T 2440/16 17-05-2022
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Teilweise Unzulässigkeit des Ablehnungsantrags wegen offensichtlich falscher Auslegung verfahrensrechtlicher Pflichten-ja
Teilweise Unzulässigkeit des Ablehnungsantrags wegen Vornahme weiterer Verfahrenshandlungen - ja
Tatsächliche Befangenheit - nein
Besorgnis der Befangenheit - nein
Dienstliche Äußerung nach Artikel 3 (2) VOBK 2020 - notwendiger Inhalt
Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit
- Zum notwendigen Inhalt einer dienstlichen Äußerung gemäß Artikel 3 (2) VOBK 2020 (Ziffer 1.4.3).
- Die Stellung eines Antrags und die Einlassung zur Sache sind Verfahrenshandlungen im Sinne von Artikel 24 (3) Satz 2 EPÜ (Ziffer 1.5.2).
- Ein Spruchkörper ist nicht generell verpflichtet, in der mündlichen Verhandlung Erklärungen oder Begründungen für die Auffassung der Kammer zu geben. Das Fehlen einer solchen Begründung rechtfertigt in der Regel nicht die Besorgnis der Befangenheit (Ziffer 2.3.1).
- Die Einleitung der durch ein Beratungsergebnis bedingten notwendigen weiteren Verfahrensschritte rechtfertigt nicht die Besorgnis der Befangenheit (Ziffer 2.3.2).
I. In der mündlichen Verhandlung vom XX XXX XXXX stellte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) einen Antrag auf Ablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit gegen alle an der Verhandlung mitwirkenden Mitglieder der Kammer in ihrer seinerzeitigen Besetzung. Diese Kammerbesetzung war den Parteien in der Mitteilung vom XX XXX XXXX mitgeteilt worden (im Folgenden: "die Beschwerdekammer" oder "die Kammer in der originären Besetzung").
II. Das zugrundeliegende Beschwerdeverfahren betrifft die Beschwerde der Einsprechenden (Beschwerdeführerin) gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch zurückzuweisen. In der angefochtenen Entscheidung würdigte die Einspruchsabteilung unter anderem die von der Beschwerdeführerin eingereichten schriftlichen Zeugenerklärungen zu bestimmten Vorbenutzungen, die die Beschwerdeführerin geltend gemacht hatte. Eine mündliche Vernehmung der Zeugen erfolgte im Einspruchsverfahren nicht.
Die Kammer in der originären Besetzung erließ am XX XXX XXXX eine Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020, in der sie ihre vorläufige Auffassung mitteilte. Unter anderem führte sie aus, dass die Nichtanhörung von Zeugen im Einspruchsverfahren unter den damaligen Umständen keine Verletzung des rechtlichen Gehörs und damit auch kein schwerwiegender Verfahrensfehler gewesen sei. Der Grund für das Nichterscheinen der Begleitpersonen in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung sei jedoch ein Fall von Force Majeure gewesen. Da die Zeugenvernehmung relevant sei, sei die Kammer geneigt, die von der Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren benannten Zeugen zu hören. Nach Artikel 12 (4) VOBK 2007 liege es im Ermessen der Kammer, neue Beweismittel in das Verfahren zuzulassen.
In der auf den XX XXX XXXX datierten Zwischenentscheidung ordnete die Beschwerdekammer eine Beweisaufnahme durch Vernehmung der von der Beschwerdeführerin benannten Zeugen an.
Die Beschwerdegegnerin beantragte mit Schriftsatz vom 21. Dezember 2020 unter anderem, diese Zwischenentscheidung aufzuheben und von der Zeugenvernehmung abzusehen, da diese im Widerspruch zur Rechtsprechung der Beschwerdekammern stehe und den Streitgegenstand im Beschwerdeverfahren zu ihrem Nachteil verändere. Mit Schriftsatz vom 22. Juni 2021 bekräftigte sie ihre Anträge und beantragte, die für den XX XXX XXXX angesetzte mündliche Verhandlung als Videokonferenz durchzuführen.
In einer Mitteilung vom XX XXX XXXX wies die Kammer in der originären Besetzung darauf hin, dass an dem vorgesehenen Termin zur mündlichen Verhandlung festgehalten werde. Es sei beabsichtigt, die Verhandlung ohne die Zeugen als Videokonferenz durchzuführen, um insbesondere die Fragen und Anträge der Beschwerdegegnerin zu diskutieren.
Die mündliche Verhandlung fand am XX XXX XXXX statt und wurde als Videokonferenz durchgeführt. Ausweislich der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung verkündete der Vorsitzende zu Beginn der Debatte die vorläufige Meinung der Kammer. Zur Frage der Zulässigkeit des Einspruchs verwies die Beschwerdegegnerin sodann auf ihr schriftsätzliches Vorbringen. Im weiteren Verlauf der Verhandlung wurde die Frage, ob die Entscheidung der Kammer über die Beweisaufnahme durch Vernehmung von Zeugen aufzuheben sei, mit den Beteiligten erörtert. Nach einer Unterbrechung zur Beratung der Kammer verkündete der Vorsitzende sodann, dass die Kammer die Entscheidung über die Vernehmung von Zeugen aufrechterhalte und dass die Zeugen persönlich und damit nicht im Rahmen einer Videokonferenz zu vernehmen seien.
Die Beschwerdegegnerin erklärte daraufhin, dass sie alle Mitglieder der Kammer wegen der Besorgnis der Befangenheit ablehne. Die Beschwerdeführerin nahm hierzu nicht Stellung. Nach einer Unterbrechung zur Beratung erklärte der Vorsitzende, dass das Ablehnungsverfahren eingeleitet werde und schloss die mündliche Verhandlung.
III. Am 23. August 2021 wurden die Beteiligten darüber informiert, in welcher Besetzung die Beschwerdekammer nach Artikel 24 (4) EPÜ über den Antrag auf Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit entscheiden wird. Durch Mitteilung vom 28. September 2021 forderte die Kammer in dieser Besetzung die Beschwerdegegnerin auf, ihren in der Verhandlung lediglich mündlich gestellten Antrag auf Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit schriftlich zu begründen soweit dies zuvor mündlich in der Verhandlung erfolgt ist.
