7.2. Zweite (bzw. weitere) medizinische Verwendung
7.2.2 Beschränkung auf Stoffe und Stoffgemische
In T 1314/05 stellte die Kammer fest, dass die Entscheidung G 1/83 keinen Zweifel daran lässt, dass der darin festgelegte Grundsatz der Beurteilung der Neuheit der Herstellung nur für Erfindungen bzw. Patentansprüche gerechtfertigt ist, die sich auf die Anwendung eines Stoffs oder Stoffgemischs in einem in Art. 52 (4) EPÜ 1973 genannten Heilverfahren beziehen, sofern dieses Heilverfahren noch nicht zum Stand der Technik gehört. Die Kammer entschied, dass eine Übertragung der mit der Schweizer Anspruchsfassung für Stoffe oder Stoffgemische verbundenen Ausnahmeregelung für die Beurteilung der Neuheit auf die Verwendung eines Gerätes für die Herstellung einer für medizinische Zwecke einsetzbaren Vorrichtung durch die Entscheidung nicht gedeckt sei. Einer Ausdehnung der genannten Ausnahmeregelung auf die Herstellung medizinisch verwendbarer Vorrichtungen steht das allgemeine Rechtsprinzip entgegen, dass gesetzliche Ausnahmetatbestände eng auszulegen sind. Eine Bestätigung hierfür bildet der Umstand, dass der Gesetzgeber mit dem EPÜ 2000 den Ausnahmetatbestand der zweiten medizinischen Indikation mit Art. 54 (5) EPÜ ausdrücklich auf Stoffe oder Stoffgemische beschränkt hat.
In der Entscheidung T 1099/09 stellte die Kammer fest, dass aus den Bestimmungen des EPÜ klar und unmittelbar hervorgeht, dass Art. 54 (4) und Art. 54 (5) EPÜ nur auf Erzeugnisse anwendbar sind, bei denen es sich um Stoffe oder Stoffgemische handelt, während Erzeugnisse, die weder Stoffe noch Stoffgemische sind, im Rahmen dieser Bestimmungen nicht patentierbar sind. Bei einem Arzneimittel ergibt sich die therapeutische Wirkung grundsätzlich aus mindestens einem darin eingesetzten Stoff oder Stoffgemisch, der bzw. das im Allgemeinen als Wirkstoff des Arzneimittels bezeichnet wird.
Zur "Formulierung der Ansprüche unter dem EPÜ 1973", s. Kapitel I.C.5.2.2 RBK, 6. Auflage 2010.