T 0219/87 11-03-1988
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Verfahren zur Herstellung von Silberpulver
Erfinderische Tätigkeit (ja)
Optimierung einer nicht im Vordergrund stehenden
Variante des Standes der Technik
inventive step (yes)
optimization of a variant of the state of the art
not being well to the fore
I. Auf die europäische Patentanmeldung 80 103 900.9, die am 9. Juli 1980 mit deutscher Priorität vom 21. Juli 1979 angemeldet worden war, wurde am 4. September 1985 das europäische Patent 22980 auf der Grundlage von vier Ansprüchen erteilt, deren einziger unabhängiger, wie folgt, lautet:
"Verfahren zur Herstellung von Silberpulver der Zusammensetzung Silber-Metalloxid zur Verwendung bei elektrischen Kontakten mit guter Funkenlöschung, geringer Schweißneigung und geringem Abbrand, wobei das Metalloxid ein Oxid der Gruppe Cd, Sn, Zn, In, Mg, Gd, Pb, Mo, Ni oder W ist, bestehend aus folgenden Verfahrensschritten:
- Zerstäuben einer gemeinsamen wässrigen Lösung von Silber- und Metallsalzen in einem heißen Reaktor bei einer Wandtemperatur, die wesentlich über der Zerfallstemperatur der Salze, jedoch unterhalb der Schmelzpunkte der einzelnen Komponenten liegt, so daß das Lösungsmittel schlagartig verdampft, wodurch Pulver mit einer Partikelgröße 1-10 µm mit Metalloxidausscheidung < 0,5 µm entsteht.
- Trennung der entstandenen Pulverpartikel in einem Zentrifugalabscheider von den heißen Abgasen."
II. Gegen die Patenterteilung legte die jetzige Beschwerdeführerin am 15. Mai 1986 wegen fehlender Neuheit und erfinderischer Tätigkeit Einspruch ein. Sie stützte sich dabei auf das bereits im Prüfungsverfahren berücksichtigte Dokument
(1) DE-A- 2 506 547.
III. Durch Entscheidung vom 7. April 1987 wurde der Einspruch zurückgewiesen. Die Entscheidung führte im wesentlichen das folgende aus: Gemäß Streitpatent solle die Arbeitstemperatur wesentlich über den Zerfalltemperaturen der beteiligten Salze liegen, so daß das Lösungsmittel schlagartig verdampft, was dazu führt, daß Pulver mit einer bestimmten Partikelgröße entsteht. Da (1) keines dieser Merkmale offenbare, sei der Gegenstand von Anspruch 1 neu. Er beruhe auch auf erfinderischer Tätigkeit: Ausgehend von (1) sei es Aufgabe des Streitpatents gewesen, ein Verfahren zur Herstellung von Silberpulver anzugeben, das zur Herstellung von elektrischen Kontakten mit geringer Schweißneigung, guter Funkenlöschung und gutem Abbrandverhalten geeignet ist. Die beanspruchte Lösung dieser Aufgabe werde durch (1), wonach die Zersetzung bei einer Temperatur oberhalb der Zerfallstemperatur der beteiligten Salzen erfolge, nicht nahegelegt, da der Fachmann (1) keine Anregung entnehmen könne, die Temperatur weiter als etwa 100°C über die Zersetzungstemperatur von Silbernitrat zu erhöhen; insbesondere habe der Fachmann durch (1) keinen Hinweis darauf erhalten, daß eine solche wesentliche Erhöhung einen positiven Einfluß auf das Teilchenspektrum haben könne.
IV. Gegen diese Entscheidung hat die unterlegene Einsprechende (Beschwerdeführerin) am 4. Juni 1987 unter Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde erhoben und eine Begründung am 6. August 1987 eingereicht. Sie macht geltend, daß in (1) oberhalb der Zerfallstemperatur der beteiligten Salze gearbeitet werde, wobei das Lösungsmittel naturgemäß unter Entstehung sehr feiner Pulver schlagartig verdampfen müsse. Sie verweist ferner darauf, daß die in (1) beispielhaft genannte Zersetzungstemperatur sich bei Verwendung von Gasflammen gar nicht genau einstellen lasse, so daß auch bei höheren Temperaturen gearbeitet werden konnte.
