habe die Beschwerdeführerin nicht nur die Einspruchschrift und die Dokumente des Stands der Technik, sondern auch die ausgefüllten EPA Formblätter 1010 und 2300 eingereicht. Im eingereichten EPA Formblatt 2300 sei der Name der Einsprechenden angegeben gewesen. Bestätigungskopien dieser zwei Formblätter seien nachgereicht worden, nachdem die Beschwerdeführerin bemerkt habe, dass die eingereichten Formblätter in der elektronischen Akte nicht zu sehen gewesen seien.
Weder das Formblatt 1010 noch das daran geheftete Formblatt 2300 seien vom europäischen Patentamt unter den am 3. Juni 2009 eingereichten Dokumenten aufgefunden worden.
Die mit dem Eingangsstempel des EPA vom 3. Juni 2009 versehene Bestätigungskopie des Formblattes 1010 beweise, dass dieses Formblatt, nach seiner Einreichung, innerhalb des europäischen Patentamtes verloren gegangen sei.
Nicht alle Seiten der Bestätigungskopien der am 3. Juni 2009 eingereichten Dokumenten seien von der EPA-Eingangstelle in der Zollstraße, München abgestempelt worden. Insbesondere sei keine Seite der Bestätigungskopie des Formblattes 2300 abgestempelt worden. Dies lasse sich möglicherweise aus dem Grund erklären, dass die zwei Dokumente bei der Einreichung des Einspruchs zusammengeheftet gewesen seien, wie man aus korrespondierenden Heftmarkierungen der nachgereichten Bestätigungskopien und aus zwei Erklärungen von Frau Wilhelmina Siedsma (13. September 2011 und 1. Februar 2012), Mitarbeiterin des zugelassenen Vertreters der Beschwerdeführerin, ableiten könne. Das Fehlen eines Eingangsstempels auf der Bestätigungskopie des Formblattes 2300 habe es verhindert, die Einreichung dieses Formblattes unmittelbar zu beweisen.
Dieser Umstand wäre gar nicht aufgetreten, wenn das europäische Patentamt alle Seiten der Bestätigungskopien der eingereichten Dokumente mit dem Datumsstempel vom 3. Juni 2009 perforiert hätte, wie das bis dahin üblich gewesen sei. Eine Änderung dieser Vorgehensweise rechtfertige eine Beweislastumkehr zum EPA dar.
In diesem Zusammenhang beantragte die Beschwerdeführerin die Vorlage folgender Frage an die Große Beschwerdekammer:
"Whether changing the internal EPO policy on providing proof of receipt of documents filed by hand at the EPO from that of automatically perforating by machine all documents received with an EPO mark and the date of receipt, to the current policy of a postal worker in the post receiving section providing arbitrarily by hand an ink date stamp to any of the confirmation copies the worker deems fit to receive such, constitutes a shifting of the burden of proof to the EPO when the EPO at a date subsequent the final due date for filing the documents requires proof of filing of the documents?"
Gemäß der Übersetzung der Kammer:
"Stellt eine Änderung der betriebsinternen Vorgehensweise des EPA, die als Empfangsbestätigung von durch unmittelbare Übergabe beim EPA eingereichten Dokumenten dienen soll, von einer automatischen maschinellen Perforierung aller empfangenen Dokumente mit einem EPA Siegel und dem Empfangsdatum, zur gegenwärtigen Vorgehensweise eines Postangestellten in der Eingangstelle, der willkürlich manuell nur diejenigen Bestätigungskopien mit einem Tintenstempel mit Datum versieht, die er für dafür geeignet hält, eine Beweislastumkehr zum EPA dar, wenn das EPA in einem späteren Zeitpunkt, der nach der Frist für die Einreichung der Dokumente liegt, einen Einreichungsnachweis dieser Dokumente verlangt?"
Die Zulässigkeit des Einspruchs sei gegeben, wenn die Wahrscheinlichkeit für die Einreichung des Formblatts 2300 am 3. Juni 2009 höher als die für die Nichteinreichung sei.
Die Ereignisse im vorliegenden Fall deuten darauf hin, dass dieses Formblatt mit großer Wahrscheinlichkeit fristgerecht eingereicht worden und dann im EPA verloren gegangen sei. Es folge, dass der Einspruch als zulässig zu erklären sei. Zudem beantragte die Beschwerdeführerin, die Angelegenheit an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung zurückzuverweisen.
