T 1222/19 08-11-2019
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VERFAHREN ZUR ERMITTLUNG UND ÜBERWACHUNG DES FÜLLSTANDS EINES MEDIUMS IN EINEM BEHÄLTER NACH EINEM LAUFZEITMESSVERFAHREN
Zulässigkeit der Beschwerde - Beschwerdegebühr (nicht vollständig entrichtet)
Zulässigkeit der Beschwerde - Beschwerde gilt als nicht eingelegt
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - Sorgfaltspflicht des zugelassenen Vertreters
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - alle gebotene Sorgfalt (nein)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - Sorgfaltspflicht bei Einsatz von Hilfspersonen
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - alle gebotene Sorgfalt (nein)
I. Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die am 15. November 2018 zur Post gegebene Entscheidung der Prüfungsabteilung, mit der die Anmeldung Nr. 07 857 786.3 zurückgewiesen wurde.
II. Am 3. Januar 2019 reichte die Beschwerdeführerin Beschwerde gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung ein und zahlte am gleichen Tag den für kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) i.S.v. Regel 6 (4) a) und (5) EPÜ geltenden, ermäßigten Betrag für die Beschwerdegebühr i.H.v. EUR 1.880,00 anstelle des regelmäßigen Betrags i.H.v. EUR 2.250,00. Eine gesonderte Erklärung der Beschwerdeführerin über ihre Eigenschaft als KMU ging nicht ein. Die Beschwerde wurde mit Schriftsatz vom 5. März 2019, eingegangen am 21. März 2019, begründet.
III. Die Kammer wies die Beschwerdeführerin in einer Mitteilung vom 24. Mai 2019 darauf hin, dass sie begründete Zweifel an der KMU-Eigenschaft der Beschwerdeführerin habe und forderte sie auf, einen entsprechenden Nachweis einzureichen. Gleichzeitig wies die Kammer darauf hin, dass für den Fall, dass die Beschwerdeführerin kein KMU sei, die Beschwerdegebühr in zu geringer Höhe und damit nicht wirksam eingezahlt worden sei.
IV. Mit Schriftsatz vom 18. Juli 2019, eingegangen am 24. Juli 2019, hat die Beschwerdeführerin angegeben, kein KMU zu sein. Gleichzeitig hat sie Antrag auf Wiedereinsetzung i.S.v. Artikel 122, Regel 136 EPÜ in die Zweimonatsfrist gemäß Artikel 108 Satz 1 EPÜ gestellt, die Gebühr für den Wiedereinsetzungsantrag und den Differenzbetrag zu der vollständigen Beschwerdegebühr gezahlt sowie ihren Wiedereinsetzungsantrag begründet.
V. Die Beschwerdeführerin hat ihren Wiedereinsetzungsantrag im Wesentlichen damit begründet, dass die Zahlung lediglich der ermäßigten und nicht der vollständigen Beschwerdegebühr auf einen ausnahmsweisen, einmaligen Fehler im Sekretariat der zugelassenen Vertreterin zurückzuführen sei:
a) Nicht die sonst zuständige Formalsachbearbeiterin, sondern deren vertretende Formalsachbearbeiterin mit entsprechend geringerer Routine bezüglich Beschwerden habe das Beschwerdeschreiben vorbereitet.
b) Hierbei sei zunächst in fehlerhafter Weise der Betrag der Beschwerdegebühr vor der Gebührenerhöhung am 1. April 2018 eingesetzt worden. Der zugelassenen Vertreterin, der die Gebührenerhöhung bekannt gewesen sei, sei dies aufgefallen, weshalb sie die vertretende Formalsachbearbeiterin aufgefordert habe, den Betrag entsprechend anzupassen bzw. zu überprüfen.