V. Die Beschwerdegegnerin verweist demgegenüber auf ihre im Einspruchsverfahren vorgebrachte Argumentation und auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung.
VI. Die Beschwerdeführerin beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Streitpatent zu widerrufen. Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie Regel 64 EPÜ; sie ist daher zulässig.
2. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Herstellung von Silber-Metalloxid-Pulver (z.B. Ag/CdO) zur Verwendung bei elektrischen Kontakten. Aus (1) (vgl. insbesondere Seite 17, letzter Absatz, bis Seite 18, Absatz 3) ist - neben anderen z.B. einem Fällungsverfahren, das den Nachteil hat, daß die erhaltenen Pulver einen störenden Fremdionengehalt aufweisen (siehe z.B. Seite 15, Zeile 5) - bereits ein dem gleichen Zweck dienendes Verfahren bekannt, bei dem zur Herstellung von u.a. Silber- Metalloxid-Pulver gleicher Zusammensetzung wie beim Streitpatent (vgl. Brückenabsatz Seiten 3 bis 4), z.B. Silber- und Cadmiumnitratlösungen in einem einzigen Arbeitsschritt thermisch unter Bildung des entsprechenden Silber-Metalloxid-Pulvers zersetzt werden. Die Zersetzung kann mittels einer Gasflamme, durch Heißluft oder in einer anderen Heizeinrichtung erfolgen, wobei eine Temperatur oberhalb der Zerfallstemperaturen der beteiligten Nitrate,im Falle von Silber- und Cadmiumnitrat z.B. bei einer Temperatur von 550°C aufrechterhalten wird (die Zerfallstemperatur von AgNO3 beträgt bekanntlich 444°C). Das Produkt dieses bekannten Verfahrens wird als sehr feines Pulver mit besonders feinen und gleichmäßig verteilen Cadmiumoxidpartikeln bezeichnet (Seite 18, Zeilen 13-19). Wie eine Nacharbeitung dieser Ausführungsform durch die jetzige Beschwerdegegnerin während des Prüfungsverfahrens ergeben hat (vgl. Anlage zur Eingabe vom 14. August 1984), erlaubt ein so erhaltenes Pulver nur die Herstellung eines Werkstoffes mit grobem Korn und inhomogener Metalloxidausscheidung, was sich nachteilig auf das elektrische Kontaktverhalten auswirkt (vgl. Beschreibungseinleitung des Streitpatents, Spalte 1, fünfter Absatz).
3. Demgegenüber kann die technische Aufgabe des Streitpatents darin gesehen werden, ein Verfahren zur Gewinnung von Silber-Metalloxid-Pulver vorzuschlagen, in dem die Feinverteilung der Silberpartikel und die Homogenität der Metalloxidphase verbessert sind. Dadurch ist das Produkt zur Verwendung bei elektrischen Kontakten mit guter Funkenlöschung, geringer Schweißneigung, und vermindertem Abbrand besser geeignet.
4. Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Streitpatent das folgende Verfahren vor:
(a) Das Zerstäuben der gemeinsamen wäßrigen Lösung von Silber- und (sonstigen) Metallsalzen soll bei einer Wandtemperatur des Reaktionsgefäßes erfolgen, "die wesentlich über der Zerfallstemperatur der Salze, jedoch unterhalb der Schmelzpunkte der einzelnen Komponenten liegt, so daß das Lösungsmittel schlagartig verdampft, wodurch Pulver mit einer Partikelgröße 1-10"m mit Metalloxidausscheidungen <0,5"m entsteht";
(b) die Trennung der entstandenen Pulverpartikel von den heißen Abgasen soll in einem Zentrifugalabscheider erfolgen.