XII. Die entscheidungsrelevanten Argumente der Beschwerdegegnerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Die Einspruchsabteilung habe zu Recht den Einspruch als unzulässig verworfen, da der Einspruch die Identität der Einsprechenden am Ende der Einspruchsfrist nicht zweifelsfrei erkennen lasse.
Im vorliegenden Fall würde sich die Identität der Einsprechenden nur aus den Angaben im Formblatt 2300 ergeben. Die Beweislast, dass es fristgerecht eingereicht worden sei, liege bei der Beschwerdeführerin (T 1200/01), schon deshalb weil der Nichtzugang eines Schriftstückes vom Empfänger nicht beweisbar sei (T 632/95). Die Beschwerdeführerin habe selbst Sorge für die Beweissicherung zu tragen (T 128/87 vom 3. Juni 1988).
Bei den Formblättern 1010 und 2300 und der Einspruchsschrift handele es sich um unterschiedliche Dokumente. Die Einreichung der abgestempelten Seiten 1 und 2 der Bestätigungskopie der Einspruchsschrift und der abgestempelten Bestätigungskopie des Formblattes 1010 könne daher keinen Nachweis für eine fristgerechte Einreichung des Formblattes 2300 darstellen.
Die Angabe der Beschwerdeführerin, dass das Formblatt 2300 an das Formblatt 1010 bei der Einreichung angeheftet gewesen sei, die sich auf zwei Erklärungen einer Mitarbeiterin des Vertreters der Beschwerdeführerin und auf angeblich korrespondierende Heftmarkierungen stütze, sei auch kein überzeugender Beweis. Die Erklärungen datieren mehr als zwei Jahre nach der Einreichung des Einspruchs zurück. Wenn ein Ereignis so lange zurückliegt, könne sich eine Person selbst mit ehrlicher Absicht bei der Erinnerung täuschen. Außerdem handele es sich bei den Erklärungen um keine eidesstattlichen Erklärungen. Ihre Beweiskraft sei somit gering. Bezüglich der korrespondierenden Heftmarkierungen sei nicht feststellbar, wann die Heftklammern angebracht worden seien.
Im vorliegenden Fall sei besondere Sorgfalt hinsichtlich der Beweissicherung seitens der Beschwerdeführerin geboten gewesen, da der Einspruch am letzten Tag der Einspruchsfrist eingelegt worden sei. Die Beschwerdeführerin hätte prüfen können, dass alle Seiten der Bestätigungskopien der eingereichten Dokumente abgestempelt gewesen seien, und gegebenenfalls die Abstempelung ergänzen lassen. Sie hätte auch die Angabe ihrer Identität auf der Einspruchsschrift machen können und alle Dokumente in einem einzigen Kuvert verschicken können.
Außerdem zeige die Nachfrage der Beschwerdeführerin beim EPA bezüglich der Nichterscheinung in der elektronischen Akte der Formblätter 1010 und 2300, dass sie nicht sicher gewesen sei, ob diese Formblätter tatsächlich am 3. Juli 2009 eingereicht worden seien.
Der bei der Beweiswürdigung anzuwendende Maßstab sei streng. Es handele sich nicht um eine reine Abwägung der Wahrscheinlichkeiten, sondern die Beweismittel müssen zur Überzeugung der Kammer reichen (T 2454/11, Entscheidungsgründe - Punkte 2.5 und 2.6).
In diesem Zusammenhang beantragte die Beschwerdegegnerin die Vorlage folgender Frage an die Große Beschwerdekammer:
"Welcher Beweismaßstab ist für den Nachweis des Zugangs von Dokumenten beim EPA für den Absender anzuwenden, eine Abwägung von Wahrscheinlichkeiten wie in Teilen der Rechtsprechung entschieden (T1200/01), oder ist eine strengere Beweislastverteilung zu Lasten des Absenders anzulegen, die nicht durch eine Abwägung nach dem Grad der Wahrscheinlichkeiten des Zugangs abgemildert ist (wie in T2454/11 angelegt)?"
Für den Fall, dass die Beschwerdekammer den Einspruch als zulässig erklären sollte, beantragte die Beschwerdegegnerin, die Angelegenheit an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung zurückzuverweisen.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Mit Schreiben vom 31. Oktober 2016 waren die Parteien ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladen worden. Die Beschwerdeführerin war aber nicht anwesend, wie mit Schreiben vom 19. Januar 2017 im Voraus angekündigt. Gemäß Regel 115(2) EPÜ und Artikel 15(3) VOBK wurde das Verfahren ohne sie fortgesetzt.