IV. Mit Schriftsatz vom 12. Oktober 2021 beantragte die Beschwerdegegnerin die Berichtigung des Protokolls und die Aussetzung der Frist zur Begründung des Ablehnungsantrags bis zur Entscheidung über die Berichtigung des Protokolls. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die schriftliche Begründung im Schriftsatz der Beschwerdegegnerin vom 12. Oktober 2021 verwiesen.
V. Der Antrag auf Ergänzung der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung wurde an den Vorsitzenden der Kammer in der originären Besetzung zur weiteren Veranlassung weitergeleitet.
Den Antrag der Beschwerdegegnerin auf Aussetzung der Frist zur Begründung des Antrags auf Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit bis zur Entscheidung über die Berichtigung des Protokolls wies die Kammer in der Besetzung nach Artikel 24 (4) EPÜ durch Mitteilung vom 2. November 2021 zurück. Auf diese Mitteilung wird wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen.
VI. Die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung wurde berichtigt. Ausweislich der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung in der berichtigten Fassung vom XX XXX XXXX begründete die Beschwerdegegnerin ihren Antrag auf Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit in der mündlichen Verhandlung damit, dass die Kammer ihre wiederholt vorgetragenen Argumente bei der Meinungsbildung offensichtlich ignoriert habe und die Verfahrensführung durch die Kammer unausgewogen sei.
VII. Mit Schriftsatz vom 3. Dezember 2021 machte die Beschwerdegegnerin unter Bezugnahme auf ihre in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Argumente weitere schriftliche Ausführungen zur Begründung ihres Befangenheitsantrags.
Die Beschwerdegegnerin führte hierzu insbesondere aus, dass sie die Begründung der Beschwerdekammer für die erstmalige Vernehmung der fünf Zeugen im Beschwerdeverfahren, die in der Zwischenentscheidung der Beschwerdekammer vom XX XXX XXXX angeordnet worden sei, inhaltlich ablehne. Dies begründe jedoch nicht die Besorgnis der Befangenheit. Diese beruhe vielmehr darauf, dass die Beschwerdekammer in dieser Zwischenentscheidung und in der Kammermitteilung vom XX XXX XXXX den von der Beschwerdeführerin nicht begründeten Antrag auf Zeugenvernehmung einfach selbst begründet habe, indem sie auf eigene Initiative unzutreffende Argumente, sowie eine den Parteien vorbehaltene Einrede, in das Verfahren eingebracht habe. Durch die in dem Beweisbeschluss angeordnete Beweisaufnahme verweigere die Kammer die Entscheidung in einem entscheidungsreifen Beschwerdeverfahren.
Die Beschwerdekammer habe zudem in der mündlichen Verhandlung jegliche inhaltliche Auseinandersetzung über ihre eigene Begründung in der Mitteilung und in der Zwischenentscheidung verweigert, indem sie sich weigerte, zu erläutern, warum den Argumenten der Beschwerdegegnerin nicht gefolgt werde. Dies zeige, dass keine gegenüber beiden Parteien gleichermaßen offene Verfahrensgestaltung vorliege. Aufgrund der Zulassung der Zeugenvernehmung seien zudem mehrere Vertagungen notwendig gewesen, die zu einer Verzögerung des Verfahrens geführt hätten. Die Kammer verweigere daher die Entscheidung in einem entscheidungsreifen Beschwerdeverfahren.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die schriftliche Begründung im Schriftsatz der Beschwerdegegnerin vom 3. Dezember 2021 verwiesen.
VIII. Den Mitgliedern der Kammer in der originären Besetzung wurde die schriftliche Begründung der Beschwerdegegnerin vom 3. Dezember 2021 für den Antrag auf Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit gemäß Artikel 3 (2) VOBK 2020 zugeleitet. In ihren Äußerungen haben die Kammermitglieder jeweils sinngemäß erklärt, dass sie die Begründung des Ablehnungsantrags zur Kenntnis genommen haben, aus der Schilderung der Verfahrensabläufe jedoch keinen Grund erkennen können, als befangen angesehen zu werden.
IX. Mit Schriftsatz vom 7. Februar 2022 äußerte sich die Beschwerdeführerin zu dem Antrag der Beschwerdegegnerin auf Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit. Nach ihrer Ansicht sei kein Umstand erkennbar, der eine Besorgnis der Befangenheit der Kammermitglieder begründen könne.
X. Mit Schriftsatz vom 21. Februar 2022 ergänzte die Beschwerdegegnerin die Begründung ihres ursprünglichen Befangenheitsantrags und vertrat die Auffassung, dass die Kammermitglieder sich nicht ordnungsgemäß zu dem Befangenheitsantrag geäußert hätten. Sie ist der Ansicht, dass die Stellungnahmen unzulänglich seien, weil sie auf die zur Begründung des Ablehnungsantrags vorgebrachten inneren und äußeren Tatsachen nicht eingehen würden und weil irrelevant sei, ob die Mitglieder sich, wie von ihnen angegeben, selbst nicht als befangen ansehen.
Die Beschwerdegegnerin nahm dies zum Anlass, die Kammer in ihrer originären Besetzung (die einzelnen Mitglieder und die "Beschwerdekammer als Ganzes") aus diesem weiteren Grund wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Zudem regte sie eine ergänzende Stellungnahme der Mitglieder an. Hilfsweise beantragte sie, "die abgelehnten Kammermitglieder als präsente Zeugen" zu vernehmen.
1. Zulässigkeit des Antrags auf Ablehnung (Artikel 24 EPÜ)
1.1 Statthaftigkeit des Antrags auf Ablehnung (Artikel 24 (3) EPÜ)
Die Mitglieder der Beschwerdekammern können von jedem Beteiligten gemäß Artikel 24 (3) EPÜ wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden (zu den zugrundeliegenden Prinzipien im Einzelnen: G 1/21 vom 17. Mai 2021, Entscheidungsgründe, Nr. 1 a.-h. (Rz.10)).
Vorliegend richtet sich der ursprüngliche Antrag der Beschwerdegegnerin auf Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit gegen sämtliche Mitglieder, die in der mündlichen Verhandlung vom XX XXX XXXX mitgewirkt haben. Dies gilt auch für den ergänzenden Antrag im Schriftsatz vom 21. Februar 2022.