c) Bei dieser Überprüfung sei fehlerhafterweise der Betrag der regulären Beschwerdegebühr vor der Gebührenerhöhung als korrekt erachtet worden, da der aktuelle reduzierte Betrag dem früher gültigen regulären Betrag entspricht. Die vertretende Formalsachbearbeiterin habe leider keine Kenntnisse darüber gehabt, welche Kriterien anzuwenden sind, damit ein Unternehmen seitens des EPA als KMU einzustufen ist; daher sei sie durch den Hinweis im Zusatz des Gebührencodes 011e, dass der ausgewählte Betrag auf KMU anzuwenden ist, nicht misstrauisch geworden.
d) Dementsprechend habe die vertretende Formalsachbearbeiterin die Vertreterin fehlerhafterweise unterrichtet, dass der im Beschwerdeschreiben angegebene Betrag korrekt sei.
e) Da sich die vertretende Formalsachbearbeiterin seit zwölf Jahren durch ansonsten außerordentliche Zuverlässigkeit, auch bei der Abwicklung von Gebührenzahlungen, ausgezeichnet habe, habe die Vertreterin das Beschwerdeschreiben mit dem falschen Betrag für die Beschwerdegebühr im Anschluss per Unterschrift validiert.
VI. Die Kammer informierte die Beschwerdeführerin daraufhin in einer Mitteilung über ihre vorläufige Meinung, dass der Wiedereinsetzungsantrag unbegründet sei. In Reaktion hierauf teilte die Beschwerdeführerin mit, dass sie ihren Antrag auf mündliche Verhandlung zurücknehme, falls die Kammer lediglich über den Wiedereinsetzungseintrag entscheide.
1. Die Beschwerdeführerin hat innerhalb der zweimonatigen Beschwerdefrist i.S.v. Artikel 108 Satz 1 EPÜ zwar Beschwerde eingelegt, nicht jedoch den vollständigen, für sie als Nicht-KMU geltenden Betrag für die Beschwerdegebühr i.H.v. EUR 2.255,00 gezahlt. Die Beschwerde gilt daher als nicht eingelegt, Artikel 108 Satz 2 EPÜ (vgl. G 1/18, Leitsatz 1 a)).
2. Etwas Anderes würde jedoch gelten, wenn der Antrag der Beschwerdeführerin auf Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist gemäß Artikel 122, Regel 136 EPÜ begründet wäre.
2.1 Die Zulässigkeitsvoraussetzungen gemäß Artikel 122 (2), Regel 136 (1) und (2) EPÜ für den Wiedereinsetzungsantrag sind erfüllt.
2.2 Ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist dann begründet, wenn der Antragsteller gemäß Artikel 122 (1) EPÜ die nach den gegebenen Umständen gebotene Sorgfalt beachtet hat und trotzdem daran gehindert war, eine Frist einzuhalten. Die Rechtsprechung der Beschwerdekammern hat zwei Kriterien für die Beachtung der gebotenen Sorgfalt entwickelt. Die Fristversäumung muss
- entweder durch außerordentliche Umstände
- oder durch ein einmaliges Versehen einer Hilfsperson in einem sonst zuverlässigen Fristenüberwachungssystem
verursacht worden sein. Die Beschwerdeführerin hat sich lediglich auf das zweitgenannte Kriterium gestützt.
2.3 Auf das zweitgenannte Kriterium (also auf einen einmaligen Fehler einer Hilfsperson) kann jedoch dann nicht abgestellt werden, wenn dem zugelassenen Vertreter - an dessen Sorgfaltspflichten strenge Anforderungen zu stellen sind - selbst eine Sorgfaltspflichtverletzung vorzuwerfen ist. Diese ist grundsätzlich nicht entschuldbar (vgl. T 592/11, Gründe 5.2.2; R 18/13, Gründe 19 bis 21; Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 9. Aufl. 2019, Kapitel III.E.5.4.1 und III.E.5.5.4 e)).
