9.2.12 Beurteilung von Merkmalen, die sich auf mathematische Algorithmen beziehen
In T 2035/11 betraf die Anmeldung im Wesentlichen Navigationssysteme, die auf die besonderen Wünsche eines Benutzers zugeschnitten werden können. Die Kammer befand, dass Optimierungsalgorithmen mathematische Methoden, sind. Sie stellte fest, dass mathematische Algorithmen nur zum technischen Charakter einer Erfindung beitragen können, wenn sie einem technischen Zweck dienen (s. z. B. Entscheidung T 1784/06). Der Zweck des Algorithmus war die reine Anzeige des optimalen Wegs zur kognitiven Verarbeitung durch den Benutzer. Nach diesen Informationen konnte sich der Benutzer richten, musste es aber nicht. Die Kammer vertrat die Auffassung, dass die Bereitstellung von Echtzeit-Routenführungsinformationen nur dann eine technische Aufgabe darstellt, wenn das Navigationssystem sowohl eine Routenplanungsfunktion als auch eine Positionsbestimmungsvorrichtung umfasst, die dazu konfiguriert ist, Routenführungsinformationen in Abhängigkeit von der tatsächlichen Position des Systems in der realen Welt zu liefern. Dies beinhaltet eine Interaktion zwischen dem Nutzer und dem Navigationssystem, wobei das Navigationssystem mit technischen Mitteln kontinuierlich die Position des Nutzers misst und ihm auf der Grundlage dieser Messungen Informationen zur Verfügung stellt, die es ihm ermöglichen sollen, die technische Aufgabe, ein Fahrzeug zu einem gewünschten Ziel zu bewegen, zu bewältigen.
Wie in der Entscheidung T 1670/07 festgestellt, kann eine technische Wirkung entweder durch die Bereitstellung von Daten zu einem technischen Verfahren unabhängig von der Anwesenheit des Benutzers oder deren anschließender Nutzung entstehen oder durch die Bereitstellung von Daten (einschließlich Daten, die für sich genommen ausgeschlossen sind, weil sie beispielsweise mithilfe eines Algorithmus erzeugt wurden), die direkt in einem technischen Verfahren angewandt werden. Im fraglichen Fall wurden die Daten mithilfe eines Algorithmus erzeugt und nicht direkt in einem technischen Verfahren angewandt, sodass keiner der beiden Fälle vorlag. Ähnlich hatte auch der Bundesgerichtshof im Falle eines Navigationssystems entschieden, das dem Benutzer die Möglichkeit bot, auf der Grundlage einer von ihm vorgegebenen Eigenschaft wie einer Straßenbenutzungsgebühr bestimmte Streckenabschnitte auszunehmen (s. BGH, 18. Dezember 2012, X ZR 3/12, – Routenplanung).
In T 1986/20 nahm die Kammer Bezug auf T 2025/11 und grenzte die beanspruchte Erfindung von einem Echtzeit-Navigationssystem ab. Die beanspruchte Erfindung betraf ein System zur Unterstützung eines Bedieners bei den Aufgaben des Versands oder der Lagerung von Gegenständen, insbesondere durch das Führen zu den bezeichneten Gegenständen. Die Kammer stellte fest, dass das beanspruchte System die tatsächliche Position des Bedieners nur einmal, nämlich zu Beginn des Versand-/Lagerungsvorgangs, misst. Alle nachfolgenden Positionen werden entweder vorher festgelegt oder zumindest von in einer Datenbank gespeicherten Positionen abgeleitet. Weicht der Bediener von der Führung ab, wird die Fähigkeit des Systems, eine genaue Routenführung in Echtzeit zu liefern, beeinträchtigt, da die Positionsinformationen des vorhergehenden Artikels verfälscht werden. Nach Auffassung der Kammer bestand der grundlegende Unterschied darin, dass das in Anspruch 1 der Erfindung beschriebene System keinen geschlossenen Kreislauf darstellte, bei dem unabhängig von den Handlungen des Nutzers automatisch eine Positionsmessung an das System zurückgemeldet wird, um die Routenführungsinformationen zu aktualisieren.
In T 651/12 befand die Kammer, dass Art. 52 (2) a) EPÜ auf rein abstrakte mathematische Methoden abzielt, d. h. Berechnungen um ihrer selbst willen. Im vorliegenden Fall jedoch, der im Wesentlichen die technische Umsetzung des Verfahrens zur Erzeugung einer vogelperspektivischen Kartenansicht in einem Kartenanzeigegerät betraf, wurde das Ergebnis der Berechnung für einen technischen Zweck verwendet, nämlich zur ergonomisch verbesserten Anzeige von Informationen. Die Kammer führte weiter aus, dass auch die Berechnung als solche in diesem Fall ganz klar technische Aspekte aufwies: die technische Wirkung, den Datenspeicherbedarf zu reduzieren und die Berechnungsgeschwindigkeit zu erhöhen, die somit als technische Lösung für eine technische Aufgabe anzusehen waren. In T 505/18 entschied die Kammer in Anlehnung an T 651/12, die verbesserte Sicherheit im technischen Kontext der Erfindung, nämlich der Echtzeit-Routenführung eines Fahrzeuglenkers, als technische Wirkung anzusehen, und die Überlegungen zur verbesserten Sicherheit in einem Fahrzeugnavigationssystem als technische Überlegungen zu betrachten, die die Fachperson für Navigationssysteme angestellt hat.