Das Merkmal (a) ist hierbei nach Überzeugung der Kammer im Sinn einer funktionellen Definition so auszulegen, daß die Wandtemperatur einerseits unterhalb der Schmelzpunkte von Silber (960,8°C) und dem betreffenden Metalloxid, andererseits aber so einzustellen ist, daß das Lösungsmittel unter Bildung eines Pulvers der genannten Partikelgrößen schlagartig verdampft.
5. Daß die bestehende Aufgabe durch die genannte Maßnahmenkombination auch tatsächlich gelöst ist, wurde durch die oben erwähnten Vergleichsversuche belegt. Danach erhält man bei einer Wandtemperatur von 600°C (etwa 150°C über der Zerfallstemperatur des Silbernitrats) ein deutlich gröberes Pulver mit weniger homogener Metalloxidphase als beim erfindungsgemäßen Arbeiten bei wesentlich höherer Temperatur (Wandtemperatur von etwa 950°C). Außerdem wurde bei dem Produkt des bekannten Verfahrens ein erheblich höherer, unter Schaltbelastung zur Blasenbildung führender Nitratgehalt festgestellt als beim erfindungsgemäßen Arbeiten mit höherer Temperatur.
6. Die Neuheit des beanspruchten Lösungsvorschlages ergibt sich schon daraus, daß - soweit ersichtlich - das oben mit (b) bezeichnete Verfahrensmerkmal in der einzigen Entgegenhaltung (1) auch nicht andeutungsweise erwähnt ist. Im übrigen ist auch Merkmal (a) bei sachgemäßer Auslegung - vgl. oben unter Abschnitt 4 - durch (1) nicht offenbart.
Da die Neuheit jedenfalls zuletzt nicht mehr bestritten ist, erübrigen sich nähere Ausführungen hierzu.
7. Es bleibt somit zu untersuchen, ob der Gegenstand des Streitpatents auf erfinderischer Tätigkeit beruht oder für den von (1) ausgehenden Fachmann angesichts der in Abschnitt 4 angegebenen Aufgabe im Hinblick auf diesen Stand der Technik nahelag.
7.1. Wie bereits angedeutet, betrifft (1) die Herstellung von Metall-Metalloxid-Pulver, z.B. Silber-Cadmiumoxid-Pulver, das sich auf Grund seiner besonders feinen und gleichmäßigen Verteilung sehr gut für elektrische Kontakte eignet (vgl. Seite 2, letzte Zeile, bis Seite 3, Zeile 6; Seite 3, letzter Absatz; und Seite 18, dritter Absatz). Diese Pulvermischungen werden dort durch Zerstäuben entsprechender Salzlösungen und nachfolgende thermische und/oder chemische Behandlung der zerstäubten Lösung hergestellt, wobei die Partikelgröße der Pulvermischung insbesondere über die Tröpfchengröße der zerstäubten Lösung gesteuert wird (vgl. Ansprüche 1 bis 3; Seite 3, vierter Absatz; und Seite 4, vierter Absatz).
Als chemische Behandlung ist eine Fällungsreaktion (vgl. Seite 13, Zeilen 2 bis 10; Ansprüche 17 und 18) oder eine Reduktionsbehandlung vorgesehen (vgl. Seite 5, zweiter Absatz; Ansprüche 5 und 6). Die thermische Behandlung kann durch Einsprühen der zerstäubten Lösung in ein heißes organisches flüssiges Medium erfolgen, das auf Temperaturen oberhalb der Zerfallstemperatur der zu zersetzenden Salze gehalten wird (vgl. Ansprüche 5 und 7). Hierfür sind beispielhaft Temperaturen von etwa 170°C und 210-220°C angegeben (vgl. Seite 5, zweiter Absatz). Der zerstäubte Nebel kann auch mittels einer Gasflamme, Heißluft oder durch andere Heizeinrichtungen zersetzt werden (vgl. Seite 4, letzter Absatz; Seite 17, letzter Absatz; und Anspruch 4). Im Falle von Silber- und Cadmiumnitrat wird z.B. bei 550°C (vgl. Seite 18, Zeilen 2 bis 3) gearbeitet. Eine obere Grenze für die Arbeitstemperatur ist zwar nicht genannt, eine gezielte technische Lehre im Sinne der funktionellen Definition nach dem Streitpatent, wesentlich über der Zerfallstemperatur der Salze liegende Wandtemperaturen anzuwenden, sieht die Kammer darin nicht. Dafür sprechen nicht nur die im Zusammenhang mit der Zersetzung im organischen flüssigen Medium oben genannten niedrigeren Zersetzungstemperaturen, sondern auch der Vorschlag, beim Einsprühen in eine Flamme Salze mit niedriger Zerfallstemperatur vorzusehen (vgl. Seite 5, Zeilen 6 bis 9). Zudem sind auch für die gemischte chemisch-thermische Reaktion, d.h. für die Fällung mit nachfolgender thermischer Zersetzung, nur Temperaturen von etwa 500°C bechrieben (vgl. Seite 13, Zeilen 11 bis 26).