2.3.1 Vorliegend lag es im ureigenen Verantwortungsbereich der Vertreterin der Beschwerdeführerin selbst, dafür zu sorgen, dass die korrekte Beschwerdegebühr rechtzeitig bezahlt wird. Ein Vertreter darf es nämlich nicht Hilfspersonen überlassen, Fälle zu überwachen, bei denen ein Fehler oder eine Verzögerung zu einem unwiderruflichen Rechtsverlust führen kann (vgl. J 25/96, Gründe 3.1) und die daher ein besonderes Augenmerk verlangen (vgl. T 439/06, Gründe 8). Sobald die Akte dem Vertreter zur Bearbeitung vorgelegt wird, damit er fristgemäß tätig werden kann, geht die Verantwortung in jeder Hinsicht auf ihn über (vgl. T 439/06, Gründe 10).
2.3.2 Die Vertreterin ist dieser Verantwortung vorliegend nicht mit der notwendigen Sorgfalt gerecht geworden. Hierfür wäre es nämlich notwendig gewesen, dass sie das Ergebnis der bei der vertretenden Formalsachbearbeiterin in Auftrag gegebenen Überprüfung der eingesetzten Beschwerdegebühr vor Unterschrift der Beschwerdeschrift samt Zahlung der Beschwerdegebühr selbst noch einmal kontrolliert, um so die Korrektheit des zu zahlenden Betrags zu gewährleisten; die Vertreterin hätte sich also nicht unbesehen auf die Überprüfung durch die Hilfskraft verlassen dürfen. Im Übrigen hätte sich eine Kontrolle schon deswegen aufgedrängt, weil die Vertreterin wusste, dass der eingesetzte Betrag i.H.v. EUR 1.880,00 nicht der aktuellen regelmäßigen Beschwerdegebühr entsprach.
2.4 Selbst wenn man aber im Übrigen auf ein einmaliges Versehen einer Hilfsperson abstellen wollte, ist die nach den konkreten Umständen gebotene Sorgfalt nicht beachtet worden.
2.4.1 Der zugelassene Vertreter muss eine für die Tätigkeit qualifizierte Person auswählen, sie mit ihren Aufgaben vertraut machen und die Ausführung ihrer Arbeit in vernünftigem Umfang überwachen. Dies gilt auch für eine Ersatzkraft, die eine Hilfskraft im Falle von Urlaub, Krankheit oder sonstiger Verhinderung vertritt. Neue Hilfskräfte müssen mindestens einige Monate lang regelmäßig überwacht werden (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 9. Aufl. 2019, Kapitel III.E.5.5.4 b) mit weiteren Nachweisen).
2.4.2 Übernimmt eine Hilfskraft oder deren Ersatzkraft die Vorbereitung von zu zahlenden Gebühren wie die Beschwerdegebühr, muss sie selbstverständlich in die aktuell geltende Rechtslage hinsichtlich der jeweils gültigen Gebührenbeträge sowie deren Anwendung auf das Unternehmen der Beschwerdeführerin unterwiesen werden. Vorliegend war die vertretende Formalsachbearbeiterin, die weniger Routine im Hinblick auf Beschwerdeschreiben hatte, jedoch offensichtlich mit folgenden Umständen nicht vertraut gemacht worden:
- Gebührenerhöhung ab dem 1. April 2018;
- Voraussetzungen einer Gebührenermäßigung für KMU;
- fehlende Einstufung der Beschwerdeführerin als KMU im Sinne der Gebührenvorschriften.
2.4.3 Darüber hinaus wurde das Ergebnis der Tätigkeit der vertretenden Formalsachbearbeiterin auch nicht überwacht, da die Vertreterin das Beschwerdeschreiben mit der unzutreffenden Beschwerdegebühr unkontrolliert unterschrieben hat (s.o. Punkt 2.3.2).
2.4.4 Im Ergebnis lag somit auch ungenügende Sorgfalt bei der Unterweisung und Überwachung der eingesetzten Hilfsperson vor.
3. Der Wiedereinsetzungsantrag ist daher unbegründet. Es verbleibt somit bei dem Ergebnis, dass die Beschwerde als nicht eingelegt gilt. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr ist in diesem Fall von Amts wegen anzuordnen (vgl. G 1/18, Leitsatz 2).
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist wird zurückgewiesen.
2. Die Beschwerde gilt als nicht eingelegt.
3. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.