3. Die Kernfrage der vorliegenden Entscheidung betrifft die Zulässigkeit des Einspruchs.
Insbesondere gilt es festzustellen, ob der Einspruch die Erfordernisse des Artikels 99(1) EPÜ erfüllt. Gemäß diesem Artikel kann jedermann, innerhalb von neun Monaten nach Bekanntmachung des Hinweises auf die Erteilung des europäischen Patents im Europäischen Patentblatt, Einspruch einlegen.
4. Am 3. Juni 2009, dem letzten Tag der Einspruchsfrist, hat die Beschwerdeführerin gegen das Patent Einspruch eingelegt. Es ist unumstritten, dass die Identität der Person, die den Einspruch eingelegt hat, weder aus der Einspruchschrift noch aus den zum Stand der Technik gehörenden Dokumente, die beim EPA an besagtem Tag eingegangen sind, nicht ableitbar ist. Nach gefestigter Rechtsprechung der Beschwerdekammern sind die Erfordernisse des Artikels 99(1) EPÜ nicht erfüllt, wenn die Identität der Person, die den Einspruch einlegt, am Ende der Einspruchsfrist nicht feststeht. In einem solchen Falle ist der Einspruch gemäß Regel 77(1) EPÜ als unzulässig zu verwerfen (T 25/85). Dies wird von der Beschwerdeführerin auch nicht bestritten.
Da die am 16. Juni 2009 beim europäischen Patentamt eingegangenen Schriftstücke nach der Einspruchsfrist eingereicht wurden, können sie, als solche, diesen Mangel nicht heilen.
5. Die Beschwerdeführerin behauptete, dass die ausgefüllten EPA Formblätter 1010 und 2300 zusammen mit der Einspruchsschrift am 3. Juni 2009 eingereicht worden seien.
Da der Name der Einsprechenden auf dem EPA Formblatt 2300 angegeben ist, wäre der Einspruch als zulässig zu erklären, falls es feststünde, dass das Formblatt tatsächlich am 3. Juni 2009 beim EPA eingegangen ist. Diese Schlussfolgerung wurde von den Parteien auch nicht bestritten.
6. Trotz aller Nachforschungen konnte keins dieser Formblättern unter den am 3. Juni 2009 eingereichten Dokumenten im EPA aufgefunden werden.
Die Kammer teilt die Ansicht der Beschwerdegegnerin, dass die Beweislast der fristgerechten Einreichung des EPA Formblattes 2300 bei der Beschwerdeführerin liegt, insbesondere aus dem in der Entscheidung T 632/95 erwähnten Grund (Punkt 4. der Entscheidungsgründe), dass der Nichtzugang eines Schriftstückes vom vermeintlichen Empfänger offensichtlich nicht nachweisbar ist.
Im Gegensatz zu den Umständen in T 632/95 hat die Beschwerdeführerin im vorliegenden Fall jedoch Beweismittel vorgelegt, die die fristgerechte Einreichung des Formblattes 2300 belegen sollen.
7. Nach gefestigter Rechtssprechung der Beschwerdekammern, insbesondere G 1/12, Punkt 31. der Entscheidungsgründe unter Verweis auf G 3/97 und G 4/97, gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung für die Verfahren vor dem EPA. Die von der Beschwerdeführerin eingereichten Beweismittel sind nach diesem Grundsatz zu bewerten.
8. Die Einreichung der mit dem EPA Datumstempel vom 3. Juni 2009 versehene Bestätigungskopie des Formblattes 1010 beweist, dass dieses Schriftstück innerhalb der Einspruchsfrist beim EPA eingegangen ist.
Wie die Beschwerdegegnerin ausführt und die Beschwerdeführerin nicht bestreitet, beweist dies alleine noch keine fristgerechte Einreichung des Formblattes 2300. Die Ausführungen der Beschwerdegegnerin, dass der Verlust des Formblattes 1010 keinerlei Bedeutung bezüglich der Einreichung des Formblattes 2300 habe, da es sich bei den Formblättern 1010 und 2300 um unterschiedliche Dokumente handele, überzeugen die Kammer jedoch nicht.
Die Kammer ist der Überzeugung, dass das Formblatt 1010, die Einspruchsschrift und die Dokumente des Stands der Technik, die alle nachweislich am gleichen Tag beim EPA eingegangen sind, eine einzige Eingabe bildeten. Wäre dies nicht der Fall gewesen, hätte sich Frau Wilhelmina Siedsma auch einige Zeit später gut daran erinnern können. In ihrer Erklärungen bestätigte sie aber ausdrücklich, dass alle Dokumente zusammen dem Kurierdienst zur Einreichung beim EPA übergeben wurden.