Der in diesem letztgenannten Schriftsatz zusätzlich erklärten Ablehnung der "Kammer als Ganzes", kommt keine darüber hinausgehende Bedeutung zu, da sich die Ablehnung gemäß Artikel 24 EPÜ stets gegen bestimmte Mitglieder der Kammer zu richten hat. Befangenheit ist schließlich ein Wesensmerkmal einer menschlichen Person und kann damit nicht einem Spruchkörper an sich, sondern nur dessen Mitgliedern zugeordnet werden.
1.2 Zuständigkeit für die Entscheidung über den Antrag auf Ablehnung (Artikel 24 (4) EPÜ)
Die betroffenen Mitglieder wirken gemäß Artikel 24 (4) EPÜ an der Entscheidung über den Ablehnungsantrag nicht mit. Sofern die Mitglieder der Kammer in ihrer originären Besetzung den Antrag auf Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit nicht von vornherein als im Ganzen unzulässig ansehen, obliegt die weitere Würdigung und Entscheidung über den Ablehnungsantrag daher nach Artikel 24 (4) EPÜ den Vertretern der abgelehnten Mitglieder.
Vorliegend hat die Kammer in ihrer originären Besetzung das Ablehnungsverfahren eingeleitet. Zuständig für die Entscheidung über den vorliegenden Ablehnungsantrag ist deshalb gemäß Artikel 24 (4) EPÜ die Kammer in der Besetzung gemäß Mitteilung vom 23. August 2021. Die Kammer in der neuen Besetzung hat eigenständig über die Zulässigkeit und Begründetheit des Ablehnungsantrags zu entscheiden (T 1028/96, ABl. EPA 2000, 475, Entscheidungsgründe Nr.1).
1.3 Begründung des Antrags auf Ablehnung
Die Zulässigkeit eines Antrags auf Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit setzt voraus, dass der Antrag begründet wurde, d.h. dass zumindest die minimalen Anforderungen an eine Begründung erfüllt sind, indem überhaupt Tatsachen und Argumente zur Stützung des Antrags vorgebracht wurden (vergleiche R 12/09, Entscheidung vom 3. Dezember 2009, Entscheidungsgründe Nr.2; T 1028/96, ABl. EPA 2000, 475, Entscheidungsgründe Nr.2). Ein Antrag, der ausschließlich auf rein subjektive Zweifel gestützt wird, wäre daher unzulässig.
Vorliegend ist eine Begründung des in der mündlichen Verhandlung gestellten Ablehnungsantrags erfolgt, denn ausweislich der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung in der berichtigten Fassung vom XX XXX XXXX hat die Beschwerdegegnerin ihren Ablehnungsantrag während der mündlichen Verhandlung damit begründet, dass die Kammer Argumente der Beschwerdegegnerin bei der Meinungsbildung offensichtlich ignoriert habe und die Verfahrensführung durch die Kammer unausgewogen sei. Auch der von der Beschwerdegegnerin mit Schriftsatz vom 3. Dezember 2021 eingereichten schriftlichen Begründung des Befangenheitsantrags ist zu entnehmen, dass während der mündlichen Verhandlung eine Begründung des Antrags erfolgt ist.
Wegen der ergänzenden Begründung des Ablehnungsantrags der Beschwerdegegnerin in ihrem Schriftsatz vom 21. Februar 2022 wird auf die nachfolgende Ziffer 1.4 verwiesen.
1.4 Unzulässigkeit wegen offensichtlich falscher Auslegung der verfahrensrechtlichen Pflichten
Die ergänzende Begründung des Antrags auf Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit vom 21. Februar 2022 beruht auf einer offensichtlich falschen Auslegung der verfahrensrechtlichen Pflichten und ist deshalb unzulässig.
Eine Ablehnung, die durch die im Verfahren befindlichen Tatsachen nicht gestützt wird, weil diese aus rechtlicher Sicht offensichtlich ungeeignet sind, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen, ist unzulässig (T 1028/96, ABl. EPA 2000, 475, Entscheidungsgründe Nr. 2; R 12/09, Entscheidung vom 3. Dezember 2009, Entscheidungsgründe Nr.2; T 355/13, Entscheidungsgründe Nr.2.2). Dies ist der Fall, wenn die Begründung des Antrags auf einer offensichtlich falschen Auslegung verfahrensrechtlicher Regeln und Pflichten beruht (T 355/13, Entscheidungsgründe Nr.2.4.2).
1.4.1 Mit Schriftsatz vom 21. Februar 2022 ergänzte die Beschwerdegegnerin ihren Antrag auf Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit im Hinblick auf die dienstlichen Äußerungen der Mitglieder. Dies begründete sie pauschal damit, dass die Kammermitglieder sich nicht, wie in Artikel 3(2) VOBK 2020 vorgesehen, zum Ablehnungsantrag geäußert hätten. Es sei generell notwendig, dass sich ein wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehntes Mitglied in seiner Stellungnahme mit den im Ablehnungsantrag vorgetragenen inneren und äußeren Tatsachen auseinandersetze.
1.4.2 Die Annahme der Beschwerdegegnerin, dass der Inhalt der im vorliegenden Verfahren abgegebenen Stellungnahmen die Besorgnis der Befangenheit begründe, beruht auf einer offensichtlich falschen Auslegung von Sinn und Zweck der Stellungnahme eines abgelehnten Mitglieds.
1.4.3 Den abgelehnten Mitgliedern der Beschwerdekammer ist der Antrag auf Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit vorzulegen (Artikel 3 (2) VOBK 2020). Formale Vorgaben oder Grenzen für den Inhalt einer solchen Stellungnahme sind nicht normiert (vgl. T 190/03, ABl. EPA 2006, 502, Entscheidungsgründe Nr.27). Mit Hilfe der Stellungnahme soll bei Bedarf eine weitere Aufklärung des antragsgegenständlichen Sachverhalts erfolgen und dem abgelehnten Mitglied soll die Möglichkeit gegeben werden, sich zu den zur Begründung des Ablehnungsantrags vorgebrachten Aspekten zu äußern.