7.2. Im Gegensatz dazu schlägt das Verfahren des Streitpatents die Steuerung der Partikelgröße der Pulvermischung nicht über die Tröpfchengröße der zerstäubten Lösung, sondern über die Temperaturen vor, die "wesentlich über der Zersetzungstemperatur" der Salze liegen müssen (vgl. Streitpatentschrift Spalte 3, Zeilen 46 bis 49). Hierfür geht von (1) keine Anregung aus. Es ist weder vorgetragen worden, noch für die Kammer ersichtlich, daß auf Grund allgemeinen Fachwissens Voraussagen darüber möglich waren, wie die aufgabengemäß angestrebte Verbesserung der Homogenität und Feinverteilung der beiden Phasen im Silber-Metalloxid-Pulver bewirkt oder auch nur angegangen werden konnte.
7.3. Da der Stand der Technik keine Voraussagen über die Lösung der bestehenden Aufgabe zuließ und demnach Erkenntnisse nur auf experimentellem Wege zu erlangen waren, könnte man sich die Frage stellen, ob der Fachmann bei den auf gut Glück anzulegenden Versuchen nicht deshalb auf die Erfindung gestoßen wäre, weil dies der einzig mögliche oder doch der allernächstliegende Weg gewesen wäre. Auch diese Frage ist zu verneinen; denn bei der Zahl der bereits erwähnten verschiedenen Verfahrensweisen sowie völlig anderer im Vordergrund stehender Parameter enthielt (1) keinerlei Anhaltspunkt dafür, daß es entscheidend auf eine spezielle Temperaturführung ankommen könnte.
7.4. Die Argumentation der Beschwerdeführerin, der Fachmann habe im Hinblick auf die in (1) nur beispielhaft erwähnte Temperatur von 550°C die optimale Reaktionstemperatur leicht und ohne erfinderisches Zutun ausfindig machen können, basiert insofern auf einer unzulässigen rückschauenden Betrachtungsweise, als sie willkürlich einen spezifischen, nicht hervorgehobenen Parameter einer zudem nicht im Vordergrund stehenden Verfahrensvariante (thermische Zersetzung an Heizeinrichtungen) auswählt und dessen Optimierung vorschlägt. Vor allem aber übersieht die Beschwerdeführerin, daß es bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht darauf ankommt, ob der Fachmann durch Modifikation des Standes der Technik zur Erfindung hätte gelangen können; zu fragen ist vielmehr, ob er in Erwartung der tatsächlich erzielten Vorteile, d.h. im Lichte der bestehenden technischen Aufgabe, so vorgegangen wäre. Dies ist, wie ausgeführt, hier nicht der Fall.
7.5. Bei dieser Sachlage kommt es nicht mehr darauf an, ob auch Merkmal (b) zur Erfindungsqualität von Anspruch 1 beiträgt. Erfinderische Tätigkeit liegt schon auf Grund der obigen Ausführungen zum Merkmal (a) vor.
8. Die Patentfähigkeit der abhängigen Ansprüche 2 bis 4 wird von derjenigen des Anspruchs 1 getragen; diese sind daher gleichfalls patentfähig.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.