Die Kammer stellt somit fest, dass aus einer einzigen Eingabe der Beschwerdeführerin zumindest eine Seite innerhalb des EPA verloren ging.
9. Die Beschwerdeführerin führte aus, dass diese Eingabe nicht nur die Einspruchschrift, die Dokumente des Stands der Technik und das verlorengegangene Formblatt 1010 beinhaltete, sondern auch das ausgefüllte Formblatt 2300, dessen Kopie am 16. Juni 2009 nachgereicht worden sei. Das Formblatt 2300 sei an dem verlorengegangenen Formblatt 1010 angeheftet gewesen.
Im Rahmen des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung ist die Kammer von der fristgerechten Einreichung des Formblattes 2300 überzeugt, da die von der Beschwerdeführerin vorgelegten Beweismittel für eine wesentlich höhere Wahrscheinlichkeit dieser Einreichung sprechen (J 20/85, Punkt 4. ii) der Entscheidungsgründe und T 1200/01, Punkt 3. der Entscheidungsgründe).
Schon der nachgewiesene Verlust im EPA von zumindest einer Seite der Eingabe der Beschwerdeführerin vom 3. Juni 2009 lässt den Verlust von weiteren Seiten der gleichen Eingabe als wahrscheinlich gelten.
Die zwei Erklärungen von Frau Wilhelmina Siedsma, auch wenn sie ein Ereignis betreffen, das einige Zeit davor stattgefunden habe, sind ebenfalls zu berücksichtigen. Insbesondere haben die Aussage, dass die Bestätigungskopien der Formblätter 1010 und 2300 zusammengeheftet waren, zusammen mit der Vorlage von Kopien dieser Formblätter, die korrespondierende Heftklammernspuren aufweisen, eine bestimmte Beweiskraft.
Nach Ansicht der Kammer zeigt die Nachfrage der Beschwerdeführerin beim EPA binnen weniger Tage nach der Eingabe bezüglich der Nichterscheinung in der elektronischen Akte der Formblätter 1010 und 2300, entgegen der Meinung der Beschwerdegegnerin, dass die Beschwerdeführerin von der fristgerechten Einreichung eher überzeugt war. Hätte nämlich die Beschwerdeführerin Zweifel hinsichtlich der Einreichung der Formblätter gehabt, hätte sie eine solche Nachfrage eher als kontraproduktiv angesehen, da sie auf einen nicht mehr heilbaren Mangel aufmerksam gemacht hätte.
Bezüglich des fehlenden Datumstempels des EPA auf der Bestätigungskopie des Formblattes 2300 behauptete die Beschwerdeführerin, gestützt insbesondere auf die Erklärungen von Frau Wilhelmina Siedsma, dass nur wenige Seiten der Bestätigungskopien der Eingabe abgestempelt worden seien. Das hält die Kammer für wahrscheinlich, unter anderem weil das manuelle Abstempeln jeder der vielen Seiten einer Eingabe normalerweise nicht praktikabel ist. Die Originale der vom EPA erhaltenen Schriftstücke werden in der Regel nur auf der ersten Seite abgestempelt, wie zum Beispiel in der in der elektronischen Akte des vorliegenden Falles ersichtlich. Es erscheint somit plausibel, dass nur die Bestätigungskopie des Formblattes 1010 und nicht die des daran gehefteten Formblattes 2300 abgestempelt wurde.
10. Aus diesen Gründen gelangt die Kammer im vorliegenden Fall zur Überzeugung, dass die von der Beschwerdeführerin vorgelegten Beweismittel für eine wesentlich höhere Wahrscheinlichkeit für die fristgerechten Einreichung des Formblattes 2300 zusammen mit dem Formblatt 1010, der Einspruchsschrift, und den Dokumenten des Stands der Technik am 3. Juli 2009 sprechen. Es wird somit festgestellt, dass das Formblatt 2300 innerhalb der Einspruchsfrist beim EPA eingegangen ist.
Demzufolge erfüllt der Einspruch die Erfordernisse des Artikels 99(1) EPÜ und ist somit zulässig.
11. Die Beschwerdegegnerin führte aus, dass die Beschwerdeführerin ihrer Sorgfaltspflicht für die Beweissicherung, die sich insbesondere aus der Entscheidung T 128/87 vom 3. Juni 1988 ableiten lasse, nicht nachgekommen sei.