Sofern das Mitglied Ergänzungen oder Richtigstellungen der vorgebrachten Tatsachen für notwendig erachtet, sind diese mitzuteilen. Soweit die zur Begründung des Ablehnungsantrags geschilderten Tatsachen aus Sicht des abgelehnten Mitglieds zutreffen und aus objektiver Sicht keiner Ergänzung bedürfen, ist eine Stellungnahme jedoch entbehrlich. Es trifft daher nicht zu, dass ein abgelehntes Mitglied stets eine Stellungnahme abgeben müsste. Konkrete Gründe, warum eine Stellungnahme vorliegend objektiv notwendig gewesen sein sollte, sind weder ersichtlich, noch hat die Beschwerdegegnerin solche dargelegt.
Das Mitglied hat zudem die Möglichkeit anzugeben, ob es einen sonstigen Grund sieht, nicht an dem Verfahren mitwirken zu können und ob es sich gegebenenfalls selbst aufgrund innerer Beweggründe tatsächlich befangen fühlt.
Soweit jedoch ein Antragsteller zur Begründung des Ablehnungsantrags lediglich Vermutungen im Hinblick auf die inneren Beweggründe eines abgelehnten Mitglieds vorbringt, ist eine Stellungnahme des Mitglieds hierzu nicht zwingend erforderlich.
Es besteht auch keine Verpflichtung des abgelehnten Mitglieds, sich mit den rechtlichen Erwägungen oder Schlussfolgerungen, die zur Begründung des Ablehnungsantrags vorgebracht wurden, auseinanderzusetzen, sich diesen gegenüber zu rechtfertigen oder diese zu würdigen. Diese Würdigung obliegt vielmehr den nach Artikel 24 (4) EPÜ für die Entscheidung über den Ablehnungsantrag zuständigen Vertretern der abgelehnten Mitglieder.
Vor diesem Hintergrund ist es aus rechtlicher Sicht nicht zu beanstanden, wenn ein abgelehntes Mitglied, das keine Korrektur oder Ergänzung der in der Antragsbegründung dargelegten Tatsachen für notwendig erachtet, sich darauf beschränkt mitzuteilen, dass es sich nicht befangen fühle bzw. aus der Schilderung der Verfahrensabläufe keinen Grund dafür erkenne, als befangen angesehen zu werden, wenn - wie hier - auch objektiv keine Ergänzungen des Sachverhalts notwendig sind.
1.4.4 Die pauschale Behauptung, ein abgelehntes Mitglied müsse zu allen vorgebrachten inneren und äußeren Tatsachen in dem Ablehnungsantrag Stellung nehmen, ist daher nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Der von der Beschwerdegegnerin auf die hier eingereichten Stellungnahmen der Mitglieder der Beschwerdekammern gestützte ergänzende Befangenheitseinwand ist daher offensichtlich nicht geeignet, eine Besorgnis der Befangenheit zu begründen und daher unzulässig.
Vor diesem Hintergrund besteht auch keine Notwendigkeit, weitere Stellungnahmen hierzu einzuholen oder dem Antrag der Beschwerdegegnerin "die abgelehnten Kammermitglieder als präsente Zeugen" zu vernehmen, nachzukommen. Der Antrag auf Vernehmung der abgelehnten Mitglieder als Zeugen wird daher abgelehnt.
1.5 Antragstellung vor der Vornahme weiterer Verfahrenshandlungen (Artikel 24 (3) Satz 2 EPÜ)
1.5.1 Nach Artikel 24 (3) Satz 2 EPÜ ist eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr zulässig, wenn der Antragsteller Verfahrenshandlungen vorgenommen hat, obwohl er bereits den Ablehnungsgrund kannte. Hierdurch sollen mögliche Missbräuche durch verspätete Ablehnungsanträge vermieden werden (vergleiche G 5/91, Amtsblatt 1992, 617, Entscheidungsgründe 4).
1.5.2 Im vorliegenden Verfahren hat die Beschwerdegegnerin die Besorgnis der Befangenheit unter anderem auf die Ausführungen der Beschwerdekammer gestützt, die in der Mitteilung vom XX XXX XXXX erfolgt sind und zu der Zwischenentscheidung vom XX XXX XXXX geführt haben. Diese Schriftstücke wurden der Beschwerdegegnerin übermittelt, so dass die Beschwerdegegnerin sie zur Kenntnis nehmen konnte. Die Beschwerdegegnerin hat jedoch nach Kenntnisnahme des Inhalts der Mitteilung und der Zwischenentscheidung - und damit nach Kenntnis des behaupteten, hierauf gestützten Ablehnungsgrundes - Verfahrenshandlungen im Sinne von Artikel 24 (3) Satz 2 EPÜ vorgenommen, so dass die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit insoweit unzulässig ist.
Die Beschwerdegegnerin hat sich nämlich bereits mit Schriftsatz vom 21. Dezember 2020 und vom 22. Juni 2021 kritisch zu den Darlegungen in der Mitteilung der Beschwerdekammer vom XX XXX XXXX und zur Zwischenentscheidung vom XX XXX XXXX geäußert und diverse diesbezügliche Anträge gestellt, ohne jedoch einen Antrag auf Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit zu stellen. Die Beschwerdegegnerin hat insbesondere beantragt, die Zwischenentscheidung vom XX XXX XXXX aufzuheben und von der Zeugenvernehmung abzusehen, da diese im Widerspruch zur Rechtsprechung der Beschwerdekammern stehe und den Streitgegenstand im Beschwerdeverfahren zu ihrem Nachteil verändere. Zudem hat sie die Durchführung der mündlichen Verhandlung als Videokonferenz beantragt.
Die Stellung eines Antrags ist eine Verfahrenshandlung im Sinne von Artikel 24 (3) Satz 2 EPÜ, denn sie bezweckt die Initiierung eines Entscheidungsprozesses der Kammer.
Auch die auf die ergangene Mitteilung und Zwischenentscheidung der Kammer bezogene Argumentation in der Sache ist als Verfahrenshandlung zu qualifizieren (vgl. T 49/15, Entscheidungsgründe 3.2). Zudem hat sich die Beschwerdegegnerin ausweislich des Protokolls und ihrer eigenen Ausführungen auch in der mündlichen Verhandlung vom XX XXX XXXX zunächst zur Sache eingelassen, ohne im Hinblick auf den vorherigen Verfahrensablauf, die ergangenen Verfahrenshandlungen und Darlegungen der Beschwerdekammer in der Mitteilung und Zwischenentscheidung, einen Antrag auf Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit zu stellen.
1.5.3 Der Antrag auf Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit kann daher nicht in zulässiger Weise auf die vor der mündlichen Verhandlung erlassene Zwischenentscheidung vom XX XXX XXXX, auf die Mitteilung vom XX XXX XXXX und die darin enthaltenen Darlegungen und Begründungen der Beschwerdekammer gestützt werden.
Vor diesem Hintergrund kann der Antrag auf Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit insbesondere nicht in zulässiger Weise auf die Darlegungen der Beschwerdegegnerin gestützt werden, wonach die Beschwerdekammer:
- durch ihre Begründung in der Mitteilung und der Zwischenentscheidung selbst und unter Missachtung der Interessen der Beschwerdegegnerin eigene und unzutreffende Argumente sowie eine den Parteien vorbehaltene Einrede in das Beschwerdeverfahren eingebracht habe;
- durch die in dem Beweisbeschluss angeordnete Beweisaufnahme die Entscheidung in einem entscheidungsreifen Beschwerdeverfahren verweigere.
1.5.4 Der Antrag auf Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit vom XX XXX XXXX ist jedoch insoweit nicht nach Artikel 24 (3) Satz 2 EPÜ ausgeschlossen, als er auf Geschehnisse gestützt wird, die sich in der mündlichen Verhandlung am XX XXX XXXX im Verlauf der Erörterung der Frage, ob die Entscheidung der Kammer über die Beweisaufnahme durch die Vernehmung von Zeugen aufzuheben sei, ereignet haben sollen.
2. Begründetheit des Antrags auf Ablehnung (Artikel 24 (3) EPÜ)
2.1 Wie aus dem Wortlaut der Bestimmung hervorgeht, ist eine Ablehnung nach Artikel 24 (3) Satz 1 EPÜ nicht nur dann gerechtfertigt, wenn tatsächlich eine Befangenheit des betreffenden Kammermitglieds gegeben ist (tatsächliche Befangenheit aus subjektiven Gründen). Es reicht vielmehr aus, dass eine Besorgnis der Befangenheit vorliegt, d.h. ein Anschein der Befangenheit aus objektiven Gründen (G 1/05, Entscheidung vom 7. Dezember 2006, ABl. EPA 2007, 362, Entscheidungsgründe Nr.19; T 190/03, ABl. EPA 2006, 502, Entscheidungsgründe Nr.9). Die Besorgnis der Befangenheit ist gerechtfertigt, wenn eine vernünftige, objektive und informierte Person angesichts der Sachlage mit gutem Grund befürchten würde, dass das Mitglied den Fall nicht unvoreingenommen behandelt hat oder behandeln würde (G 1/05, Entscheidung vom 7. Dezember 2006, ABl. EPA 2007, 362, Entscheidungsgründe Nr.20; G 1/21 vom 17. Mai 2021, Nr. 1 g. (Rz.10); R 2/12, Entscheidungsgründe Nr. 2.1). Rein subjektive Eindrücke oder allgemeine Verdächtigungen sind jedoch nicht ausreichend (G 1/05, Entscheidung vom 7. Dezember 2006, ABl. EPA 2007, 362, Entscheidungsgründe Nr.20; R 2/12, Entscheidungsgründe Nr.2.1).
2.2 Im Hinblick auf die Sachverhalte, die sich in der mündlichen Verhandlung am XX XXX XXXX im Verlauf der Erörterung der Frage, ob die Entscheidung der Kammer über die Beweisaufnahme durch die Vernehmung von Zeugen aufzuheben sei oder danach ereignet haben sollen, begründete die Beschwerdegegnerin ihren Antrag wie folgt:
2.2.1 Im Verlauf der mündlichen Verhandlung habe die Beschwerdekammer - trotz ausdrücklicher Bitte der Beschwerdegegnerin - nicht dargelegt, aus welchem Grund die Argumentation der Beschwerdegegnerin nicht zutreffe. Dies betreffe insbesondere die Argumente der Beschwerdegegnerin im Hinblick auf die angeordnete Beweisaufnahme, die inhaltlichen Bedenken gegenüber den Ausführungen der Beschwerdekammer zu einem Fall von "Force Majeure" sowie zur Unzulässigkeit einer Antragsformulierung bzw. Begründung durch die Kammer selbst. Den mehrfach geäußerten Bedenken der Beschwerdegegnerin sei die Kammer lediglich mit Schweigen, einem Hinweis auf die Verfahrensordnung der Beschwerdekammern und der allgemeinen Versicherung, dass eine Voreingenommenheit der Kammer nicht zu befürchten sei, begegnet. Zudem sei der unglückliche Verlauf des Einspruchsverfahrens bedauert und die schriftlich mitgeteilte Einschätzung wiederholt worden, dass die Zeugeneinvernahme als für die zugrunde liegende Entscheidung relevant angesehen werde. Eine inhaltliche Auseinandersetzung oder auch nur Stellungnahme der Beschwerdekammer habe in der Verhandlung daher de facto nicht stattgefunden, sondern sei verweigert worden.
2.2.2 Die Beschwerdekammer habe zudem auch im Verlauf der mündlichen Verhandlung an ihrer Entscheidung zur Zeugeneinvernahme an einem weiteren noch zu bestimmenden Verhandlungstermin festgehalten. So habe die Beschwerdekammer eine erneute, nunmehr dritte Terminierung zur Zeugeneinvernahme angekündigt und zwar ausgerechnet für den zu erwartenden erneuten Höhepunkt der Pandemie im Januar 2022, der eine Teilnahme der Zeugen aus Großbritannien unwahrscheinlich mache, sodass mit weiteren Vertagungen fest zu rechnen sei. Die Kammer nehme daher eine weitere mehrjährige Verfahrensverzögerung zu Ungunsten der Beschwerdegegnerin in Kauf.