Auch wenn die Einreichung von Dokumenten am letzten Tag einer gesetzten Frist mit einem gewissen Risiko verbunden ist, so konnten im vorliegenden Fall die zur Verfügung stehenden Beweismittel die fristgerechte Einreichung des Einspruchs zur Überzeugung der Kammer belegen.
Im Allgemeinen sollte sich eine Partei in einem Verfahren vor dem EPA auf die Handlungen des Amtes verlassen können. Das Amt sollte insbesondere alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um Fehler bei diesen Handlungen auszuschließen. Wenn es dennoch zu einem Fehler kommt, ist es nicht akzeptabel, dass er zu Lasten der Rechte der Partei geht.
12. Die Beschwerdeführerin und die Beschwerdegegnerin haben die Vorlage von Fragen an die Große Beschwerdekammer beantragt.
Unter Artikel 112(1) a) EPÜ befasst die Beschwerdekammer, bei der ein Verfahren anhängig ist, zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung oder wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt, insbesondere auf Antrag eines Beteiligten, die Große Beschwerdekammer, wenn sie hierzu eine Entscheidung für erforderlich hält.
Die im vorliegenden Fall formulierten Vorlagefragen beziehen sich auf Kriterien, die allgemein für die Würdigung von bestimmten Beweismitteln, insbesondere einer spezifischen Form einer Empfangsbestätigung, und Umständen, insbesondere dem Zugang von Dokumenten beim EPA, gelten sollten. Wie bereits unter Punkt 5. erläutert, hat jedoch der Grundsatz der freien Beweiswürdigung für die Verfahren vor dem EPA zu gelten. Nach diesem Grundsatz werden die vorhandenen Beweismittel und die spezifischen Umstände nicht für sich genommen betrachtet und bewertet, sondern wird die Kombination aller Beweismittel und Umständedes jeweiligen Falles berücksichtigt. Dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung wäre widersprochen, wenn feste Regeln gesetzt würden, die definieren, in welchem Maß bestimmte Beweismittel und Umstände überzeugend zu sein haben (G 3/97, Punkt 5. der Entscheidungsgründe). Es folgt, dass die Vorlagefragen zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung nicht erforderlich sind.
Die Beschwerdegegnerin machte geltend, dass die Rechtsprechung der Beschwerdekammern bezüglich des anzuwendenden Beweismaßstabs für den Nachweis des Zugangs von Dokumenten beim EPA widersprüchlich sei. In diesem Zusammenhang zitierte sie die Entscheidungen T 1200/01, die eine Abwägung von Wahrscheinlichkeiten vorschlage, und T 2454/11, nach der ein strengerer, zur Überzeugung der Kammer ausreichender Beweis erforderlich sei.
Wie schon ausgeführt, ist die Beurteilung von Beweismitteln im Rahmen des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung fallspezifisch.
In der Entscheidung T 1200/01 (Punkt 3. der Entscheidungsgründe) wird die Auffassung vertreten, dass ein Beweismittel zum Nachweis des Zugangs von Dokumenten, die im EPA nicht aufzufinden sind, selten zu einer absoluten Sicherheit führen kann. Nach Ansicht dieser Kammer eine solche schwer zu definierende Sicherheit zu verlangen wäre unzumutbar und würde den Grundsatz der freien Beweiswürdigung unnötig machen. Folglich kann eine Abwägung von Wahrscheinlichkeiten nicht umgangen werden, dessen Prüfungsgrad auch die Entscheidung T 2454/11 nicht präzisierte. Welches konkrete Maß die Abwägung von Wahrscheinlichkeiten zu erreichen hat, damit sie zur Überzeugung der Kammer reicht, bleibt somit im Ermessen der Kammer selbst. Aus diesen Gründen vermag die Kammer auch keinen eindeutigen Widerspruch zwischen den Ausführungen in den Entscheidungen T 1200/01 und T 2454/11 festzustellen.
Abgesehen davon ist eine Vorlage an die Große Beschwerdekammer gemäß Artikel 21 VOBK nur dann erforderlich, wenn eine Kammer von einer Auslegung oder Erläuterung des Übereinkommens, die in einer Stellungnahme oder Entscheidung der Großen Beschwerdekammer enthalten ist, abweichen will. Dies trifft im vorliegenden Fall ebenfalls nicht zu.
Aus diesen Gründen werden die Anträge auf Vorlage an die Große Beschwerdekammer zurückgewiesen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.