2.2.3 Obwohl die Kammer noch in der Ladung zur mündlichen Verhandlung am XX XXX XXXX mitgeteilt hatte, dass eine fernmündliche Einvernahme von Zeugen im Beschwerdeverfahren nicht zweckmäßig erscheine, hätten die Kammermitglieder im Verlauf der mündlichen Verhandlung aus eigener Initiative und ohne Anregung durch die an der Zeugeneinvernahme eigentlich interessierte Beschwerdeführerin eben eine solche fernmündliche Vernehmung der Zeugen angeregt. Nach der Unterbrechung der mündlichen Verhandlung habe der Vorsitzende dann die Notwendigkeit eines weiteren Präsenztermins angekündigt. Dieses Verfahren zeige, dass alle verfahrensleitenden Maßnahmen auf das Ziel ausgerichtet seien, die Durchführung der Zeugenvernehmung zu erzwingen, um eine von der Entscheidung der Einspruchsabteilung abweichende Meinung begründen zu können. Ausgehend von der das Verfahren prägenden Zwischenentscheidung vom XX XXX XXXX argumentiere die Beschwerdekammer durchgängig "vom Ergebnis her". Die Kammer treffe immer weiter verfahrensleitende Entscheidungen, die die Vernehmung der Zeugen sicherstellen sollen, die jedoch mit dem Auftrag der Beschwerdekammer, die Entscheidung der Einspruchsabteilung zu überprüfen, keine Berührungspunkte mehr hätten und mit einer Ausgewogenheit gegenüber beiden Vertragsparteien objektiv nicht mehr vereinbar seien.
Die Beschwerdekammer habe Vorschriften des EPÜ und die Rechtsprechung der Beschwerdekammern missachtet, was zu einem unfairen Verfahren geführt habe und durch schriftliche sowie mündliche Einlassungen dokumentiert worden sei.
2.2.4 Das beharrliche Festhalten an der die Beschwerdeführerin begünstigenden Vorgehensweise stelle eine vorsätzliche Handlung dar, die die Befangenheit objektiv begründe.
Die Mitglieder der Beschwerdekammer seien bereits aufgrund der lediglich schriftlich überreichten Stellungnahmen der Zeugen zu einer Meinung gelangt, die durch die Vernehmung lediglich formal untermauert werden solle.
Im übrigen begründe auch der mit der (fehlerhaft) angeordneten Zeugenvernehmung verbundene Rechtfertigungsdruck die Besorgnis der Befangenheit.
2.3 Die von der Beschwerdegegnerin vorgebrachten Gründe rechtfertigen weder die tatsächliche Befangenheit noch die Besorgnis der Befangenheit der abgelehnten Mitglieder.
2.3.1 Ein Spruchkörper ist nicht generell verpflichtet, in der mündlichen Verhandlung Erklärungen oder Begründungen für die vorläufige oder für die (nach Erörterung und Beratung) abschließende Auffassung der Kammer zu geben. Das Fehlen einer solchen Begründung kann daher in der Regel keine Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen.
Ausweislich der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung hat der Vorsitzende der Kammer in der originären Besetzung die vorläufige Ansicht der Kammer unter anderem zur Vernehmung der in der Zwischenentscheidung genannten Zeugen mitgeteilt. Im weiteren Verlauf der Verhandlung wurde sodann mit den Beteiligten erörtert, ob die Entscheidung der Kammer über die Beweisaufnahme durch Zeugen aufzuheben sei. Nach einer Unterbrechung zur Beratung der Kammer verkündete der Vorsitzende sodann, dass die Kammer die Entscheidung über die Beweisaufnahme durch die Vernehmung von Zeugen aufrechterhalte, dass die Zeugen persönlich zu erscheinen haben und nicht mittels Videokonferenz zu vernehmen seien.
Die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung und die Ausführungen der Beschwerdegegnerin selbst lassen erkennen, dass die Kammer in der originären Besetzung den Beteiligten, und damit auch der Beschwerdegegnerin, die Möglichkeit gegeben hat, ihre Argumente im Hinblick auf die Auffassung der Kammer zur Durchführung einer Beweisaufnahme durch Zeugenvernehmung vorzubringen und dass sie die Verhandlung danach unterbrochen hat, um die erörterten Aspekte zu beraten. Dieses Vorgehen entspricht dem üblichen Vorgehen und den Anforderungen an eine mündliche Verhandlung im Sinne von Artikel 116 EPÜ.
Aufgabe einer mündlichen Verhandlung ist es, den Beteiligten Gelegenheit zu geben, Tatsachen, Beweismittel und Argumente zur Stützung ihres Vorbringens mündlich vorzutragen (G 1/21 vom 16. Juli 2021, Entscheidungsgründe C.3, Nr.28). Der Spruchkörper muss das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis nehmen und hat zudem die Möglichkeit, Fragen zu stellen und ergänzende Anmerkungen vorzubringen (G 1/21 vom 16. Juli 2021, Entscheidungsgründe C.3, Nr.28; R 3/10, Entscheidungsgründe Nr.2.11). Sofern die Kammer in der mündlichen Verhandlung neue Aspekte einführt, sind die Parteien dazu zu hören. Die Auseinandersetzung mit dem Vorbringen der Parteien und die damit verbundene Würdigung der vorgetragenen Tatsachen und Rechtsansichten erfolgt indes erst im Rahmen der Kammerberatung.
Den Parteien soll während der Debatte zudem die Möglichkeit eingeräumt werden, zu den Fragen und Äußerungen der Kammer bzw. der übrigen Beteiligten ergänzend oder klarstellend vorzutragen (R 3/10, Entscheidungsgründe Nr. 2.11). In diesem Zusammenhang kann auch die Kammer selbst eine vorläufige Ansicht äußern und begründen, sie ist hierzu jedoch nicht generell verpflichtet. Es ist insbesondere nicht die Verpflichtung der Kammer, den Beteiligten in der Verhandlung mündlich eine Begründung der vorläufigen Ansicht der Kammer oder der nach Beratung erzielten Zwischenergebnisse zu präsentieren. Zwar kann eine Beschwerdekammer eine solche Begründung geben, wenn sie dies, zum Beispiel für den weiteren Verfahrensgang und die nachfolgenden Prüfungsaspekte, für sinnvoll erachtet, zwingend hat die Begründung der Entscheidung und der ihr zugrundeliegenden Schlussfolgerungen indes erst in den Entscheidungsgründen der schriftlich abzufassenden Entscheidung zu erfolgen (vgl. Regel 102 g) EPÜ).
Vor diesem Hintergrund kann der Vortrag der Beschwerdegegnerin, dass die Beschwerdekammer nicht dargelegt habe, aus welchem Grund ihre Argumentation nicht zutreffe, sondern hierzu geschwiegen habe, nicht die Besorgnis der Befangenheit begründen.
Allerdings ergibt sich aus dem eigenen Vortrag der Beschwerdegegnerin, dass die Kammer nicht ausschließlich geschwiegen hat, sondern von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, ihre Erwägungen offenzulegen. Insoweit ist jedoch in keiner Weise ersichtlich, warum der Hinweis des Vorsitzenden auf eine Vorschrift der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern, der Hinweis eines Kammermitglieds auf den Verlauf des Einspruchsverfahrens und auf die schriftlichen Ausführungen der Kammer zur Relevanz der Zeugenaussagen Anlass zur Besorgnis der Befangenheit der Beschwerdekammer geben sollten. Gleiches gilt für den Hinweis eines Mitglieds auf die Unvoreingenommenheit der Kammer.
Soweit die Beschwerdegegnerin aus der unterbliebenen mündlichen Stellungnahme der Kammer den Schluss gezogen hat, dass eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den von der Beschwerdegegnerin vorgetragenen Argumenten nicht stattgefunden habe, handelt es sich um eine bloße Vermutung, die nicht auf objektive Tatsachen gestützt wird. Der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung ist nämlich, wie bereits oben dargelegt, zu entnehmen, dass die Beschwerdekammer den Beteiligten zunächst die Gelegenheit gegeben hat, die streitigen Aspekte zu erörtern und sich sodann zur Beratung zurückgezogen hat. Dies entspricht dem üblichen Ablauf innerhalb eines mehrköpfigen Spruchkörpers, um sich mit dem Vorbringen der Beteiligten inhaltlich auseinanderzusetzen.
Ein Spruchkörper nutzt die Beratungspause regelmäßig, um das Vorbringen der Beteiligten innerhalb der Kammer zu erörtern, wechselseitige Ansichten und Argumente dazu auszutauschen und schließlich (gegebenenfalls nach Abstimmung) ein Ergebnis zu finden. Objektive Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend ein anderes Prozedere erfolgt wäre, sind weder ersichtlich noch vorgetragen.
Auch der weitere Ablauf, nämlich die Verkündung des Beratungsergebnisses durch den Vorsitzenden ohne inhaltliche Begründung des Ergebnisses, entspricht im Übrigen der üblichen Vorgehensweise in mündlichen Verhandlungen, da die Begründung, wie bereits dargelegt, erst in der schriftlichen Entscheidung erfolgen muss.
2.3.2 Das Festhalten an einer vorläufigen Ansicht nach Erörterung der Sach- und Rechtslage in der mündlichen Verhandlung und anschließender Beratung ist ebenfalls nicht geeignet, eine Besorgnis der Befangenheit zu begründen.
Es liegt in der Natur eines jeden Verfahrens, dass der Spruchkörper nach Erörterung der Sach- und Rechtslage und anschließender Beratung eine (Zwischen-)Entscheidung treffen muss. Diese kann entweder eine Bestätigung oder eine Abänderung der vorläufigen Kammeransicht oder der Zwischenentscheidung der Kammer beinhalten. In zweiseitigen Verfahren mit widerstreitenden Parteiinteressen wird die Entscheidung in der Regel der Argumentation eines Beteiligten zuwiderlaufen, was in der Natur eines kontradiktorischen Verfahrens liegt. Aus dem entsprechenden Beratungsergebnis kann daher nicht der Schluss gezogen werden, die Beschwerdekammer argumentiere vom Ergebnis her und versuche, ihre zuvor mitgeteilte Ansicht durch die weiteren Verfahrensschritte zu rechtfertigen. Es handelt sich dementsprechend auch nicht um den Ausdruck einer unausgewogenen unfairen Verfahrensführung, sondern um notwendige Schritte zur Erledigung eines streitigen Verfahrens.
Die Veranlassung der durch ein Beratungsergebnis bedingten notwendigen Verfahrensschritte kann eine Besorgnis der Befangenheit nicht begründen.
Eine Beschwerdekammer hat die weiteren Verfahrensschritte an dem Beratungsergebnis auszurichten. Wenn - wie im vorliegenden Fall - die Zwischenentscheidung der Kammer über eine Beweisaufnahme nicht aufgehoben wird, so hat die Kammer das weitere Verfahren notwendigerweise so zu gestalten, dass die tatsächlichen Voraussetzungen für die Durchführung der Zeugenvernehmung geschaffen werden. Die Beweisaufnahme ist in einem solchen Fall nämlich nicht fakultativ, sondern zwingend und deshalb - entgegen den Überlegungen der Beschwerdegegnerin - auch nicht abzuwägen mit einer damit verbundenen Verfahrensverzögerung. Es war vielmehr zwingend notwendig, dass die Kammer in ihrer originären Besetzung einen weiteren Verhandlungstermin zur Vernehmung der Zeugen bestimmt. Eine solche verfahrensrechtlich gebotene Maßnahme kann naturgemäß keine Besorgnis der Befangenheit begründen.
Es ist auch nicht zu beanstanden, dass die Kammer in ihrer originären Besetzung versucht hat, den Termin zur Zeugenvernehmung zeitnah anzusetzen. Ein solches Vorgehen entspricht vielmehr dem Interesse beider Beteiligten an einer zeitnahen Verfahrenserledigung und stellt damit ebenfalls eine gebotene Maßnahme dar. Dieses Interesse hat gerade die Beschwerdegegnerin selbst mehrfach betont, weshalb entsprechende Überlegungen der Beschwerdekammer keinesfalls als nachteilig für die Beschwerdegegnerin eingeordnet werden können. Der Umstand, dass durch unvorhersehbare Entwicklungen der COVID-19 Pandemie eine weitere Vertagung hätte erforderlich werden können, war von der Beschwerdekammer nicht zu beeinflussen. Die damit einhergehende mögliche Verfahrensverzögerung vermag daher ebenfalls keine Besorgnis der Befangenheit zu begründen.
2.3.3 Die Beschwerdegegnerin hat zudem beanstandet, dass die Beschwerdekammer während der mündlichen Verhandlung aus eigener Initiative vorgeschlagen habe, die Zeugen fernmündlich zu vernehmen, um so die Durchführung der Beweisaufnahme zu erzwingen.
Hierzu ist zunächst festzustellen, dass die Kammer ausweislich der Sitzungsniederschrift nach der Beratung zu dem Ergebnis gekommen ist, die Zeugen in Präsenz und nicht mittels Videokonferenz zu vernehmen. Schon deshalb bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beschwerdekammer, wie von der Beschwerdegegnerin vorgebracht, eine Durchführung der Zeugenvernehmung durch eine fernmündliche Vernehmung habe erzwingen wollen.
Im Übrigen lässt der Umstand, dass die Beschwerdekammer aus eigener Initiative Alternativen zur Vernehmung der Zeugen in Präsenz angesprochen und mit den Beteiligten erörtert hat, keine Rückschlüsse auf eine einseitige oder unfaire Verfahrensführung zu. Eine Vernehmung ohne Präsenz der Zeugen hätte offensichtlich das Risiko weiterer Vertagungen wegen der COVID-19 Pandemie verringert und damit zu einer Beschleunigung des Verfahrens beigetragen. Wie bereits dargelegt, hatte gerade die Beschwerdegegnerin ihr Interesse an einer zügigen Verfahrenserledigung betont. Die Erörterung einer Maßnahme, die eben diesem Interesse der Beschwerdegegnerin gedient hätte, lag daher weder einseitig im Interesse der Beschwerdeführerin noch war sie unfair. Auch dieser von der Beschwerdegegnerin vorgebrachte Aspekt vermag demzufolge eine Besorgnis der Befangenheit nicht zu begründen.
Es besteht auch keinerlei objektive Grundlage für die Annahme der Beschwerdegegnerin, dass alle verfahrensrechtlichen Maßnahmen der Beschwerdekammer auf das Ziel ausgerichtet gewesen seien, eine von der Einspruchsabteilung abweichende Meinung begründen zu können. Vielmehr war - wie bereits dargelegt - die Veranlassung der notwendigen Maßnahmen geboten, um die Durchführung der Beweisaufnahme zu gewährleisten und damit das Beratungsergebnis der Beschwerdekammer umzusetzen. Die Annahme der Beschwerdegegnerin, dass die Kammer dadurch eine "von der Entscheidung der Einspruchsabteilung abweichende Meinung begründen" wolle, ist demgegenüber rein spekulativ und vermag daher nicht die Besorgnis der Befangenheit zu begründen.
Auch die weiteren pauschalen Behauptungen der Beschwerdegegnerin, dass Vorschriften des EPÜ und Entscheidungen der Beschwerdekammern missachtet worden seien, finden weder in der Sitzungsniederschrift noch in den Darlegungen der Beschwerdegegnerin zu dem Ablauf der mündlichen Verhandlung, den darin gemachten Ausführungen der Beschwerdekammer und deren Schlussfolgerungen eine objektive Grundlage.
2.3.4 Die weitere Behauptung der Beschwerdegegnerin, die Mitglieder seien bereits aufgrund der schriftlichen Stellungnahmen der Zeugen zu einer Meinung gelangt und die Spekulation der Beschwerdegegnerin über einen mit der angeordneten Zeugenvernehmung verbundenen angeblichen Rechtfertigungsdruck der abgelehnten Kammermitglieder sind in keiner Weise durch objektive Tatsachen belegt. Gleiches gilt für ihre Behauptung, dass "im beharrlichen Festhalten an der die Einsprechende bewusst begünstigenden Vorgehensweise durch die Beschwerdekammer als Ganzes und ihren einzelnen Mitgliedern zumindest Vorsatz" liege.
Insoweit scheint die Beschwerdegegnerin den abgelehnten Mitgliedern eine bewusste Begünstigung der Beschwerdeführerin und damit eine tatsächliche (subjektive) Befangenheit vorzuwerfen.
Der Vorwurf tatsächlicher Befangenheit aufgrund einer negativen inneren Haltung ist nach Maßgabe des "subjektiven Tests" zu beurteilen. Insoweit ist zu beachten, dass bis zum Beweis des Gegenteils von der Unbefangenheit eines Beschwerdekammermitglieds, das richterliche Funktionen ausübt, auszugehen ist (G 1/21 vom 17. Mai 2021, Nr.1 f. (Rz.10); G 2/08, Entscheidung vom 15. Juni 2009, Entscheidungsgründe Nr.1.2 und 3.2 mit Bezugnahme auf verschiedene Entscheidungen des EGMR). Verdacht und äußerer Anschein reichen daher nicht aus, um eine tatsächliche Befangenheit nachzuweisen (T 190/03, ABl. EPA 2006, 502, Entscheidungsgründe Nr.9; R 2/12, Entscheidungsgründe Nr.2.1).
Einen Beweis für eine entsprechende innere negative Haltung der abgelehnten Mitglieder hat die Beschwerdegegnerin indes nicht erbracht. Wie oben dargelegt, genügen die objektiven Geschehnisse noch nicht einmal, um den objektiven Anschein einer Befangenheit zu erwecken und sind damit erst recht nicht geeignet, eine tatsächliche innere Befangenheit nachzuweisen.
3. Demzufolge hat die Beschwerdegegnerin weder nachgewiesen, dass die abgelehnten Kammermitglieder tatsächlich befangen waren noch bestehen objektive Anhaltspunkte, die den Anschein einer Befangenheit begründen könnten.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Der Antrag der Beschwerdegegnerin auf Ablehnung der Kammermitglieder in der Besetzung gemäß Mitteilung vom XX XXX XXXX wird zurückgewiesen.